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5.

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Augusto de Guaramas konnte nicht mehr. Keuchend saß er auf einem feuchten, glitschigen Stein mitten im Dschungel und ließ den Kopf hängen. Hermano Falla-Pueblos schaute auf seinen fetten Nacken und malte sich aus, wie es wäre, wenn er jetzt sein Messer in diese Speckfalte hieb.

Aber er bezwang sich. Noch brauchst du ihn, sagte er sich, einen Verbündeten zu haben, bedeutet in dieser Grünen Hölle viel – trotz allem.

Sie befanden sich irgendwo zwischen dem Rio Tombetas und dem Wasserfall, dessen Rauschen sie bis hierher vernehmen konnten.

„Ich steh das nicht durch“, jammerte der beleibte Steuermann. „Ich hab’s dir von Anfang an gesagt. Seit Tagen leben wir von Wurzeln, fauligem Wasser und Dreck, den wir wie die Tiere aufkratzen. Ich bin am Ende, Hermano.“

„Übertreibe nicht. Was willst du? Nach Cayenne zurückkehren, in den Hafen, aus dem unser Verband ausgelaufen ist?“

„Nein. Ich wollte die Galeone des Seewolfs oder das schwarze Schiff dieser schwarzhaarigen Hure mit den Mandelaugen kapern und damit türmen. Das war mein Plan.“

„Nie hätten wir das geschafft“, erwiderte der Komplice. „Vergiß nicht, daß die Schiffe bewacht werden. Unsere Bewaffnung ist miserabel. Die Amazonen und die Männer, die im Dorf zurückgeblieben sind, hätten uns erledigt, bevor wir richtig zum Zug gekommen wären. Nein, mein Plan ist besser. Denk an El Dorado.“

„Ich glaube nicht mehr, daß wir’s finden.“

„Du bist ein Narr, Augusto. Du wirfst die Flinte ins Korn, dabei haben wir bisher sagenhaftes Glück gehabt.“ Falla-Pueblos beugte sich nieder und brachte sein Gesicht dicht vor das von de Guaramas. „Wir sind dem Seewolf vom Dorf aus gefolgt, ohne daß er uns entdeckt hat. Wir sind den Fallen, Pfeilen und Speeren der Amazonen entgangen. Was willst du noch mehr?“

„Mir tun die Füße weh!“

„Weichling. Pfui Teufel, du widerst mich an.“

„Der Hunger bringt mich um. Wir sind schwach, Hermano, und die wilden Tiere des Urwalds fallen uns bald an und bringen uns um“, klagte der Dicke.

Die Stimme des ehemaligen ersten Offiziers wurde kalt und schneidend. „Hör mir gut zu, du Pantoffelheld und Hasenfuß. Ich gehe jetzt weiter. Wir haben die Expedition ohnehin schon aus den Augen verloren, ich will nicht ganz ins Hintertreffen geraten. Ich vermute, daß sie sich zum Wasserfall gewandt haben – und dorthin wandere ich. Ich lasse dich hier sitzen, verstanden?“

„Tu das nicht …“

Falla-Pueblos schritt einfach davon. Er tauchte in das Dickicht hinter de Guaramas’ Sitzgelegenheit und gelangte recht gut voran, weil das Gebüsch hier nicht mehr ganz so verfilzt und undurchdringlich war wie weiter unten am Strom.

Hinter ihm knackte und prasselte es. De Guaramas stürzte hinter ihm her. Er erinnerte an eins der Wasserschweine, die sie während der Verfolgung ihrer Feinde beobachtet hatten.

Wütend drehte sich Falla-Pueblos zu ihm um. „Bist du wahnsinnig? Du bringst uns in Teufels Küche mit dem Lärm, den du veranstaltest!“

„Nimm mich mit, Hermano!“

„Wirst du vernünftig sein?“

„Ich schwöre es!“

„Dann los.“ Falla-Pueblos marschierte weiter. Der Komplice folgte ihm untertänigst dichtauf. Seine jetzt unterwürfige Art bereitete Falla-Pueblos Widerwillen, aber auch Genugtuung. Nie hatte der Dicke so offen zugegeben, daß er im Grunde seines Herzens ein Feigling war. An Bord der Karavelle hatte er es stets zu vertuschen gewußt und andere vorgeschoben, wenn es brenzlig wurde.

Gewiß, auch er, Falla-Pueblos, war fahnenflüchtig geworden, aber deswegen empfand er sich noch lange nicht als Versager. Sie waren zwei grundsätzlich verschiedene Menschen, und seine Position konnte nur darin bestehen, den anderen auszunutzen und bei Gelegenheit abzuservieren.

Das Gelände stieg an, das Tosen des Katarakts nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Augusto de Guaramas war es, der plötzlich rechts neben sich eine Bewegung im Gebüsch registrierte. Er schrie auf, aber sein Laut wurde von dem Dröhnen überdeckt. Selbst Falla-Pueblos, der keine drei Schritte vor ihm war, bemerkte die Gefahr nicht sofort und hörte den Ruf nicht.

De Guaramas gab einen gurgelnden Laut von sich, prallte zurück und geriet ins Wanken. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. Das, was da vor ihm aus dem Unterholz schlpfte, war zuviel für sein lädiertes Selbstbewußtsein.

Ein halbnackter Wilder!

Er trug nur einen Lendenschurz und auf dem Kopf eine eigentümliche Trophäe. Sie war der konservierte Schädel eines Alligators. Der Oberkiefer zierte das Haupthaar des braunhäutigen Mannes, den Unterkiefer hatte er sich unters Kinn gebunden, so daß sein Gesicht aus dem sperrangelweit geöffneten Rachen des Krokodils hervorzuschauen schien.

„Santa Maria, perdoneme“, wimmerte de Guaramas. Er sank auf die Knie, barg das Gesicht in den Händen. „Heilige Mutter Gottes, vergib mir – und steh mir bei …“

Der Wilde hob ein Blasrohr an die Lippen und legte auf den Ex-Steuermann der spanischen Karavelle an. Hinter ihm bewegten sich die Blätter und Zweige wieder, zwei, drei Häupter, die wie das seine kostümiert waren, schoben sich hervor.

Falla-Pueblos blieb mit einem Mal stehen und drehte sich um. Er spürte, daß der Kumpan nicht mehr dicht hinter ihm war. Ärgerlich wollte er ihn von neuem zurechtweisen – und dann verharrte er wie vom Donner gerührt.

Er sah die Indianer, ihre furchterregende Maskerade, und schluckte entsetzt. In einer refelxartigen Bewegung zuckte seine Hand auf den Degengriff nieder. Einen oder zwei dieser wüsten Kerle würde er ins Jenseits befördern können, danach würde seine Stunde schlagen.

Davonlaufen? Er konnte es nicht. Sie würden ihm keine Chance lassen und ihm einen Giftpfeil in den Rükken schießen, bevor er im Regenwald unterschlüpfen konnte.

Also galt es, die Haut so teuer wie irgend möglich zu verkaufen.

Aber unvermittelt trat eine Wende ein.

Die Indianer mit den Krokodiltrophäen blickten verwundert zu ihm. Statt aber auf ihn zu zielen, rissen sie die Münder auf und wiesen mit den Fingern auf ihn. In einer gutturalen, unverständlichen Sprache redeten sie aufeinander ein. Dann, ganz unversehens, fielen sie auf die Knie wie de Guaramas.

Falla-Pueblos glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Was war das? Ein Trick? Dachten sie, ihn auf diese Art überlisten und ihm anschließend den Kopf abhacken zu können? Er hatte kein Verlangen danach, als geschrumpfte Trophäe in den Händen dieser von ihm so sehr verachteten nackten Wilden zu landen. Mit erhobenem Degen schob er sich auf sie zu.

Doch er täuschte sich. Ihr Verhalten war nicht fingiert.

Die Krokodilmänner warfen ihre Waffen fort, dann krochen sie auf allen vieren auf ihn zu und warfen sich vor ihm bäuchlings auf den Boden. Hermano Falla-Pueblos hatte seine Stiefel verloren, als er von der Karavelle in den Amazonas gesprungen war. Die Indianer küßten seine nackten, von Morast beschmutzten Füße.

„He“, sagte er und ließ den Degen allmählich sinken. „Was soll denn das? Laßt das gefälligst sein.“

„Viva Chano“, raunten die Indianer. „Es lebe Chano …“

„Augusto“, sagte Falla-Pueblos.

De Guaramas schaute endlich wieder auf. Fassungslos blickte er auf die Szene, die sich seinen Augen bot. „Ich – ja – was hat denn das zu bedeuten?“

„Augusto, du Idiot, diese Wilden sind uns nicht feindlich gesonnen. Steh auf und komm her.“

De Guaramas hatte immer noch Angst, sein Landsmann hingegen hatte sich bereits wieder in der Gewalt. Er begriff noch nicht, warum die Krokodilmänner ihn anhimmelten, statt ihn zu töten, aber er wußte, daß irgend etwas an ihm sie ungeheuer beeindrucken mußte. Hing es mit ihrem tiefverwurzelten Aberglauben zusammen?

Er ließ sich von seiner Kaltblütigkeit leiten und nutzte die Lage aus.

„Was wollt ihr?“ fragte er die fremden Männer aus dem Dschungel. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sich immer mehr Gestalten aus dem Dickicht auf ihn zuschoben – insgesamt acht. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, aber er beherrschte sich auch weiterhin.

„Wer seid ihr?“ fragte er. „So sprecht doch.“

Der erste, der ihm die Füße geküßt und damit seine höchste Ehrerbietung gezeigt hatte, blickte zu ihm auf. „Großer Chano, du bist wiedergekehrt. Wir wußten, daß du nicht tot sein konntest. Sinim hat es immer zu seinen Stammesbrüdern gesagt und recht behalten.“

„Augenblick mal“, sagte de Guaramas. Er rückte näher. „Wo hat der Kerl denn so gut Spanisch gelernt?“

„Sei doch still, du Narr“, fuhr Falla-Pueblos ihn an. Er sandte einen zornigen Blick zu dem Steuermann hinüber. Dieser Tolpatsch machte durch seine unbedachten Äußerungen noch alles kaputt!

„Großer Chano“, sagte Sinim. „Kehrst du mit deinen Aussurini zur Zitadelle zurück?“

Jetzt steckte Falla-Pueblos in der Klemme. Was sollte er antworten? Von welcher Zitadelle sprach dieser Indianer? Krampfhaft überlegte er. Chano, Chano – ganz unbekannt war ihm dieser Name nicht. In Cayenne war gelegentlich von diesem Mann gesprochen worden.

Falla-Pueblos entsann sich: Chano war vor drei oder vier Jahren Mitglied einer Amazonas-Expedition gewesen. Der Trupp war verschollen, man hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Aber später waren Gerüchte laut geworden, die in erster Linie von Indianern verbreitet wurden. Chano sollte als einziger Teilnehmer der Expedition überlebt haben, während seine spanischen Landsleute von den Amazonen oder Kopfjägern umgebracht worden waren. Chano hatte sich zum Herrscher über die Assurini, einen der vielen Indianerstämme, erhoben und sich in einem vortrefflich gewählten Versteck eine Zitadelle errichten lassen.

Verschiedene Suchmannschaften waren zum Amazonas geschickt worden, einige von Cayenne aus, von Paramaribo und sogar von Trinidas oder dem südlich des Äquators gelegenen Bahia aus. Keine hatte Chano zu finden vermocht. Einige Schiffe waren von ihrer Reise nicht zurückgekehrt. Das „Süßwassermeer“ war als Menschenfalle gefürchtet und gemieden. Chano war schließlich abgeschrieben worden, die Erzählungen über ihn und seine Feste wurden als Hirngespinste abgetan.

Falla-Pueblos begriff jedoch, daß an den Gerüchten etwas Wahres sein mußte. Die Assurini verehrten Chano als Herrscher, als Gott auf Erden. Aber irgend etwas mußte geschehen sein, etwas, das Chanos absonderliches Regime erschüttert hatte. Die Assurini waren Versprengte ihres Stammes …

Chano war in Berichten immer als schwarzbärtiger, schlanker Mann dargestellt worden. Falla-Pueblos ging ein Licht auf. Er sah ihm ähnlich! Daher mußte er überzeugend in die Rolle des Chano schlüpfen.

Aufs Geratewohl sagte er: „Nein, zur Zitadelle können wir nicht gehen. Wir müssen hierbleiben und dem Seewolf und seinen Gefährten folgen.“

Sinim ballte die Hände zu Fäusten, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. „Dieser weiße Satan! Er steht mit den bösen Geistern im Bunde. Seine Freunde haben uns mit ihrem schwarzen Schiff vor der Einfahrt zum versteckten Seitenarm vertrieben, fort von den Quebracho-Bäumen und der Lagune der Ibisse. Wir sind zur Zitadelle gelaufen, aber die Schlacht war schon gewonnen für die teuflischen Weißen, und dann sahen wir dich, großer Chano, vom Turm der Zitadelle in die Tiefe stürzen. O, wie schrecklich das war! Sinim und seine Stammesbrüder zogen sich in den Busch zurück, beklagten Chanos Tod und folgten dem weißen Teufel, der schwarzhaarigen Frau und ihren Helfern voll Haß.“ Er faßte mit den Händen nach Falla-Pueblos’ Beinen, umklammerte die Fußknöchel. „Aber du bist nicht tot. Du konntest nicht von uns gegangen sein!“

Gnädig legte Falla-Pueblos ihm die Hand auf den Kopf. Augusto de Guaramas schaute total verdattert herüber, aber Falla-Pueblos schoß einen Blick auf ihn ab, der ihm zu verstehen gab, daß die Dinge sich zu ihren Gunsten gewendet hatten.

„Ich habe diese Hunde nur getäuscht“, sagte er zu Sinim. „Geduldig habe ich auf den Zeitpunkt gewartet, an dem ich meine Rache ausüben würde. Er ist nahe, sehr nahe.“

„Sinim ist stolz und glücklich. Er hat immer zu den treuesten Kriegern Chanos gehört.“

„Ja, das stimmt“, bestätigte Falla-Pueblos, obwohl er’s überhaupt nicht wissen konnte. „Das Gefecht beim Dorf der Amazonen – habt ihr das auch verfolgt?“

„Ja, aber wir lagen weit entfernt im Wald und konnten nicht sehen, ob du auch da warst.“

„Ich schwebte über der Schlacht. Ich war unsichtbar.“

„Du …“

„Vergiß nicht, wer ich bin, Sinim.“ Der ehemalige erste Offizier wußte, daß er tollkühn und dreist vorging, aber er sagte sich: je dicker du aufträgst, desto glaubwürdiger wirkst du.

„Warum hast du die Verräter nicht bestraft?“ fragte Sinim voll fanatischer Verachtung. „Die Krokodilmänner, die mit den Italienern, unseren einstigen Gefangenen, auf den Ruderbänken der Galeasse saßen und so dem Feind, dem Bezwinger untertan waren! Sie gehören verbrannt, entmannt, enthauptet!“

Falla-Pueblos begriff die letzten Zusammenhänge. Die venezianische Galeasse, die so unverhofft aufgetaucht war, hatte also in Chanos Versteck gelegen. Chano hatte Gefangene gemacht – die Italiener. Der Seewolf hatte diese Leute befreit und Chano den Garaus bereitet. Alle Krokodilmänner, die Chano ergeben gewesen waren, hatten sich dem Eroberer unterworfen – bis auf diese acht.

Das kam ihm gelegen, und wie!

„Warte“, sagte Falla-Pueblos. „Du weißt, daß Chano nie Fehler begeht. Am Dorf der Amazonen hatte meine Stunde noch nicht geschlagen. Aber ich sah, wie der Seewolf sich weiter flußaufwärts begab, sah auch dich, Sinim, und deine sieben, wie ihr die Expediton verfolgtet.“

„Großer Chano, du bist allmächtig …“

„Auch ihr wartet auf eine günstige Gelegenheit, diese Hunde zu vernichten, nicht wahr?“

„Wir werden sie töten“, zischte Sinim.

„Wir mußten zusammentreffen“, versetzte Hermano Falla-Pueblos feierlich. „Ich habe es von Anfang an gewußt. Chano weiß alles, vergeßt das nicht. Der Mann dort heißt Augusto und ist ein neuer Gehilfe von mir. Achtet ihn. Er ist ein Versprengter wie ihr, und ich habe ihm gestattet, mir untertan zu sein.“

„Verzeih, Augusto“, sagte Sinim zu de Guaramas gewandt. „Fast hätten wir dich getötet. Unser Haß gegen alle weißen Feinde blendet uns.“

„Schon vergeben“, erwiderte der dicke Steuermann aufatmend. „Habt ihr was zu essen dabei?“

Seewölfe Paket 5

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