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August 2003: Auf der Suche nach einer neuen Heimat

Zwei Tage später sitzen wir beide, also Frauchen und ich, mit einem vollgepackten Rucksack im Zug in Richtung Augsburg. Besser gesagt Gessertshausen, das ist ungefähr 15 km davor. Dort werden wir dann von Rosis Mutter mit dem Auto abgeholt. Heute früh hat uns Hans, unser Taxifahrer nach Riegel zum Bahnhof gebracht. Dann sind wir umgestiegen in Offenburg, Karlsruhe und noch einmal in Ulm. Das Umsteigen in Offenburg ist ja kein Problem, das ist immer der Bahnsteig gegenüber. Nachdem ich das Hörzeichen zum Aussteigen bekommen habe, sagt Frauchen: „Tessy, zur Bahn, voran zeig Tür!“ Ich weiß dann genau, dass ich ihr die nächstliegende Tür beim gegenüberstehenden Zug anzeigen soll. Meistens steht die Tür schon auf. Rosi lässt den Führbügel aus und sagt: „Tessy, steig ein, hopp!“ An der Leine spürt sie dann schon, ob ich nach oben oder vielleicht auch etwas nach unten gesprungen bin, das ist recht unterschiedlich bei den Zügen. Zum Ein- und Aussteigen des Zuges packt Frauchen auch immer ihren zusammenlegbaren Kurzstock aus, mit dem sie dann den Abstand und die Höhe des Einstieges abtasten kann. Dann steigt auch sie ein. Das ist nicht so ungefährlich. Es gibt blinde Reisende, die schon in den Spalt zwischen Zug und Bahnsteig gerutscht sind. Das ist dann bestimmt ganz arg schmerzhaft. Also lieber aufpassen. Uns ist das zum Glück noch nie passiert. Da kann dann der beste Blindenführhund nicht mehr helfen.

In Karlsruhe und in Ulm haben wir uns beim Umsteigen helfen lassen. Dort ist es immer anders und außerdem haben wir dort nur wenig Zeit bis zur Abfahrt unseres Anschlusszuges. Blinde Bahnfahrer haben die Möglichkeit den Mobilitätsservice in Anspruch zu nehmen. Man muss diese Hilfeleistung nur rechtzeitig telefonisch anmelden, dann bringt uns ein freundlicher Mitarbeiter der Bahn zum richtigen Zug. Das ist eine feine Sache. Nun sind wir aber schon gleich am Ziel in Gessertshausen angekommen und ich bin ja schon so gespannt, ob wir ein passendes Objekt für uns alle finden werden.

Inzwischen sind wir schon seit drei Wochen zu Besuch bei Rosis Mutter in Siegertshofen. Dort ist mein Frauchen aufgewachsen. Der kleine Ort liegt etwa 25 km südwestlich von Augsburg inmitten des Naturparks Augsburg - Westliche Wälder. Ja, hier ist es wunderschön und vor allem kühler als am Kaiserstuhl. Frauchen kennt sich hier total gut aus. Sie kann sich aus ihrer sehenden Zeit noch ganz genau an die Wege erinnern. So unternehmen wir beide ausgiebige Spaziergänge, wenn wir nicht gerade auf Grundstückssuche sind. Rosi und Joe stellen sich einen alten Bauernhof vor, nicht zu renovierungsbedürftig, in einem Ort mit guter Infrastruktur. So in der Art, wie sie es in Wyhl bereits haben. Aber das ist gar nicht so einfach. Gerade letzte Woche hat sich mein Frauchen ein Objekt angeschaut in Mittelneufnach. Einen renovierten Bauernhof mit großem Grundstück und einem kleinen Bach. Aber leider ist die Infrastruktur in Mittelneufnach ganz schlecht. Dort gibt es kaum eine Busverbindung und ganz wenig Geschäfte, also leider nicht geeignet.

Rosi hat all ihre Freunde und Bekannten beauftragt, Augen und Ohren aufzuhalten und ihr alles Erdenkliche mitzuteilen, was in Frage kommen könnte. Es ist ja wirklich zum Mäusemelken - entweder das Objekt passt nicht, oder die Infrastruktur. Es muss ja passen für Mensch und Tier. Und möglichst hier in der Nähe, dass sich Rosi noch auskennt. Das ist zwar für mich nicht unbedingt ein Vorteil, weil Frauchen dann genau weiß, wo sie sich befindet und ich sie nicht austricksen kann, aber egal. Hauptsache wir fühlen uns alle wohl in unserer neuen Umgebung. Also mir gefällt es hier. Morgens kann ich durch die kühlen Wiesen düsen und im Wald findet sich immer ein Stöckchen zum Spielen. Außerdem gibt es hier auch jede Menge potenzielle Spielkammeraden mit ihren Herrchen und Frauchen. Da kann ich mit meiner freundlichen charmanten Art bestimmt ganz schnell neue Kontakte knüpfen. Tja, nur das geeignete Objekt für unsere neue Gerstlfarm haben wir noch nicht gefunden.

Mal schauen. Heute Vormittag haben wir noch einen Termin mit einem Makler gleich im nächsten Ort in Tronetshofen. Herr Müller holt uns beide mit dem Auto ab und wir fahren zu dem besagten Grundstück. Es ist ein Baugrundstück, kein renovierungsbedürftiger Bauernhof. Egal, dann bauen wir eben eine neue Gerstlfarm, man muss ja schließlich flexibel sein. Mir gefällt es auf Anhieb und meinem Frauchen auch. Rosi kennt den Hang, an dem das Grundstück liegt. Sie ist dort als Kind schon mal Ski gefahren und eine Primiz war dort auch schon mal. Es liegt am Rand des kleinen Ortes. Danach kommen nur noch Wiesen und der Wald. Das ist doch ideal für uns alle. Von Tronetshofen aus kann ich mit Rosi nach Fischach laufen, um unsere Besorgungen und Einkäufe zu erledigen. Außerdem können wir mit dem Bus zum Bahnhof nach Gessertshausen und von dort mit dem Zug nach Augsburg fahren. Rosi telefoniert gleich mit Joe, der ja nicht dabei sein kann und Herr Müller beschreibt ihm die Umgebung. Auch er ist gleich damit einverstanden.

Also dann brauchen wir jetzt nur noch einen Notartermin, bevor wir wieder nach Hause fahren.

Blindenführhund Tessy - Mein Leben auf der Gerstlfarm

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