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Dann kam Linda. Sie kam mit dem Bus. Allein. Weil meine Mutter ihre Mutter nicht wiedersehen wollte, wie ich vermutete.

Es war ein Samstag. Wir schlenderten rechtzeitig hinunter zur Haltestelle beim Aker Sykehus und warteten auf den Bus nach Grorud, der um vier vor halb zwei kommen sollte, ich war in der Schule gewesen und hatte nur schnell meinen Ranzen nach Hause bringen können, und ich hatte keiner Menschenseele von der Sache erzählt, von Linda, weil mir die Worte fehlten. Aber ich hatte auf eine überaus indirekte Weise einem meiner Kumpels gegenüber das Thema gestreift, Rogern, der zwei ältere Brüder hatte, ich hatte gefragt, wie es eigentlich sei, Geschwister zu haben, ein Problem, das er nicht so recht erfasste, ehe er dann doch etwas kapierte und grinsend sagte:

»Einzelkind.«

Es klang wie eine Diagnose, auf derselben Ebene wie Hinkefuß. Ich hatte mir ja auch einige vage Gedanken über dieses und jenes gemacht, als wir das neue Bett montiert hatten – ich hatte sogar eine Nacht darin geschlafen –, vor allem, wenn Mutter in der Zeit zwischen dem Beschluss, Linda aufzunehmen, und dem heutigen Tag in Gedanken versunken war, oder als sie auf den Dachboden gegangen und mit dem riesigen Koffer voller Aufkleber aus Lom und Dombås wieder heruntergekommen war, als es sich herausgestellt hatte, dass der Koffer mit Kleidern aus ihrer eigenen Kindheit gefüllt war, die sie getragen hatte, als sie unter anderem in Lindas Alter gewesen war, sechs, und nun saß sie da und sah die Kleider durch und nahm sie in die Hand und dachte nach und murmelte, sieh an, o Gott, nein, was ist das denn, und das ist sicher alles nicht mehr zu gebrauchen, abgesehen von dem hier, vielleicht? Eine Puppe, der die Füllung aus einem Riss im Bauch quoll, weil Mutters Brüder, wie ich nun erfuhr, sie am Blinddarm operiert hatten, die schlaff herunterhängende Beine und einen lockeren kugelrunden Kopf mit matten Perlaugen hatte, die Amalie hieß und unmöglich aussah.

»Ist die nicht wunderschön?«

»Doch.«

Sie legte Amalie in Lindas Bett, und dort hatte sie in der vergangenen Woche geschlafen, aber dann war sie wieder verschwunden, das war am Morgen geschehen.

»Wo ist Amalie?«, fragte ich, als ich aufwachte. Aber Mutter hatte keine Antwort. »Sie kommt doch heute – Linda?«

»Ja, ja«, sagte Mutter und tat so, als sei gerade das der Grund, aus dem Amalie sich nun wieder auf dem Dachboden befand, weil es keine Missverständnisse zwischen Mutter und Linda geben sollte, was weiß denn ich; das Bett war eigentlich ganz frisch gemacht, es war zum dritten Mal neu bezogen, und nichts lag darin, es wartete.

Dann kam endlich der Bus. Er blieb auch stehen. Aber niemand stieg aus. Stattdessen stiegen etliche Fahrgäste ein, und Mutter und ich standen da und sahen einander an. Die Luftbremsen keuchten und die Ziehharmonikatüren knallten und stöhnten und drohten sich zu schließen. Mutter stürzte im letzten Moment vor und rief, »halt«, und der Schaffner sprang von seinem Sitz auf und kam und packte ihren Arm und konnte bei derselben Bewegung die Tür mit dem Knie wieder aufzwängen.

»Sie müssen vorsichtig sein, gnädige Frau.«

Mutter sagte irgendetwas, und der Bus blieb immerhin stehen, als sie hinter den verdreckten Fensterscheiben verschwand. Es dauerte und dauerte. Von drinnen waren laute Rufe zu hören, dann kam sie endlich wieder heraus, knallrot und verlegen im Gesicht, und sie schleppte ein kleines Mädchen in einem etwas zu engen Kleid, mit weißen Kniestrümpfen in dem kalten Herbstwetter und einem winzigkleinen hellblauen Koffer.

»Danke, danke«, rief Mutter dem Schaffner zu, und der sagte:

»Keine Ursache«, und »war mir ein Vergnügen«, und noch andere Dinge, bei denen Mutter nur noch röter anlief, während sie sich die Haare glattstrich, und ich lief herum und starrte den Neuankömmling an, Linda, die sich als klein und dick und friedlich herausstellte und deren Blick sich in den Asphalt bohrte.

Der Bus fuhr endlich weiter und Mutter ging vor unserem neuen Familienmitglied in die Knie und versuchte, Blickkontakt zu ihr aufzunehmen, ohne sonderlichen Erfolg, soweit ich sehen konnte. Aber dann konnte sie einfach nicht mehr, Mutter, meine ich, und sie umarmte das unbeholfene Wesen auf eine Weise, die mich arg bedenklich stimmte. Aber Linda reagierte auch darauf nicht, und Mutter wischte sich die Tränen ab und sagte, wie immer, wenn sie sich schämt:

»Nein, was mach ich denn nur, kommt, dann gehen wir zu Omar Hansen und kaufen Schokolade. Möchtest du Schokolade, Linda?«

Linda war mit Stummheit geschlagen. Sie roch seltsam, hatte ungekämmte, struppige Haare und einen Pony, der ihr tief ins Gesicht hing. Aber sie schob ihre Hand in Mutters und umklammerte zwei Finger, so dass ihre Knöchel weiß wurden. Und abermals konnte Mutter nicht mehr. Und das konnte ich nicht länger mit ansehen, diesen Griff, von dem ich instinktiv begriff, dass es ein Griff fürs Leben war, der fast alles verändern würde, nicht nur in Lindas Dasein, sondern auch in meinem und Mutters, es war so ein Griff, der sich um dein Herz schließt und es wie in einem Schraubstock festhält, bis du krepierst, und der auch noch da ist, wenn du im Grabe liegst und verfaulst. Ich riss den kleinen himmelblauen Koffer an mich, der fast nichts wog, und schwenkte ihn über meinem Kopf.

»Die fragt, ob du Schokolade willst«, rief ich. »Hörst du schlecht?«

Linda fuhr zusammen und Mutter bedachte mich mit einem ihrer mörderischen Blicke, die wir normalerweise nur in größeren Menschenansammlungen tauschen. Ich verstand den Wink und lief zwei Schritte hinter ihnen her, als wir den Hang hoch gingen, Mutter jetzt mit aufgesetzt freundlicher und viel zu lauter Stimme, die sagte:

»Da drüben werden wir wohnen, Linda«, und zeigte durch die Auspuffgase über dem Trondhjemsvei.

»Im zweiten Stock da hinten, mit den grünen Vorhängen, das Haus heißt der Dreier, es ist der drittunterste Block, einer der ersten, die gebaut worden sind ...«

Und eine Menge andren Unsinn, zu dem Linda nichts zu sagen hatte, auch dazu nicht.

Aber als sie und ich dann unsere Schokolade bekommen hatten, ging es ein bisschen besser, denn Linda langte überaus gierig zu und lächelte auch, eher verwirrt als glücklich, und das machte sie ein wenig weniger armselig, ja, Mutter fand offenbar, dass sie die Schokolade etwas zu gierig verzehrte, dass es damit an Linda etwas auszusetzen gab, oder etwas, das man sich anders gewünscht hätte, und ich glaube, das war gut für uns alle, denn Linda hatte noch immer nichts gesagt. Das tat sie erst, als wir zur Tür hereinkamen.

»Bett«, sagte sie.

»Ja«, sagte Mutter verwirrt. »Da wirst du schlafen.«

Worauf Linda den Eisengriff um Mutters Finger löste und ins Bett kletterte und sich hinlegte und die Augen schloss, während Mutter und ich stehen blieben und diesem Spiel zusahen, nach und nach immer verwunderter, denn es war kein Spiel, Linda schlief wie ein Stein.

Mutter sagte, Ja, Ja, und deckte sie zu und blieb auf der Bettkante sitzen und streichelte ihre Haare und ihre Wange. Dann ging sie hinaus und ließ sich am Küchentisch auf einen Stuhl fallen, als ob sie soeben aus dem Krieg heimgekehrt wäre.

»Sie ist sicher total erschöpft, die Arme. Einfach zu uns zu kommen. Ganz allein ...«

Auch für diese Argumentation hatte ich kein Verständnis, denn was sollte zum Beispiel besser sein, als zu uns zu kommen, in ein Bett, das schon dreimal neu gemacht worden war, ohne dass jemand darin gelegen hätte? Das sagte ich auch, ich zeigte Mutter, dass ich unser neues Familienmitglied schon ziemlich satt hatte.

Aber das hörte sie nicht, sie hatte das blaue Köfferchen geöffnet und einen Brief gefunden, eine Art Gebrauchsanweisung, wie sich herausstellte, darin stand mit gerader Handschrift, was Linda gern tat – spielen (!) und essen: Kunsthonig und Kümmelkäse und Soße und Kartoffeln; Fisch und Fleisch und Gemüse mochte sie weniger gern. Es stand dort aber auch, wir sollten »nicht zu viel Essen in das Kind hineinstopfen«. Außerdem hatte sie eine Schwäche am linken Knie, deshalb musste sie Medizin nehmen, Pillen, die in Dosen steckten, auf denen Lindas Name stand, und Mutter fand auch die im Koffer und hielt sie ins Licht, um sie sich genauer anzusehen, zwei Pillen jeden Abend, oder drei. »Und sie muss ein ganzes Glas Wasser dazu trinken«, stand in dem Brief, »gleich vor dem Schlafengehen, sonst steht sie nachts auf und geht zum Kühlschrank.«

Und wieder konnte Mutter nicht mehr.

»Großer Gott.«

»Was ist los?«, fragte ich.

»Wie traurig!«, stöhnte sie.

Ich begriff noch immer nichts, konnte nur wiederholen:

»Was ist denn los?«

»Und sie hat solche Ähnlichkeit mit ihm!«

»Ähnlichkeit mit wem?«, schrie ich und merkte, dass ich wirklich abstürzte, nicht aufgrund dessen, was sie sagte, sondern weil sie so aussah. Sie sprach natürlich über den Kranführer, Lindas Vater, meinen Vater, die Scheißursache für dieses Geheule, den Mann, der, ehe er heruntergefallen war, so viel Chaos hatte veranstalten können, dass wir nicht mehr wussten, was oben und was unten war. Und als wäre das nicht genug gewesen, kam nun auch noch Kristian nach Hause und hörte aus der Diele, dass irgendetwas nicht stimmte, und fragte, was um alles in der Welt ist denn hier los?

»Das geht dich einen feuchten Kehricht an!«, schrie Mutter total außer sich und gab sich keinerlei Mühe, ihr tränennasses Gesicht zu verbergen. »Mach, dass du wegkommst! Hörst du? Und lass dich hier ja nie wieder blicken!«

Kristian schaffte das Kunststück, zu begreifen, dass das hier ein Ausnahmezustand war, und zog sich ruhig zurück. Anders als ich.

»Aber mit wem hab ich denn dann Ähnlichkeit?«, rief ich. »Du hast nie gesagt, dass ich mit irgendwem Ähnlichkeit habe!«

»Was bildest du dir denn ein.«

Ich war ein anderer und begriff das erst, als ich ihre Hand packte und die Zähne in die beiden Finger bohrte, die Linda mit Beschlag belegt hatte, und so fest zubiss, wie ich nur konnte, damit sie wirklich einen Grund zum Schreien hätte. Sie verpasste mir mit der flachen Hand eine Ohrfeige, hart und gründlich, was sie noch nie getan hatte, und wir starrten einander noch mehr wie verwandelt an. Ich spürte sogar in meinem unerträglichen Gesicht ein starres Lächeln und eine beißende Kälte.

Ich erbrach mich zwischen uns auf den Boden und ging ruhig hinaus in die Diele und zog meinen Mantel an und ging hinaus auf die Straße zu den anderen, zu denen, die kein Zuhause hatten, wie es aussehen konnte, denn sie waren jedenfalls nie zu Hause, die Großen und Verlorenen, Raymond Wackarnagel und Ove Jøn etcetera ... und an diesem Abend schlugen wir die Fensterscheiben in der Eingangstür von Zweier und Vierer und Sechser und Siebener und Elfer ein und auch das Fensterchen von Liens Lager, wo Griesmehl und Drehtabak aufbewahrt wurden. Niemals wurden an einem einzigen Samstagabend in Tonsenjordet noch mehr Scheiben eingeschlagen. Und vielleicht war ich der Einzige, der wusste, warum, oder der zumindest einen Grund hatte, ein stummes und seltsames Wesen, das zu Hause lag und in unserem neuen Etagenbett schlief; die anderen taten es wohl aus alter Gewohnheit, oder weil es in ihrer Natur lag, in meiner lag es einwandfrei nicht.

An den folgenden Tagen war die Hölle los, mit Ermittlungen und Hausmeister und Genossenschaftsvorsitzendem. Es war ja nun kein Problem, festzustellen, wer es gewesen war, es waren die üblichen Verdächtigen, Ove Jøn und Raymond Wackarnagel etcetera. Das Mysterium war ich, der noch niemals etwas angestellt hatte, sondern als Muttersöhnchen galt, und nicht nur, weil mir der Vater fehlte, sondern auch, weil ich ein ausgeglichener Junge war, ein munterer Junge mit beiden Füßen auf dem Boden und einem hellen Kopf, wie Frau Henriksen unter meine Schönschreibarbeiten schrieb; ich konnte lesen und rechnen, ich fürchtete mich nicht, nicht einmal vor Raymond Wackarnagel; ich spülte fast jeden Abend, ich war ein wenig klein gewachsen, aber ich pisste mir nicht in die Hose und strich mehr als gern eine ganze Wand mit dem Pinsel an, wenn das von mir verlangt wurde. War ich nur in schlechte Gesellschaft geraten? Oder lag auch in mir ein unberechenbarer Teufel auf der Lauer?

Das gab Kristian die Möglichkeit, sich wieder einzuschalten.

»Scheiß drauf«, sagte er zum Genossenschaftsvorsitzenden Jørgensen, der breit und fesch in unserer Diele stand und mit Mutter darüber sprach, wie man den Pöbel zur Raison brachte. »Mit dem Jungen ist alles in Ordnung.«

»Woher willst du das denn wissen?«, fragte sofort Mutter, die es aus gegebenen Anlass für nötig gehalten hatte, sich mit Jørgensen ein wenig zu verbünden, das kann sie aus dem Effeff, meine Mutter, wenn es sein muss, das kommt von ihrer Kindheit, als jüngstes von vier Geschwistern, aus Torshov, mit einem Vater, der offenbar viel getrunken hatte, und einer Mutter, die sich nach dem Tod des Vaters in seinen Sessel gesetzt und ebenfalls das Trinken angefangen hatte.

»Das können doch alle sehen«, sagte Kristian mit seiner unbesiegbaren Gewerkschaftsstimme, »wenn sie noch bei Verstand sind.«

Sicherheitshalber legte er mir auch die Hand auf den Kopf und lächelte, Gott weiß, worüber, und ging summend in sein Zimmer.

Mutter blieb mit verschränkten Armen stehen und spielte an dem Verband herum, den sie um zwei schmerzende Finger gewickelt hatte, die Lindafinger, jetzt ein wenig unsicherer, was die unheilige Allianz anging, die sie mit Jørgensen eingegangen war, einem Mann, der entschied, wann die Heizkörper ausgelüftet werden sollten und wann die Tretschlitten zusammengelegt wurden, ehe sie für den Sommer im Luftschutzraum eingelagert wurden.

»Na gut, wir wollen ja auch nicht übertreiben«, sagte sie und schaute in eine andere Richtung. Und mehr war nicht nötig, denn nun fing auch ich wieder an zu flennen und mir rutschte heraus, dass ich das Fenster im Elfer bezahlen würde, denn nur das hatte ich eingeschlagen, von meinen Ersparnissen.

Mutter musterte mich gerührt und Jørgensen begriff, dass die Verhandlungen beendet waren, aber er blieb trotzdem stehen, wie um klarzustellen, dass er und nicht Mutter bestimmte, wann er zu gehen hatte, um nicht zu sagen, wann der Fall als geklärt gelten könnte; als er das klargestellt hatte, ging er.

Mutter konnte sich nun an einen langen Vortrag darüber machen, dass ich einen großen Bogen um die Bande auf der Straße zu machen hätte, und was ich mir dabei gedacht hätte und so weiter. Aber das alles war normal, ganz anders als das komplett Unbegreifliche, das uns an dem Tag getroffen hatte, an dem Linda gekommen war, dem vergangenen Samstag.

Jetzt wartete sie am Küchentisch.

Auf das Abendbrot.

Entsprechend der Gebrauchsanweisung in dem blauen Koffer hatten wir die Aufgaben schon so verteilt, dass Mutter die Brote schmierte und sie auf zwei Teller verteilte und diese neben unsere Milchgläser vor uns stellte. Gleich viele Schnitten auf jeden Teller, zweieinhalb, mit dem Aufstrich, den wir uns wünschten, während Mutter nur eine aß, mit Sirup, was sie an ihre Kindheit erinnerte, oder eher daran, wovon sie nie genug bekommen hatte, denn bei ihnen war der sogenannte Schmalhans Küchenmeister gewesen. Sie stand vor der Anrichte und machte sich zugleich an irgendetwas in einem Schrank oder im Spülbecken zu schaffen, und ab und zu sagte sie etwas Witziges. Und Linda bekam keine weiteren Brote, egal, wie sehr sie Mutter mit stillen langen Blicken ansah, die normalerweise die stärkste Willenskraft bezwungen hätten, ja, auch wenn sie längst nicht mehr so gierig zulangte wie an Tag 1, und wenn sie außerdem begriffen hatte, dass sie nicht die ganze Hand auf den Aufstrich legen durfte, auf den Kunsthonig zum Beispiel.

Ich merkte, auch wenn ich gerade an diesem Abend gern noch eine Schnitte gehabt hätte und wenn es bei uns nie ein Thema gewesen war, ob ich ein, zwei oder sechs aß, dass ich es doch nicht erwähnte, was mir einen beifälligen Blick von Mutter eintrug, denn wir waren in der Aufgabe miteinander verschmolzen, die Anweisungen im Brief zu befolgen. Linda begriff, was Sache war.

»Lesen«, sagte sie.

Und dann wurde gelesen. Aber zuerst wurde der Tisch abgeräumt und gespült, wenn wir das so nennen können, denn Linda war vollauf damit beschäftigt, auf dem Hocker zu stehen – von dem ich hatte weichen müssen – mit den Händen im Seifenwasser herumzuplatschen, während ich gründlicher als sonst spülte und merkte, dass sie jetzt nicht mehr seltsam roch, sie roch nach gar nichts, so wie ich. Sie war außerdem gekämmt, hatte kürzere Haare und trug eine hellblaue Haarspange, die den Pony aus ihren großen Augen hielt, die sie nun nicht mehr verbergen konnte. Mutter fragte, ob sie ein Lied kenne. Linda murmelte nach einigem Hin und Her einen Titel, den ich noch nie gehört hatte, aber Mutter lächelte und summte und konnte zwei Strophen von genau diesem unbekannten Lied, während sie abtrocknete und wegräumte, und Linda lächelte verschämt ins Spülwasser und bekam rote Wangen, was wir für ein gutes Zeichen hielten, denn um ehrlich zu sein, hatte sie noch nicht viel gelächelt, seit sie gekommen war.

Auch das Lesen hatte sich um einiges verändert, jetzt waren wieder die Bobbsey-Zwillinge angesagt, die ich reichlich satt hatte, eine Bande von Kindern, die dermaßen viele Eltern und Onkel und Tanten hatte, dass es nicht zu fassen war, und Mette-Marit in der Ballettschule, was Mutter als kleines Kind gelesen hatte und was sie auch mir hatte aufschwatzen wollen, ich konnte Mette-Marit nicht ausstehen. Außerdem wollte Linda nicht sehr viel lesen, sondern die ersten anderthalb Seiten immer wieder hören, als ob sie den Faden verlor, wenn die Erzählung erst in Gang kam, oder vielleicht, weil sie eine besondere Vorliebe für Wiederholungen hegte.

Aber es hat eine eigene Stimmung, so unter der Zimmerdecke zu liegen, mit den Armen unter dem Kopf, und zu wissen, dass du deine eigenen Bedürfnisse für dich behalten musst, wenn du nur weißt, dass das geschätzt wird, und dafür sorgte meine Mutter, mit einem neuen Blick, den sie sich zugelegt hatte; wir waren wie gesagt zu einem Team geworden, mit dem Auftrag, uns um einen Menschen zu kümmern, den wir noch nicht ganz durchschauten, und das würde auch noch dauern, nämlich mehr als drei Monate.

Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte

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