Читать книгу Seewölfe Paket 5 - Roy Palmer - Страница 48
3.
ОглавлениеAugusto de Guaramas hatte sofort tiefer in das dampfende Dickicht des Regenwaldes eindringen wollen. Aber Falla-Pueblos hatte ihn zurückgehalten. Jetzt lagen sie auf morastigem Untergrund im Gebüsch unter den ausladenenden, bis zu zwei Yards messenden Blättern einer Victoria Regina und beobachteten, was sich auf dem Amazonas zutrug.
Der Regen ließ etwas nach. Sie konnten gerade noch die dritte Karavelle erkennen, wie sie davonzog, ein lahmender, häßlicher Schwan, der mehr von der Strömung fortgetragen als vom Wind voranbefördert wurde. Die Notbesegelung verschaffte ihr kaum Fahrt.
„Jetzt hört doch alles auf“, flüsterte Falla-Pueblos. „El Lobo del Mar, der Seewolf, versenkt sie doch nicht. Das hätte ich nicht gedacht.“
„Aber die Galeasse folgt der Karavelle“, sagte der Steuermann. Sein Blick irrte umher. Er hatte Angst, ein Krokodil oder eine Schlange könne sie überraschen – oder ein Jaguar.
„Die Galeasse soll kontrollieren, ob die Karavelle auch wirklich den Amazonas verläßt“, sagte der erste Offizier. „Das ist alles.“
„Dann haben wir einen Fehler begangen.“
„Und zwar?“
„Wir hätten die Karavelle an uns reißen sollen. Damit wären wir unsere eigenen Herren geworden, hätten ein Schiff und eine Mannschaft gehabt, statt hier zu liegen und langsam zu verfaulen und zu ersticken.“
Falla-Pueblos zeigte sein dünnes, höhnisches Grinsen. „Augusto, du kannst der Karavelle noch nachlaufen, wenn du willst. Ich halte dich nicht auf.“
„Du weißt ganz genau …“
„Du wirst es schaffen, Augusto.“
De Guaramas stieß einen ärgerlichen Laut aus. „Der Capitàn würde mich bestimmt an Bord nehmen. Aber dann würde es eine Untersuchung geben. Bezweifelst du es, Hermano?“
„Keineswegs.“
„Warum willst du dann, daß ich unseren Leuten nachlaufe?“ fragte der Steuermann in fast weinerlichem Tonfall.
„Jeder ist seines Glückes Schmied“, erwiderte Falla-Pueblos. „Man würde dich wegen Desertion und Feigheit vor dem Feind vor ein Bordgericht stellen und aburteilen.“
De Guaramas rieb sich den fetten Hals. „Nein, danke. Lieber bleibe ich hier, als mir den Kopf abschlagen zu lassen. Bloß – wir haben keine Waffen außer unseren Degen und Messern. Wie sollen wir uns ernähren und uns gegen die Tiere des Dschungels behaupten?“
„Warte ab“, entgegnete der schwarzbärtige Erste. „Los jetzt, wir schleichen uns so dicht wie möglich an die Galeone und das Viermastschiff heran und lauschen, was der Seewolf mit seinen verfluchten Halunken bespricht.“
Wenig später wurden sie von einem sicheren Versteck aus Zeugen, wie die Amazonen in ihren Einbäumen von winzigen Seitenflüssen aus auf den Strom hinausstießen und längsseits der „Isabella“ gingen. Der Regen setzte ganz aus. Für kurze Zeit riß die Wolkendecke auf. Sonnenstrahlen wärmten die Decks der Schiffe und die Haut und Kleidung der Menschen. Wasser verdampfte und stieg langsam zum Himmel auf.
Nach kurzem Palaver begaben sich einige der halbnackten eingeborenen Frauen an Bord der „Isabella“. De Guaramas gingen beim Anblick der zum Teil schönen und fabelhaft gewachsenen Wesen fast die Augen über. Auch sein Kumpan konnte sich des eigenartigen Zaubers und der Verlockung nicht entziehen, die von diesen Frauen ausging.
Nach einigem Palaver an Bord der Galeone gingen sowohl die „Isabella“ als auch das schwarze Schiff wieder ankerauf. Die Amazonen führten sie, beide Schiffe wurden in enge Seitenkanäle des großen Stromes verholt, in denen sie gerade eben Platz fanden.
Aus einiger Entfernung konnten Falla-Pueblos und de Guaramas immerhin verfolgen, wie sich die großen Schiffe in das Dickicht schoben. Sie wurden davon verschluckt, als schienen sie nie dagewesen zu sein.
„Ich glaube, ich weiß, was die vorhaben“, raunte Falla-Pueblos dem stämmigen Steuermann zu.
„Was denn?“
„Später. Komm jetzt, weiter, und halte die Augen offen.“
Sie hasteten gebückt durch den Busch. Falla-Pueblos hatte eine Art Pfad entdeckt und folgte ihm. Er war heilfroh darüber. Hätten sie sich mit ihren Waffen erst eine Bresche schlagen müssen, dann wären die Geräusche sicherlich von den Gegnern gehört worden.
Eine Schneise öffnete sich vor ihnen. Falla-Pueblos verharrte. De Guaramas erschauerte, als er richtig sah, worauf der Komplice wies: eine Fallgrube. Sie gähnte sie an. Jemand mußte vor nicht allzu langer Zeit hineingestürzt sein. Die Öffnung war noch nicht wieder abgedeckt worden.
Sie drückten sich daran vorbei und standen etwas später vor einer Fallgrube, die ebenfalls spaltbreit aufklaffte und oben zugespitzte Pfähle auf ihrem Grund trug.
„Hölle und Teufel“, wisperte de Guaramas entsetzt. „Wer baut denn so was?“
„Die Amazonen“, erwiderte der erste Offizier leise.
„Die Amazonen sind eine Sage …“
„Sie sind Wirklichkeit. Hast du sie nicht gesehen? Na also.“
„Ich glaube, jetzt wird einiges klar.“ De Guaramas war kalkweiß im Gesicht. „Diese – Weiber hausen hier in der Nähe und haben Fallen rund um ihr Dorf eingerichtet, damit Fremde ihnen zum Opfer fallen.“
„Du merkst aber auch alles.“
„Verspotte mich nicht. Ich habe Angst, in so eine Falle zu tappen, das sag ich dir ganz ehrlich.“
Hermano Falla-Pueblos nickte. „Ehrlichkeit ist alles. Nun, den Amazonen soll noch kein Mann lebend entkommen sein, aber irgend jemand hat vor uns die Fallen ausprobiert. Möglich, daß es Männer des Seewolfes waren. Wie auch immer, es ist unser Glück.“
„Aber es wird Wächterinnen geben.“
„Die sind durch das Geschehen am Fluß abgelenkt. Los, weiter.“
Ob der Steuermann nun wollte oder nicht, er mußte seinem Landsmann auf dem Pfad folgen.
Sie gerieten an einen Wasserlauf, der breit genug war, um ihrem Weg ein Ende zu bereiten. Aber ein geschickt gefällter Baumstamm erstreckte sich von Ufer zu Ufer und diente als Brücke – ein weiteres Werk der Amazonen. Tatsächlich hatten Hasard und einige seiner Männer diesen Weg vor Falla-Pueblos und de Guaramas benutzt. Es war ein Ausflug gewesen, der fast mit dem Tod geendet hätte, aber das konnten die Spanier nicht ahnen.
Die Himmelstore, die sich dem Sonnenlicht geöffnet hatten, schlossen sich wieder. Die beiden abtrünnigen Spanier konnten sich in das Uferdickicht neben dem einen Baumstammende ducken, als sich eine denkwürdige Prozession aus Richtung Strom näherte.
Es waren Einbäume der wilden Frauen, ein dichter kleiner Verband, der von einem Schiffsbeiboot geführt wurde. In diesem Beiboot stand aufrecht der Seewolf. Die schwarzhaarige Eurasierin saß dicht hinter ihm, ihre Miene war ernst und verschlossen.
Sanft tauchten die Riemen und Paddel der Gefährte ein fast lautlos schob sich der eigentümliche Konvoi an den beiden versteckten Spaniern vorbei und unter dem Baumstamm hindurch. Der Seewolf mußte den Kopf einziehen, um nicht anzustoßen.
Als sein Boot unter der Baumbrükke hindurchgeglitten war, begannen wieder die Regentropfen zu fallen. Die Amazonen richteten sich hoch in ihren Einbäumen auf und stießen Laute des Staunens und der Anerkennung aus.
„Der Günstling der Götter, er läßt ein neues Wunder geschehen!“ rief Schaki, eine der drei Stammesführerinnen. Sie stieß es in ihrem holprigen Spanisch aus, damit es auch die Weißen verstehen konnten, und Falla-Pueblos und de Guaramas lauschten gebannt in ihrem Schlupfwinkel.
„Günstling der Götter?“ raunte de Guaramas. „Ich hätte nicht übel Lust, diesem Hund mein Messer in den Rücken zu schleudern.“
„Wahnsinn!“
„Was hat der getan, daß ihm die Weiber so wohlgesonnen sind und ihn und sein Lumpengesindel nicht umbringen?“ zischte der Steuermann.
„Still. Vielleicht erfahren wir es noch“, flüsterte Falla-Pueblos. „Wenn du weiter so schreist, werden wir noch entdeckt, du Narr!“
Oberhalb der Baumbrücke traten im dichter werdenden, rauschenden Regen drei Amazonen aus dem Gebüsch am östlichen Ufer. Sie trugen eine Riesenschlange auf ihren Armen. Schwer hatten sie daran zu schleppen, denn die Schlange war eine Anakonda, die stumme Herrscherin der Flüsse und Tumpel.
„Tot!“ rief eine der Frauen. „Nur einer kann es vollbracht haben!“
Schaki richtete sich in ihrem Einbaum auf, breitete die Arme aus und sagte ergriffen: „Hasard, Liebling des Regengottes, Kuáts, der Sonne, und Iaê, des Mondes, auch das hast du also geschafft! Wie verblendet und dumm waren wir, dich als Feind anzusehen, statt das Omen zu begreifen.“
„Laß doch, das ist jetzt vergessen“, erwiderte der Seewolf. „Tragt die Anakonda ins Dorf, wir werden sie abhäuten.“
„Und ihr Fleisch essen, es gibt uns Kraft“, entgegnete Schaki.
Den Schluß des Konvois bildeten sämtliche Beiboote der großen Galeone und des schwarzen Schiffes – Falla-Pueblos und de Guaramas konnten sehr gut verstehen, wie einer der Insassen einen Laut des Abscheus von sich gab.
„Schlangenfleisch – pfui Teufel!“
„Sei doch still, Matt“, sagte ein zweiter. „Du weißt doch ganz genau, daß die Indianer in dieser Gegend sogar Affenbraten futtern.“
„Blacky“, sagte der erste Sprecher. „Du kannst ja mal einen Happen von der Anakonda probieren, wenn du Lust hast.“
Falla-Pueblos grinste in seinem Versteck. Sie hatten englisch gesprochen, aber er war des Englischen mächtig. Als die letzten Boote vorbei waren, übersetzte er seinem Kumpanen, was sie gesagt hatten, und de Guaramas kicherte.
Der Bootskonvoi verschwand in der Regenmauer. Auch die drei Amazonen mit der Anakonda zogen sich wieder in den Urwald zurück. Keine der Frauen und keiner ihrer weißen Freunde bemerkte, wie sich zwei menschliche Gestalten kriechend über die Baumbrücke bewegten.
Jenseits des Flußlaufes schlugen sich die beiden Spanier erneut ins Gebüsch und fanden den schmalen Pfad wieder. Falla-Pueblos lief darauf entlang, ohne zu zögern.
Wenig später verharrten sie vor etwa einem halben Dutzend Speeren, die rechter Hand in einem mächtigen Baumstamm steckten. Augusto de Guaramas zupfte seinen Landsmann am Ärmel.
„Was ist das, wieder so eine Falle?“
„Auch sie hat bereits zugeschnappt, sonst wären wir jetzt durchbohrtworden.“
„Madre de Dios, Hermano, warum kehren wir nicht um und gehen unserer Wege? Legst du solchen Wert darauf, in die Fänge der wilden Weiber zu geraten?“
„Rede doch keinen Unsinn“, erwiderte der erste Offizier barsch. „Sind wir nicht geschickt an den drei Wächterinnen der Brücke vorbeigekommen? Sie waren die drei, die die Anakonda trugen.“
„Meinetwegen, aber was wollen wir in ihrem Dorf? Dorthin willst du doch, oder?“
„Erraten. Ich muß ’rauskriegen, was El Lobo del Mar plant.“
Augusto de Guaramas verzog leidend das Gesicht. „Du willst ihn und seine Schurken beobachten, wie sie sich mit den wilden Huren vergnügen?“
Falla-Pueblos’ eisiger Blick traf ihn. „Es ist nicht nur das, du Trottel. Es steckt mehr dahinter. Ein Mann wie dieser Seewolf fährt nicht in diese gottverfluchte Gegend, nur, um seinen Spaß mit den Amazonen zu haben. Er plant etwas. Er ist als gewiefter Schatzsucher bekannt, das weiß du doch auch, Augusto. Ich will wissen, ob er hinter irgendwelchen Reichtümern her ist.“
Am Nachmittag des folgenden Tages waren die tief im Regenwald versteckten Schiffe weitgehend wiederhergestellt. Ferris Tucker und Shane hatten die Reparaturarbeiten auf der „Isabella VIII.“ mit ein paar Helfern in die Hand genommen. Siri-Tong hatte das Ausbessern der Gefechtsschäden auf dem schwarzen Schiff selbst geleitet. Ihr Viermaster war höchst glimpflich davongekommen, eine Tatsache, die in erster Linie dem Hartholz zuzuschreiben war, aus dem er gebaut war – das „Eisenholz“, das Ferris Tucker schon soviel Kopfzerbrechen bereitet hatte.
Siri-Tong legte keinen Wert darauf, im Dorf der Amazonen zu verweilen. Schön, sie hatte die Nacht mit dem Seewolf verbracht, nicht Schaki, Nabona, Marita, Sarana oder irgendeine andere braunhäutige Frau.
Trotzdem. Die Rote Korsarin glühte fast vor Eifersucht. Wie die Amazonen den Seewolf anhimmelten, anbeteten! Wie sie vor ihm auf die Knie fielen und ihn mit ihrem Gerede von der Gunst der Götter überschütteten!
Es war ihr – offen gestanden – zuwider. Mißmutig verließ sie bei Einbruch der Dunkelheit mit ihren Männern das schwarze Schiff, stieg in ihr Beiboot und ließ sich hinter dem Boot der Seewölfe über die Seitenflüsse zurück zum Dorf pullen.
Es hatte vier, fünf Regengüsse gegeben, aber jetzt hatte der Niederschlag ausgesetzt. Der Dschungel atmete Dampf. Das Kreischen und Zetern der Papageien und anderen bunten Vögel begann, die „Beijaflors“, Blumenküsser, wie die Kolibris genannt wurden, schwirrten.
Hasard erwartete Siri-Tong in der Mitte des speichenradförmig angelegten Amazonendorfes. Zunächst hörte er sich Ferris’ und Shanes Bericht an, dann trat er zu ihr und sagte: „Auch der schwarze Segler ist wiederhergestellt, Siri-Tong?“
„Ja, und der gefallene Seemann beigesetzt. Wir können aufbrechen. Von mir aus noch heute nacht.“
Hasard lachte. „Du hast vergessen, was ich plane.“
„El Dorado? Bist du immer noch von der Idee besessen?“
„Es gibt neue Anhaltspunkte.“
„Wohin willst du?“ fragte sie aufgebracht. „Weiter flußaufwärts? In den Dschungel? In beiden Fällen müssen wir die Schiffe hier zurücklassen. Die Sandbänke verhindern eine Weiterfahrt, außerdem ist der Strom weiter oberhalb zu flach.“
„Warte. Laß uns in Schakis Hütte gehen.“
Sie stellte sich sehr bockbeinig an. „Was willst du von ihr?“
„In erster Linie will ich nach Dan O’Flynn sehen, alles andere ist schon besprochen.“
„Aha, du stellst mich also vor vollendete Tatsachen“, trumpfte sie auf.
Hasard trat dicht vor sie hin und sah ihr ernst in die Augen. „Jetzt hör mir mal gut zu, Siri-Tong. Ich rate dir, dich zu entscheiden. Hier. Sofort. Wenn du mit mir El Dorado suchen willst, dann tue es ohne Mäkelei und Aufmüpfigkeit, ja? Du weißt genau, daß ich kein Narr bin, der im Urwald umkommen will – wie der Spanier Francisco de Orellana, der hier vor rund vierzig Jahren verschollen ist.“
„Sondern?“
„Ich habe mit Schaki, Nabona und Marita gesprochen, den drei Stammesführerinnen. Sie kennen die Wegmarkierungen und Orientierungspunkte, die Montanelli mir vor seinem Tod noch mitteilen konnte. Und sie haben sich bereit erklärt, uns zu führen. El Dorado reizt dich doch auch, oder?“
„Ja.“
„Dann sind wir uns einig?“
„Mein Platz ist an deiner Seite“, sagte sie. Irgendwie sah sie plötzlich geläutert aus. „Und du weißt auch, daß ich kein dummes kleines Mädchen bin. Aber was geschieht mit den Schiffen?“
„Wir lassen sie in den Urwaldkanälen ankern und teilen Wachen ein, die bis zu unserer Rückkehr auf sie aufpassen müssen“, sagte Hasard.
„Und wenn die Spanier mit Verstärkung zurückkehren? Wahrscheinlich kam der Verband der Karavellen aus Cayenne. Bis dorthin ist es nicht allzu weit, schon bald kann ein neuer, stärkerer Konvoi aufkreuzen. Ich begreife immer noch nicht, warum du das dritte Schiff aus der Schlacht hast abziehen lassen.“
Er lachte wieder. „Warte nur ab. Sollen sich die Dons doch in diese Hölle wagen! Sie werden ihr blaues Wunder erleben. Wir geben ihnen ein Rätsel auf. Die ‚Isabella‘ und der schwarze Segler sind verschwunden, scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben. Die bewährten Fallen der Amazonen werden den Zugang zum Versteck sichern. Die Spanier werden anfangen, an Geister zu glauben.“
„Jetzt geht mir ein Licht auf“, sagte sie.
Sie betraten die Schilfmattenhütte von Schaki. Dan O’Flynn begrüßte sie freudig erregt. Er war noch blaß, die Malaria hatte ihn schwer geschüttelt und geschwächt, aber das Fieber war vorbei. An seinem Lager saßen Schaki, der Kutscher und die alte, grinsende Zauberin der Amazonen. Sie hatten den jungen Mann mit ihren Kräutermixturen und Balsamen behandelt und ihm praktisch das Leben gerettet.
„Wie fühlst du dich?“ fragte Hasard.
„Sauwohl“, erwiderte Dan. „Ich hätte Lust, eins von diesen verteufelt hübschen Amazonenmädchen zu vernaschen.“ Er sprach englisch wie Hasard, das konnten die Amazonen nicht verstehen.
„Nun gib doch nicht so an“, sagte Siri-Tong. Sie setzte sich zu Dan aufs Lager. „Erstmal mußt du tüchtig essen um wieder kräftig zu werden.“
„O Madam, ich würde dir so gern mal beweisen, was für eine prächtige Kondition die O’Flynns haben.“
„Dan, noch ein Wort, und du kriegst eine Ohrfeige!“ rief die Rote Korsarin in gespieltem Zorn aus.
Hasard kniete sich vor Schaki hin. Er sprach jetzt spanisch. „Schaki, wir stellen noch heute abend die Ausrüstung zusammen, die wir benötigen. Morgen früh brechen wir auf.“
„Hasard, Freund des Regengottes, hast du dir das auch gut überlegt?“
„Wir waren uns doch schon einig.“
Sie seufzte und nickte. „Ja. Wir tun das für dich, denn nach allem, was du für uns und besonders für mich getan hast, können wir dir keine Bitte abschlagen. Und wir dürfen es uns nicht mit den Göttern verderben. Aber ich will dich trotzdem noch einmal warnen. Die Männer vom großen See sind für uns tabu. Sie, die Nachfahren des Tiahuanaco-Stammes aus den ewigen Bergen, sind für uns selbst dann unantastbar, wenn sie bis zu uns herabsteigen, um den Dschungel zu erkunden.“
Siri-Tong horchte auf. „Was sind das für Männer? Heilige?“
„Die Götter sind ihnen wohlgesonnen“, sagte Schaki.
„Das habe ich mit ihnen gemeinsam“, meinte Hasard lächelnd. In seinen Augen blitzte es, ihn ritt mal wieder der Teufel. „Stromschnellen, ein gigantischer Wasserfall und ein See, der sich oberhalb befindet – ich glaube, sie spricht von den Inkas.“
„Inkas? Hier?“ fragte Dan verblüfft.
Schaki legte den Zeigefinger auf die Lippen. „Ruhig, die Götter könnten dich hören. Wir Amazonen gehen nie zum See, denn er ist verbotenes Land für uns. Einmal verirrte sich ein weißer Mann in diese Gegend, es ist noch nicht allzu lange her. Wir wollten ihn fangen, aber die Männer vom See kamen uns zuvor. Sie nahmen den Viracocha, den weißen Mann, mit. So war auch er für uns tabu – wie sie.“
Hasard sah Siri-Tong an. „Hörst du? Der Fremde, das kann nur Montanelli gewesen sein.“
„Schön und gut, Hasard, aber die Inkas – wenn die ‚Männer vom See‘ wirklich Inkas sind – dulden keine Eindringlinge in ihrem Reich. Willst du sie töten und ihnen das Gold und die Edelsteine entreißen, die sie besitzen?“
Er schaute sie fast entsetzt an. „Keinesfalls. Aber ich muß zu ihnen.“ Er wandte sich wieder an Schaki. „Schaki, du und deine Frauen, ihr werdet uns führen. Um jeden Preis. Ich befehle es dir.“
„Ja, Hasard.“
„Morgen früh brechen wir auf“, sagte Hasard noch einmal. Er stand auf und griff nach der Hand der Roten Korsarin.
„He!“ rief Dan O’Flynn ihnen nach. „Ich bin bei dieser Expedition natürlich mit dabei!“
„Ich auch“, sagte der Kutscher. „Das kannst du mir nicht verwehren, Hasard.“
Der Seewolf drehte sich unter der Tür um, die er nur gebückt passieren konnte. „Euch geht es wohl nicht gut. Dan, du bist noch zu schwach für so einen Ausflug. Kutscher, du bleibst mit Dan hier, weil du seinen Gesundheitszustand überwachen sollst. Ihr paßt im übrigen auf die Schiffe auf. Einige von Siri-Tongs Männern werden euch Gesellschaft leisten.“
Dan wollte protestieren, aber der Kutscher tippte ihn mit dem Finger an und sagte: „So ein schlechtes Los ist das gar nicht. Denk mal genau darüber nach, Young O’Flynn.“
Ein breites Grinsen nahm auf Dans Gesicht Gestalt an. „He, die vielen Frauen in diesem Dorf, die Feste, die wir feiern, wenn ich wieder richtig auf den Beinen bin! Hey, Hasard, hast du dir das auch gut überlegt?“
Hasard und Siri-Tong waren bereits im Freien. Sie schritten zwischen zwei Hütten hindurch und verhielten vor der düsteren Mauer des Urwaldgrüns. Das Konzert der Vögel war zu Ende, jetzt drang nur noch das Quaken der Frösche und das Zirpen der Zikaden aus dem Busch. Der Regen hatte noch nicht wieder eingesetzt.
Hasard legte Siri-Tong die Hände auf die Schultern. „Ich weiß jetzt, daß mit dem großen See El Dorado gemeint ist. Das Goldland der Inkas! Aber du täuschst dich, wenn du annimmst, ich will die Inkas überlisten und töten. Ich will auch ihre Schätze nicht. Ich will nur ihr verstecktes Reich entdecken, verstehst du, Siri-Tong?“
„Ja. Du bist wie Francis Drake, oder?“
„Nein, ich gehe meine eigenen Wege. Und noch etwas. Ich will den Inkas eine Botschaft überbringen. Ihnen ist übel mitgespielt worden, von einem Spanier namens Francisco Pizarro, den Konquistadoren und allen, die ihnen folgten. Aber die Inkas – wenn sie es wirklich sind – sollen wissen, daß es auch andere Weiße gibt, Männer, die sich mit ihnen verbünden, statt sie auszunutzen und zu vernichten. Leute, die beispielsweise einen Kaperbrief der Königin von England in der Tasche tragen.“
„Du bist unverbesserlich“, sagte sie leise. „Die letzten Inkas dürfen nicht untergehen, oder? Ich glaube, du bist ein hartnäckiger Idealist.“
Sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn.