Читать книгу Seewölfe Paket 16 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 50

3.

Оглавление

Der Profos der „Goliath“ nahm die Seewölfe auf der Kuhl in Empfang.

Als Carberry dieses Ungeheuer zum ersten Mal sah, da wollte er schon die Arme in die Hüften stemmen und sein berüchtigtes „Was, wie“ losdonnern, besann sich dann aber noch rechtzeitig auf seine Rolle und starrte den Roßschlächter nur an.

Himmel, war das ein Kerl, fand er, und das fanden die anderen auch. Der Blutsäufer legte auch gleich los.

„Ein rührseliger Abschied“, röhrte er wie ein Stier. „Stehen da wie Windelpisser und winken. Hättet euch wohl gern von eurem Captain mit Handschlag und Küßchen verabschiedet, was?“

„Was, wie?“ sagte Carberry, in dessen Augen ein sehr eigentümliches Funkeln lag.

„Was – wie?“ fragte der Kerl grob. „Quasselt nicht dämlich rum. Nehmt da am Großmast Aufstellung und haltet eure Schnauzen! Werde mir mal eure Visagen ansehen. Danach zieh ich euch die Gräten lang, damit ihr Säcke mal wißt, wie es sich bei der Navy fährt.“

„Bestimmt sehr gut“, versicherte Ed und grinste seinen Profos-Kollegen an, der ihm über alle Maßen gefiel, in der Art und im Aussehen gleichermaßen.

Der Profos kümmerte sich jedoch nicht um Ed. Er verschränkte die Arme auf dem Rücken, ging mit schweren Schritten auf und ab und musterte aus aufdringlicher Nähe ungeniert die Gesichter, wobei er hin und wieder ein undefinierbares „Hm, hm“ von sich gab.

Dann stand er unvermittelt vor dem riesigen Batuti, der einen beleidigten Flunsch zog. Bei dem Anblick des hünenhaften Gambia-Mandingos prallte der Profos zurück und verschluckte sich fast.

„Verdammt!“ schrie er. „Ist das nicht ein lausiger Nigger?“

„Ein Neger“, verbesserte Carberry und warf Batuti gleich einen warnenden Blick zu, damit der nicht vorzeitig explodierte und die Beleidigung gelassen schluckte.

„Ja, verflucht noch mal!“ brüllte der Profos jetzt so laut, daß man es über alle Decks hören konnte. „Das hier ist ein Schiff der königlichen Royal Navy und kein Affenzoo. Wie kann euer Kapitän es wagen, so einen Kerl zu uns an Bord zu schikken!“

Batuti wurde grau im Gesicht und fing Carberrys zweiten warnenden Blick auf, der soviel bedeutete, daß ein Kerl wie dieser lausige Profos Batuti niemals beleidigen könne.

„Jetzt haben wir auch noch einen Affen an Bord“, tobte der Profos. „Was frißt er denn? Gras oder Mäuse? Oder ist er ein Dreckfresser?“

Er wollte noch etwas hinzufügen, noch mehr Schmähungen und Beleidigungen, doch da ertönte vom Achterdeck eine indigniert klingende Stimme.

„Profos“, sagte der Earl, der sich durch die Anwesenheit eines „Niggers“ ebenso gekränkt fühlte wie die übrigen Herren vom Achterdeck, die mißbilligend und voller Abscheu auf Batuti starrten.

Der Profos raste ein Deck weiter und sah den Earl fragend an, der jetzt den Finger erhoben hatte und auf die Kuhl deutete.

„Was ist das für ein Subjekt?“ fragte er angewidert.

„Ein Bastard, Sir, ein Nigger.“

„Das war wohl die Rache dieses Killigrew“, schnarrte der Earl. „Schickt uns eine Mißgeburt an Bord, obwohl ich befahl, nur gutes und sauberes Material zu selektieren.“

Batuti stand immer noch ganz ruhig da. Er hatte die Augen geschlossen, was nach außen hin eine demütige Haltung erweckte, aber bezwekken sollte, daß man seine unbeschreibliche Wut nicht sah, denn noch war die „Isabella“ nicht aus dem Gefahrenbereich.

Den anderen Seewölfen lief die Galle über, besonders dem explosiven Hitzkopf Luke Morgan, den Carberry nur dadurch besänftigte, daß er ihm wie unabsichtlich einen seiner riesigen Torfkähne auf die Stiefel stellte und Luke auf diese Art buchstäblich auf den Planken festhielt.

Der Earl blickte noch einmal zur Kuhl, sah dann naserümpfend zu den anderen eitlen Fatzken und sagte leise etwas zum Ersten Offizier, wobei er den Blick nochmals zur Kuhl richtete.

Zu diesem Zeitpunkt war die „Isabella“ knapp zwei Kabellängen von der „Goliath“ entfernt.

„Geben Sie ihm fünf Hiebe mit der Neunschwänzigen, Profos“, befahl der Erste hart. „Damit dieses Subjekt geläutert wird und künftig weiß, wie es sich auf einem Schiff der Navy zu benehmen hat.“

Noch bornierter und menschenverachtender geht es wirklich nicht mehr, dachte der Profos. Sie wollen einen bis in die Knochen ehrlichen und gutmütigen Kerl auspeitschen, nur weil er eine andere Hautfarbe hat.

„Aye, aye, Sir!“ brüllte der Schlächter. „Fünf Hiebe mit der Neunschwänzigen, Sir!“

Der Profos drehte sich auf den Hacken um und brüllte nach der Neunschwänzigen. Ein kleiner krummbeiniger Kerl brachte sie ihm aus einem Kasten, unterhalb der Nagelbank.

„Jetzt geht’s los“, flüsterte Carberry, „ich nehme das Rübenschwein persönlich zur Brust. Shane, du schnappst dir den Earl und kitzelst ihn ein bißchen. Die anderen stürmen das Achterdeck. Haut jedem kräftig was auf sein durchlauchtes Maul. Aber wartet meinen Angriff ab.“

Niemand antwortete, sie nickten nur unmerklich und hatten die Hände unauffällig dort, wo die Pistolen steckten.

Der Profos mit der fürchterlichen Visage zog die Peitsche unter der Achsel durch, dann noch einmal durch die linke Hand.

„Vortreten, Nigger!“ befahl er rauh. „Damit du weißt, wie es einem schwarzen dreckigen …“

Carberry trat vor. Er atmete ganz flach, ein Zeichen, daß alles bei ihm auf Alarm stand.

„Du doch nicht“, knurrte der Profos sauer. „Der Nigger da!“

Was dann folgte, hatte es auf der „Goliath“ noch nie gegeben, selbst die Meuterei war dagegen nur ein Klacks gewesen.

„Diesmal bin ich der Nigger“, sagte Ed zu seinem „Kollegen“, mit dem er nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hatte, nicht einmal das fürchterliche Aussehen.

Dann schoß seine geballte Rechte vor, ein Hieb, der Schiffsplanken zertrümmerte und in dem alle Beleidigungen auf einmal steckten, die der Profos Batuti zugedacht hatte.

Nach dem Motto: Einer für alle, knallte dem Profos ein Hammer voll in die platte Visage. Der hart gezogene Schlag ließ den Profos aufheulen, dann trieben ihn unsichtbare Gewalten schlagartig quer über die Kuhl.

Während die Schiffsführung fassungslos zusah und überhaupt nicht begriff, was da vor sich ging, stürmte Big Old Shane mit seinem Trupp blitzschnell das Achterschiff. Wie die Tiger setzten die Arwenacks von der Kuhl aufs Quarterdeck und von da aus bis ganz nach achtern.

Der Profos war zusammengesackt. Jetzt sah er wie eine plattgedrückte Mumie aus.

Carberry ließ ihn gar nicht erst zur Besinnung kommen. Seine ganze aufgestaute Wut entlud sich in einem weiteren harten Schlag, der den Profos rücklings auf den Handlauf des Schanzkleides warf. Schon wieder war Ed mit einem Riesensatz bei ihm.

„Kanalratten gehören ins Wasser!“ schrie er, packte den Profos bei den Stiefeln, kippte ihn ein bißchen hoch und beförderte ihn ohne große Kraftanstrengung über Bord. Es platschte laut, als der brüllende Profos in einer mächtigen Woge unterging, dann auftauchte und wie ein Verrückter paddelte.

Auf dem Achterdeck herrschte inzwischen nacktes Entsetzen. Die großen Maulhelden hatten den harten Fäusten der Arwenacks nichts entgegenzusetzen, und so schnappte sich Shane augenblicklich den Earl, der vor Angst laut quietschte.

Ehe die anderen richtig begriffen, saß dem Earl ein Entermesser so dicht an der Kehle, daß er nicht mal mehr Luft schnappen konnte und sein entsetztes Quieken sofort abbrach.

Luke Morgan fackelte ebenfalls nicht lange. Er rammte dem Ersten Offizier gleich voller Zorn die Faust in den Bauch, fing den zurückfliegenden Ersten wieder ein, griff nach dessen Hals und kriegte nur das Rüschenhemd zu fassen, das er zu zwei Dritteln gleich in der Hand hatte.

Der Zweite, ebenfalls ein adliger Stiesel wie auch der Dritte, wich zurück und begann zu zetern.

Matt Davies fetzte ihm mit einem schnellen Ruck seiner scharfgeschliffenen Hakenprothese erbarmungslos die Uniform von der Hose bis zum Hemd auf, zog ihn mit dem Haken zu sich heran und knallte ihm den Schädel auf die Nase. Der Zweite ging mit einem wimmernden Schrei halb bewußtlos in die Knie.

Den Dritten packte Bill, drosch ihm zwei Kopfnüsse an den Schädel, drückte ihn dann nieder und hockte sich mit seinen Knien dem Dritten ins Kreuz, damit der in seiner grenzenlosen Angst nicht weglaufen konnte.

Smoky schnappte sich das hochnäsige Jüngelchen, das tatsächlich eine Pistole hervorfummeln wollte. Mit dem Handrücken schlug er ihm ganz lässig die Waffe aus der Hand, dann setzte es prasselnde Ohrfeigen.

Zwei Bootsleute und drei andere Kerle flüchteten. Während einer nach einem Belegnagel griff, schnitten die Seewölfe den anderen den Weg ab.

Da war Ferris Tucker heran. Ein harter Schlag ließ den Bootsmann vor der Nagelbank höflich zusammenknicken, ein zweiter beförderte ihn auf die Planken, eine rötlich behaarte Hand riß ihn jedoch sofort wieder am Genick hoch und schleppte ihn zum Schanzkleid. Direkt darunter schwamm brüllend und fluchend der Profos und versuchte, wieder aufzuentern.

„Warte, du kriegst noch Gesellschaft“, versprach Ferris.

Er packte den Bootsmann, stemmte ihn hoch und warf ihn auf den Profos, der eilig abzutauchen versuchte, es aber nicht mehr schaffte. Der Bootsmann klatschte ihm wie ein Mehlsack aufs Kreuz.

Batuti, Roger Brighton, Jan Ranse und Paddy Rogers standen da, Pistolen in den Fäusten, und belauerten vorsichtshalber das Deck, denn da war ja immer noch die Mannschaft, auf die sie nicht zählen konnten und von der keiner genau wußte, wie sie sich verhalten würde.

Die Männer unternahmen jedoch nichts. Gelassen sahen sie der Auseinandersetzung zu, ohne eine Hand zu rühren.

„Der ehrenwerte Earl scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen“, sagte Roger Brighton höhnisch. „Keiner rührt auch nur einen Finger für ihn.“

„Nix wundern bei solche Saukerl“, meinte Batuti. „Behandeln alle Leute schlecht, drum Leute nix für ihn tun.“

Sie sahen wirklich mit einer fast heiteren Gelassenheit zu, wie das Achterdeckspersonal vermöbelt wurde. Ein paar der Kerle grinsten, andere drehten sich um, als hätten sie überhaupt nichts bemerkt, und ein paar weitere rieben sich schadenfroh die Hände und knufften sich vor Freude in die Seiten.

Auch die Kanoniere legten ihre Luntenstöcke weg. Viel mehr interessierte sie die „Isabella“, die gerade dabei war, aufzukreuzen, um der „Goliath“ wieder aufzusegeln.

„Feuert, ihr Hunde!“ rief der Earl mit kreischender Stimme, der immer noch in Shanes eisenhartem Griff hing, jetzt aber den letzten Versuch unternahm, seine Haut noch einmal zu retten.

„Jawoll, Meister“, sagte Luke respektlos, „wir feuern schon.“

Und dann explodierte seine Faust im durchlauchten Magen des Earls, der in Shanes mächtigen Pranken zusammenbrach. Von einem vornehmen Herrn konnte keine Rede mehr sein, denn nun sahen seine Kleider ziemlich mitgenommen aus, und sein Gesicht war käsig und leicht grünlich.

„Aber Luke“, sagte Shane vorwurfsvoll. „Beinahe hättest du mir eine geballert. So geht man doch nicht mit seinen Kameraden um.“

„Verzeihung untertänigst, Sir“, sagte Luke, „aber ich wollte immer schon mal einem adligen Stiesel von so miesem Charakter eine feuern.“

Einer der anderen Chargen regte sich ebenfalls auf, obwohl eine Pistole auf ihn gerichtet war und er mit halb erhobenen Händen in der Nähe des Ruders stand.

„Das wird euch das Leben kosten“, sagte er heiser vor Wut. „Ganz gewöhnlicher Schiffspöbel wagt es, die Hand gegen den Adel zu erheben. Ihr werdet alle in England am Galgen enden, ihr Halunken.“

„Wie belieben zu meinen?“ fragte Carberry drohend. „Habe ich eben Halunken gehört, du kraftloses Rübenschwein? Glaubt ihr durchlauchten Affenärsche eigentlich, daß wir ständig auf uns herumtrampeln lassen, was, wie, du kalfaterte Bilgenlaus, du vornehme?“

Bei jedem „Was, wie“ stieß er dem Uniformierten den Zeigefinger vor die Brust und brachte ihn zum Stolpern. Und immer, wenn der Kerl sich verzweifelt und den Tränen nahe wieder aufrichtete, stieß dieser Zeigefinger erneut zu, bis es nicht mehr weiterging und der Uniformierte mit dem Oberkörper auf dem Schanzkleid hing.

„Dir zieh ich gleich das Leder von deinem adligen Affenarsch“, fluchte der Profos. „Und ich bringe dir auch ein paar Ausdrücke bei, die du nur kichernd hinter vorgehaltener Hand flüstert, du quergeriggte Hofschranze, was, wie!“

Auch der Earl quiekte noch einmal, los, aber als Big Old Shane ihn ein ganz klein wenig anhob, da hörte das Quieken wegen Luftmangels auf, und der Earl nahm seine käsige Farbe wieder an.

Immer noch rührte kein Mann von der Besatzung einen Finger. Sie wußten noch nicht, wie dieses höllische Spiel enden würde, denn sie kannten Hasards Pläne nicht, und darum verhielten sie sich so, daß man ihnen später nicht allzuviel anlasten konnte, falls sich das Blättchen wendete.

Aber es wendete sich nicht, denn jetzt segelte die „Isabella“ immer weiter auf, mit ausgerannten Kanonen näherte sie sich von Backbord, bis zwei Enterhaken herüberflogen und sich im Schanzkleid verkrallten.

Gleich darauf wurden beide Schiffe vertäut, es gab einen kaum spürbaren Ruck, dann segelten sie langsam weiter.

Der Earl wurde noch bleicher, als er den Seewolf sah. Da keine Gefechtsbereitschaft bestand, weil sich von der „Goliath“-Besatzung niemand bewegte, verließ Hasard das Achterdeck und sprang auf die Kriegsgaleone hinüber.

Sie hatten das Häuflein Offiziere auf dem Achterdeck zusammengetrieben, ebenso die anderen Chargen wie Bootsmänner, Quartermaster und ein paar Midshipmen, die kleinlaut und verängstigt herumstanden.

„Sie wollten doch nur gutes und bestes Material“, sagte der Seewolf höhnisch zum Earl of Cumberland. „Das habe ich Ihnen geschickt. Hoffentlich waren Sie mit den Männern zufrieden. Laß ihn los, Shane“, sagte er im selben Atemzug.

„Ich hoffe“, sagte der Earl zitternd, „Sie sind sich der ganzen Tragweite dessen bewußt, was Sie getan haben. Man wird Sie über alle Meere der Welt jagen, Mister Killigrew, und wird …“

„Keine Diskussion, Verehrtester“, sagte Hasard. „Diesmal befehle ich, Sie haben nichts mehr zu melden. Von mir wird Gewalt, wie Sie sie ausüben, mit Gewalt beantwortet. Wir sind nicht die Hampelmänner einer adligen Clique. Sie werden jetzt Ihren Leuten befehlen, daß sie ein Boot zu Wasser lassen. In dieses Boot werden Sie sich selbst scheren und Ihre Chargen mitnehmen, alle, ohne Ausnahme. Dann werden Sie sich schnellstens entfernen. Pullen Sie nach Schweden oder sonstwohin, meinetwegen auch nach Deutschland, es interessiert mich nicht. Geben Sie jetzt Ihren letzten Befehl. Wie Sie das irgendwann einmal bei Hofe darstellen, interessiert mich ebenfalls nicht.“

„Das werden Sie nicht wagen“, sagte der Earl heiser. Er wich weiter zurück und sah Hasard fassungslos an.

Der Seewolf hatte mit einer kaum sichtbaren Bewegung den Degen aus der Scheide gezogen. Die Spitze stand direkt vor dem Gesicht des Grafen.

„Geben Sie diesen letzten Befehl“, sagte Hasard mit kalter klirrender Stimme, „oder soll ich Sie vor allen Leuten mit dem Degen hier Stück für Stück entkleiden? Also los!“

Dem Earl trat das Wasser in die Augen, als er mit kaum vernehmbarer heiserer Stimme den Befehl gab.

Diesmal flitzten seine Leute so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Das Manöver „Boot zu Wasser“ ging fast noch schneller vonstatten als bei den Seewölfen, und das wollte etwas heißen.

„Die Midshipmen zuerst, du auch, du Schnösel!“ fuhr Hasard den hochnäsigen Midshipman an, der so arrogant über ihn weggesehen hatte.

Jetzt zitterte das Bürschchen vor Angst am ganzen Leibe und hatte schon die Hosen voll. Trotzdem glaubte er, den Helden spielen zu müssen, und riß noch einmal das Maul auf.

„Sie werden hängen!“ schrie er gellend.

Luke Morgan klebte ihm ganz vorsichtig eine. Der Schwung trieb den Burschen direkt bis ans Schanzkleid, und als Luke drohend auf ihn zutrat, da flitzte das Bürschchen zitternd ab und sauste ins Beiboot, wo es ganz artig auf der Ducht Platz nahm.

Die Mannschaft sah zu, diesmal nicht gelassen, sondern total begeistert. Mann, waren das Kerle! Ein Dutzend von ihnen räumte so mir nichts, dir nichts einfach mal eben das Achterdeck ab und hatte Minuten später schon das Schiff in der Gewalt. Das Ansehen der Arwenacks stieg deutlich sichtbar und sprunghaft an.

Shane hielt den Earl wieder fest, denn er wollte jetzt in seiner grenzenlosen Angst auskneifen, als er als letzter an Deck stand. Die anderen nahmen schweigend im Boot Platz wie eine Horde Aussätziger.

„Wird’s bald, mein Lieber?“ sagte Hasard. „Oder warten Sie auf eine Eskorte?“

„Sir, Sie dürfen das nicht tun. Ich werde mir den Tod holen. Sie müssen mich an Bord …“

Das waren des Earls letzte Worte, die er auf der „Goliath“ sprach, denn Hasard nickte Shane nur kurz zu, und der graubärtige Riese hievte den zappelnden Earl einfach hoch und warf ihn über Bord.

„Das spart ihm das mühevolle Abentern“, sagte Shane trocken.

Unten zogen sie den klatschnassen Grafen aus dem Wasser. Die Midshipmen griffen zu den Riemen und pullten davon, der schwedischen Küste nach Norden entgegen, die gerade noch sichtbar an der Kimm stand.

„Und legt ein paar faule Tage in Trelleborg ein“, riet Carberry und grinste noch einmal freundlich hinterher.

Damit war die Schiffsführung der „Goliath“ von ihrem Posten hinweggelobt, wie Ferris Tucker das nannte, und Hasard wandte sich der Besatzung zu, die in freudiges Gebrüll ausbrach, sich den Teufel um die pullenden Kerle scherte und die Seewölfe am liebsten einen nach dem anderen umarmt hätte.

„Wer von euch ist der Decksälteste oder der Steuermann?“ fragte Hasard die Männer, die sich alle um die Seewölfe in der Kuhl scharten.

Ein etwas älterer bärtiger Mann mit schmalem Gesicht trat vor.

„Winley ist mein Name, Sir“, sagte er. „Ich bin der Decksälteste. Der Steuermann, Mister Prook, ist in der Piek eingesperrt und angekettet worden.“

„Ein guter Mann?“ fragte Hasard.

„Ein sehr guter Mann, Sir, charakterfest und stark.“

„Dann steht seiner Befreiung ja wohl nichts mehr im Wege. Schicken Sie ein paar Leute nach vorn, und holen Sie ihn.“

„Aye, aye, Sir, sofort. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Aber wir wissen nicht, wie das wohl enden wird.“

„Auch dafür bietet sich eine Lösung an, ich möchte nur noch ein paar Einzelheiten erfahren.“

Hasard sah dem Boot nach, in dem die Kerle hockten und eifrig nach Norden pullten. So hatten sie sich ihren Abgang von der „Goliath“ ganz sicher nicht vorgestellt. Es berührte ihn nicht, was aus den Menschenschindern wurde. Vielleicht blieben sie vor lauter Scham in Schweden, vielleicht schlugen sie sich nach England durch, und dort würden sie schon ein Märchen zur Hand haben.

Wenige Augenblicke später stand der Steuermann vor ihm. Er drückte das Kreuz durch und rieb seine geschwollenen Handgelenke. Die anderen hatten ihm in kurzen Worten berichtet, war vorgefallen war. Jetzt gab er allen erfreut die Hand und konnte nicht begreifen, was ein Dutzend Männer innerhalb kurzer Zeit hier an Bord ausgerichtet hatte.

Hasard sah in klare ehrliche Augen. Der Steuermann gefiel ihm auf Anhieb. Auch er sah aus schmalen Augen dem Boot nach, das immer kleiner wurde.

„Das waren die übelsten Menschenschinder und Menschenverächter, denen ich je begegnet bin, Sir“, sagte er erbittert. „Sie behandeln jeden Straßenköter besser als einen Menschen.“

„Ich hatte bereits das Vergnügen, die Gentlemen kennenzulernen“, erwiderte der Seewolf. „Um das festzustellen, genügte bereits ein Blick. Was ist hier an Bord bloß passiert, Mister Prook?“

„Viel, sehr viel, Sir. Es gab bei den geringsten Anlässen die allerschwersten Strafen. Manch braver Mann wurde so lange geprügelt, bis er an den Verletzungen starb. An Bord gab es den letzten Fraß, und wer sich über Maden im Brot beschwerte, der erhielt mindestens zwanzig Hiebe.“

„Eine feine Schiffsführung“, sagte der Profos kopfschüttelnd. „Die adeligen Herren litten sicher keine Not.“

Der Steuermann lachte gallig auf.

„Da gab es nur das Beste und Feinste für die Herren, von erlesenen Weinen bis zu ausgesuchtem Proviant. Kein Wunder, daß langsam Bitterkeit entstand, als es immer schlimmer wurde. Es wurde so schlimm, daß es schließlich eine Meuterei gab.“

„Sie waren dabei?“ fragte Hasard.

„Ja“, gab Prook ehrlich zu, „ich war dabei, Sir, denn ich konnte die Schinderei nicht mehr mit ansehen, denn immer öfter wurden gepreßte Leute grundlos gequält, gefoltert oder geschlagen.“

„Was geschah mit den Meuterern, wurden sie gehängt?“

„Alle, Sir, vierzehn Mann, bis auf mich. Ich wurde nur deshalb nicht gehängt, weil sie keinen Navigator hatten. Von den Achterdecksleuten verstand niemand etwas von Navigation.“

„Und solche Kerle fahren zur See und nennen sich Kapitän“, sagte der Seewolf kopfschüttelnd. „Wahrscheinlich haben sich der Earl und seine Adelsclique ihre Ränge erkauft.“

„Das ist anzunehmen, Sir. Hier haben sie sich dann gründlich an unschuldigen Männern ausgetobt.“

„Welchen Auftrag oder Order hatte das Schiff, Mister Prook?“

„Die Order bestand darin, Handelsbeziehungen in der Ostsee mit den Anliegerstaaten anzuknüpfen sowie Holz, Pelze oder Bernstein aufzukaufen.“

„Und das gelang nicht?“ fragte Hasard gespannt. Vielleicht konnte er aus den Erfahrungen dieser Männer etwas lernen.

„Nein, es gelang nicht. Wir sind leer, wir haben absolut nichts in den Räumen als leere Fässer. Das lag jedoch nur an dem arroganten und fordernden Auftreten des Earls. Auf diese herablassende Art waren keine Handelsbeziehungen anzuknüpfen, denn der Earl bestimmte von vornherein gleich die Preise, setzte alles fest, befahl oder drohte, was die ehrbaren Kaufleute natürlich gleich abschreckte.“

„Verständlich. Wie lange wart ihr unterwegs?“

„Fast auf den Tag ein Jahr, Sir.“

„Ein Jahr?“ fragte Hasard erstaunt. „Ein ganzes Jahr und nichts ist erreicht worden, absolut nichts? Da wird sich die stolze Royal Navy über ihren merkwürdigen Kommandanten sehr freuen. Der hätte ja gar nicht wagen können, England noch einmal anzulaufen. Er hat der Krone nichts weiter als Kosten beschert.“

Hasard wandte sich an Ferris.

„Sie hatten genau die gleichen Order wie wir, vermutlich auch über Lord Cliveden. Aber nach einem Jahr hat der Lord die ‚Goliath‘ längst abgeschrieben oder zumindest erkannt, daß der Earl für seine Aufgabe total ungeeignet war. Wer weiß, was die Kerle mit dem Schiff vorhatten, denn es will mir nicht in den Kopf, daß sie so einfach England angelaufen und erklärt hätten, ihre Mission sei kläglich gescheitert. Damit wäre der Earl bei Hofe untragbar geworden.“

„Kann ich mir auch nicht vorstellen“, sagte Ferris. „Irgendeine Lumperei hatten die Kerle ganz sicher vor. Wir werden es jedenfalls anders anpacken, Sir.“

„Ganz sicher sogar.“

Hasard blickte die Männer der „Goliath“ an, die sich nun alle bis auf den Rudergänger ausnahmslos um die Seewölfe geschart hatten. Er sah zufriedene und glückliche Gesichter, Männer, die heilfroh waren, ihre unmenschlich Plagegeister losgeworden zu sein, aber er sah auch in Gesichter, in denen die bange Frage nach der Zukunft stand, denn die Frage, wie es nun wohl weiterginge, stellte sich jeder.

Der Steuermann wollte sich noch einmal überglücklich bei Hasard bedanken, doch der Seewolf wehrte ab.

„Niemand ist uns zu Dank verpflichtet“, sagte er. „Wir ahnten ja nicht, welche Zustände hier herrschten. Der Earl hat nur gewagt, freie Männer zu requirieren, er hat mich persönlich beleidigt und wollte einem unserer Leute die Peitsche geben, nur weil er eine andere Hautfarbe hat. Da haben wir vereinbart, schnell aufzuräumen, um unsere Freiheit wieder zu erhalten. Menschen sind kein Material und müssen wie Menschen behandelt werden und nicht wie Tiere. Ich hoffe, Seine Lordschaft ist um eine Erfahrung reicher.“

„Aber Sie werden Schwierigkeiten kriegen, Sir“, wandte Prook ein.

„Das glaube ich nicht. Der Earl hat versagt, kläglich versagt, und die Schwierigkeiten wird man ihm aufbürden, vorausgesetzt, er läßt sich überhaupt noch einmal in England blicken. Vielleicht hatte er auch vor, das Schiff mit Mann und Maus absaufen zu lassen, ich traue dem Kerl alles zu, nur damit er mit reingewaschenem Hemd dasteht. Aber das ist nur eine Vermutung von mir.“

„Die könnte durchaus zutreffen, Sir“, meinte Prook nachdenklich.

Auch der Decksälteste Winley nickte nachdenklich.

„Sir“, sagte Prook vorsichtig, „wir selbst befinden uns natürlich auch in einer mehr als schlechten Lage. Wenn wir das Schiff nach England zurückbringen, wird man uns aufhängen, weil die gesamte Schiffsführung verschwunden ist. Wir sind zwar fast alle gepreßt worden, aber das wird keine Rolle spielen. Immerhin stehen wir namentlich in der Mannschaftsrolle und werden auch im Logbuch erwähnt.“

Hasard nickte und sah auf die Planken. Natürlich hatte er das längst bedacht, aber er wußte auch Rat.

„Ihr alle habt nichts zu verlieren“, sagte er. „Ich empfehle aber zwei Möglichkeiten, von der die letzte die bessere ist. Sie können das Schiff auf die Klippen setzen, anzünden oder absaufen lassen. Damit verschwinden auch die Unterlagen, und ihr kehrt nach England zurück, wo man euch ganz sicher nicht finden wird.“

„Das ist eine sehr gute Möglichkeit“, sagte der Decksälteste spontan.

„Die zweite ist besser.“ Hasard lächelte. „Ihr vernichtet die Unterlagen wie Logbuch, das wahrscheinlich ohnehin gefälscht ist, und auch die Musterrolle. Dann segelt ihr in Richtung Süden nach Deutschland zur Pommerschen Bucht. Dort werdet ihr bestimmt Käufer für das Schiff finden, wenn ihr ein wenig mit dem Preis heruntergeht. Dieses Geld verteilt ihr gerecht unter der Mannschaft, trennt euch, kehrt nach England zurück oder heuert irgendwo anders an. Deutlicher brauche ich wohl nicht zu werden. Die Ausreden, warum ihr das Schiff verkauft, werden euch wohl selbst einfallen. Mit dem Geld habt ihr jedenfalls einen guten Start in ein neues Leben. In Deutschland wird keiner große Fragen stellen, das Schiff werdet ihr sehr schnell verkaufen.“

Ein Sturm der Begeisterung brach an Bord der „Goliath“ los. Die Leute schrien und brüllten freudig durcheinander.

Einer der Männer drängte sich zu Hasard vor und überreichte ihm ein in feines Leder gebundenes Buch.

„Eine kleine Erinnerung an unsere Begegnung, Sir. Das ist das Logbuch des Earl of Cumberland.“

„Werfen Sie es über Bord“, wollte Hasard erst sagen, doch dann besann er sich anders, streckte die Hand aus und nahm das Logbuch in Empfang. Wer weiß, dachte er, wegwerfen kann ich es immer noch.

Vielleicht aber konnte man es eines Tages auch verwenden, als kleinen Trumpf im Ärmel, wenn sich beispielsweise herausstellen sollte, daß es gefälscht war, und falls der Earl, was unwahrscheinlich war, eines Tages doch wieder seinen Weg kreuzte.

„Vielleicht ist es ganz gut so“, sagte er sinnend. „Und noch etwas: Wir selbst wissen von nichts, wir haben nichts gesehen und nichts gehört, falls ihr Bedenken habt. Wir sind der ‚Goliath‘ nicht einmal begegnet. Wir alle werden über die Geschehnisse an Bord Stillschweigen bewahren.“

Wieder brach Freudengeheul los, und Prook und Winley wurden spontan gewählt, um das Schiff zu führen.

Damit war die Geschichte bereinigt und erledigt. Die Seewölfe verabschiedeten sich von freien Männern, lösten die Leinen und setzten die Segel, um wieder auf Ostkurs zu gehen.

Cheers, Hochrufe und freudiges Gebrüll klangen ihnen nach. Die Besatzung der „Goliath“ war schier aus dem Häuschen. Sie segelten einem hoffnungsvolleren Schicksal entgegen.

Seewölfe Paket 16

Подняться наверх