Читать книгу Seewölfe Paket 5 - Roy Palmer - Страница 40

5.

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Zunächst hatten Hasard, Ferris, Thorfin und Eike einige Schwierigkeiten, dem Ara zu folgen. Der Seewolf bemühte sich vor allen Dingen, bei aller Anstrengung und Plackerei nicht die Himmelsrichtung aus dem Gedächtnis zu verlieren.

Sie wandten sich nach Nordwesten.

Die Dämmerung sank tief und tiefer über die „Santa Maria do Mar Dulce“, wie die Spanier den Amazonas nannten. Das mühselige Wandern der Männer durch das Dickicht lief nicht ohne Murren und Fluchen ab. Zu der Behinderung, die das mangelnde Licht darstellte, und dem ewigen Kampf mit dem Wildwuchs der Pflanzen gesellte sich nun auch die Insektenplage. Bei Dunkelwerden wurden diese Biester noch aktiver als bei Tag. Sie umschwärmten Hasard und seine Männer, hüllten sie ein und setzten ihnen zu.

Immer wieder verscheuchten die Männer sie durch Schlagen und Rudern mit den Armen.

„Der Teufel soll dieses Viehzeug holen“, stieß Ferris Tucker aus. „Ich versteh einfach nicht, wie Menschen in dieser Hölle leben und auch noch zufrieden sein können.“

„Wer ihre Gesetze lernt, paßt sich an und empfindet die Natur als Schutz“, sagte Thorfin Njal.

Hasards rothaariger Schiffszimmermann blickte über die Schulter zu ihm zurück. „Fein hast du das gesagt, Wikinger. Du bist ein richtig weiser Kopf. Hast du auch eine Ahnung, wie weit es noch zu dem Fleck ist, an den die Teufelsweiber Carberry und die anderen drei verfrachtet haben?“

„Nein, keine Ahnung.“

„Seid mal still“, sagte Hasard. Er hob den Kopf. Sir John hatte er aus den Augen verloren, doch er hörte sein Krächzen ein Stück vor sich. Nur wenn in Kürze das ohrenbetäubende Konzert sämtlicher Urwaldvögel einsetzte, konnte ihn der Ara mit seinen Lauten nicht mehr leiten.

Sie stapften weiter voran.

Hasard blieb plötzlich stehen, bückte sich und sagte: „Halt, hier beginnt so etwas wie ein Pfad. Wie die Amazonen ihn angelegt haben und wieso er nicht wieder zuwuchert, kann ich mir nicht erklären. Aber ich bin sicher, daß er nicht erst heute abend entstanden ist. Ich glaube, wir haben den Weg zum Dorf der Frauen gefunden.“

„Na, ist ja prächtig“, raunte Ferris. „Sag mal, verschleppen die Amazonen eigentlich nur Männer?“

Hasard sah zu ihm auf. „Karl von Hutten sagte mir mal, sie hätten einen besonderen Haß auf alle fremden Frauen. Rivalinnen dulden sie in ihrem Gebiet nicht.“

„Die Rote Korsarin wäre also am meisten gefährdet. Jetzt verstehe ich, warum du sie nicht mitnehmen wolltest.“

„Ja“, sagte Hasard. „Weiter jetzt.“

Sie huschten geduckt über den Pfad, der fast schnurgerade quer durch den Busch führte. Sir John tauchte jetzt wieder über ihren Köpfen auf. Immer noch konnten sie ihn sehen. Er war kein Nachtvogel, dessen Gefieder am Abend mit der Dunkelheit verschmolz.

Nach etwa einer halben Meile stoppte Hasard so plötzlich ab, daß Ferris ihn glatt rammte. Sie fluchten beide.

„Was ist denn jetzt wieder los?“ Ferris rieb sich die Schulter; der Aufprall war wirklich hart gewesen.

„Tut mir leid, Ferris, aber der Pfad verbreitert sich.“

„Und?“

„Das ist mir nicht geheuer.“

„Mann …“

„Warte mal ab“, raunte der Seewolf ihm zu. „Vielleicht kapierst du gleich, was ich meine.“ Er ging in die Hocke, drehte sich halb und blickte zu Thorfin und Eike zurück. „Seht mal nach, ob ihr einen schweren Stein findet. Na los, nun macht schon.“ Er streckte verlangend die Hand nach hinten aus.

Ferris hatte ebenfalls den Kopf gewandt und präzisierte auf Thorfin Njals fragenden Blick hin: „Einen Stein, den man schmeißen kann natürlich, du behelmter Nordpolaffe.“

Eike schaltete sehr schnell und entdeckte auf sein Tasten hin einen platten Stein. Er zerrte ihn aus dem Dickicht hervor. Zuerst vergewisserte er sich, daß weder Schlangen noch sonstiges Viehzeug daran hafteten, dann reichte er den Brocken an Hasard weiter.

Hasards Miene war grimmig. Ferris musterte ihn von der Seite. Er schien ihn verstanden zu haben. Hasard schleuderte den Stein mit einem Ruck zwei, drei Yards vor sich auf den Urwaldpfad.

Und dann geschah es.

Der Stein landete auf dem Untergrund. Die Männer konnten es im ausklingenden Dämmerlicht gerade noch erkennen. Aber er blieb nicht liegen, er sackte gleich noch tiefer. knisternd und knackend gab der Boden unter ihm nach.

„Noch eine Fallgrube“, hauchte Ferris im ersten Entsetzen. Dann grollte seine Stimme: „O verdammt, wenn ich auch nur eins von diesen Weibsbildern zu fassen kriege, versohle ich ihr als erstes den nackten Hintern.“

Hasard wies stumm in die Grube. Holzpfähle ragten vom Grund auf, armdicke, am oberen Ende zugespitzte Pflöcke. Hasard zählte sie nicht, aber nach seiner Schätzung waren es mindestens ein Dutzend.

„Beim Odin“, sagte Eike. „Wir wären glatt aufgespießt worden, wenn der Seewolf nicht aufgepaßt hätte.“

„Langsam wird mir klar, daß wir die Amazonen-Gefahr von Anfang an unterschätzt haben“, murmelte Ferris.

„Frauen oder nicht, die kaufen wir uns, wenn sie Carberry und die drei anderen umgebracht haben“, sagte Thorfin Njal. Und er meinte es so, wie er es ausdrückte. Jedes Wort.

Hasard blickte zu ihm. „Wenn die Amazonen unsere Männer hätten töten wollen, hätten sie das gleich an Ort und Stelle erledigt. Carberry, Matt, Bob und Bill leben noch.“

Er redete es sich immer wieder ein.

Sir John war verschwunden. Das schrille Konzert der Papageien und der tausend anderen Arten von Urwaldvögeln, der Gralhas, der Tukane, der Trompetenvögel, hatte eingesetzt und begleitete die kleine Expedition auf ihrem Weg.

Hasard, Ferris und die beiden Wikinger hatten sich an der Fallgrube vorbeigedrückt und folgten dem Verlauf des wieder schmaler werdenden Pfades. Die Dunkelheit hatte sich wie ein großes, unheimliches Schattenwesen im Regenwald ausgebreitet. Eike schleppte eine kleine Pechfackel in seiner Ausrüstung mit, aber sie wagten nicht, sie anzuzünden.

So tasteten sie sich, mehr dem Instinkt als einer klaren Orientierung folgend, voran.

Hasard verharrte wieder. Stumm wies er auf den Wasserlauf, der urplötzlich die stickige Fülle des Dschungels unterbrach.

„Ein kleiner Nebenfluß“, sagte Ferris.

„Aber breit genug als Hindernis für uns“, fügte Thorfin Njal mißmutig hinzu.

Hasard wandte sich nach links, also flußaufwärts. Er hatte etwas entdeckt. Vorsichtig, immer darauf bedacht, nicht abzugleiten, schob er sich an dem dicht überwucherten Ufer entlang.

Wenig später balancierte er als erster über den Baumstamm, der an dieser Stelle quer über dem Nebenfluß lag. Er bezweifelte keinen Augenblick, daß die Amazonen ihn so geschickt gefällt hatten, daß er als Brücke diente. Und er glaubte auch fest daran, daß sie vor kurzem den bewußtlosen Carberry, Matt Davies, Bob Grey und Bill hier herübertransportiert hatten.

Hasard turnte auf das gegenüberliegende Ufer zu. Er rechnete damit, von den Amazonen überfallen zu werden. Trotz der Dunkelheit befanden sie sich auf dem Baumstamm wie auf einem Präsentierteller. Der Mond goß fahles Licht über die Erde, das von den kleinen Wellen des Nebenarmes schillernd reflektiert wurde.

Schwarze, längliche Schemen schoben sich unter der Behelfsbrükke hin und her. Kaimane. Hasard wandte sich kurz um und wollte die Männer warnen.

Ferris Tucker schritt dicht hinter ihm, es folgte Thorfin Njal und dann Eike.

Hasard sah, wie Eike plötzlich ins Taumeln geriet. Er hob die Arme und bewegte sie, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, aber es glückte ihm nicht. Er glitt ab.

Hasards gedämpfter Ruf alarmierte Thorfin Njal. Dieser fuhr sofort herum – und kriegte Eike am Arm zu fassen. Beide schwankten sie jetzt, rangen praktisch mit sich selbst. Thorfin konnte Eikes Abrutschen zwar bremsen, aber sie drohten nun beide ins Wasser zu kippen.

Und unter ihnen versammelten sich die Kaimane und öffneten bereits ihre zahnbewehrten Rachen.

Ferris bewegte sich zurück. Sein Einsatz war aber nicht mehr nötig. Die beiden Wikinger hatten sich gefangen und atmeten auf.

„Alles in Ordnung?“ fragte Hasard.

„Alles“, erwiderte Thorfin Njal.

„Dann weiter!“ Hasard huschte von dem umgekippten Baum auf das Ufer und trieb mit dem Cutlass eine Lücke ins Unterholz. Er konnte seine Hast und Ungeduld nicht zügeln.

Die Amazonen hatten sich wider Erwarten nicht gezeigt, aber er wertete es nicht positiv. Sie waren wie vom Wald verschluckt, doch die grüne Hölle hatte tausend Augen und Ohren. Sicherlich war dieses passive Verhalten der Frauen, dieses stumme Dulden, ein Teil ihrer Taktik.

Kurze Zeit später hatten sie den Pfad wiedergefunden. Er führte auf dem Verlauf der alten Strecke weiter, ob nach Norden, Nordwesten oder Nordosten, vermochte der Seewolf nicht zu sagen.

Etwa eine Viertelmeile schlichen sie weiter voran. Das Geschrei der Urwaldvögel verebbte. Ruhe trat ein, fast Totenstille. Sie behagte den Männern noch weniger als der Lärm zuvor.

Finsternis herrschte unter dem Blätterdach, doch hier und da drang immer wieder ein Streifen Mondlicht durch. Hasards Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt.

So gewahrte er die eigenartige Erhebung, die sich unversehens vor ihm auf dem Pfad abzeichnete. Eine Art Buckel – und er wäre glatt daraufgetreten, wenn er nicht so mißtrauisch gewesen wäre.

„Stehenbleiben“, zischte er den anderen zu.

Er duckte sich, streckte den Cutlass weit vor und tippte den Erdbuckel mit der Klingenspitze an. Er drückte darauf. Das Gebilde wippte elastisch. Eine Vermutung durchzuckte Hasard: gut möglich, daß sich ein Geflecht aus Lianen darunter verbarg!

Und dann warfen sie sich alle vier der Länge nach auf den Bauch. Aus dem Busch surrte etwas heran. Ferris Tucker fluchte leise, etwas prasselte quer über den Pfad, rammte sich in Baumstämme und blieb vibrierend darin stecken.

„Speere“, sagte Eike heiser.

„Bei allen Göttern“, stieß Thorfin Njal hervor.

„Himmelarsch“, zischte Ferris Tucker. „Noch zwei, drei Schritte weiter, und wir wären von den Dingern durchbohrt worden. Das haut doch dem Faß den Boden aus.“

„Eins steht fest“, sagte Hasard. „Die Amazonen haben ein ganzes System von Fallen angelegt, um ihren Schlupfwinkel zu schützen. Ich frage mich, wieviele Eindringlinge sie auf diese Weise wohl schon umgebracht haben.“

Ferris grinste säuerlich. „Vor allen Dingen wird es wohl Spanier erwischt haben. Zum Beispiel die Leute, die seinerzeit Chano durch den Dschungel begleiteten. Er soll doch als einziger seine Haut gerettet haben.“

„Also, ich hab nichts dagegen, daß diese Weiber die Spanier abmurksen“, sagte Thorfin Njal aus dem Dunkel hinter ihnen. „Nur wenn sie uns einen tödlichen Streich spielten, würde es mir mächtig gegen den Strich gehen.“

„Du alter Nordpolaffe“, sagte Ferris. „Zurr deinen dämlichen Helm fester, ich hab das Gefühl, es wird bald echt brenzlig.“

„Hör zu, du Klamphauer …“

„Ruhe“, sagte Hasard. „Habt ihr vergessen, warum wir hier sind?“

Er erhob sich, drängte sich an den immer noch leicht bebenden Speeren in den Baumstämmen vorbei und führte seinen Trupp weiter. Eike riß einen der Speere aus dem Baumholz. Er befühlte die Spitze nur ganz behutsam mit der Fingerkuppe.

„Nadelspitz“, sagte er.

Nach Ablauf von etwa einer halben Stunde fanden sie sich erneut auf einem verbreiterten Pfad wieder. Hasard war argwöhnisch wie nie zuvor. Er pirschte voran und hielt dabei nach allen Seiten Ausschau. Bisher hatten sie die Fallen der Amazonen glimpflich hinter sich gebracht, doch das hieß noch lange nicht, daß sie gegen weitere Überraschungen gefeit waren.

Im Gegenteil. Eine Zeitlang war jetzt kein mörderisches Hindernis mehr aufgetaucht. Das konnte Berechnung sein. Die Amazonen waren schlau. Sie wollten sie in Sicherheit wiegen – und dann über sie herfallen.

Über den vier Männern war eine Bewegung. Hasard schaute hoch. Etwas flatterte über sie weg. Er hatte gedacht, Sir John hätte zu ihnen zurückgefunden, doch es handelte sich um einen Vampir, einen der fledermausähnlichen Blutsauger des Amazonasgebietes.

Weiter, dachte Hasard, weiter.

Etwas später vernahmen sie gedämpfte Klänge. Musik. Und dazwischen Frauenstimmen. Trommeln wurden geschlagen, Flöten geblasen und irgendwelche Saiteninstrumente gezupft. Die Frauen hatten einen eigentümlichen Gesang dazu angestimmt.

„Na endlich“, flüsterte Ferris. „Wir sind ihrem Dorf nahe.“

„Größte Vorsicht jetzt“, mahnte Hasard. „Und verhaltet euch so leise wie möglich.“

Er strebte voran, von dem Wunsch beseelt, die Männer seiner Crew lebend vorzufinden und befreien zu können. Wahrscheinlich – nein, ganz bestimmt waren sie weiter vorangelangt als alle anderen Entdecker. Sicherlich hatte noch kein Weißer freiwillig seinen Fuß in das Dorf der Amazonen gesetzt.

Carberry, Matt, Bob, Bill. Mischte sich nicht soeben eine männliche Stimme zwischen das wabernde Tönen der Instrumente und Sängerinnen? Hasard war mehr denn je überzeugt, seinen Männern ganz nahe zu sein.

Über ihm war wieder ein Flattern, ein Huschen, aber er schenkte ihm diesmal keine Beachtung. Auch Ferris und die beiden Wikinger schauten nicht auf. Die Vampire oder Nachtvögel, die da über sie hinwegzogen, interessierten sie nicht.

Genau das war ihr entscheidender Fehler.

Etwas hatte sich aus den Baumkronen über ihnen gelöst und senkte sich auf sie nieder. Bevor sie reagieren konnten, sauste es ganz auf ihre Rücken hinunter und setzte sie gefangen.

Hasard drehte sich abrupt um, verhedderte sich dadurch aber nur noch mehr. Bestürzt erkannte er, was auf ihnen lastete: ein geflochtenes Netz aus Lianen.

Das Überraschungsmoment war verschwunden. Hasard hob den Cutlass, um damit eine Lücke in das teuflische Fangnetz zu säbeln. Aber in diesem Augenblick brach das Verhängnis erst richtig über ihn und die Männer herein.

Frauengelächter wurde laut. Gleichzeitig prasselten schwere, harte Gegenstände auf die vier Männer nieder: Steine.

„Verflucht und zugenäht“, stieß Ferris Tucker noch aus. Dann traf ihn ein Stein am Kopf, und er sank besinnungslos neben seinem Kapitän zusammen.

Thorfin Njal feuerte seine Muskete in die Luft ab. Es krachte dumpf, eine rotgelbe Feuerlanze stanzte einen Schnitt in den Vorhang der Nacht. Kein Schrei verkündete, daß der Wikinger getroffen hatte. Aber ein faustgroßer Stein knallte auf seinen Kupferhelm nieder, daß es nur so schepperte, und dann schrammte ein zweiter Brocken scharf über seine Wange und rammte sein Kinn.

Er ließ die Muskete fallen, stand aber noch aufrecht.

Eike wollte ebenfalls schießen. Er hatte die Muskete schon angelegt. Keine Rücksichtnahme auf Frauen, die wie Männer kämpften.

Hasard zerschnitt das Lianennetz.

Der Steinschlag riß ab, aber etwas anderes huschte auf sie nieder. Hasard wurde sofort am Hals getroffen. Es stach und brannte in seiner Haut, und er begriff. Die Amazonen hatten Blasrohre zur Hand genommen und kleine Pfeile auf sie abgeschossen.

Wie durch einen Schleier sah Hasard noch, daß Thorfin und Eike zusammensackten. Dann schwanden auch ihm die Sinne.

Mit Blasrohrpfeilen hatte er bereits unangenehme Bekanntschaft geschlossen. Auf der Insel Little Cayman hatten ihn die beiden letzten Wächter des Götterauges damals mit einem Betäubungspfeil außer Gefecht gesetzt.

Ehe er von der Ohnmacht übermannt wurde, sagte sich der Seewolf noch, daß der Pfeil diesesmal mit tödlichem Gift präpariert sein konnte.

Seewölfe Paket 5

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