Читать книгу Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte - Roy Jacobsen - Страница 7
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ОглавлениеAber Mutter gefielen meine Besuche im Untermieterzimmer nicht. Ich solle den Untermieter nicht stören, hieß es, und außerdem gefiel es ihr nicht, dass ich so lange dort drinnen blieb, wenn ich angeklopft und wenn er dann »herein« gesagt hatte – es kam vor, dass er nicht »herein«, sagte, und dann ging ich nicht hinein. Vor allem war es schlimm, dass ich mit allen möglichen Informationen wieder herauskam, über die Durchschnittstemperatur auf Spitzbergen, darüber, dass die norwegische Bevölkerung pro Jahr drei komma drei Millionen Liter Schnaps trank, aber nicht einmal ein Zehntel so viel Rotwein pichelte, denn das sei nichts, womit man den Kopf eines kleinen Kindes vollstopft.
»Ich bin kein kleines Kind.«
Außerdem konnte ich erzählen, dass das, was wir immer Plockwurst genannt hatten, eigentlich Salami hieß, und dass auf Gerhardsen kein Verlass war, selbst wenn wir bei jeder Wahl für ihn stimmten. Also wurde diesen Abendbesuchen ein Ende gesetzt. Ich durfte nicht einmal hineingehen und das Mikroskop zurückbringen, das ich hatte leihen dürfen, um die Maschen in Mutters Nylonstrümpfen zu betrachten. Das übernahm sie. Aber als sie wieder herauskam, waren ihre Wangen rot und sie wollte wissen, ob der Untermieter immer seine Unterwäsche zum Trocknen über die Gardinenstange hängte.
Das wusste ich nun wirklich nicht. Doch sie raffte sich zu einem neuen Vorstoß auf und lief wieder hinein und sagte, das wolle sie sich verbeten haben, Unterwäsche im Fenster, sichtbar für die ganze Wohnungsgenossenschaft.
»Dann nicht«, sagte Kristian gleichgültig. »Aber wo soll ich sie dann trocknen? Und waschen?«
Und so bekam er einen eigenen Korb für seine schmutzige Wäsche, den er dann in die Waschküche tragen konnte, wenn Mutter Wäsche hatte, wo er die Wäsche in die Trommel warf, während sie dieselbe für ihn aufhängte, in der Trockenkammer. Mir war klar, dass es bei dieser Abmachung darum ging, dass sie seine schmutzige Wäsche nicht anfassen wollte. Das war auch Kristian klar. Und zwischen uns gab es in den folgenden Wochen keinen besonderen Kontakt.
Aber in diesem Herbst kam es zum Verkaufsstreik. Omar Hansen hatte so gut wie keine Waren mehr, und Mutter verbrachte unendlich viel Zeit auf dem Weg vom Schuhgeschäft nach Hause damit, alles aufzutreiben, was wir brauchten. Eines Nachmittags jedoch stand in der Diele ein großer Karton, mit Margarine, Brot, Kartoffeln, Fischklößen, einer Tube Kaviar, Leberwurst, zwei Flaschen Limonade, drei Tafeln Freia Milchschokolade und ganz unten zwei Hefte Wilder Westen, für mich.
»Das hättest du nicht tun dürfen«, sagte Mutter.
»Warum nicht?«, fragte Kristian, der wie Frank »Beziehungen« hatte, bei der Gewerkschaft, sagte er, und Mutter hatte keine, im Gegenteil, es war ihre Gewerkschaft, die streikte. »Dann kannst du die doch zumindest für mich im Kühlschrank aufbewahren?«
Es war ungefähr so wie mit dem Fernseher, vor dem Mutter und ich jetzt jeden Abend saßen, autorisiert durch die Tatsache, dass sie ihn angemeldet hatte, auf ihren Namen. Kristian kam uns immer näher, egal, was sie auch tat.
»Was willst du dafür haben?«, fragte sie.
»Was ist eigentlich los mit dir?«, gab er ärgerlich zurück und ging auf sein Zimmer und schloss die Tür. Und da stand nun der Karton für ein oder zwei Stunden, bis Mutter zur Vernunft kam und die Waren in den Kühlschrank räumte.
»Es ist fast ein bisschen unangenehm«, sagte sie. Aber dann sagte sie auch: »Ja, ja.« Und gab mir die eine Limonade. Schon wieder Solo mitten in der Woche.
Danach aßen wir auch die eine Tafel Milchschokolade und schalteten den Fernseher ein und sahen die Schlagerparade und einen langen Dokumentarfilm über ein Pferd, das Bierkästen von einer Brauerei zu den Läden in der Stadt zog. Es hieß Teddy und war zweiunddreißig Jahre alt, was für ein Pferd ein ansehnliches Alter ist. Es ging darum, dass Teddys Zeit jetzt zu Ende war, nicht nur seine, sondern die seiner gesamten melancholischen Rasse, die den Autos und dem Asphalt und nicht zuletzt der Geschwindigkeit weichen musste. Die Sendung wurde immer trauriger und immer nutzloser, je länger wir dort saßen und glotzten, wir hatten beide Tränen in den Augen. Aber es endete dann zum Glück damit, dass Teddy und sein steinalter Besitzer auf einem großen Bauernhof über eine Wiese stapften und ihren Lebensabend genossen, während die Sonne schien und die Blumen zitterten und die Lerchen sangen.
»Gott sei Dank«, sagte Mutter und schaltete ganz schnell aus. Wir blieben sitzen und blinzelten mit dem Licht des Fernsehers in den Augen, bis sie plötzlich rief:
»Ich zieh es von seiner Miete ab!«