Читать книгу Seewölfe Paket 5 - Roy Palmer - Страница 37
2.
ОглавлениеAls der Morgen sein Nahen mit blaßgrauem Licht ankündigte, hatte der Seewolf sämtliche Vorkehrungen für den Aufbruch abgeschlossen. Seine traurigste Pflicht war es gewesen, Montanellis Leichnam an Land schaffen zu lassen. Er war in der Zitadelle aufgebahrt worden. Die Männer der Galeasse würden dafür sorgen, daß er ein christliches Begräbnis erhielt.
Frischfleisch, Mehl, Zucker, Salz, Speckseiten, Eier, Brot, Gemüse, ganze Gänse und wilde Truthähne befanden sich jetzt an Bord der „Isabella“ und des schwarzen Seglers – und natürlich Fässer mit Süßwasser und Wein. Insgesamt handelte es sich bei dem übernommenen Proviant um etwa die Hälfte der Vorräte aus Chanos Festung.
Hasard hatte einige Hoffnung, daß die Nahrungsmittel diesesmal nicht sofort verderben würden. Della Latta hatte ihm gesagt, die Aussurini verfügten über Konservierungsmittel, die sie aus Kräutern des Regenwaldes gewannen. Alle Eßwaren und sogar das Wasser waren damit präpariert.
In der Zitadelle hatten die drei Schiffsführer Hasard, Siri-Tong und Della Latta schließlich auch die von Chano gehorteten Raubgüter in Augenschein genommen. Es handelte sich um eine stattliche Anzahl von Truhen mit Perlen, Schmuck und Diamanten, um Goldbarren und Silber. Aber der Seewolf und die Rote Korsarin hatten auf ihren Anteil verzichtet.
Hasard stand auf dem Achterdeck seiner „Isabella“ und blickte zu den beiden Booten hinüber, die jetzt, im Morgengrauen, zu ihm herübergepullt wurden. Beide gehörten zu der venezianischen Galeasse. Die eine hatte soeben direkt von dem schweren Schiff abgelegt, die andere hatte schon kurz vorher einen Abstecher an Land unternommen.
Della Latta befand sich an Bord des von der Galeasse herübergleitenden Bootes.
Lauer Wind umfächelte Hasards Gesicht. Es war sehr früh, und doch lag die stickige Luft schon wieder über dem Wasser, und der Dschungel gab seine Feuchtigkeit in träge aufsteigenden Wolken an die Luft ab. Kein Wind vermochte diese beginnende Schwüle dauerhaft aufzuquirlen.
Es würde wieder sehr heiß werden.
Hasard dachte noch voll Unmut an den Tag zurück, an dem ihre sämtlichen Vorräte verdorben waren – wegen des unerträglichen Amazonas-Klimas. Sie hatten wohl oder übel das Delta anlaufen müssen, obwohl er das ursprünglich nicht geplant hatte. Auf der Suche nach Verpflegung und Süßwasser waren sie auf die beiden Späher Chanos gestoßen, dann auf den armen Montanelli. Damit hatte das ganze Abenteuer begonnen.
Während die beiden Boote der Galeasse längsseits der „Isabella“ gingen und an ihrer Bordwand entlang-schoren, blickte Hasard zu Siri-Tong hinüber. Er winkte ihr zu.
Sie grüßte lachend zurück. Heute trug sie wieder diese verdammte rote Bluse, die nur durch einen Knoten über dem Bauchnabel zusammengehalten wurde und mehr preisgab, als sie verhüllte.
Mit ihr hatte Hasard sich längst abgesprochen, und Siri-Tongs Zeichen bedeutete nun: Ich bin bereit, wir können ankerauf gehen!
Della Latta war mit ein paar Gefolgsleuten aufgeentert. Er wechselte ein paar Worte mit Carberry, dann stieg er zu Hasard aufs Achterdeck.
„Hast du dein Schiff ausführlich inspiziert?“ fragte ihn Hasard.
„Ja. Chano hat die Galeasse in Schuß gehalten“, erwiderte der magere Mann. Er lächelte unter seinem Bartgestrüpp. „Sie ist seetüchtig, aber es fehlen die Ruderer. Nun, die Assurini sind bereit, den mangelnden Teil der Besatzung zu stellen. Wir haben Frieden mit ihnen geschlossen.“
„Ausgezeichnet. Darauf habe ich nur gewartet, Comandante.“
Della Latta streckte die Hand aus. „Danke. Nochmals vielen Dank für alles, was ihr für uns getan habt.“
Hasard ergriff die ihm dargebotene Hand, schüttelte sie und stellte dabei fest, daß trotz aller Entbehrungen immer noch erstaunliche Kraft in diesen knochigen Fingern steckte.
„Schon gut, Mann“, sagte er. Er unterhielt sich auf spanisch mit dem Anführer der Italiener, weil er dessen Muttersprache nicht voll beherrschte. „Aber ich habe ja schon gesagt: Montanelli war der wahre Retter. Wir haben nur unsere Pflicht und Schuldigkeit getan.“
„Hättet ihr uns eigentlich auch herausgepaukt, wenn wir Spanier gewesen wären?“
Hasard schnitt eine säuerliche Grimasse. „Darauf kann ich nichts erwidern, Amigo. Daß wir uns den Dons gegenüber ‚reserviert‘ verhalten, dürftest du ja wohl begriffen haben.“
„Ja.“ Della Latta grinste. „Das zersplitterte Italien ist Philipp II. botmäßig, aber die Republik Venedig hat ihre eigenen Ansichten, trotz der Heiligen Allianz. Und noch etwas. Was ich persönlich tue, bleibt einzig und allein meine Sache.“
„Vorsicht“, mahnte Hasard. „Du entwickelst dich noch zum Freibeuter, Venezianer.“
„Und wenn ich’s tue?“
„Dann versengst du dir den Achtersteven“, sagte Carberry, der in diesem Moment zu ihnen trat. „Ho, du eitler Storch, ich habe die Truhen von deinem zweiten Boot hochhieven und in unseren Frachträumen verstauen lassen, in Ordnung?“
„In Ordnung“, sagte Della Latta lachend.
„He, was für ein Komplott habt ihr da ausgeheckt?“ wollte Hasard wissen. „Profos, bau bloß keinen Mist …“
„Nein, Sir“, sagte Carberry.
Und Della Latta erklärte: „Du hast zwar Chanos Schätze abgelehnt, aber ich habe die kostbarsten Stücke für dich und Siri-Tong herausgesucht und herübergebracht. Die Truhen werden nicht allzu schwer im Bauch deiner ‚Isabella‘ wiegen, Kapitän Killigrew.“
„Das Zeug aus der Feste zu schleppen und in das Boot zu bringen, war ein ordentliches Stück Arbeit“, sagte Hasard leise. „Ich hoffe, daß ihr nicht zu schwach seid, es auch wieder zurückzuschaffen, Della Latta.“
Aber er konnte protestieren, soviel er wollte, es nutzte ihm nichts. Die Truhen blieben an Bord der „Isabella“.
Della Latta wandte sich zum Gehen. „Ich will mich noch rasch von der Roten Korsarin verabschieden“, sagte er. „Und dann habt ihr es sicher eilig, aus dem Amazonas heraus wieder auf die offene See zu gelangen. Ich wünsche euch viel Erfolg und alles Gute, Freunde. Unsere Wege trennen sich hier, aber vielleicht sehen wir uns eines Tages ja doch wieder.“
Hasards Züge waren jetzt geradezu verschmitzt, und in seinen eisblauen Augen tanzten mal wieder die berühmten tausend Teufel. „Darüber wollte ich mit dir gerade sprechen, Della Latta. Wir kehren nicht sofort in den Atlantik zurück.“
„Was?“
„Montanellis Bericht über das sagenhafte El Dorado hat mich neugierig werden lassen. Nenn es, wie du willst, ich habe es mir in den Kopf gesetzt, die goldene Stadt zu finden“, sagte Hasard.
„Mein Gott“, sagte der Kapitän der Galeasse, „das ist doch …“
„Wahnsinn? Was hattest du denn vor, Della Latta? Du solltest den Amazonas erkunden, so weit wie möglich ins Landesinnere hinein. Inzwischen weißt du, daß er ein Fluß und keine Meerenge ist. Die Illusion, einen schiffbaren Weg quer durch die Neue Welt zu entdecken, ist zerstört. Aber dennoch lohnt es sich, diesen verdammten Strom zu erforschen.“
Della Latta hatte dem Vortrag mit weit aufgerissenen Augen gelauscht. „Du – du willst auf Pinzòns und Amerigo Vespuccis Spuren wandeln? Das kannst du mir nicht erzählen.“
„Will ich auch nicht. Aber ein Korsar ist nicht bloß ein Schnapphahn zur See.“
„El Dorado ist eine Sucht!“
„Möglich“, erwiderte Hasard. „Vergiß aber nicht, daß es praktisch Montanellis letzter Wille war, daß ich dieser Sage auf den Grund gehe.“
Der Italiener nickte. „Das leuchtet mir ein. Aber du begehst trotzdem einen Fehler, Kapitän Killigrew. Du selbst hast mir heute nacht erzählt, daß du die Spanier wahrscheinlich schon wieder auf den Fersen hast. Vielleicht dringen sie bis in den Strom ein, um dich zu stellen. Und dann sitzt du in der Falle.“
Hasard fixierte ihn. Die Teufel tanzten immer wilder in seinen Augen. „Das Risiko gehe ich ein.“ Etwas schier Unbegreifliches hatte ihn gepackt. Ja, El Dorado schien mit Ayahuasca, das die Sinne benebelte, vergleichbar zu sein.
Er legte Della Latta die Hand auf die Schulter. „Ich bitte dich um deine Unterstützung. Die Zitadelle stellt eine ausgezeichnete Basis dar. Kein Uneingeweihter wird sie jemals entdecken. Daher mein Anliegen: Bleibt noch eine Weile hier, du und deine Männer, und deckt uns den Rücken, während wir weiter stromaufwärts ziehen. Ist das zuviel verlangt?“
„Absolut nicht. Wir stehen ewig in deiner Schuld, Kapitän Killigrew.“
„Du bist ein feiner Kerl, Della Latta.“
„Aber laß dir gesagt sein …“
Hasard schüttelte den Kopf. „Kein Aber. Setzt jetzt zur Roten Korsarin über, und danach brechen wir endlich auf. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Anfang Mai 1583 auf dem Amazonas – das bedeutete, sich inmitten einer glutigen, wabernden Hölle zu bewegen, umzingelt von den Plagegeistern des Dschungels, verfolgt vom Hauch des Todes. Anfang Mai hätte die Regenzeit im Urwald eigentlich längst eingesetzt, doch es fiel kein Tropfen vom Himmel, und nicht die Spur einer Wolke zeigte sich am Horizont.
Die „Isabella“ und das schwarze Schiff hatten die zugewachsene Öffnung des Nebenarmes hinter sich. Auch die drei hoch aufragenden Quebracho-Bäume und die Lagune der Ibisse, die Zeichen für den Einlaß, lagen weit achtern in ihrem Kielwasser. Für die Crews der beiden Schiffe wurden die Zitadelle und die venezianische Galeasse zu einem Stück Vergangenheit.
Westwärts verlief ihr Kurs. Stromaufwärts. Den ganzen Tag über half ihnen der vom Atlantik aus einfallende heiße Wind voran.
Hasard stand, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, wieder auf dem Achterdeck. Alle Männer hatten sich so weit wie möglich entblößt, viele trugen Hüte und Mützen als Schutz gegen die brennende Sonne.
Siri-Tong in ihrem halbnackten Zustand war eine offene Herausforderung für die Männer auf dem schwarzen Segler. Aber keiner rührte sie an. Erstens, weil Siri-Tong fuchsteufelswild geworden wäre, zweitens, weil sie Thorfin Njal und die anderen vier Wikinger gewissermaßen als Leibwächter zur Seite hatte, drittens, weil der Seewolf glatt von seinem Dreimaster aus herübergepullt wäre, falls sich etwas Derartiges ereignet hätte.
Die Bedingungen, denen sie sich unterwerfen mußten, waren für die Mannschaften gleichsam unmenschlich. Aber sie ertrugen Hitze und Feuchtigkeit und die ewige Bedrohung durch die Schrecken des Stromes und des Dschungels.
Hasard war optimistisch. Er hatte wieder Proviant und Wasser an Bord, außerdem wußte er die Zitadelle als eine Art Nachschub- und Operationsbasis hinter sich. Sicher, Della Latta und die anderen Italiener wären gern zurück in die Heimat oder woandershin gezogen. Doch diesen Gefallen mußten sie ihm tun.
Carberry erschien bei Hasard, Ferris Tucker, Ben Brighton, Shane und Old O’Flynn auf dem Achterdeck.
„Sir“, sagte er. „Wir haben die beiden Jaguarfelle weisungsgemäß auf der Galionsplattform gespannt und mit Gerbmitteln getränkt. Übrigens stinkt dieses Zeug, das uns die Assurini mitgegeben haben, ganz widerlich.“
„Aber es macht die Felle haltbar“, erwiderte Hasard. „Für Jahrhunderte. Die Sonnentrocknung verstärkt diesen Prozeß noch. In Ordnung, Ed. Ach, übrigens …“
„Sir?“
„Der Kutscher soll Bill noch mal untersuchen. Ich will ganz sichergehen, daß er sich bei dem Bad im Fluß nichts weggeholt hat.“
„Wird erledigt.“
Bill hatte sich auf dem Oberdeck der „Isabella“ nicht halten können, als sie die Pororoca ereilt hatte – jene Flutwelle, die die Indianer als „Wolkenwasserlärm“ oder als „das große Brüllen“ bezeichneten. Er war außenbords gestürzt. Hasard hatte ihn aus den Fluten zurückgeholt, danach hatten sie sich die Blutegel abpflükken können.
Lieber die Blutsauger als die Piranhas!
Aber es gab noch andere versteckte, heimtückische Gefahren im Amazonas, nicht nur menschenfressende Fische, Kaimane, Schlangen. Das lehmbraune Wasser konnte lebensgefährliche Krankheiten übertragen.
Bill verschwand im Vorschiff, der Kutscher und der Profos auch. Wenig später erschien Carberry wieder auf dem Achterdeck.
„Keine besonderen Vorkommnisse“, verkündete er. Sir John, der Papagei, hockte auf seiner Schulter und krächzte dazu.
„Soll das heißen, daß Bill gesund und munter ist?“ fragte Hasard mit leicht drohendem Unterton.
„Ja. Sogar ein bißchen zu munter – und zu kiebig.“
„Kein Anflug einer bösartigen Krankheit?“
„Nein, Sir. Nur hinter den Ohren ist das Bürschchen ein bißchen feucht.“
Ben und die anderen konnten sich das Lachen kaum verkneifen. Hasard blieb aber ernst. „Hör zu, Ed, deine Kommentare kannst du dir sparen. Ich lege großen Wert darauf, daß Bill nichts zustößt – und daß ihr beiden euch nicht dauernd kabbelt, verstanden?“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte Edwin Carberry.
Gleich darauf krächzte es: „Himmel, Arsch und Zwirn!“
Hasard stemmte die Fäuste in die Seiten. „Profos – nimm das sofort zurück, oder ich laß dich auspeitschen und in die Vorpiek sperren.“
Carberry bemerkte nicht das vergnügte Blitzen in den Augen seines Kapitäns. Er nahm Hasards Bemerkung ernst und lief sogar dunkelrot an. Mit einer schnellen Handbewegung packte er Sir John am Hals und hielt ihn hoch.
Sir John verschwand fast in Carberrys Pranke. Sein Krächzen erstarb zu einem kläglichen Piepsen.
„Mistvieh!“ brüllte Carberry. „Kannst du dich nicht benehmen? Dir bring ich die Flötentöne bei, darauf kannst du dich verlassen.“ Sein Blick huschte zu Hasard. „Bitte um Verzeihung. Das nächstemal stopfe ich dem Biest sofort das Maul.“
Hasard hielt nur mühsam an sich. „Ed – wer bringt dem Tier denn solche Flüche bei?“
Carberry blickte nach Backbord und nach Steuerbord, dann schaute er bis nach oben in die Takelage der „Isabella“ – und entdeckte den Schimpansenjungen, der wieder mal bei Dan O’Flynn auf dem Rand des Großmarses hockte.
„Arwenack“, sagte er.
„Himmel, Arsch und Zwirn“, krähte Sir John.
Hasard und die anderen brachen in schallendes Gelächter aus. Carberry kratzte sich etwas verwirrt an seinem mächtigen Rammkinn, dann lachte auch er.
Einen Tag später war die allgemeine Heiterkeit in miserable Laune umgeschlagen. Beide Crews waren mürrisch und ungenießbar geworden, und die Stimmung sank immer weiter ihrem Nullpunkt entgegen.
Dabei hatten sie nicht unter der „Pororoca“ zu leiden gehabt, der Gezeitenstrom war normal ausgefallen. Kein Tropengewitter hatte sie während der Nacht überrascht, keine Tiere hatten sie angefallen, das Treiben der Insekten ließ sich gerade noch ertragen. Und auch die Wassertiefe war immer noch genügend.
Doch etwas anderes hatte den Unmut der Männer wachgerufen. Der Wind hatte am Morgen nachgelassen. Jetzt herrschte absolute Flaute. Die Flut war vorüber, das auflaufende, gegen den Strom arbeitende Meereswasser konnte sie auch nicht mehr voranbringen.
Im Gegenteil. Die Strömung des Amazonas drückte die „Isabella“ und das schwarze Schiff zurück.
Deshalb hatten Hasard und Siri-Tong die Beiboote abfieren lassen. Ihre Besatzungen hatten die Schiffe in Schlepp genommen, und jetzt wurde gepullt, was das Zeug hielt.
Gewiß, die Männer in den Booten wurden im zweistündigen Rhythmus abgelöst. Aber unter der erbarmungslosen Hitze erschöpften sie alle ihre Energien rasch.
Auch Hasard stieg mit in die Boote und pullte im Schweiße seines Angesichts. Selbst Siri-Tong bildete keine Ausnahme. Aber ihr Einsatz konnte an der Laune der Männer auch nichts ändern.
Da wurde erst verhalten, dann laut geflucht. Thorfin Njal, Juan, der Boston-Mann, Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, Old O’Flynn und Carberry gehörten zu den Rangobersten nach Hasard und der Roten Korsarin, aber sie wetterten mit. Carberry scheuchte sogar Sir John weg, als er mit dem Pullen an der Reihe war. Mit erbostem Gackern erhob sich der Papagei in die Luft und flatterte zur „Isabella“ zurück. Diesesmal nahm er in der Nähe des Seewolfes auf der Handleiste des Steuerbordschanzkleides am Achterdeck Platz.
Hasard war gerade von seiner sich selbst zugeteilten Schicht im Ruderboot auf die „Isabella“ zurückgekehrt. Er beachtete Sir Johns Gehüpfe und Gezeter nicht, blickte nur starr voraus und beobachtete den Fluß und die Männer, die sich abmühten, die Schiffe Yard um Yard voranzubringen.
Er wußte, daß er ihnen das Äußerste abverlangte. Andere Männer an ihrer Stelle wären längst reif zur wüstesten Meuterei gewesen. Was Siri-Tongs Piraten betraf, so war Hasard überzeugt, daß sie eher aufstecken und offen protestieren würden. Sie waren kein so eisern zusammengeschmiedeter Haufen wie die Seewölfe.
Hasard war beunruhigt – und dennoch unbeirrbar. Montanelli hatte ihm einige recht konkrete Hinweise über den Weg zu den Inkas und nach El Dorado gegeben. Er glaubte, etwas damit anfangen zu können. Und diese Überzeugung trieb ihn voran, ermutigte ihn zu den größten Qualen und Opfern.
„Und ich sage euch, dieser blöde Amazonas ist ein Scheißfluß“, tönte Matt Davies’ Stimme aus einem der Boote herüber – so laut, daß auch Hasard sie deutlich verstehen konnte. „Wahrscheinlich ist unsere Reise hier für immer und ewig zu Ende. Ausgerechnet hier, in diesem gottverfluchten, dreckigen, stinkenden Sumpfloch.“
„Halt’s Maul!“ fuhr Carberry ihn an.
„Hast du nicht auch die Schnauze voll, Profos?“
„Schon …“
„Jedenfalls fluchst du auch dauernd herum.“
„Aber ich meutere nicht, Matt Davies.“
Matt schnitt eine bösartige Grimasse. „Ich vielleicht? Versuch bloß nicht, mir was in Stiefel zu schieben, die ich nicht anhabe.“
„Wer wird denn schon meutern?“ sagte Blacky, der auf der Ducht hinter ihnen hockte.
„Alle, die diesen Scheißfluß mit seinem jauchigen Brackwasser und seinen beschissenen, verlausten und verhurten Krokodilen und dem anderen Viehzeug bis obenhin satt haben“, erwiderte Carberry. Nach diesem Bekenntnis schnappte er nach Luft, dann schwieg er, weil die lange Rede ihn noch mehr erschöpft hatte.
Hasard hörte zu und gab keinen Kommentar ab. Er würde erst eingreifen, wenn es wirklich notwendig war.
Der Kutscher erschien auf dem Achterdeck. Auch sein Gesicht war von den Strapazen gezeichnet, der Schweiß lief ihm über den Leib.
„Die Hitze setzt dem Hirn zu“, sagte er. „Das kann zum Wahnsinn führen. Und wir haben keine Mittel, um uns dauerhaft gegen Krankheiten wie Malaria, Ruhr und Gelbfieber zu schützen.“
„Was willst du damit sagen, Kutscher?“
„Sir – ich würde es mir nie herausnehmen, dir zu widersprechen, aber …“
„’raus mit der Sprache“, erwiderte Hasard. „Du meinst, es wäre besser, umzukehren, nicht wahr?“
„Ja, Sir.“
„Ich bin nicht für halbe Sachen.“
„Und ich kann nicht für die Gesundheit der Männer garantieren. Ich halte es für meine Pflicht, dir das zu sagen.“ Der Kutscher hielt Hasards Blick stand. Er wäre – das war seiner Miene abzulesen – sogar bereit gewesen, sich für die Aufrechterhaltung seiner These einsperren zu lassen.
„Gut“, sagte der Seewolf. „Ich nehme das zur Kenntnis.“
Der Kutscher sah ihn verzweifelt an. „Soll das heißen …“
„… daß wir unseren Kurs beibehalten? Ja, Kutscher. Du kannst gehen“, entgegnete Hasard schroff.
Zwei Stunden später, als die Bootsbesatzungen erneut gewechselt hatten, enterte Dan O’Flynn überraschend aus dem Hauptmars ab und trat zu seinem Kapitän. Sein Gesicht hatte eine ungesunde, milchige Färbung angenommen.
„Hasard“, sagte er. „Ich wollte fragen, ob Gary Andrews mich mal für kurze Zeit ablösen kann.“
„Ist was nicht in Ordnung, Dan?“
„Ich …“
„Fühlst du dich nicht auf dem Damm?“ fragte Hasard. „Nun sag’s schon.“
„Ich muß nur mal aus der Hose, das ist alles.“
„Genehmigt“, sagte der Seewolf.
Dan schob ab. Gary enterte an seiner Stelle in den Hauptmars auf, aber schon nach etwa einer Viertelstunde kehrt Dan O’Flynn auf seinen alten Posten zurück.
Hasards Besorgnis wuchs trotzdem. Der Kutscher hatte seine Bedenken angemeldet. Mit Dan schien etwas nicht zu stimmen. Die Männer fluchten und verdammten die elende Schufterei, die die Schiffe doch nur im Schnekkentempo gegen die Strömung voranbrachte. Die Hitze wurde jeden Tag größer und drohte sie alle umzubringen.
Und doch ging Hasard nicht von seinem Vorhaben ab. Er wollte auf niemanden hören, hatte nur sein Ziel im Auge: El Dorado. War er etwa besessen von dieser Idee?
Hatte er überhaupt das Recht, beide Crews in ein so wahnwitziges, aussichtsloses Unternehmen zu führen?
Sir John und Arwenack schienen die einzigen zu sein, die nicht vom Miesgram geplagt wurden. Sir John schwirrte zwischen den Schiffen und den Booten umher, freundete sich mal mit diesem, mal mit jenem an, unter anderem auch mit Siri-Tong.
Arwenack war vom Groß- auf den Vormars übergewechselt. Er hatte eine Artgenossin gefunden. Sie war von einem weit überhängenden Baumast auf die Fockrah geturnt, als die „Isabella“ unter ihr vorbeigezogen war, und hatte sich dann neugierig bis in den Vormars begeben. Sie war eine possierliche Wolläffin mit langem Greifschwanz. Sie neckte den Schimpansen, und er ging nur allzu gern darauf ein. Es wurde ein richtiges Techtelmechtel daraus.
Arwenack fühlte sich so richtig in seinem Element. Wenigstens einer.