Читать книгу Seewölfe Paket 5 - Roy Palmer - Страница 28
4.
ОглавлениеDer Nebenarm war kein richtiger Fluß, eher ein Bach, und von beiden Ufern her so zugewachsen, daß das Reetboot ständig an Blättern und Zweigen entlangschleifte. Die beiden Krokodilmänner verstanden es, sich mit ihren Messern einen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Sie bewegten sich im Laufschritt voran und zogen dabei Montanellis Gefährt an der Schleppleine mit sich.
Er wußte: Sie würden ihn in dem Boot ziehen, so weit es ging, dann würden sie ihn herausheben und tragen, weiter, immer tiefer in den Dschungel hinein.
Einmal ringelte sich eine Schlange aus dem Blattwerk auf Montanelli zu. Er lag starr und konnte sich nicht rühren, nur seine Augen weiteten sich in maßlosem Entsetzen.
Shushupe, die giftigste aller Schlangen!
Aber ihr häßliches Maul pendelte nicht zu ihm hinunter. Sie ließ ihn vorbeiziehen. Die Hölle wollte ihn nicht. Es wäre besser gewesen, wenn er jetzt gleich gestorben wäre, aber seine Agonie sollte hinausgezögert werden – bis ins Unerträgliche.
Warum hatte die Shushupe keinen der beiden Indianer gebissen? Warum mußten sie stets so unerhörtes Glück haben?
Der Urwald war ihr Element. Sie spürten die Gefahren, wußten sich demgemäß zu bewegen und überall so aufzutreten, daß sie mit keinem der aggressiven Bewohner aneinandergerieten.
Sie hasteten voran und gönnten sich keine Pause. Montanelli konnte ihnen nur zuschauen, hilflos wie ein kleines Kind.
Unversehens trat jedoch eine Änderung ein.
Ein feines Geräusch drang an Montanellis Ohren. Es klang wie ein Peitschenknall. Die Krokodilmänner verhielten sofort, standen geduckt und tuschelten miteinander. Sie wiesen auf Montanelli und schienen unschlüssig zu sein, was sie tun sollten.
Er hatte ihre Sprache nie richtig verstanden, aber er schnappte ein paar Brocken auf: „Fremde“ und „Feuerlärm“ und „Nachsehen“. Die eigenartige Laute, die sie ausstießen, waren der Ketschua-Sprache zuzuordnen, soviel war Montanelli, einem recht belesenen und kundigen Mann, bekannt.
Irgend jemand war bis hierher vorgedrungen und hatte geschossen. Der Himmel allein wußte, wer. Aber es war die Aufgabe der beiden Indianer, diese Leute aufzustöbern und zu beobachten.
Das Problem war, daß ein Mann allein niemals durch den Busch streifen sollte. Es war ein altes Gesetz der Indianer des Regenwaldes. Folglich waren sie gezwungen, Montanelli vorläufig ohne Bewachung zu lassen.
Sie gelangen zu der Übereinkunft, daß er nichts zu seiner Rettung unternehmen konnte. Er war gelähmt. Sie schlangen nur das Schleppseil um einen Baumstamm, dann überließen sie ihn seinem Schicksal. Das einzige, was passieren konnte, war, daß er von einer Schlange oder von einem Kaiman gebissen wurde oder ihn ein Jaguar verschleppte.
Dieses Risiko gingen sie ein.
Montanelli sah, wie ihre Gestalten von der dichten Blätterwand verschlungen wurden. Er blieb mit seinen fürchterlichen Ängsten in dem Reetboot zurück.
Gleichzeitig bedauerte er auch jene Eindringlinge, die sich dummerweise durch einen Schuß bemerkbar gemacht hatten. Trotz der Musketen oder Pistolen, die sie führten, hatten sie hier nichts zu gewinnen – nur alles zu verlieren.
Im Einsetzen des Zwielichtes der Dämmerung gab Hasard den Befehl: „Fallen Anker!“
Der schwere Stockanker am Bug der „Isabella“ rauschte aus und zerrte seine Trosse nach. Er sank keine zehn Faden tief und bohrte sich in den Schlick des Amazonasgrundes. Die „Isabella“ verharrte mit aufgegeiten Segeln auf der leicht gekräuselten Wasserfläche. Hasard ließ auch den Heckanker ausbringen, und das Schiff lag ruhig.
Siri-Tong hatte ebenfalls ankern lassen. Die Schiffe lagen in Kiellinie vor dem Südufer des Canal do Norte, die Bugspriete nach Südwesten gerichtet, die Backbordseite dem Urwald zugewandt, der keine fünfzig Yards entfernt emporwucherte.
Die Rote Korsarin hatte ein Boot abfieren lassen und setzte jetzt zur „Isabella“ über. Thorfin Njal und die vier anderen Wikinger sowie der Boston-Mann und Juan waren mit von der Partie.
Sie hielten auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“ eine kurze Lagebesprechung ab.
Die Crew durfte selbstverständlich mit zuhören. Sie hatte sich auf dem Quarterdeck eingefunden. Jeff Bowie blickte an Blacky und Al Conroy vorbei auf die dunkelgrüne Wand. Affen und Papageien und tausend bunte Vögel schrien dort um die Wette. Es war ein beeindruckendes Konzert. Im Wasser war ständig Bewegung, die Kaimane und die anderen Bewohner des Elements gaben sich rund um die beiden Schiffe ein Stelldichein.
„Blacky“, sagte Jeff. „Erinnerst du dich noch an die Zeit in Kolumbien? Damals, als wir ohne Schiff waren und Flöße bauen mußten – als ich meine linke Hand verlor?“ Er wies die Hakenprothese hoch, die er jetzt trug.
Blacky nickte. „Und ob. Hölle, Jeff keinem von uns ist wohl in seiner Haut, aber was sollen wir tun?“
„Die Zähne zusammenbeißen und gute Miene zum bösen Spiel machen“, zischte Matt Davies ihnen zu. „Haltet jetzt die Klappe, ihr beiden!“
Der Seewolf sagte soeben zu Siri-Tong und deren Begleitern: „Ich hatte gehofft, auf eine Indianersiedlung zu stoßen. Dort hätten wir gegen Schmuck oder Waffen Proviant eintauschen können. Aber die Inseln und die benachbarten Ufer des Festlandes scheinen nicht bewohnt zu sein.“
„Wir sind wohl allein auf weiter Flur“, erwiderte Siri-Tong. „Auch nach dem Schuß, den einer meiner Leute dummerweise abgegeben hat, hat sich niemand gezeigt. Was tun also?“
Hasard lachte freudlos. „Wir müssen uns unsere Verpflegung selbst beschaffen. Wasser aus dem Amazonas zu schöpfen, hat keinen Sinn, wie ihr alle einsehen werdet. Daß mir bloß keiner auf den Gedanken verfällt, das Zeug zu trinken! Wenn der Durst auch noch so groß wird – kämpft dagegen an!“
„Jawohl“, entgegnete Carberry. „Ich verspreche, dafür zu sorgen.“
„Ausgerechnet der“, raunte Bill. Aber keiner verstand es.
Hasard fuhr fort: „Das Amazonaswasser ist zu brackig, außerdem wimmelt es darin von dem unglaublichsten Getier. Nein, ich meine jetzt nicht die Kaimane oder die Piranhas, mit denen Jeff Bowie einmal unliebsame Bekanntschaft geschlossen hat. Ich spreche von dem kleineren Viehzeug. Giftige Würmer, Insekten, winzige Tiere, die dennoch gefährlich sind. Wir alle wollen so schnell wie möglich wieder ’raus aus diesem Dschungel. Aber vorher müssen wir an Land einen Trinkwasserteich oder eine Quelle finden, die nicht verseucht ist. Weiter muß Eßbares gejagt werden. Shane und Batuti, ihr kommt mit und rüstet euch mit Pfeilen und Bogen aus.“
„Was können wir denn schießen?“ erkundigte sich der graubärtige Riese. „Doch keine Krokodile und Schlangen, oder?“
„Pfui Teufel“, sagte Luke Morgan.
Der Boston- Mann grinste plötzlich und blickte zu Arwenack, der auf Smokys Schulter kauerte. „Die Tierwelt im Dschungel ist wahrhaftig reichhaltig genug, abgesehen davon, daß es auch Maniok und anderes genießbares Pflanzenzeug gibt. Ich kenne mich da einigermaßen aus.“
„Das stimmt“, sagte Siri-Tong. „Er hat sich mal allein durch den Urwald schlagen müssen.“
„Ganz unvorbelastet sind wir auch nicht“, sagte Ferris Tucker. „Halte uns bloß nicht für Trottel, Boston-Mann.“
Der Pirat musterte Ferris in einem Anflug von verächtlicher Belustigung. Hin und wieder kam es zu Spannungen zwischen den Korsaren und den Piraten. Die Kluft, die sich zwischen ihnen auftat, ließ sich doch nie ganz beseitigen, obwohl sie im Grunde ausgezeichnete Verbündete waren.
„So meine ich das auch nicht“, sagte der Boston-Mann. „Ich wollte euch nur darauf hinweisen, daß bei den Indianern Affenbraten sehr beliebt ist. Wenn alle Stricke reißen, könnten wir bei dem da anfangen.“ Er wies auf Arwenack.
Die Mienen der Seewölfe verfinsterten sich augenblicklich. Sogar Carberry, der immer auf den „blöden Affen“ schimpfte, sah den Boston-Mann an, als wolle er ihm auf der Stelle den Hals umdrehen.
Smoky sagte: „Wer Arwenack auch nur antickt, dem hau ich was aufs Hirn, daß das ganze Stroh ’rauskommt!“
Siri-Tong griff ein. „Boston-Mann, sag so etwas nicht. Im übrigen soll Affenbraten nach Mensch schmekken. Das ist nichts für uns.“
Dem Schimpansen war das Ganze nicht mehr geheuer. Er ergriff die Flucht, turnte in die Steuerbordwanten des Großmastes, enterte blitzschnell in den Webeleinen auf und hockte sich beleidigt zu Dan O’Flynn in den Mars. Dan hatte die Aufgabe, die Ufer im Auge zu behalten. Gleichzeitig lauschte er dem Gespräch unten auf Deck.
„Der Boston-Mann, dieser blöde Hund“, sagte er leise.
„Wir haben genug Vorreden gehalten“, sagte der Seewolf jetzt. „Fangen wir an. Zwei Gruppen pullen mit je einem Boot an Land und forschen nach Nahrung und Wasser. Außer Pfeil und Bogen und Schußwaffen werden Säbel, Degen und Schiffshauer mitgenommen, sonst kommen wir überhaupt nicht durch das verdammte Dickicht durch.“
„Aye, aye, Sir“, antwortete Carberry pflichtbewußt.
Siri-Tong und ich führen die eine, Thorfin und du die andere Gruppe“, sagte Hasard zu seinem Profos. „Ich will als Begleiter Dan O’Flynn, Blakky, Batuti, Shane, Ferris und Matt. Gary, du löst Dan im Großmars ab. Ed und Thorfin, wen wählt ihr?“
„Ich schlage Eike, Oleg, Arne, den Stör, den Boston-Mann und Juan vor“, sagte Thorfin Njal.
Carberry hielt nichts von unnötigen Verzögerungen, vom Wenn und Aber. „Einverstanden“, erwiderte er nur.
Das Landunternehmen begann. In aller Eile wurde nun auch ein Boot der „Isabella“ abgefiert und bemannt. Carberry, die Wikinger und die beiden Siri-Tong-Piraten enterten in das bereits an der Backbordseite der „Isabella“ liegende Beiboot des schwarzen Seglers ab.
Etwas später legten beide Schaluppen von der Galeone ab und glitten auf das Ufer zu. Die Dämmerung senkte sich tiefer auf das Land. Hasard hatte zur Vorsicht Pechfackeln mitnehmen lassen. Er wollte sein Vorhaben nicht aus Mangel an Helligkeit abbrechen, bevor sie zumindest einen Teil des dringend benötigten Proviants beschafft hatten.
Hasard kauerte im Bug seines Bootes. Siri-Tong hatte die Ruderpinne übernommen. Hasard hielt die Augen offen und achtete auf jede Regung im Wasser und an Land. Besonders die überhängenden Baumäste wollten ihm nicht behagen.
An Steuerbord, wo Carberrys und Thorfin Njals Boot neben ihnen herfuhr, entstand plötzlich Aufruhr. Der Stör stieß einen Wutschrei aus und hob seine Muskete.
Er zielte auf ein Krokodil, ein besonders großes Exemplar, das sich mit aufklaffendem Maul auf das Boot zuschob. Es war fast so weit heran, daß es die Kiefer nur noch zusammenzuklappen brauchte, um den Musketenlauf des Wikingers zu schnappen und zu zerbeißen.
In diesem Augenblick drückte der Stör ab.
Der Schuß bellte mitten in den riesigen Rachen des Krokodils hinein. Das Tier zuckte zusammen, als habe man ihm siedendes Öl ins Maul gekippt. Sein gewaltiger Schwanz peitschte das Wasser, es spritzte hoch auf und bis ins Boot hinein.
Batuti hatte sich hoch aufgerichtet, balancierte auf einer Ducht von Hasards Boot und legte mit Pfeil und Bogen auf die Bestie an.
Aber das Schicksal des Krokodils war besiegelt. Sein Schwanz krachte gegen die Bordwand. Die Männer klammerten sich fluchend fest. Eike feuerte seine Pistole auf die vorsintflutlich anmutende Kreatur ab, doch das war schon nicht mehr nötig. Die Kugel aus der Muskete des Störs hatte sehr wichtige Organe getroffen und den Lebensnerv zerstört. Das Krokodil drehte sich auf den Rücken und trieb nach ein paar letzten Zukkungen mit dem weißlich glänzenden Bauch nach oben auf dem Wasser.
Batuti ließ den Pfeil trotzdem von der Bogensehne schwirren.
Erstaunt verfolgten Siri-Tong und alle Männer – auch die an Bord der Schiffe verbliebenen –, wie der Pfeil fehlging. Er traf das Krokodil nicht, sondern tunkte hinter ihm in die lehmig-braunen Fluten.
Sogar Hasard wandte sich verblüfft zu seinem schwarzen Goliath um. Was war denn mit Batuti los? Er konnte sonst mit seinen Pfeilen auf größte Entfernung Gegner treffen und auf den Decks feindlicher Schiffe Entsetzliches anrichten. Hatte ihm die Hitze schon zu sehr zugesetzt? Aber er, gerade er, mußte doch daran gewöhnt sein!
Das Rätsel löste sich.
Der Pfeil tauchte nicht ganz ins Wasser, sondern schien darin stekkenzubleiben. Sein Schaft tanzte in den kleinen Wellen und bewegte sich auf das Boot des schwarzen Schiffes zu.
Carberry fand als erster die Fassung wieder. „Zupacken!“ rief er. „Los, greift euch den verdammten Stengel, zum Donnerwetter noch mal!“
Juan reagierte gedankenschnell. Er erhaschte den Pfeilschaft und wollte ihn aus dem Strom ziehen. Ganz so leicht, wie er geglaubt hatte, war das aber plötzlich nicht mehr. An dem Pfeil hing ein Gewicht. Juan faßte mit der anderen Hand nach, hievte hoch – und riß vor Staunen den Mund auf.
Ein großer Fisch hing an der Pfeilspitze. Er drohte abzugleiten und wieder im Wasser zu versinken, aber der Boston-Mann, Eike, Oleg und Arne halfen ihm und holten die Beute an Bord. Carberry und Thorfin Njal starrten ziemlich verdutzt auf das gut einen Yard lange Tier.
„Ein Mordsding!“ rief der Profos. „He, Batuti, du Teufelskerl!“
Der Neger hatte sich wieder auf seine Ducht gesetzt und grinste still vor sich hin.
Hasard drehte sich ihm zu. „Gut gemacht, Batuti, alle Achtung. Na, da haben wir ja schon mal was für unsere Kombüse. Der Kutscher wird den Fisch nur richtig kochen müssen – wegen der Verseuchungsgefahr.“
„Kann man Krokodile auch essen?“ fragte Carberry laut.
Der Boston-Mann grinste. „Natürlich. Die Indianer verzehren sie genauso gern wie Affenbraten.“
„Laßt das Biest treiben“, sagte Thorfin Njal mit einem Fingerzeig auf die tote Riesenechse.
Sie pullten bis unters Ufer, vertäuten die Boote und setzten den Fuß in das Dickicht. Hasard führte den Trupp an, Siri-Tong hielt sich dicht hinter ihm.
Hasard hatte einen außerordentlich scharf geschliffenen Cutlass von der „Isabella“ mitgenommen. Damit hieb er jetzt eine Bresche in das tükkische Pflanzenwerk. Macheten hatten sie nicht, aber mit den Schiffshauern und Säbeln ließ sich die beschwerliche Arbeit auf die gleiche Weise verrichten.
Sie waren noch nicht weit vorgedrungen, da drehte der Seewolf sich zu seinen Gefährten um und blieb plötzlich wie erstarrt stehen. Die Rote Korsarin und die Männer hinter ihr verharrten ebenfalls.
Hasard riß den Cutlass hoch. Der stach auf Matt Davies zu, zischte durch die Luft und blieb zitternd in einem Baumstamm stecken – etwa einen halben Yard schräg rechts hinter Matts Rücken und nur eine Handspanne über seinem Kopf.
Matts Gesicht hatte eine ungesunde, teigige Färbung angenommen. Ihn konnte so leicht nichts erschrekken und aus den Stiefeln werfen, aber das hier setzte ihm doch gehörig zu.
„He“, stammelte er. „Was – hat das zu bedeuten, Hasard?“
„Dreh dich um“, sagte Hasard.
Matt folgte der Aufforderung, und auch die anderen wandten sich dem Baum zu, in dem der Cutlass immer noch vibrierte.
Die Klinge hatte direkt hinter Matts Rücken eine große gelbe Schlange mit braunem Tupfenmuster festgenagelt und ihr den Kopf vom Rumpf getrennt. Das Tier hatte sich den Baum hinuntergeringelt, ohne daß Matt Davies es bemerkt hatte.
Jetzt erschlafften die Ringmuskeln langsam, und das Reptil fiel mit dumpfem Laut auf den Boden.
Matt gab einen würgenden Laut von sich. „Hasard – das Biest hatte schon das Maul zum Biß aufgerissen, oder?“
„So ist es.“
„Danke für die Rettung.“
Der Seewolf hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Nicht der Rede wert. Wahrscheinlich war sie nicht einmal giftig.“
Siri-Tong beugte sich über den Kadaver. Der Boston-Mann drängelte sich durch und nahm ihn ebenfalls in Augenschein. Er schaute auf und sah die Rote Korsarin an. Für eine Sekunde verfingen sich ihre Blikke ineinander. Siri-Tong nickte ihm zu.
„Jawohl“, sagte sie. „Es besteht kein Zweifel. Das war eine Shushupe, eine der giftigsten Schlangen, die existieren. Ihr Biß ist absolut tödlich, allemal, wenn er die Halsgegend eines Menschen trifft, wie das bei Matt der Fall gewesen wäre.“
Matt Davies rieb sich heftig den Nacken. „Verflucht und zugenäht“, stieß er hervor. „Das fängt ja gut an hier. O Gott, beinahe wäre ich einfach abgekratzt.“
„Hör auf“, sagte Hasard. „Gehen wir weiter.“ Er warf noch einen Blick auf ihrer aller Füße. „Das nächste Mal, wenn wir uns auf Landgang begeben, ziehen wir uns unsere Stiefel an, verstanden? Ich habe das vorhin vergessen anzuordnen.“
„Aye, aye, Sir“, grollte Carberrys Baßstimme.
Die Einleitung ihres Unternehmens war alles andere als ermutigend, aber es sollte noch härter kommen.
Sie hatten sich rund hundert Yards weiter vorangearbeitet, da wurden sie von neuem aufgehalten. Siri-Tong schritt jetzt rechts neben Hasard, hatte sich mit einem Säbel bewaffnet und half, die Bresche zu erweitern, die er ins dampfende Unterholz trieb. Es war fast ganz dunkel geworden, aber die Hitze hielt sich in dem verfilzten und verwachsenen Tropenwald. Sie schien durch nichts auf der Welt zu vertreiben zu sein. Die Rote Korsarin, der Seewolf und die übrigen Männer schwitzten, wie sie nie geschwitzt hatten.
Ungeziefer setzte ihnen zu. Es umschwirrte sie, krabbelte ihnen über die Gesichter und Körper, biß, stach. kratzte. Immer wieder vernahm Hasard, wie hinter ihm der eine oder andere seine Hand auf den nackten Leib niederklatschen ließ, um die Störenfriede zu vernichten.
Hasard wollte den Befehl geben, die ersten Pechfackeln anzuzünden, da geschah es.
Es begann mit einem Laut, der linker Hand von der Gruppe im Busch ertönte. Ein unterschwelliges, drohendes Brummen. Sein Urheber konnte sich nicht weit entfernt befinden.
Abrupt blieben die schwarzhaarige Frau und die fünfzehn Männer stehen. Sie wandten die Köpfe nach links.
„Ed, hör mit dem Blödsinn auf“, sagte Blacky verhalten.
„Das war ich nicht“, verteidigte sich der Profos.
„Wer denn?“ wollte Dan O’Flynn wissen.
„Ruhe“, raunte Hasard ihnen zu.
„Das da“, flüsterte der Boston-Mann. „Das war ein Jaguar, ich schwöre es euch.“
Hasard zog seine doppelläufige Reiterpistole und gab auch den anderen einen Wink, sich schußbereit zu machen. Es raschelte im Dickicht. Etwas bewegte sich direkt auf sie zu, dann ein Stück nach rechts, dann wieder in ihre Richtung.
Fünfzehn Männer standen bereit, der Bestie Paroli zu bieten, wenn sie aus dem Busch auf sie zufederte. Sie wußten, daß sie das Raubtier wahrscheinlich mitten im Sprung erlegen mußten, wenn sie nicht verletzt werden wollten.
Plötzlich riß das Rascheln ab. Totenstille trat ein, etwas Ungewöhnliches für den Regenwald, in dem sonst immer das Kreischen der Affen und das Geschrei der Vögel zu vernehmen war.
Hasard drehte sich kurz zu Siri-Tong um, um zu sehen, ob sie eine Erklärung für dies alles hatte.
Sie war verschwunden.
Ohne einen Laut.
Sie schien von der grünen Amazonashölle regelrecht verschlungen worden zu sein.