Читать книгу Seewölfe Paket 5 - Roy Palmer - Страница 30

6.

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Er sprang auf den Indianer zu und packte ihn. Der braunhäutige Mann trachtete nicht mehr, ihm auszuweichen oder die Flucht anzutreten. Er hatte bereits die Kontrolle über sich verloren und war nicht einmal einer Reflexbewegung fähig.

Hasard drückte seine Hände zur Seite und packte den mörderischen Stachel. Mit einem Ruck riß er ihn aus der Brust. Siri-Tong war jetzt auch zur Stelle und fing den hinsinkenden Krokodilmann mit auf. Gemeinsam betteten sie ihn auf den Untergrund.

Die Farbe wich mehr und mehr aus dem Gesicht des Indianers. Auch ein dunkelhäutiger Mann konnte leichenblaß werden.

„Verdammt!“ rief der Seewolf. „Können wir denn nichts tun? Warum hat er das bloß getan?“

Die Augen des Indianers wurden glasig. Er starb in ihren Händen, ohne letztes Aufbäumen, ohne Zukken, es war ein leiser und undramatischer Tod.

Hasard war zutiefst erschüttert. Er blickte Siri-Tong in die Augen und las darin, daß auch an ihr der Selbstmord des Indianers nicht spurlos vorbeigegangen war.

„Ich kann ihn nicht bedauern“, sagte er. „Sie wollten dich vergewaltigen und umbringen. Aber ich begreife nicht, wie er so weit gehen konnte. Es will mir einfach nicht in den Kopf.“

„Mir auch nicht“, gestand sie. „Eine derartige Reaktion habe ich bei einem Indianer noch nie gesehen. In einem Land, das dem meiner Ahnen nicht fernliegt, existiert ein Ritual, das diesem hier ähnlich ist, in Japan – aber hier, in der Neuen Welt …“

Hasard hatte den Kopf gewandt, während sie sprach. Er hörte nur noch mit halbem Ohr hin, denn zweierlei geschah. Der erste Indianer war zu sich gekommen und erhob sich vom Boden. Außerdem knackte und prasselte es im Unterholz, und die Stimme von Ferris Tucker ertönte.

„Hasard! Siri-Tong! Zum Teufel, wo steckt ihr?“

„Hier!“ rief Hasard zurück. „Auf einer kleinen Lichtung.“

„Wir kommen!“ Das war Big Old Shane.

Der Krokodilmann hatte einen flackernden, fast irren Blick. Er entdeckte das Blasrohr, das Hasard seinem toten Stammesgenossen aus den Händen getreten hatte, und wollte sich darauf stürzen.

Hasard federte hoch und stürmte auf ihn zu.

Der Krokodilmann sah ein, daß er die Waffe nicht mehr rechtzeitig erreichen konnte. Er wirbelte herum und hetzte auf den Busch zu, doch in diesem Augenblick drängten sich Ferris Tucker, Dan, Blacky, Batuti, Shane und Matt Davies daraus hervor.

Mit einem Aufschrei warf sich der Indianer wieder herum. Er jagte mit geducktem Kopf zwischen Hasard, Siri-Tong und den Männern der ersten Gruppe dahin und wollte sich dorthin retten, wo das Dickicht noch nicht durch weiße Männer versperrt war.

Hasard war schneller. Er brachte sich an die Seite des Mannes, stellte ihm ein Bein und streckte die Hände nach ihm aus.

Vielleicht lag es daran, daß es bereits zu dunkel war, um die Gestalt des Indianers richtig zu erkennen. Vielleicht hatte auch die Verzweiflung den Krokodilmann plötzlich mit ungeahnter Schnelligkeit gewappnet. Jedenfalls gelang es ihm, noch einmal unter dem Zugriff des Seewolfes wegzutauchen.

Er strauchelte zwar, stolperte vorwärts, fing sich aber wieder. Hasard raste ihm fluchend nach.

Der Indianer wirbelte im Laufen herum. Wie er das tat, war ein Rätsel. Er hatte sein Messer gezückt und schleuderte es auf den Seewolf. Hasard duckte sich. Hinter ihm ließ sich Matt Davies reaktionsschnell zu Boden fallen, denn er hatte zum zweiten Male an diesem Abend den Tod drohend vor Augen.

Das Messer sirrte über ihn hinweg, zwischen Shane und Batuti hindurch und blieb dann irgendwo im Busch stecken.

Hasard setzte alles daran, den Krokodilmann zu stellen. Inzwischen war der Kerl waffenlos wie sein toter Kumpan, aber Hasard schwante Fürchterliches.

Er hätte es geschafft, und den Flüchtigen noch auf der Lichtung oder gleich zu Beginn des Dickichts gefaßt. Aber plötzlich vollführte der Indianer die gleiche Bewegung wie vor ihm sein Gefährte. Er krümmte sich mitten im Lauf, tat einen Satz, drehte sich mit verzerrtem Gesicht – und brach zusammen.

Hasard war als erster bei ihm. Auch ihm riß er sofort den Giftpfeil aus der Brust, doch es nutzte nichts mehr. Auch diesem Mann war das tödliche Gift augenblicklich in den Blutkreislauf eingedrungen. Nichts und niemand konnte ihm mehr helfen.

„Verflucht“, sagte Shane, der die Situation mit einem Blick erfaßt hatte. „Der Kutscher muß her. Vielleicht kann er diesem Narren helfen.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, Shane. Zündet eine Fackel an, Männer, und dann seht euch diesen Mann hier genau an.“

Sie taten es. Dan entfachte mit Feuerstein und Feuerstahl ein bißchen knisternde Glut, Blacky hielt eine Pechfackel hinein, und die Flamme loderte auf. Geisterhaft zuckende Helligkeit erfüllte die Lichtung. Die Dunkelheit hatte die Dämmerung abgelöst, ohne Hilfsmittel hätten sie jetzt nichts mehr erkennen können.

Siri-Tong und die Seewölfe blickten auf den zweiten Indianer hinunter. Sie schauten in die gebrochenen Augen eines Toten.

„Naja“, sagte Ferris Tucker. „Sie haben gekriegt, was sie verdient haben.“ Er blickte zu Siri-Tong, die sich beim Eintreffen der Gruppe natürlich sofort notdürftig bekleidet hatte. „Keiner kann von uns verlangen, daß wir auch noch Mitleid mit diesen Schurken haben.“

Hasard antwortete: „Nein, das nicht. Aber da ist etwas, was ich nicht verstehe. Wir haben es nicht zum erstenmal mit Indianern zu tun. Aber dies sind die ersten beiden, die sich selbst umbringen, statt sich gefangennehmen zu lassen. Es ist gegen ihre Gewohnheiten, begreift ihr das nicht?“

Matt Davies nickte. „Ich glaube, ich hab’s kapiert. Einen Indianer kannst du martern, und er wird immer noch an seinem Leben hängen. Es ist schimpflich, sich selbst ins Jenseits zu befördern. Selbstmörder kommen nicht ins Paradies, oder wie die Indios es nennen.“

„Die Ewigen Jagdgründe, glaube ich“, sagte Dan O’Flynn.

Und Batuti ergänzte: „Indianer bittet Gegner ihn zu töten, wenn kein Ausweg mehr.“

„Richtig“, erwiderte Hasard. „Und je mehr wir darüber reden, desto unerklärlicher wird mir das Ganze.“

Sie standen noch kopfschüttelnd und betroffen da, da ertönte ein Schrei aus dem Dschungel, der Tote wachrütteln konnte. „Das kann nur Carberry sein“, stellte Hasard fest. „Los, nichts wie hin. Dan und Batuti, ihr bleibt hier bei den Toten und haltet Wache. Schießt auf jeden, der sich nicht zu erkennen gibt.“

„Aye, aye“, sagte Dan.

Hasard hatte eine zweite Fackel an sich genommen, die Shane inzwischen entzündet hatte. Er folgte dem Verlauf des Pfades, den die beiden Krokodilmänner vor kurzem in den Busch gehauen hatten. Die Flammen der Fackeln schlugen gegen die Blätter und Zweige über ihnen, aber der Wald fing kein Feuer, weil er mit Feuchtigkeit gleichsam getränkt war.

Carberry brüllte wieder etwas, das wie „Hierher“ oder „Hilfe“ klang. Hasard orientierte sich an dem Laut.

„Wir müssen vom Pfad abweichen“, sagte er. Damit begann er wieder, seinen Cutlass zu schwingen. Vorher, beim Kampf mit den Indianern, hatte er ihn in der Scheide steckengelassen, auch das war eine Frage der Fairneß. Er hatte Gefangene machen, aber nicht morden wollen. Er fühlte sich nicht als legalisierter Vollstrecker, auch nicht mit dem Kaperbrief der Königin von England in der Tasche. Wie der Zwischenfall mit den beiden Krokodilmännern abschließend verlaufen war, behagte ihm überhaupt nicht.

Energisch säbelte er sich eine Bresche durch das dichte Unterholz und rief dabei: „Ed, wir kommen!“

„Hierher!“ drang es zurück.

„Was ist denn los?“

„Wir haben was gefunden. Wie steht es um die Rote Korsarin?“

„Ich bin noch in einem Stück!“ rief nun Siri-Tong.

„Bei allen Göttern, so ein Glück!“ dröhnte Thorfin Njals Stimme durch den Dschungel.

Kurz darauf trafen die beiden Gruppen aufeinander. Das letzte Stück Weg hatten Hasard und seine Begleiter sehr rasch zurücklegen können, nicht zuletzt, weil sie jetzt auch den Lichtschein der Fackeln ausmachten, die Thorfin Njal, Edwin Carberry und deren Gefährten entfacht hatten.

Die Gruppe zwei hatte sich an einem Bachlauf eingefunden, der kaum als solcher zu erkennen war. Hasard mußte erst dicht neben seinen Profos hintreten, um den schmalen Streifen glitzernden Wassers im Lichtkreis der Fakkeln sehen zu können.

Der Profos stand ganz dicht an dem zugewachsenen Ufer und senkte langsam seine Fackel auf die Entdeckung.

Hasard hielt unwillkürlich den Atem an. Zu ihren Füßen lag ein Boot in dem engen Kanal festgeklemmt. Es war ein eigentümliches, rätselhaftes Kanu aus dunkelgelbem Flechtwerk, und auf seinem Boden ruhte eine jammervolle Gestalt, ein leichenblasser, ausgemergelter Mann, der sich offenbar nicht bewegen konnte.

Nur seine Lippen öffneten und schlossen sich.

„Mein Gott“, sagte Siri-Tong bestürzt. „Der arme Teufel. Was sagt er denn?“

„Ich verstehe ihn nicht“, murmelte Carberry. „Klingt wie spanisch, was er da von sich gibt, ist es aber nicht …“

„In Fremdsprachen warst du noch nie gut, Ed“, sagte Blacky.

Er handelte sich den vernichtenden Blick des Profos’ ein. Carberry konnte es nicht leiden, immer wieder mit seinen mangelnden Kenntnissen in dieser Richtung aufgezogen zu werden.

Hasard beugte sich so weit vor, daß er ins Wasser abzurutschen drohte.

„Aiutatemi, per favore – portatemi via – via di qui“, stammelte der Fremde. Er sprach so leise, daß selbst der Seewolf ihn kaum verstehen konnte.

„Helft mir“ übersetzte er. „Bringt mich von hier fort.“ Er richtete sich wieder auf und löste den Strick, der das Reetboot hielt, von seinem Baumstamm. „Der Mann ist Italiener. Ich weiß nicht, was ihn so zugerichtet hat, aber wir müssen ihn auf jeden Fall sofort auf die ‚Isabella‘ schaffen. Folgendes: Der Bach fließt aller Wahrscheinlichkeit nach direkt in den Amazonas, also folgen wir ihm und nehmen das kleine Kanu dabei in Schlepp.“

Er blickte sich um. Die Gesichter der Männer waren gemeißelt wirkende Reliefs im wabernden Schein der Fackeln. Plötzlich schienen sie wie ihr Kapitän zu spüren, daß sie hier etwas Ungeheuerlichem, kaum Faßbarem auf der Spur waren.

„Einer von uns muß zu Dan und Batuti zurücklaufen“, sagte Hasard. „Matt, du übernimmst es. Du kennst ja den Weg. Ihr drei bestattet die beiden toten Indianer und sucht nach Siri-Tongs Waffen, die irgendwo auf der Lichtung oder an ihrem Rand liegen müssen, dann kehrt ihr ebenfalls zu den Schiffen zurück.“

„Aye, aye“, sagte Matt Davies. „Ich hoffe, daß wir nicht von Schlangen gebissen, von Krokodilen vernascht oder von einer ganzen Streitmacht von Indianern überfallen werden.“

„Du meinst, es stecken noch mehr solcher – Krokodilmänner hier im Busch?“ fragte Eike.

Thorfin Njal sagte: „Sind wir Hellseher? Wir müssen auf alles gefaßt sein in diesem von allen Göttern verfluchten Dschungel.“

„Beeil dich“, sagte Hasard zu Matt. „Bei jeder unliebsamen Überraschung feuerst du sofort einen Schuß in die Luft ab, verstanden?“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Matt noch einmal, dann war er mit einer Fackel im Unterholz verschwunden. Das Pflanzengewimmel war so dicht, daß der Feuerschein schon nach Sekunden nicht mehr zu sehen war.

Der große Strom war eine matt glänzende Fläche unter dem fahlen Mondlicht. Als die Seewölfe und die Siri-Tong-Piraten an der Mündung des kleinen Bachlaufes angelangt waren, konnten sie als erstes die Myriaden von Mücken sehen, die über dem Wasser tanzten.

Sie wandten den Blick stromaufwärts und sahen die „Isabella“ und den schwarzen Segler vor Anker liegen, etwa eine halbe Meile entfernt. Die Schattenrisse der gewaltigen Schiffsleiber mit ihrem skelettartig aufragenden Mastwerk vermittelten etwas Majestätisches und gleichzeitig ungemein Beruhigendes.

„Donnerkeil, so weit sind wir von unserer ursprünglichen Richtung abgewichen“, sagte Carberry.

„Da kannst du mal sehen, wie man sich in diesem Scheiß-Urwald verirren kann“, erwiderte Ferris Tucker.

„Los, weiter“, sagte Hasard. „Keine Müdigkeit vorschützen.“

Sie gingen dicht am Ufer entlang und zogen das Reetboot mit dem immer noch stammelnden, hilflos daliegenden Italiener hinter sich her. Sie trafen auf ihre Boote, lösten die Leinen, schoben die Boote ganz ins Wasser und pullten zur „Isabella“ hinüber. Hasard hatte den Strick des Reetbootes achtern an seinem Boot belegt, so daß sie den Fremden mitschleppen konnten.

Von Bord der Schiffe tönten ihnen Hallo-Rufe entgegen. Sie brauchten sich nicht zu erkennen zu geben, denn längst hatten die Zurückgebliebenen dank des Fackellichts ihre Gesichter erkannt.

Wenig später versammelten sich alle auf der Kuhl der „Isabella“ um den Fremden. Hasard hatte ihn behutsam auf ein provisorisches Lager gebettet.

Die Boote lagen an der Backbordseite vertäut, und auch von dem schwarzen Segler war ein weiterer Teil der Besatzung herübergepullt, um den Bericht des Seewolfes und Siri-Tongs zu hören. Nur ein paar Deckswachen waren drüben auf dem Viermaster zurückgeblieben.

Aus dem Regenwald drang das ohrenbetäubende Gekreische der Papageien, das Schrillen, Heulen und Zirpen der tausend anderen Vogelsorten, eine dissonante Sinfonie, die ebenso rasch wieder aussetzen würde, wie sie begonnen hatte. Die Geräuschkulisse wurde durch das unausgesetzte, aber im Vergleich zu dem Gekreische fast bescheiden klingende Zirpen und Quaken der Zikaden und Frösche vervollständigt.

Eine Wolke von Mücken, Fliegen, Faltern und durch die Luft taumelnden Käfern fiel über die Versammlung auf dem Oberdeck her. Doch es war zu heiß und zu stickig im Achterkastell, um es jetzt schon aufsuchen zu können. Deshalb ertrugen die Rote Korsarin und die Männer lieber das abscheuliche Treiben der Insekten. Zum erstenmal seit langer Zeit konnten sie wieder etwas Kühle genießen. Wenigstens das. Ein frischer Nachtwind umfächelte sie, er schien vom Meer zu kommen.

Siri- Tong bemühte sich, das Ungeziefer von dem gelähmten Italiener fernzuhalten.

Hasard hielt die triste Bilanz ihres Unternehmens, bevor er sich näher mit dem bedauernswerten Mann befaßte. Er schilderte, was geschehen war. Zum Schluß sagte er: „Und wir haben nur den Fisch, den Batuti geschossen hat. Kutscher, du wirst ihn nachher zubereiten. Wir alle werden nicht davon satt, aber wir teilen ihn in gerechte Portionen, damit jeder wenigstens etwas in den Magen kriegt.“

„Aye, Sir.“

„Sind der Rum und der Whisky noch genießbar?“

„Alkohol verdirbt nicht so schnell“, erwiderte der Kutscher.

„Dann haben wir wenigstens etwas, das wir trinken können. Nachher kriegt jeder seine Ration. Nur eins: daß sich ja keiner besäuft! Wir müssen besonders die Nacht über auf Hut sein und doppelte Bordwachen einteilen.“ Der Seewolf atmete tief durch. „Morgen früh setzen wir unsere Wasser- und Proviantsuche fort.“

Der Kutscher beugte sich jetzt über den Italiener. Schon nach kurzer Untersuchung hatte er den kleinen, dornähnlichen Pfeil entdeckt, den der Mann im Fleisch stecken hatte. Mit einem Ruck zog er ihn aus der rechten Brustpartie hervor. Er sah zu Hasard, und aus seiner Miene war leicht abzulesen, was er dachte. Da war nichts mehr zu tun, aussichtslos.

Hasard hätte am liebsten laut losgeflucht, aber er beherrschte sich. Der Blick des immer noch wachen Fremden ruhte auf seinem Gesicht. Der Mann wirkte nicht verzweifelt, er schien sich mit seiner Situation abgefunden zu haben.

Hasard kniete sich neben ihn. „Du bist also auch an die Indianer geraten, mein Freund.“ Er sprach jetzt spanisch. Er konnte italienisch verstehen, sich in dieser Sprache jedoch nicht ausdrücken. „Verstehst du mich?“

„Ja“, erwiderte der Italiener schwach. „Ich bin des Spanischen mächtig. Mein Name ist Montanelli.“

„Ich heiße Philip Hasard Killigrew.“

„Der Seewolf?“

„Es scheint sich ja herumzusprechen, daß man mich so nennt.“

Montanelli brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ja. Ich bin also auf einem englischen Schiff. Danke. Danke für das, was ihr für mich – getan habt. Ich …“

„Du solltest vielleicht lieber mit dem Reden aufhören“, sagte Hasard sanft. „Es schwächt dich nur noch mehr.“

„Kann ich – etwas Rum haben – oder Whisky?“

„Bill“, sagte Hasard.

Bill, der Schiffsjunge, flitzte los wie der geölte Blitz und war binnen kürzester Zeit wieder zurück. Er trug eine volle Flasche in den Kreis der Männer. Der Kutscher nahm sie ihm ab und gab Montanelli von dem scharfen, hochprozentigen Schnaps zu trinken.

Montanelli nahm nur kleine Schlucke. Er wußte, daß es ihn umbringen würde, wenn er zuviel Flüssigkeit trank.

„Danke“, sagte er noch einmal. „Das belebt mich. Ich glaube, ich kann jetzt besser sprechen. Die beiden Krokodilmänner sind mit euch zusammengestoßen, nicht wahr? Ich beherrsche die englische Sprache kaum, aber soviel habe ich vorhin herausgehört, als du berichtet hast, Seewolf.“

„Ja. Die beiden wollten Siri-Tong vergewaltigen.“

Montanellis Blick huschte zu der Roten Korsarin. „Allmächtiger. Sie schrecken vor nichts zurück. Wo – wo sind sie jetzt?“

„Tot. Auf einer Lichtung. Meine Männer begraben sie.“

„Habt ihr sie …“

„Nein“, sagte Hasard. „Sie brachten sich selbst mit ihren verdammten Pfeilen um, als sie sahen, daß die Partie für sie verloren war.“

„Ich verstehe.“

Hasards Stimme wurde eindringlich. „Aber ich nicht. Hör zu, Montanelli, du scheinst mehr über diese Kerle zu wissen. Laß uns deine Geschichte hören. Du kannst uns vertrauen.“

Der Italiener lächelte wieder, diesmal aber etwas schief, seine Mundwinkel sackten gleich wieder herunter. „Aber natürlich. Warum sollte ich Geheimnisse vor euch haben – nach dem, was ihr für mich getan habt? Ich weiß, daß es mit mir zu Ende geht. Langsam, aber sicher. Der Pfeil, den die Krokodilmänner mir verpaßt haben, ist …“

„… ein Betäubungspfeil“, sagte Hasard rasch. „Wir haben auf Little Cayman einmal mit solchen Dingern unangenehme Bekanntschaft geschlossen.“

Montanelli schüttelte den Kopf. „Du brauchst mir nichts einzureden. Ich weiß, wie es um mich bestellt ist. Hoffnungen habe ich nicht mehr. Ich bin ja nicht ohnmächtig geworden, sondern das Gift des Pfeiles hat mich sofort gelähmt. Eine Substanz mit Langzeitwirkung. Ich weiß nicht, wie viele Stunden mir noch verbleiben, aber irgendwann ist es aus.“

„Großer Gott“, flüsterte Siri-Tong. Sie faßte nach der mageren Hand Montanellis, die nach wie vor einen der beiden Rohlederbeutel umklammert hielt. Die andere Hand ruhte auf dem zweiten Beutel.

„Ich will meine letzten Stunden nutzen, um euch alles zu erzählen“, fuhr der Italiener fort. „Eins vorweg. Die Indianer waren Späher, die jeden Eindringling fernhalten sollen. Sie hätten euch der Reihe nach getötet, wenn ihr euch nicht als stärker und schlauer erwiesen hättet.“

„Warum tun sie das? Aus Haß gegen die Spanier?“ sagte der Seewolf.

„Nein. Chano befiehlt es ihnen.“

„Chano?“

„Ihr Gott-Herrscher. Er hat ihnen auch diktiert, Selbstmord zu begehen, falls sie in die Enge getrieben werden und keine andere Lösung mehr sehen. Dennoch, so versichert er ihnen, werden sie in den Indianerhimmel und nicht in die Hölle kommen.“

„Wer ist dieser Chano?“ fragte Ben Brighton.

„Ich spreche noch darüber“, erwiderte Montanelli. „Darf ich noch einen Schluck Rum haben?“

Diesmal setzte Siri-Tong ihm die Flasche an die Lippen. Sie gab sie ihm wie einem hilflosen Kind und war rührend um ihn besorgt, denn er erregte ihr tiefes Mitgefühl.

Montanelli seufzte, als Siri-Tong die Flasche wieder wegnahm und ihm mit einem Tuch die Lippen abtupfte.

„Ihr fragt, warum sie sich umbringen“, sagte er. „Nun, sie sollen keinem Feind verraten können, woher sie sind. Die beiden, die jetzt dort drüben auf der Lichtung des Urwalds ruhen, waren überdies sicher, daß die Lähmung des Pfeilgiftes auch meine Zunge beeinflussen würde.“ Plötzlich wurde er aufgeregt, seine Augen flackerten. „Sie haben sich geirrt. Ich bin der einzige, der euch verraten kann, wo Chano, der teuflische Chano, sich versteckt hält.“

„Ruhig“, besänftigte ihn Siri-Tong. „Ganz ruhig.“

„Chano – ein Spanier?“ fragte Hasard zurück.

„Ja“, sagte Montanelli.

„Deswegen verstanden die Eingeborenen mich, als ich sie auf spanisch anredete.“

„Gewiß. Übrigens gehören sie zum Stamm der Assurini, einem eigentlich friedlichen Volk, das ausgezeichnete Krokodiljäger hervorgebracht hat. Sie betreiben die Jagd auf den Schwarzalligator, den gefährlichsten aller Kaimane. Sie schmücken ihre Häupter mit den Trophäen. Das hat ihnen ihren Beinamen eingebracht.“ Montanelli atmete flach und unregelmäßig. Er mußte eine Pause einlegen.

„Ich glaube, einen Zusammenhang begriffen zu haben“, sagte nun Hasard. „Chano – wer immer dieser Schurke ist – hat die Assurini beeinflußt, und sich zum selbsternannten Gott und Herrscher über sie erhoben. Ist es so?“

Montanelli nickte.

„Es ist immer wieder das gleiche“, sagte Hasard ernst. „Sie gaukeln den Eingeborenen etwas vor, nutzen sie aus, berauben sie ihrer Schätze, ihrer Frauen, ihres Stolzes und erniedrigen sie zu ihren Handlangern.“

Der Italiener bestätigte auch dies durch eine Kopfbewegung. Plötzlich raffte er die beiden Beutel aus roh gegerbtem Leder um einen Deut näher an seinen Leib heran. Diese Geste und die Regungen seines Kopfes schienen die einzigen Bewegungen zu sein, die er noch tun konnte.

„Nicht das ganze Nervensystem ist betroffen, aber die Macht des Giftes greift weiter und weiter um sich“, murmelte der Kutscher. Er sagte es auf englisch. Montanelli konnte es nicht verstehen. Aber Siri-Tong sah den Kutscher bestürzt an.

„Diese beiden Beutel“, sagte Montanelli. „Ich kann sie nicht hochheben. Aber sie gehören dir, Seewolf. Dir und deinen Männern. Bitte – öffne sie.“

Hasard blickte zu Siri-Tong, und sie nahm dem armen Teufel den Beutel aus der linken Hand. Sie mußte regelrecht zerren, denn Montanellis Finger waren bereits zu sehr verkrampft. Es war ein entsetzlicher Moment für die Rote Korsarin, und sie hätte vor Verzweiflung weinen können.

Sie hatte sich in den fürchterlichsten Schlachten erbittert mit jedem Gegner herumgeschlagen, aber das bedeutete nicht, daß ihr menschliches Empfinden abgestorben wäre. Hinzu kamen die Impulse weiblichen Denkens. Sie fühlte nicht mit Montanelli, sie litt mit ihm.

Der Kutscher hatte den zweiten Beutel aus der Hand des Italieners gelöst. Hasard nahm beide entgegen, knotete die Riemen auf, die ihre Öffnungen zuhielten, und wies im Schein der Fackeln, Lampen und Laternen den Inhalt vor.

„Mein lieber Mann“, sagte Carberry. „Goldschmuck, mit Diamanten besetzt. Das allerkostbarste Zeug, und beide Beutel sind bis zum Rand voll damit.“

„Die grünen Steine, das sind Smaragde“, stellte Siri-Tong fasziniert fest.

Hasard wollte Montanelli Fragen stellen, aber es gab jetzt eine Unterbrechung, weil Dan O’Flynn, Batuti und Matt Davies drüben am Ufer erschienen waren und ihnen Signale mit ihren Fackeln gaben.

„Drei Mann: Al, Bob und Luke“, befahl der Seewolf. „Entert ab und pullt mit unserem Boot zu ihnen hinüber.

Die drei setzten sich augenblicklich zum Schanzkleid hin in Bewegung. Hasard beugte sich wieder über Montanelli. Dieser fuhr zu sprechen fort, bevor Hasard etwas äußern konnte.

„Du willst wissen, woher ich den Goldschmuck habe. Nein, nicht von den Assurini, und auch nicht von Chano, diesem elenden Hund. Ich bin in einem Land gewesen, wie es eigentlich nur in einem Märchen existiert.“

Die Blicke der schwarzhaarigen Frau und der Männer hingen mit einem Mal an seinen Lippen, sie schienen sich daran festsaugen zu wollen.

Montanellis Züge hatten einen entrückten Ausdruck angenommen. „Das Goldland. Jenes sagenhafte Land, in dem die Häuser aus massivem Gold bestehen und die Straßen mit Gold gepflastert sind, und wo es sogar goldene Boote und Schiffe gibt.“

Siri-Tong holte zweimal tief Luft, dann sprach sie es aus.

„El Dorado.“

Seewölfe Paket 5

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