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8.

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Gary Andrews war aus dem Hauptmars abgeentert und hatte sich zu Batuti, Smoky, Al Conroy, Jeff Bowie, Sam Roskill und ein paar Männern der Siri-Tong-Crew gesellt, die sich auf der Kuhl der „Isabella“ herumdrückten.

„He“, sagte Smoky. „Sollst du nicht im Ausguck hocken und die Klüsen aufhalten, Gary?“

„Wie steht es um Dan?“

„Blacky sagt, es gibt keine Neuigkeiten“, erwiderte Al Conroy. „Das Fieber will nicht ’runtergehen. So ein verdammter Mist.“

„Wir müssen was tun“, sagte Gary. „Wir können Dan da doch nicht einfach so liegen lassen.“

„Mann“, zischte Jeff Bowie. „Ben, Shane, der Kutscher und Dans Alter zerbrechen sich schon den Kopf, außerdem ist jetzt auch noch Siri-Tong bei ihnen. Sie lassen sich schon was einfallen, Enter wieder in den Großmars auf, Gary.“

„Verdammt, merkst du nicht, daß ich besorgt bin?“

„Das sind wir alle.“ Jeffs Blick huschte zum Achterkastell. „Nun beeil dich schon. Ben reißt dir den Kopf ab, wenn er merkt, daß du deinen Posten verlassen hast.“

Gary wollte schleunigst wieder die Hauptwanten hochklimmen, aber dazu war es zu spät. Etwas schwirrte aus Richtung Backbordschanzkleid heran und bohrte sich mit dumpfem Schlag in den Großmast. Die Köpfe der Männer ruckten herum. Ein Pfeil steckte im Mast.

„Deckung!“ rief Smoky.

Sie warfen sich hinter die Kuhlgräting, preßten sich platt auf die Decksplanken und zückten ihre Waffen. Arwenack jagte zeternd die Steuerbordhauptwanten hoch, Sir John segelte in Richtung Quarterdeck und kreischte: „Himmel, Arsch und Zwirn!“

Und dann war der Teufel los. Dunkle Gestalten krochen über das Backbordschanzkleid, ein ganzer Fluß von Leibern, der sich in Sekundenschnelle auf das Deck ergoß. Große und kleine Pfeile sirrten und deckten die Seewölfe und die Piraten der Roten Korsarin mit mörderischem Feuer ein.

Wie sie sich hatten anschleichen können? Nun, sie waren im Schutz der Nacht und des Nebels von der Flußmitte her in Einbäumen herangeglitten, von einer Seite aus also, von der sie kaum jemand erwartete. Gary Andrews hatte seinen Posten im denkbar ungünstigsten Augenblick verlassen, ohne sich dessen bewußt zu sein. Siri-Tongs Ausguck im Hauptmars des schwarzen Seglers registrierte erst jetzt, was los war, und er brüllte „Achtung!“ und „Alarm!“ Aber es war bereits zu spät.

Mit geradezu beängstigender Geschwindigkeit verteilten sich die Angreifer auf Kuhl und Quarterdeck.

„Mensch, das sind die Weiber!“ rief Smoky.

„Die Amazonen!“ brüllte nun auch Blacky, der vor dem Achterkastellschott Wache stand. Er nahm sofort hinter dem Ruderhaus Deckung.

Ein Hagel von Blasrohr- und Bogenpfeilen beharkte fast das gesamte Oberdeck. Keiner der Männer konnte auch nur den Kopf heben, wenn er nicht getroffen werden wollte.

„Auf was wartet ihr?“ zischte Sam Roskill. „Schießt!“

Al Conroy blickte ihn von der Seite an, seine Augen waren geweitet. „Mann – das sind doch Frauen!“

„Na und?“

„Batuti schießt“, grollte die Stimme des Gambia-Negers rechts neben ihnen. Batuti hatte sich seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen angeln können, jetzt legte er an.

Immer mehr Amazonen enterten außenbords an den Lianen auf, die sie geworfen und mit kleinen Haken an Rüsten, Berghölzern und Klampen festgekrallt hatten. Spinnengleich quollen die Leiber über das Schanzkleid.

Ausgerechnet in diesem fatalen Moment traten Ben Brighton und Siri-Tong aus dem Achterdecksschott. Sie blieben wie angewurzelt stehen. Das Schreien der Männer alarmierte sie, sie wollten sich ebenfalls in Deckung werfen, die Waffen zücken, aber da wuchsen schon drei, vier Gestalten neben ihnen hoch.

Braunhäutige Frauen, nackt vom Scheitel bis zur Sohle. Nur eine trug einen Federschmuck auf dem Kopf und ein Fell um die Hüften.

Sie stießen kurze, unterdrückte Laute aus und packten Siri-Tong. Eine entriß ihr den Säbel, die nächste nahm ihr die Pistole ab, die Federgekrönte griff nach ihren Armen, damit sie sich nicht wehren konnte.

Ben warf sich vor, um der Roten Korsarin zu helfen. Aber gleich drei Amazonen schoben sich zwischen ihn und Siri-Tong und drückten ihn in den Gang zurück.

Blacky und Pete Ballie erging es nicht anders. Zu viele Frauen stürmten gegen sie an und drängten sie zurück. Aber das alles konnte nur geschehen, weil die Männer immer noch zögerten, mit ihren Waffen auf die Amazonen anzulegen.

Die Federgeschmückte und ihre Helferinnen zerrten Siri-Tong davon. Ben Brighton lag auf dem Rükken, sie hatten ihn zu Fall gebracht und hockten jetzt über ihm, drei Weiber mit schweren Brüsten. Eine wollte ihm einen kurzen, höllisch spitzen Dorn ins Fleisch drücken.

In Ben Brighton brannte irgend etwas durch. Er verlor die Beherrschung, rollte sich zur Seite, warf die Amazonen ab, erhob sich und brüllte aus Leibeskräften: „Feuer! Keine Rücksicht auf diese Teufelsweiber! Macht sie nieder!“

Hinter ihm waren Shane, Old O’Flynn und der Kutscher. Old O’Flynn feuerte seine Steinschloß-Pistole gegen die Decke des Ganges ab. Es donnerte und rauchte, und dann drückte auch Shane ab und jagte eine Kugel dicht über die Köpfe der kreischenden Frauen weg.

Sie machten kehrt und nahmen Reißaus.

Draußen auf Deck belferten jetzt die Handfeuerwaffen der Seewölfe und Siri-Tong-Piraten los. Ben robbte als erster wieder vor, schob sich aus dem Schott und erreichte Pete Ballie und Blacky, die ihre Gegnerinnen ebenfalls verscheucht hatten.

Auf der Kuhl entfesselte sich der heftigste Kampf. Das Musketen- und Pistolenfeuer der Männer hinter der Kuhlgräting fand plötzlich seine Erwiderung vom Backbordschanzkleid her. Auf zwei Seiten zuckten jetzt grelle Feuerblitze auf, das Krachen war ohrenbetäubend, das Kreischen der Frauen nervenzerfetzend.

„Die Weiber haben Feuerwaffen“, ächzte Blacky. „Sicherlich die, die sie Carberry, Matt, Bob und Bill abgenommen haben.“

„Und Hasard, Ferris und den beiden Wikingern, wolltest du wohl sagen“, fügte Ben Brighton grimmig hinzu.

Er war mit seinen beiden Mitstreitern ins Ruderhaus gepirscht und schob jetzt seine Radschloßpistole über den Rand eines der vorderen Fenster. Er drückte ab, die Waffe bäumte sich in seiner Hand auf, Rauch puffte hoch.

Ben schrie: „Al, Smoky! Drehbassenfeuer!“

Die Gestalten von Al Conroy und Smoky huschten flach über die Kuhl auf die Back zu. Sie würden die Drehbassen auf dem Vorkastell in ihren Gabellafetten ganz nach hinten drehen und sie auf die Kuhl richten.

Aber plötzlich war das Bellen der Gegnerwaffen verstummt. Das hastige Hin und Her der braunen Leiber hatte ausgesetzt, die Pfeile und Kugeln der Schiffsbesatzung fanden keine Ziele mehr.

„Ans Schanzkleid!“ schrie Ben Brighton. „Sie sind außenbords abgeentert!“

Wie eine einzige Woge fegte der Verband der Verteidiger über die Kuhl und prallte gegen das Backbordschanzkleid. Musketen und Arkebusen wurden über den hölzernen Wulst geschoben. Shane und Batuti sandten ihre Pfeile in die Nacht.

„Hölle und Teufel!“ rief Gary Andrews hoch über ihren Köpfen. „Sie haben mit ihren Einbäumen abgelegt und verschwinden im Nebel!“

„Backbordbatterie – Feuer!“ brüllte Ben Brighton außer sich vor Wut.

„Ben!“ schrie Sam Roskill zurück. „Siri-Tong muß in einem der Einbäume sitzen. Sie haben sie entführen können. Mann, wir riskieren, sie mit den Weibern über den Haufen zu schießen.“

„O Gott im Himmel“, stammelte Ben. Er raste aus dem Ruderhaus und stürzte den nächsten Niedergang zur Kuhl hinunter. „Beiboote abfieren und bemannen! Los, schnell, bewegt euch, Kerls!“

So schnell sie konnten, schwenkten die Seewölfe die Boote der „Isabella“ in ihren Galgen außenbords und fierten sie ab. Jakobsleitern wurden ausgebracht, die Männer enterten ab, bis an die Zähne bewaffnet. Inzwischen hatten sich die Piraten der Roten Korsarin in ihr an Steuerbord der Galeone vertäutes Boot begeben und legten schon ab. Von dem schwarzen Segler wurde das zweite Beiboot herübergepullt, was das Zeug hielt. Arne, Oleg, der Stör, der Boston-Mann, Juan, Muddi und Mike Kaibuk saßen darin. Der Angriff der Amazonen hatte sie nicht getroffen und wohl erst später von der „Isabella“ aus auf sie überspringen sollen, aber auch sie konnten nicht unbehindert eingreifen und feuern, weil sie gesehen hatten, wie ihre Schiffsführerin von den Eingeborenenfrauen fortgeschleppt worden war.

Ben sah drei, vier Mädchen zu seinen Füßen auf den Planken liegen. Der Kutscher eilte herbei, um sie zu untersuchen.

„Tot?“ fragte Ben.

„Leicht bis schwer verletzt“, erwiderte der Kutscher.

Ben antwortete nicht, er flankte über das Backbordschanzkleid und hangelte in eins der Boote hinunter. In Windeseile hatten alle Boote abgelegt und nahmen die Verfolgung der flüchtigen Feinde auf.

Aber die Amazonen waren wie vom Nebel verschluckt. Ben führte den Verband der Boote an, suchte stromaufwärts, überquerte den Amazonas, kehrte wieder zurück – nichts.

„Diese Teufel“, sagte er erschüttert. „Sie kennen sich besser aus als wir, dies ist ihr Zuhause. Und ich vermute, daß es versteckte Seitenarme gibt, über die sie rasch zu ihrem Dorf gelangen.“

„Was tun wir jetzt?“ fragte Shane. „Himmelarsch, wir können doch nicht zulassen, daß sie Siri-Tong umbringen.“

Bens Gesicht war von granitener Härte. „Wir teilen zwei große Gruppen ein. Eine sucht zu Land, eine zu Wasser. Wir müssen den Schlupfwinkel der Amazonen finden – und dann gnade ihnen Gott!“

Hasard wußte nicht, wie er es geschafft hatte, aber er hatte seine Verfolgerinnen abgeschüttelt. Jetzt bahnte er sich unter hundert Widrigkeiten und Hindernissen seinen Weg durch das Dickicht. Und hinter ihm, im Busch verteilt, steckten die Amazonen.

Natürlich konnte er den Pfad nicht benutzen. Er hätte ihn rasch zum Hauptstrom und zu seinen Männern zurückgeführt. Aber es lag auf der Hand, daß die Frauen dort zuerst nach ihm suchen würden.

Er hielt sich nur in der Nähe dieses schmalen, primitiven Weges. Sein ausgeprägter Orientierungssinn wies ihm die Richtung.

Er rechnete sich eine reelle Chance aus, als Sieger aus diesem Kesseltreiben hervorzugehen. Nur eins fürchtete er. Auf der Strecke zu den Schiffen konnten sich Wachtposten der Amazonen im Urwald verborgen halten. Stieß er mit ihnen zusammen, konnte er sie zwar niederringen, aber sie würden durch Schreie die anderen anlocken.

Hasard wühlte sich durch das verfilzte Unterholz. Die Stiche von Dornen, das Kratzen von Wurzeln und Zweigen und das Brennen gärender Pflanzensäfte auf seiner Haut spürte er schon nicht mehr. Für ihn zählte nur das eine – noch rechtzeitig zur „Isabella“ und zum schwarzen Segler zu gelangen.

Der düstere Vorhang tat sich auf, um einer großen Pfütze Platz zu gewähren. Hasard schlüpfte aus dem Gebüsch, richtete sich auf und lief quer durch das sumpfige Wasserloch. In seiner Hast achtete er nicht auf Gefahren, die hier lauern konnten, und das wurde ihm zum Verhängnis.

Er strauchelte, wollte den hinkenden Fuß nachziehen, brachte es aber nicht fertig. Mehr ärgerlich als entsetzt verharrte er, bevor er ganz hinfiel. Sein rechter Fuß saß fest. Plötzlich war auch sein linkes Bein wie gelähmt.

Hasard durchlief es heiß und kalt. Verdammt, wollte dieser lächerliche Sumpf ihn etwa in die Tiefe ziehen? Unmöglich. Er mußte daraus freikommen. Er legte alles in diesen Versuch hinein, und schließlich ließ er sich vornüber, auf die Hände, sinken, um aus dem Tümpel herauszukriechen.

Ein Ruck brachte ihn ganz zu Fall. Hasard lag auf dem Bauch, kriegte Brackwasser in den Mund, dachte an die Blutegel und anderen giftigen, vernichtenden Tierarten, die darin lebten – und spuckte die Brühe in hohem Bogen wieder aus.

Er war über und über mit Schlamm besudelt. Er trachtete, sich auf den Rücken zu drehen, aber es glückte ihm nicht. Zornig blickte er hinter sich – und erstarrte.

Er hatte sich getäuscht. Es war nicht der Morast, der ihn festhielt und an ihm zerrte. Ein schillernder Leib hatte sich aus dem Wasser geschoben und wälzte sich unter den blassen Bahnen Mondlicht, die durch den Blätterhimmel drangen. Soweit Hasard erkennen konnte, war der grauenvolle Körper gelb, schwarz und mit noch einer anderen Farbe gesprenkelt.

Anakonda!

Das Wort erfüllte seinen Geist und ließ ihn unwillkürlich zusammenzukken. Die gefürchtete, lautlose Mörderin des Regenwaldes hatte auf Beute gelauert und sie gefunden.

Zug um Zug wälzte sich ihr Riesenleib aus dem schwarzen, übelriechenden Wasser. Es war ein gespenstisches Schauspiel, das Ausrollen und Aufblähen eines gigantischen Gürtels, der weder Anfang noch Ende zu haben schien.

Hasard atmete schwer. Diese Bestie hatte lang ausgestreckt in dem Tümpel gelegen, dann, als er erschienen war, hatte sie ihn ohne Mühe zum Stolpern gebracht und ihren Schwanz zunächst um seine Fußknöchel geringelt, damit er nicht entkommen konnte. Jetzt setzte sie ihr Werk behaglich fort. Allmählich schloß sich der Gurt um Hasards Waden, um die Oberschenkel, um den Unterleib.

Das Wasser schäumte und rauschte leise dabei. Träge rollte die gewaltige, häßlich getupfte Spule vor Hasards Augen dicht über der Wasseroberfläche ab.

Er zwang sich zur äußersten Beherrschung. Rasch zerrte er sämtliche Betäubungspfeile aus dem Ledergurt hervor, die er aus Saranas Hütte hatte mitgehen lassen. Er drehte sich, soweit es ging, krümmte sich und konnte der Anakonda die Blasrohrpfeile in die Haut jagen.

Es nutzte nichts. Sie setzte ihre grausige Arbeit fort.

Vom großen Fluß drangen das Krachen von Waffen herüber. Hasard hätte schreien können vor Wut und Verzweiflung. Die Amazonen unter Schakis Führung hatten also die Schiffe angegriffen! Sie waren fanatisch genug, um dem Regengott in dieser Nacht ihr erstes Opfer zu bringen – sich selbst. Auch wenn hundert Amazonen im Feuer der Musketen, Pistolen und Bordgeschütze starben, war Schakis Auftrag doch erfüllt, wenn sie auch nur ein, zwei Gefangene holte – vor allem Siri-Tong!

Opfer! Die Amazonen lebten mit dieser Geisteshaltung. Nichts war ihnen zu teuer, wenn sie nur ihre Götter friedlich und wohlgesonnen stimmen konnten.

Die Anakonda wurde von dem Präparat der kleinen Blasrohrpfeile nicht betäubt. Sie wand sich mit entnervender Langsamkeit um Hasards Unterleib.

Dann erhob sich ihr häßlicher, platter Kopf aus dem Naß und pendelte auf Hasard zu. Ein dünner Streifen Zunge zuckte zwischen ihren glatten Lippen und fächerte prüfend auf den Seewolf zu.

Hasard schlug mit der Faust nach diesem Haupt. Aber die Anakonda schien den Hieb überhaupt nicht zu spüren. Gleichzeitig verstärkte sie den Druck um Hasards Leib. Hasard japste. Wenn dieses enorme Pressen seine Brust erreichte, würde er glatt ersticken.

Aber schon vorher würde sie seinen Unterleib zerquetschen.

Das Maul der Bestie klaffte auf und rückte weiter auf ihn zu. Es schnappte wieder zu. Ihre scharfen, jedoch nicht giftigen Zähne kratzten über Hasards Haut und rissen blutende Wunden. Ihr gesamter Leib schien jetzt auf ihm zu lasten, denn er drückte mit unvorstellbarer Kraft auf seine Beine. Eine Anakonda konnte bis zu zehn Yards lang und hundertfünfzig Pfund schwer oder noch schwerer werden, soviel war ihm bekannt. Dieses Gewicht drohte ihm die Beine zu brechen.

Hasards Handeln wurde von dem Mut der Verzweiflung regiert. Er zückte das Messer und stach damit auf den Schlangenleib ein. Die Anakonda zuckte ein wenig, aber sie schien die Wunden nicht sonderlich zu empfinden. Ihr Rachen klaffte wieder auf, sie stieß ihr Haupt vor, um Hasard zu beißen oder um das Maul über seinem Kopf auszustülpen. Sie würde ihn bei lebendigem Leib in einem Stück vertilgen, denn ihre Ringmuskeln vermochten sich so weit auszudehnen.

Hasard zog den Kopf ein, trieb seinen Beutedolch mit Wucht in den Leib des Monstrums, fuhr wieder herum, soweit es ihm seine Lage gestattete und packte entschlossen den Kopf der Anakonda. Er griff zu und ließ nicht wieder los. Ihre dolchspitzen Zähne verletzten ihn, aber er scherte sich den Teufel darum. Mit aller Kraft bog er ihre Kiefer auseinander.

Seine Schläfenadern schwollen bis zum Zerplatzen an, er stöhnte unter der Anstrengung. Er stemmte die Kiefer auseinander, die Riesenschlange wehrte sich wütend dagegen. Es war eine Kraftprobe von ungeheurer Wucht, und ihr Ergebnis konnte unweigerlich nur die Niederlage eines der beiden Gegner zur Folge haben.

Hasard bäumte sich unter übermenschlicher Anspannung auf. Sein Körper schien zerfetzen zu wollen, in seinem Kopf pochte es stechend und schmerzhaft, und seine Armmuskeln dehnten sich unter größter Belastung.

Er glaubte schon nicht mehr an einen Sieg und wollte nachlassen, da klafften die Kiefer der Kreatur mit einemmal doch weiter auf. Er zerrte das tödliche Mahlwerk mit seinen Händen soweit auseinander, bis es knackte, splitterte, zerbrach.

Ein schwacher, grunzender Laut entrang sich der Kehle der Bestie. Hasard wehte fauliger Atemgeruch entgegen, und das Blut der Anakonda tropfte auf ihn nieder.

Doch das Pressen des Kolosses hörte immer noch nicht auf.

Wieder und wieder hieb Hasard das Messer in den fetten, aufgeblasenen Leib. Er drohte die Fassung zu verlieren, denn in seinen Knochen ruckte und knackte es bedrohlich.

Erst im buchstäblich letzten Augenblick verfiel er darauf, die Bestie von unten her aufzuschlitzen. Auch das kostete ihn erhebliche Kraft. Es war kein leichtes Stück Arbeit, die Klinge durch das feste Fleisch, die Muskeln der Riesenschlange zu ziehen.

Aber dann stellte sich der ersehnte Erfolg ein. Das Mahlen und Drücken der Schlange ließ nach. Hasard holte tief Luft, dann schlüpfte er aus der Umklammerung und kroch durch das Flachwasser des Tümpels zum Ufer, nur weg, weg von der Anakonda.

Er blickte nicht zu dem sterbenden Tier zurück. Nur die Beine massierte er sich etwas, weil sie ihm nicht recht gehorchen wollten. Dann aber nahm der Blutkreislauf wieder seine normale Arbeit auf, der Seewolf konnte weiterhumpeln.

Der Tümpel des Todes hatte einen winzigen Zufluß. Daran lief Hasard nun entlang. Wenig später stellte er fest, daß es sich nicht um einen Zu-, sondern um einen Abfluß handelte. Demnach mußte er zwangsläufig auf einen größeren Wasserarm stoßen, wenn er dem Bachlauf folgte.

Er sollte recht behalten. Nur wenige Minuten später stieß er auf einen der vielen Nebenflüsse des Amazonas. Mit leisem Schwappen und Gurgeln wälzten sich die schwarzen Fluten dahin.

Hasard erkannte den Seitenlauf wieder. Es war der, den er mit Ferris und den beiden Wikingern auf dem Baumstamm überquert hatte, als sie nach den Verschollenen gesucht hatten.

Der Baumstamm befand sich etwa eine halbe Meile weiter flußabwärts. Hasard konnte ihn aus zusammengekniffenen Augen erspähen, als er über den fast schnurgerade verlaufenden Fluß blickte.

Das Schießen hatte aufgehört. Stille war eingetreten, unterbrochen nur durch das Zirpen vereinzelter Zikaden und das Blaken und Knarzen beleidigter Frösche.

Wie war der Kampf auf dem großen Strom verlaufen?

Hasard irrte unruhig am Flußufer auf und ab. Wie sollte er übersetzen? Der gefällte Baum dort unten würde bestimmt von Amazonen bewacht. Er würde es ihnen nur zu leicht machen, wenn er sich dorthin wandte.

Was tun also?

Seewölfe Paket 5

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