Читать книгу Blindenführhund Tessy - Mein Leben auf der Gerstlfarm - Rosmarie Gerstl - Страница 9
ОглавлениеOktober 2003: Herbst am Kaiserstuhl
Es ist zum Glück wieder etwas kühler. Wir sind schon wieder eine ganze Weile zu Hause. Jetzt können wir wieder richtig gut was unternehmen. Neulich waren Gisela und Claude mit Boris hier. Ihr wisst ja - Boris ist Rosis ehemaliger Blindenführhund. Er ist erst sechs Jahre, aber aufgrund seines Schutztriebes bereits pensioniert. Boris ist ein Deutscher Schäferhund und diese Rasse wird ja bekanntlich auch zur Schutzarbeit gezüchtet. Zur Aufgabe als Blindenführhund werden zwar Welpen und Junghunde ausgewählt, die sich diesbezüglich unauffällig verhalten, aber dennoch kann es sein, dass der ausgebildete Vierbeiner mit der Zeit versucht, sein blindes Frauchen oder Herrchen zu beschützen. So war es jedenfalls bei Boris, meinem Vorgänger. Es war dann einfach zu gefährlich für Rosi mit ihm unterwegs zu sein.
Nachdem Rosi mit ihrer Krankenkasse abgeklärt hatte, dass sie Boris aus dem Dienst nehmen muss, suchte sie über eine befreundete Hundetrainerin einen geeigneten Platz für ihn. So ergab es sich, dass er bei Gisela und Claude ein wunderschönes neues Zuhause gefunden hat. Die beiden hatten vorher schon einen etwas kritischen Schäferhund und waren die geeigneten Zweibeiner für ihn. Er hat sich mittlerweile sehr gut eingelebt bei den beiden in Freiburg.
Letzten Samstag also waren wir alle gemeinsam am Rhein. Wir fuhren erst mit dem Auto durch den Rheinwald bis zum Parkplatz am Damm und dann ging es aber los. Boris, Timba und ich rannten um die Wette und balgten nach Herzenslust. Klar gingen Timba und ich auch gleich baden in den Rhein. Boris ist nicht so verrückt nach Wasser wie wir beiden Labbis, er ging nur bis zum Bauch ins Wasser. Das war genug für ihn. Wir Vierbeiner und natürlich auch unsere Menschen genossen diesen Nachmittag. Das war vielleicht schön.
Dann war ich mit Frauchen in Endingen beim Arzt. Erst führte ich Rosi hier in Wyhl zur Bushaltestelle, von wo aus wir dann mit dem Bus nach Endingen zum Bahnhof fuhren. Von dort aus gingen wir dann noch etwa 20 Minuten durchs Städtle, wie die Endingen liebevoll ihr Stadtzentrum nennen, bis wir die Arztpraxis erreicht haben. Den Weg dorthin haben wir ja bei der Einschulung zusammen mit meinem Trainer Paul geübt. Den kenn ich ja. Das war also kein Problem für mich. Der Doktor begrüßte mich total freundlich. Normalerweise dürfen zum Arzt ja keine Hunde mit, ja außer man ist ein Blindenführhund, so wie ich. Mann oh Mann, ich bin schon superstolz auf meine Aufgabe. Wohin ich überall mitdarf, ist schon toll.
Nach Hause sind wir dann zu Fuß gelaufen. Erst wieder durchs Städtle, dann durch ein Wohngebiet zum Stadtrand. Dort beginnt der Fußgänger- bzw. Radweg nach Wyhl. Ich muss mit Frauchen immer schön am rechten Rand laufen, auf der linken Seite fahren die Fahrradfahrer. Die fahren manchmal schon rasant an uns vorbei. Wenn sie von hinten kommen erschrickt Rosi manchmal, aber mich coole Socke juckt das kein bisschen.
Frauchen sagt immer wieder zu mir: “Tessy, rechte Seite!“ Ja ich weiß doch Bescheid, Frauchen. Aber sie bleibt immer wieder kurz stehen und kontrolliert mit dem rechten Bein, ob ich auch wirklich ganz am rechten Wegrand laufe.
Wenn wir nicht gerade unterwegs sind, bastelt Frauchen zu Hause an ihrem Plan für die neue Gerstlfarm in Tronetshofen. Rosi war ja vor ihrer Erblindung technische Zeichnerin und sie kann das. Ein Problem war nur, wie sie das aufs Papier bringt, weil sie es jetzt ja nicht mehr sehen kann. Sie versuchte den Grundriss erst einmal mit Holzstäbchen und Papierstreifenaufzukleben, aber das war zu kompliziert. Letztendlich ist sie bei Knetmasse gelandet. Einfach stinknormale Knetmasse, wie sie Kinder zum Basteln verwenden. Sie formt erst einmal dünne Würstchen, mit denen sie dann auf einem großen Brett ihren Grundriss maßstabsgetreu auslegt. So kann sie die Linien fühlen und ganz einfach wieder verändern. Nächste Woche kommt ein Architekt, der dann nach Rosis Grundriss einen Plan auf Papier zeichnen wird.