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9.

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Dem schwarzen Segler war es tatsächlich gelungen, sich unbemerkt bis auf die Reede von Cayenne zu pirschen.

Siri-Tong kannte das Wetter in diesem Teil der Welt ebensogut wie der Seewolf. Auch sie wußte, daß ein knüppeldicker Sturm bevorstand und daß er wahrscheinlich in den frühen Morgenstunden losbrechen würde. Sie und der Wikinger waren entschlossen, mit den tobenden Elementen ein Bündnis zu schließen, und genau darauf war ihr Zeitplan abgestellt.

Mit dem ersten Morgengrauen lief der schwarze Segler in die Hafeneinfahrt.

Die Stückpforten waren bereits geöffnet, die Kanonen feuerbereit. Spannung schien fast greifbar in der Luft zu knistern. Noch hob sich das Schiff mit seinem schwarzen Rumpf und den schwarzen Segeln kaum von der Umgebung ab. Auf dem Achterkastell kniff Siri-Tong die Augen zusammen und überzeugte sich mit einem raschen Rundblick, daß die spanischen Galeonen immer noch genauso im Hafen verteilt waren, wie der Boston-Mann es aufgezeichnet hatte.

Je etwa die Hälfte des Geschwaders an Backbord und Steuerbord! Eine offene Einladung! Siri-Tong lächelte leicht, in ihren schwarzen Mandelaugen entzündeten die herüberschimmernden Lichter von Cayenne flirrende Reflexe.

„Jetzt“, sagte sie leise.

„Na dann“, brummte der Wikinger, und im nächsten Moment dröhnte seine Donnerstimme durch die Stille.

„Steuerbord-Kanonen Feuer! Backbord-Kanonen Feuer!“

Es war, als breche in der Stille der Nacht von einer Sekunde zur anderen die Hölle aus. Donnernd entluden sich die Geschütze des schwarzen Seglers, die Decksplanken erzitterten unter den Füßen der Männer.

Jählings wurden die spanischen Galeonen von der Gewalt der Einschläge durchgerüttelt. Masten splitterten weg, Tauwerk brach, Rahen wurden geknickt wie Streichhölzer. Eine der Galeonen erwischte einen Volltreffer unter der Wasserlinie und begann sich sofort zu neigen.

Geschrei gellte. Bei den Spaniern herrschte Zustand. Nur wenige von den schwerbewaffneten Kriegsgaleonen waren völlig unbeschädigt geblieben. Noch ehe die Spanier auch nur begriffen, was da über sie hereinbrach, ließ Thorfin Njal schon die beiden nächsten Breitseiten abfeuern.

Siri-Tong kommandierte im Vorderkastell die kleine Spezial-Truppe, die sie persönlich mit der Funktion der Gestelle zum Abschießen der Brandsätze vertraut gemacht hatte.

Es gab keine Wahl, kein Zögern.

Wenn überhaupt eine Situation den Einsatz dieser fürchterlichen Waffe rechtfertigte, dann war es diese. Mit steinerner Miene gab Siri-Tong den Befehl zum Feuern, und die ersten kleinen Raketen flogen durch die Luken, die speziell für diesen Zweck im Vorschiff angebracht waren.

Zischend senkten sie sich auf die spanischen Galeonen nieder.

Ein Teil verschwand im Wasser, aber die meisten trafen, platzten auf und entfalteten sich zu gespenstischen Feuerblumen, die alles ringsum mit einem strahlenden, flimmernden Glutregen übergossen. Wo dieses furchtbare Feuer auftraf, bildeten sich glimmende Nester und schlugen Flammen hoch, die sich wie mit gierigen Zungen weiterfraßen.

Ein vielstimmiger Entsetzensschrei brandete über das Wasser des Hafens. Das Geschwader war am Abend eingelaufen, die Männer, die Wache hatten, konnten noch nichts von dieser fremden, unheimlichen Waffe gehört haben. Für sie war es das leibhaftige Höllenfeuer, das da über sie hereinbrach – und nur die wenigsten von den Offizieren hatten überhaupt noch den Nerv, zurückschießen zu lassen.

Eine Breitseite wühlte in beruhigender Entfernung von dem schwarzen Segler das Wasser auf, eine zweite traf fast eine der Galeonen auf der gegenüberliegenden Hafenseite.

Befehle wurden geschrien und gingen im Kanonendonner unter. Der schwarze Segler feuerte erneut. Vierundzwanzig Geschütze brüllten auf und spuckten Tod und Verderben. Gleichzeitig ließ Siri-Tong ein halbes Dutzend weiterer Brandsätze auf die Reise schicken, und jetzt erwischte das unlöschbare Feuer auch die letzten Galeonen.

Der Hafen von Cayenne war nur noch ein Inferno aus Flammen und brennenden, zum Teil bereits sinkenden Schiffen.

Ein kampffähiges spanisches Geschwader gab es nicht mehr. Als die ersten Befestigungen das Feuer erwiderten, konnte sich Thorfin Njal voll darauf konzentrieren, sie in Trümmer zu legen.

In der Stadt brach Panik aus, obwohl nur ein einziger Brandsatz zwischen den Häusern gelandet war, und auch der nur zufällig. Siri-Tong und der Wikinger wollten die verhaßten Dons treffen, nicht ein Blutbad unter Frauen und Kindern anrichten. Die Stadt zu stürmen, die spanischen Soldaten zu Paaren zu treiben, die Befestigung dem Erdboden gleich zu machen, soweit sie es nicht schon waren – das war etwas anderes.

Siri-Tongs Augen funkelten. Der Wikinger ballte die Hände und rollte mit den Augen, wie es vielleicht seine Vorfahren getan hatten, wenn sie mit ihren Langschiffen wie die Wölfe über unbekannte Küsten hergefallen waren. Die ganze Crew war Feuer und Flamme und brüllte vor Begeisterung. In jeder anderen Nacht als dieser wäre in Cayenne vermutlich kein Stein auf dem anderen geblieben.

In dieser Nacht war es die See selber, die in das Geschehen eingriff.

Noch bevor Thorfin und die Rote Korsarin eine Entscheidung treffen konnten, fegte die erste Sturmbö heran, eine Sturmbö, die fauchend in die Flammen fuhr, unter deren Gewalt sich das Feuer rasend schnell ausbreitete, die den ganzen Hafen in eine lodernde Hölle verwandelte.

Bei den Spaniern versuchte nur noch jeder, das eigene Leben zu retten. Ein paar Geschützmannschaften innerhalb der Befestigungen hätten noch schießen können, aber sie sahen kein Ziel mehr, sahen nur noch Feuer und gigantische Rauchwolken, die sich auf sie zuwälzten. Der Wind fiel jetzt mit bösartiger Schärfe ein und gewann rasch an Gewalt. Wellenberge türmten sich auf, ihre Kämme brachen sich gischtend, und auch für den schwarzen Segler wurde es kritisch.

Wenn er nicht rasch das Feld räumte, würde der Sturm ihn in den Hafen drücken, mitten hinein in das flammende Inferno.

„An die Brassen und Fallen!“ dröhnte Thorfin Njals Stimme durch den Höllenlärm. „Klar zum Anluven! Ruder hart über!“

Der schwarze Segler drehte seinen Bug an den Wind.

Kommandos schallten, die Segel blähten sich knatternd. Langsam, schwer gegen den Sturm kämpfend, nahm das Schiff die Hafeneinfahrt und lief in die offene See hinaus. Achteraus ließen sie ein unvorstellbares Chaos zurück.

Es war, als lasse die erste fauchende Sturmbö den bedrohlich gewordenen Angriff der Spanier stocken.

Ein einziges Geschütz feuerte noch, aus einer Position, in der es von den Backbordkanonen der „Isabella“ nicht zu erwischen war. Aber auch die Spanier hatten in dieser Position nicht viel mehr tun können, als dem Gegner das Bugspriet wegzurasieren.

Al Conroy jagte mit der Drehbasse Schuß auf Schuß in die Felsen, damit die Dons erst gar nicht auf den Gedanken verfielen, ihre Kanone weiter nach vorn zu bringen.

Längst wagte sich kein Spanier mehr auf Musketenschußweite heran, aus Furcht vor den mörderischen Flaschenbomben. Die nächste Sturmbö trieb die Soldaten noch weiter zurück und jagte sie in den Schutz der Felsen. Brecher spülten über den Strand, Gischt hüllte Tote und Verwundete ein und schwemmte das Blut weg. Sand rieb unter dem Kiel der „Isabella“. Wanten und Pardunen ächzten, der Wind heulte durch das Rigg. Und immer noch rollte der ferne Kanonendonner über die aufgewühlte See.

Die Spanier starrten dorthin, wo der glutrote Widerschein über Cayenne die Nacht erhellte.

Die Stadt brannte. So sah es jedenfalls aus. Cayenne in Flammen, ein Sturm, der mit wachsender Gewalt heranheulte, der binnen kurzem alles davonwirbeln würde, was sich ihm in den Weg stellte – für den Kommandanten war das einfach zuviel. Er begriff überhaupt nichts mehr. Er sah nur, daß alles um ihn zusammenbrach, und er hatte nicht mehr den Nerv, noch einmal alle Kräfte zum letzten, vielleicht entscheidenden Angriff zu sammeln.

Seine Befehle konnten die Seewölfe im Heulen des Sturms nicht hören, aber sie sahen, daß sich die Spanier in panischer Hast zurückzogen.

Hasard grinste hart. Sein schwarzes Haar flatterte, die eisblauen Augen funkelten. Er wußte, daß das Wasser stieg. Er fühlte es unter dem Rumpf der „Isabella“ mahlen und arbeiten. Brecher klatschten gegen die Bordwand und ließen die Planken erzittern. Der Druck von Wind und See begann das Schiff zu heben. Minuten noch! Bis jetzt hatten sie alle Hände voll zu tun gehabt, um den wilden Angriff der Spanier abzuwehren. Nun drohte ein anderer Angriff. Der Sturm, der die „Isabella“ befreien sollte, konnte sie später auch in die Tiefe ziehen.

Mühelos übertönte Hasards Stimme das Heulen und Tosen:

„Fahrt die Kanonen und Drehbassen fest! Ben, laß Manntaue spannen! Ferris, Luken verschalken! Klar bei Brassen und Fallen! Himmel, Arsch, holt endlich die verdammte Blindenrah ein oder laßt sie in die Tiefe fahren, bevor sie uns gleich die Fock zerfetzt! Weg mit dem Bugspriet, in drei Teufels Namen!“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte Ben Brighton durch das Orgeln und Tosen.

„Aye, aye!“ tönte es vom Vorschiff, wo drei Männer an der zerfetzten Blinde arbeiteten.

„Klar bei Ruder! Pete, verdammt noch mal, wo …“

Pete Ballie hatte längst seinen Platz im Ruderhaus eingenommen und zeigte klar. Hasard grinste, als zeige er dem Wetter die Zähne. Die „Isabella“ ruckte, hob sich mit einer anrollenden Woge, senkte sich wieder. Der Winddruck wurde bedrohlich. Wenn er jetzt in die Segel fuhr, würde er die „Isabella“ von der Sandbank wegreißen. Wenn sie noch lange warteten, konnte es sein, daß eine der nächsten Böen das Schiff flachlegte.

„An die Brassen und Fallen!“

Hasards Stimme peitschte. Im düsteren Grau der Morgendämmerung sah er Dan O’Flynn wie der Blitz in den Großmars entern. Der Seewolf hielt den Atem an und fluchte in sich hinein. Aber Dan hatte recht. Wenn der schwarze Segler Cayenne in Trümmer gelegt hatte, mochte es leicht sein, daß jetzt spanische Kriegsgaleonen trotz des Wetters die See zwischen dem Festland und der Teufelsinsel verunsicherten. Sie brauchten den Ausguck. Auch wenn der Sturm die Masten durchrüttelte und die Segeltuchverkleidung der Plattform knattern ließ.

Eine neue Bö!

Die „Isabella“ neigte sich bedrohlich. Eine mächtige Woge hob den Kiel an, und Hasard atmete tief.

„Heißt Fock und Großsegel! Ruder hart steuerbord!“

Knatternd entfalten sich die Segel.

Der Wind fuhr in das Tuch und spannte es zum Zerreißen. Pete Ballie legte Ruder. Wie ein gewaltiger Mahlstrom knirschte es unter dem Kiel. Dann schien eine unsichtbare Gigantenfaust die „Isabella“ zu pakken und von der Sandbank zu schleudern.

„Anluven!“ peitschte Hasards Stimme.

Die Männer schwitzten und schufteten. Für einen Moment schoß das Schiff wie ein rasendes Seeungeheuer dahin, als es vor dem Wind lief, beim Anluven krachten die Rahen, als wollten sie zerbrechen. Hasard biß die Zähne zusammen, als die heulenden Sturmböen über den neuen Bug einfielen und die „Isabella“ bedrohlich nach Backbord krängte. Wanten und Pardunen schrillten. Das Schiff richtete sich auf – und rauschte mit Steuerbordhalsen aus der gefährlichen Nähe der Teufelsinsel.

„Arwenack!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars so gellend, als sei er noch einmal in den längst überwundenen Stimmbruch zurückgefallen.

Und donnernd brauste die Antwort der Crew über die Decks, mischte sich mit dem Orgeln und Heulen des Windes.

„Arwenack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“

Die Teufelsinsel versank achteraus.

„Deck!“ brüllte Dan O’Flynn. „Mastspitzen Steuerbord voraus!“

Hasard spähte aus zusammengekniffenen Augen in das gestaltlose Grau des Morgens. Der Sturm tobte und nahm ständig an Heftigkeit zu. Rasch rückten die Mastspitzen näher, ein dunkler Schatten tanzte in den tobenden Elementen, und noch ehe Hasard zum Spektiv greifen konnte, schallte schon wieder Dans Stimme.

„Es ist der schwarze Segler! Es sind Thorfin und die Rote Korsarin!“

Der Seewolf grinste.

Rasch schloß die „Isabella“ zu dem schwarzen Segler auf und schaffte es sogar, in wenigen hundert Yards Abstand an ihm vorbeizuziehen. Hasard sah schattenhaft die Gestalt der Roten Korsarin, die ihm zuwinkte. Er glaubte sogar, das gewaltige Triumphgebrüll des Wikingers zu hören, das den Sturm übertönte.

Eine Woge hob die „Isabella“ empor. Der zerfetzte Bugspriet schien geradewegs in den verhangenen Himmel zu zielen. Der schwarze Segler verschwand in einem gewaltigen Wellental – und erst sehr viel später sahen sie ihn wieder.

Die beiden Schiffe ritten einen Sturm ab, der es in sich hatte, der den Männern das letzte an Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer abverlangte.

Einen vollen Tag tobten die entfesselten Elemente.

Aber dann, zwölf Stunden später, flaute der Sturm so plötzlich ab, wie er losgebrochen war.

Weit achteraus konnten die Seewölfe das Schiff Thorfins und der Roten Korsarin erkennen. Die Wolken rissen auf, die Sonne erschien. Ein blauer, strahlender Himmel wölbte sich über der flaschengrünen See, und der Wind stand günstig.

Mit schäumender Bugwelle pflügten die „Isabella“ und der schwarze Segler durch das Meer nach Süden, dem Äquator entgegen …

Seewölfe Paket 5

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