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10.

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Chanos Gewand war aus dunkelgrünem Samt und reichte fast bis auf den Boden. Auf den Aufschlägen und auf dem Rückenstoff waren stilisierte Krokodile aufgestickt, die Symbole der Alligator-Jäger. Mit diesem und ähnlichem Mummenschanz beeindruckte und beherrschte der schwarzbärtige Spanier die einfältigen Indianer. Sie beteten ihn an und befolgten seine Befehle – kompromißlos.

Den samtenen Umhang hatte Chano jetzt geöffnet, um sich mit dem Indianermädchen auf dem Tisch zu befassen. Lange genug hatte er sie gestreichelt und geküßt.

„Komm, Querida“, flüsterte er ihr zu. „Jetzt wird es ernst.“

Kichernd rutschte sie vor ihm fort. Die Musik des Flötenspielers und des Trommlers wurde immer wilder, leidenschaftlicher, schriller.

„Komm her“, sagte Chano.

Aber dann wurde es wieder nichts aus seinen brutal erzwungenen Intimitäten, denn die Tür flog auf und knallte gegen die Innenwand und ein Krokodilmann schrie: „Die Fremden – sie sind in der Zitadelle!“

Gleichzeitig begannen draußen Schüsse zu krachen. Sie wurden auf den beiden Innenhöfen der Feste abgegeben. Ihr Donnern wehte gegen die Mauern des Hauptgebäudes an, wallte daran empor, drang durch Fenster und Türen und dröhnte in Chanos Ohren.

Er taumtelte. „Was – ihr – die Jaguare, warum haben die Jaguare diese Hunde nicht zerfleischt?“ Er brüllte es.

„Die Jaguare sind tot!“ rief der Krokodilmann verzweifelt.

Die Musik kreischte und hämmerte in Chanos Geist, das Krachen der Schüsse nahm zu, vermischte sich mit dem Heulen und Trommeln und geriet zu einem infernalischen Konzert.

Chano preßte die Hände gegegen die Ohren und brüllte: „Nein! Nicht das! Nicht mir! Zu den Waffen, ihr Kanaillen! Schlagt sie zurück!“

Die Mädchen wichen von ihm fort. Chano raffte die Säume seines Gewandes zusammen, rannte los und griff sich seine Waffen, die auf einem Regal lagen. Hastig band er sich sein Wehrgehänge um, stopfte sich eine Pistole hinein und lief hinaus, an den benebelten Musikanten und dem entsetzten Krokodilmann vorbei auf den Gang hinaus.

Er stürmte zum vorderen Innenhof. Feuerschein erhellte die Nacht, Gestalten rannten auf und ab, hin und her, nur schwer waren Freund und Feind zu unterscheiden, aber dann traf Chano seine erschütterndste Feststellung.

Die Fremden, wer immer sie auch waren, hatten die Sklaven der Galeasse befreit, und jetzt kämpften sie gemeinsam und drängten die Krokodilmänner zum Haupttor zurück. Flüche wurden ausgestoßen, Chano vernahm Zurufe auf italienisch, auf spanisch und in einer dritten Sprache: englisch.

„Da!“ schrie einer dieser Männer. „Da ist er, der Oberhalunke!“

Ein paar der Gegner drehten sich um und feuerten sofort auf ihn. Eisenkugeln und gehacktes Blei raste im Aufblitzen der Mündungsfeuer auf Chano zu. Er ging in Deckung. Hinter einem Pfeiler wartete er, bis die Ladungen vorbeigestrichen waren, dann schoß auch er.

Aber er traf nicht. Das Trappeln von Schritten verriet ihm, daß sie nahten, um ihm endgültig den Garaus zu bereiten.

Er hastete auf dem Gang zurück und wollte den südlichen Innenhof aufsuchen – prallte aber auch hier zurück, weil sich seinen Augen eine ähnliche Situation darbot.

Das Kräfteverhältnis mochte ungefähr gleich sein – fünfzig bis sechzig Weiße gegen sechzig Assurini-Indianer. Doch die Fremden und die erlösten Gefangenen hatten die Waffenkammer aufgebrochen und ausgeraubt. Es mußte so sein, wie anders konnten sie über ein solches Arsenal und so viel Munition verfügen!

Chano schreckte zurück.

Er steckte in der Klemme. Aber eine Lösung blieb ihm noch. Er hastete wieder ins Zentrum des Hauptgebäudes, um diesen Plan in die Tat umzusetzen.

Der große Wehrturm! Er erreichte den Aufstieg, bevor die Feinde von beiden Seiten heran waren und ihn einkesselten. Wie von Sinnen hetzte er die Wendeltreppe hoch. Oben waren zwei Schiffsgeschütze der Galeasse aufgestellt – Minions, Vierpfünder. Die Sklaven hatten sie mühsam heraufschleppen müssen. Jetzt konnte Chano sie, wenn er einiges Geschick aufbot, mit den Mündungen nach unten richten und Kugeln zwischen die Gegner setzen, die diese Bastarde zerfetzen würden. Zwei, drei Geschosse genügten, und die Panik war perfekt!

Er war die Treppe halb hochgestürmt, da ertönte von oben ein gewaltiges Donnern. Der Turm schien zu wackeln, die Treppe zu beben – jemand hatte vor ihm eins der Geschütze gezündet!

Chano schlich trotzdem weiter. Pulverqualm schob sich ihm in Schwaden entgegen, drang in seine Atemwege, breitete sich beißend darin aus. Er schaffte es, trotzdem nicht zu husten.

Dieser geheimnisvolle Schütze, war das einer seiner Männer oder ein Gegner? Einigen Krokodilmännern hatte Chano gezeigt, wie man eine Kanone lud und zündete. Gewiß, sie hatten eine heilige Furcht vor Feuerwaffen, aber jetzt, in der Stunde der höchsten Gefahr, mochten sie von ihrem Wissen Gebrauch gemacht haben.

Chano gelangte auf der oberen Turmplattform an.

Der Schütze an dem einen Vierpfünder war ein riesiger schwarzhaariger weißer Mann. Viel Kleidung hatte er nicht auf dem Leib, aber seine Füße steckten in langschäftigen Stiefeln. Sein Rücken war zerkratzt, das sah Chano ganz deutlich im Mondlicht.

Jaguartatzen, dachte er, Krallen, die dich zerreißen sollten, du Hund!

Während er das dachte, zog er langsam seinen Degen. Der Fremde hielt ihm den Rücken zugewandt. Chano konnte sich anpirschen. Er hob den Degen zum vernichtenden Hieb.

In diesem Augenblick wirbelte der Schwarzhaarige herum. Der Degen flog ihm aus der Scheide heraus in die rechte Faust, die Klinge blitzte im weißlichen, kalten Licht und klirrte von unten herauf gegen Chanos Waffe. In einer glänzenden Parade drängte er den Spanier ein Stück in Richtung auf die Treppe zurück.

„Zu früh gefreut, Chano!“ rief er. „Ich habe deine Schritte knirschen hören. Nicht nur ein Jaguar hat gute Ohren.“

Chano setzte sich erbittert zur Wehr. „Fahr zur Hölle! Wer bist du?“

„Philip Hasard Killigrew. Mann nennt mich den Seewolf.“

„El Lobo del Mar“, stieß Chano außer sich vor Haß hervor. „Ausgerechnet der! Du wirst keine Kanonenkugel mehr gegen meine Leute abschießen, das schwöre ich dir!“

Hasard grinste, und in seinen eisblauen Augen tanzten tausend Teufel wie verrückt. „Du irrst dich. Ich habe nur ein Signal abgegeben. Für meine beiden Schiffe. Sie haben sich allmählich flußabwärts getastet, befinden sich kurz vor dem überwachsenen Einlaß des Seitenarmes, und meine Mannschaften wissen jetzt, daß sie die Wachen an den drei Quebracho-Bäumen und der Lagune der Ibisse niedermachen und zum Durchbruch anrücken können.“

„Sie werden also gleich hier sein …“

„Worauf du dich verlassen kannst, Chano.“ Hasard kreuzte zweimal die Klinge mit dem Degen des Gegners, dann unternahm er eine kurz angesetzte, rasende Attacke.

Aber Chano wehrte sie ab. Der Rotwein hatte seine Sinne nicht getrübt, er war hellwach und höllisch auf der Hut. Vor allem achtete er darauf, daß ihm niemand in den Rücken fallen konnte. Er focht und tänzelte dabei so zur Seite fort, daß Hasard allmählich an den Treppenaufgang gelangte.

„Du wirst das Aufkreuzen der Schiffe nicht mehr erleben!“ rief Chano.

„Leere Drohungen“, gab Hasard zurück. „Zu mehr bist du nicht fähig – Gottherrscher.“

Vom Fluß her klang jetzt Donnergrollen auf. Es rollte heran und wurde von den Seewölfen, den Piraten und den Venezianern unten in den Höfen mit lautem Beifallsgebrüll quittiert. Immer noch brandete der Kampf gegen die Assurini hin und her.

„Du!“ brüllte Chano den Seewolf an. „Wie kannst du das alles so genau geplant und kalkuliert haben? Wer bist du wirklich?“

„Montanellis Rächer …“

Chano prallte zurück, fing sich aber sofort wieder. „So ist das also. Jetzt verstehe ich alles. Du und deine Männer, ihr habt diesen Hund gefunden. Und ich dachte, er sei längst tot.“

Er stand dicht vor einer wuchtigen Zinne. Sein Mantel bauschte sich im Nachtwind, seine schwarzen Haare wurden zerzaust. Er setzte sich erbittert gegen Hasard zur Wehr und konnte ihn immer wieder zurücktreiben. Über die Schultern des Gegners weg sah er jetzt die beiden Schiffe, die mit prall geschwellten Segeln den Seitenstrom entlangglitten. Eine Galeone mit flachen Kastellen und drei hohen Masten! Ein schwarzes Schiff, viermastig, eigenartig konstruiert, düster und unheimlich wie die Finsternis des Regenwaldes.

Wieder böllerten die Kanonen beider Schiffe los. Weiße Qualmwolken standen vor den Stückpforten und breiteten sich langsam über der funkelnden Wasserfläche aus. Es krachte und hämmerte gegen die trutzigen Mauern der Zitadelle.

„Sie bringen deine eigenen Leute um!“ schrie Chano schrill. „Diese Narren!“

Hasard lachte auf. „Nein. Ben Brighton und Siri-Tong jagen deinen Indianern nur einen gehörigen Schrecken ein, im übrigen halten sie mit den Geschützen tief genug, um niemanden ernsthaft zu gefährden. Gleich vereinnahmen sie die Galeasse, Chano.“

„Das nützt euch nichts!“

„Chano, es ist aus“, sagte Hasard eindringlich. „Gib auf, bevor es ganz zu Ende für dich geht.“

„Niemals!“ brüllte Chano, und es lag all sein Haß und seine Verzweiflung in diesem gellenden Schrei.

Er war ein ausgezeichneter Degenfechter, dieser Spanier. Mehrfach brachte er Hasard ernsthaft in Bedrängnis. Einmal drängte er ihn soweit auf eine Schießscharte zwischen zwei Zinnen zu, daß Hasard die Balance zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen drohte.

Aber Hasard konnte sich mit einem Ruck nach rechts werfen. Chanos Degen stach zu, dorthin, wo der Feind eben noch gestanden hatte, die Klinge scharrte mit häßlichem Geräusch über den Stein.

„Hasard!“ rief jemand von der Turmtreppe aus. Es war Thorfin Njal.

„Zurück“, antwortete der Seewolf. „Chano und ich, wir tragen das hier allein aus.“

„Sehr vernünftig“, gab der Spanier hämisch zurück. „So eine Einstellung lobe ich mir, Lobo del Mar. Was hat Montanelli dir noch erzählt? Er floh, dieser Hurensohn, und meine Häscher fanden ihn nicht wieder. Wer hat ihm geholfen, aus der grünen Hölle zu entwischen? Die Amazonen etwa?“

„Nein.“ Hasard sagte ihm, was sich weiter unten am großen Strom zugetragen hatte – wie sie von den beiden Spähern angegriffen worden waren, wie die zwei Selbstmord begangen hatten, wie sie Montanelli in dem Reetboot entdeckt hatten.

„Ihr Bastarde!“ zischte Chano. „Aber Montanelli lebt nicht mehr lange mit dem Giftpfeil im Fleisch. Ja, ihr habt ihn ihm herausgezogen, aber das Gift zirkuliert schon in seinem Leib.“

„Er hat El Dorado gesehen, Chano.“

„Unmöglich …“

„Er hatte zwei Lederbeutel mit Goldschmuck bei sich.“

„Betrug!“ stieß Chano leidenschaftlich aus, dann: „Ich glaube es nicht. Und wenn es ein El Dorado gibt, so müßte ich, der Herrscher vom Amazonas, als erster davon erfahren haben, und mir allein stünde es zu, diesen Ort zu entdecken!“ Ein irres Flackern hatte von Chanos Augen Besitz ergriffen, er stand starr und hielt den Kopf weit zurückgelehnt. Sein Mund war halb geöffnet.

„Verbrecher“, sagte Hasard. „Wahnsinniger, Verführer der Indianer. Dir gebührt nur eins – der Tod.“

„Stirb!“ schrie Chano. Er stürzte vor und wollte Hasard den Degen in den Unterleib rammen. Aber Hasard hatte schon lange mit dieser Offensive gerechnet. Er ließ die Degenklinge hochschnellen, drückte Chanos Waffe nach oben und fegte sie mit einer flinken Armdrehung zur Seite weg. Er unterlief Chanos erneuten Angriff, holte aus – und seine Klinge bohrte sich in das Herz des Gegners. Chanos Gesicht war plötzlich von ungläubigem Entsetzen gezeichnet. Hasard riß ihm die Klinge mit einem heftigen Ruck wieder aus der Brust und wartete auf eine neue, noch irrsinnigere Aktion des Mannes.

Doch Chano ließ nur seine Waffe fahren. Sie landete scheppernd auf dem Steinplattenboden der Plattform. Taumelnd bewegte er sich rückwärts.

Er strauchelte, als sein Fuß die Umrandung der Plattform traf, kippte nach hinten über, genau durch eine der Schießscharten, verlor gänzlich das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe. Ein letzter langgezogener Schrei war das Signal, das die Kämpfenden unten auf dem Hof innehalten und herumfahren ließ.

Sie sahen, wie Chano niederstürzte, und wichen auseinander.

Hasard schloß unwillkürlich die Augen, als er den harten Aufprall vernahm. Chano lag zerschmettert auf dem Hof der Zitadelle. Und plötzlich fielen keine Schüsse mehr.

Thorfin Njal erschien im Treppenaufgang. „Die Krokodilmänner geben auf“, sagte er. „Ihr Gott ist vernichtet, sie wissen nicht mehr, wofür sie kämpfen sollen.“

„Und er selbst hat ihnen den Glauben an Chano, den Allmächtigen, genommen“, fügte der Seewolf hinzu. „Ein Gott stirbt nicht, nicht wahr, Thorfin?“

„Beim Odin, so ist es!“

Hasard blickte zu den Schiffen. „Ich muß so schnell wie möglich zu Montanelli, Thorfin. Er wird überglücklich sein, wenn er meine Nachrichten hört. Und noch etwas …“

„El Dorado?“

„Ja, El Dorado.“ Hasard spürte wieder, welch überwältigende Wirkung allein der Name auf ihn ausübte. Gleichzeitig fragte er sich, ob er nicht doch schon zu spät kam und sich nur noch vor dem Leichnam des Italieners bekreuzigen konnte.

Seewölfe Paket 5

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