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II SemantikSemantik und Kognition 7 Begriffsrealismus versus Begriffsrelativismus

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Es ist nun an der Zeit, ein Zwischenresümee zu ziehen. Zwei grundlegende Zeichenauffassungen wurden einander gegenübergestellt: die repräsentationistische und die instrurnentalistische. Als Vertreter einer repräsentationistischen Zeichenauffassung wurden AristotelesAristoteles und FregeFrege vorgestellt, als Vertreter einer instrumentalistischen Auffassung PlatonPlaton und WittgensteinWittgenstein.

Die zentralen Fragen, die repräsentationistische Zeichenauffassungen zu beantworten versuchen, sind: Wofür steht ein Zeichen? Welches sind die außersprachlichen Entsprechungen der Zeichen? Dahinter steht natürlich eine ganz bestimmte Auffassung darüber, was Kommunizieren ist. Kommunizieren heißt dieser Konzeption gemäß, dem anderen Ideen, BegriffBegriffe, Konzepte u.ä. zu übermitteln, indem man ihm Stellvertreter dieser Ideen, Begriffe und/oder Konzepte anbietet: Zu meinen Ideen hast du keinen unmittelbaren Zugang, so verschaffe ich dir Zugang mittels Zeichen, die für meine Ideen stehen. In einem solchen Szenario können die an der KommunikationKommunikation beteiligten Menschen getrost aus der Betrachtung herausgehalten werden. Sie spielen für die Konzeption des Zeichenbegriffs keine wesentliche Rolle. Mit einem großen Geheimnis müssen repräsentationistische Theorien jedoch leben: Vermöge welcher Eigenschaften schaffen es die Zeichen, für die Ideen zu stehen? Die Antwort „dadurch, dass die Zeichen die Ideen symbolisieren“ ist eine Scheinantwort, denn sie lässt die analoge Frage ein zweites Mal zu.

Die Frage, die eine repräsentationistische Zeichenauffassung offenlässt, ist genau die Frage, die instrumentalistische Zeichentheorien zu beantworten bestrebt sind: Die Wörter müssen dir auf irgendeine Weise zeigen, was ich denke. Ich sage dir, was ich denke, indem ich Mittel verwende, die dir dies zeigen. Dies scheint Platons Grundidee gewesen zu sein. Die einzige Art und Weise jedoch, wie er sich vorstellen konnte, dass Wörter zeigen können, woran der Sprecher denkt, war die des AbbildAbbildens. Die Wörter, die ich verwende, sind Bilder der Dinge, an die ich denke. Auch damit ist offenbar eine ganz bestimmte Vorstellung verbunden, was es heißt, zu kommunizierenkommunizieren. Während das Grundproblem einer repräsentationistisch begründeten Kommunikationsauffassung ein Transportproblem ist – wie schaffen die Zeichen es, Ideen von A nach B zu transportieren? –, stellt sich für eine instrumentalistisch begründete Kommunikationstheorie das Grundproblem des Kommunizierens als Beeinflussungsproblem: Wie kriege ich dich dazu, zu erkennen, was ich denke, was ich von dir möchte, was du tun oder glauben sollst? Die Zeichen werden als Mittel der Beeinflussung konzipiert. Mittel der Beeinflussung sind Spezialfälle von Werkzeugen. Allerdings darf die Analogie mit den Werkzeugen, wie wir gesehen haben, nicht zu weit getrieben werden, sonst verliert die Arbitraritätsthese auf einmal ihren SinnSinn. Repräsentationistische Zeichenaufassungen sehen gemeinhin die BedeutungBedeutung eines Zeichens in dem, wofür das Zeichen steht. lnstrumentalistische Zeichentheorien sehen die Bedeutung des Zeichens in dem, was es zu Zeichen macht. Die beiden Fragen, wofür ein Zeichen steht und was ein Zeichen zu einem Zeichen macht, sind nicht äquivalent. Was ein sprachliches Zeichen zeichenhaft macht, ist die Tatsache, dass ein geregelter GebrauchGebrauch ihm kommunikative FunktionFunktion verleiht. Es spielt eine RolleRolle im SpielSpiel des Kommunizierens. Dies ist, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Zeichenauffassung WittgensteinWittgensteins. „Wenn wir[…] irgendetwas, das das Leben eines Zeichens ausmacht, benennen sollten, so würden wir sagen müssen, daß es sein Gebrauch ist.“1 Stellen wir uns vor, wir wollten ein Brettspiel erfinden, das mit verschiedenfarbigen Knöpfen gespielt wird. Wenn wir versäumen, den roten Knöpfen Spielregeln zuzuweisen, bleiben sie Knöpfe. Erst und ausschließlich die Spielregeln machen sie zu Figuren mit Funktion im Spiel. Zeichen sind Figuren im Spiel der Kommunikation.

Erinnern wir uns an das zum Ende des Kapitels 5 Gesagte: Um den Fregeschen Sinn zu kennen, muss man das kennen, was Frege „InhaltInhalt“ nennt, und wissen, was daran wahrheitswertfunktional relevant ist. Was es heißt, den Inhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, darüber hat sich Frege nicht ausgelassen. Vermutlich hätte er auf die Frage, was es heißt, den InhaltInhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, nicht geantwortet: Das heißt zu wissen, wie er in der Sprache gebraucht wird. Aber unabhängig davon, ob Frege diese Antwort gegeben hätte oder nicht, ist dies die angemessene Antwort, und sie steht, wenn ich recht sehe, zu nichts, was Frege gesagt hat, im Widerspruch. Den Fregeschen SinnSinn eines Ausdrucks kennen, heißt, die RegelRegel des Gebrauchs des Ausdrucks kennen und wissen, welche Gebrauchsbedingungen davon die wahrheitsfunktional relevanten Gebrauchsbedingungen sind. Wenn wir Abhandlungen lesen, die einen Überblick über verschiedene Bedeutungstheorien2Alston geben, so müssen wir stets den Eindruck gewinnen, dass eine repräsentationistische Theorie und die GebrauchstheorieGebrauchstheorie alternative Theorien seien, die sich gegenseitig ausschlössen. Das ist jedoch nicht der Fall! Es handelt sich um unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragen, die unabhängig voneinander angemessen oder unangemessen sein können. Beide Fragestellungen haben ihre Berechtigung und sind miteinander kompatibel. Die Frage des Bezugs zur Welt, sei es zur Welt der Dinge oder zur Welt der kognitiven Einheiten, ist ebenso berechtigt wie die Frage, auf welche Weise eine solcher Bezug, wenn er denn vorhanden ist, zustande kommt.

Platon ließ seinen Sokrates sagen, die Sprache diene zum Belehren, zum Sondern und Benennen. Mit etwas gutem Willen lässt sich dies „übersetzen“ in Kommunikation, Klassifikation und RepräsentationRepräsentation. Den kommunikativen Aspekt der Sprache und den repräsentativen haben wir nun erörtert. Worin besteht der klassifikatorische? Man kann – grob gesprochen – zwei Thesen unterscheiden, die beide Kinder mit Bädern ausschütten. Die naiv realistische These besagt: Die Dinge sind so, wie sie sind, „bei allen Menschen dieselben“, wie Aristoteles sagte, und die Sprache dient lediglich der AbbildAbbildung. Dieser Theorie gemäß kommt der Sprache eigentlich keine klassifikatorische FunktionFunktion zu. Die Welt trägt ihre KlassifikationKlassifikation bereits in sich. PlatonPlaton scheint eine „Zwischenlösung“ zu präferieren: Die Dinge sind so, wie sie sind, aber wenn der kluge Wortbildner die Wörter nicht mit natürlicher Richtigkeit ausgestatten hätte, sodass sie die natürlichen KategorieKategorien auch korrekt wiedergeben, bekämen wir wohl einen falschen Eindruck von der Beschaffenheit der Dinge dieser Welt.

Die komplementäre Auffassung ist ebenso naiv. Man könnte sie den naiven Relativismus nennen. Sie lässt sich in etwa wie folgt formulieren: Wir sehen die Welt ausschließlich durch die Brille unserer Sprache. Die Realität ist „immer schon“ eine sprachlich vermittelte. Die Frage, ob es die Kategorien, die wir durch unsere Sprache wahrnehmen, wirklich gibt, ist unangemessen. Denn jede Antwort, die wir geben können, können wir nur wieder in einer Sprache geben, in der Kategorien vorgegeben sind.

Wer hat recht? Vertreter der zweiten Klasse von Theorien würden natürlich auch diese Frage als naiv ablehnen: Da unsere Welt „immer schon“ eine sprachlich vermittelte ist, trifft dies auch auf die Kategorien zu, mit denen wir diese Frage diskutieren. Wenn also der naive Relativismus wahr ist, ist er unbestreitbar. Das allerdings macht diese Theorie nicht stärker. Beide Ansichten sind, wenn sie fundamentalistisch vorgetragen werden, unangemessen, aber beide haben auch einen wahren Kern. Diesen herauszufinden ist eine empirische Aufgabe, der man sich durch Sprachvergleich, durch wahmehmungspsychologische Tests sowie durch sprachhistorische Überlegungen nähern kann.

Das wurde verschiedentlich getan.3 Am bekanntesten sind vielleicht die Untersuchungen von BerlinBerlin und KayKay4Berlin sowie Kay und McDaniel5 zu den Farbkategorien geworden. Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass die Farbkategorien, die durch die Grundfarbwörter einer Sprache vorgegeben sind, in Art und Anzahl erheblich variieren können, dass es aber dennoch Gemeinsamkeiten gibt. Sprecher unterschiedlicher Muttersprachen geben ungeachtet der Farbkategorisierungen, die in ihrer Sprache vorgegeben sind, erstaunlich übereinstimmende Urteile darüber ab, was jeweils ein typischer Vertreter einer bestimmten Farbkategorie ist. Die Übereinstimmungen sind offenbar durch die Physiologie menschlicher Farbwahrnehmung bestimmt. Es gibt Farben, die „in die Augen springen“.

Auch die Untersuchungen zu den sogenannten basic-level categoriesbasic-level categories6BrownLakoff – auf deutsch könnte man sie Grundkategorien nennen – machen deutlich, dass es bei allen sprachspezifischen Unterschieden der Kategorienbildung universale Tendenzen gibt. Wenn wir uns Kategorienhierarchien ansehen, wie z.B. ‚Rauhaardackel‘, ‚Dackel‘, ‚Hund‘,‚Haustier‘, ‚Säugetier‘, ‚Lebewesen‘ oder ‚Ulme‘, ‚Baum‘, ‚Laubbaum‘, ‚Pflanze‘, ‚Lebewesen‘ oder ‚Zimmermannshammer‘, ‚Hammer‘, ‚Werkzeug‘, so zeigen sprach- und kulturvergleichende Untersuchungen, dass jeweils eine Kategorie der mittleren Ebene als die zentrale angesehen wird: in unserem Falle ‚Hund‘, ‚Baum‘ und ‚Hammer‘. Kinder lernen diese Wörter früher als die anderen, und wenn eine Sprache nicht über sprachliche Zeichen für alle die Kategorienstufen verfügt, so doch immer am ehesten für die GrundkategorieGrundkategorie.

Beide Beispiele, das der Farbkategorien wie das der basic-level Kategorienbasic-level categories, machen deutlich, dass die Kategorisierungen einerseits von Sprache zu Sprache in Art und Anzahl zwar erheblich variieren können, aber andererseits nicht ganz beliebig zu sein scheinen. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum einen können Aspekte der Biologie des Menschen unmittelbar eine Rolle spielen, wie beispielsweise die Neurophysiologie der menschlichen Farbwahrnehmung, zum andern können Gemeinsamkeiten menschlichen Umgangs mit der Welt dafür verantwortlich sein. Menschen haben bei allen kulturellen Verschiedenheiten gemeinsame Wünsche, gemeinsame Bedürfnisse und gemeinsame Probleme zu lösen. Dies schlägt sich in der Sprache und ihren Kategorisierungen ebenso nieder wie ihre kulturspezifischen Besonderheiten. Die Kategorien ‚Baum‘, ‚Hund‘ und ‚Hammer‘ betreffen unser Leben unmittelbarer als etwa ‚Pflanze‘, ‚Säugetier‘ und ‚Werkzeug‘. Wenn wir in einem Spiel vor die Aufgabe gestellt würden, Kategorien pantomimisch darzustellen, fiele uns die Darstellung von ‚Hammer‘, ‚Hund‘ und ‚Baum‘ erheblich leichter als die Darstellung von ‚Zimmermannshammer‘, ‚Dackel‘ und ‚Eiche‘ oder von ‚Werkzeug‘ ‚Tier‘ und ‚Pflanze‘. Es ist gleichsam die mittlere Ebene der Relevanz zwischen begriffBegrifflicher Mikroskopie und Makroskopie. Unsere Kategorien sind interaktiver Natur. Sie sind Ergebnisse soziokultureller EvolutionEvolution. Die Entwicklung der Sprache ist ein Teil und ein Spezialfall derselben. „The categories into which we divide nature are not in nature, they emerge solely through the interaction between nature and ourselves“, schreibt Derek BickertonBickerton.7 Es ist ein konstitutives Merkmal (wenn auch kein notwendiges) evolutionärer Prozesse, adaptiv zu sein. Dies gilt auch für Prozesse sprachlicher Evolution. Sprachliche Ausdrücke – und mit ihnen die durch sie erzeugten begrifflichen Kategorien –, die sich im Zuge unserer praktischen, geistigen und kommunikativen Auseinandersetzung mit der Realität als im weitesten Sinne geeigneter erweisen als potentielle Alternativen, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit beibehalten, d.h. weiterverwendet und somit gelehrt und gelernt, als die weniger tauglichen. Informationen über die Realität werden so von Generationen von Sprachbenutzern gleichsam in die Sprache eingebaut.

Da in der Sprache kulturelles Wissen über die Realität gespeichert ist, steht sie zu „ihrer“ Realität trivialerweise in einem gewissen AbbildAbbildungsverhältnis. Dies lässt sich an den folgenden Beispielen nichtsprachlicher adaptiver Evolutionsprozesse verdeutlichen. Die Form des Fisches ist das genetisch gespeicherte Ergebnis der Erfahrungen von Millionen seiner Vorfahren mit der Hydrodynamik des Wassers. In diesem Sinne ist die Form eines Fisches eine Abbildung der Struktur des Wassers. Die Form der Kelle eines Maurers ist das kulturell gespeichert Ergebnis von Erfahrungen, die Tausende von Generationen von Maurern im Zuge der Ausübung ihres Handwerks gemacht haben. „And, once a more efficient tool is available, it will be used without our knowing why it is better, or even what the alternatives are.“8 In diesem Sinne ist die heutige Form der Maurerkelle eine Abbildung der Tätigkeit des Mauerns. In genau diesem Sinne sind auch die durch die GebrauchsregelGebrauchsregeln unserer Sprache geschaffenen Kategorien unseres Denkens Abbildungen der Realität. Adaptivität ist Speicherung erfolgreichen Erfahrungswissens über die Realität. „Cultural evolution can be regarded as a process of ‚collective learning‘ in the sense that it consists in the transmission and accumulation, from generation to generation, of knowledge and experience.“9Vanberg

Der Gedanke der Adaptivität setzt voraus, dass wir eine Wirklichkeit akzeptieren, die unabhängig von Sprache und Wahmehmung ist. Wenn unsere Form der Wahrnehmung Ergebnis evolutionärer Anpassung ist, muss es etwas geben, an das sich unsere Wahmehmung angepasst hat. Konrad LorenzLorenz hat diese erkenntnistheoretische Position hypothetischen Realismus genannt.10Lorenz Die Sprache jedoch passt sich nicht nur, wie der Fferdehuf an die Steppe, an die Welt der Dinge an, sondern auch an soziale Realitäten, in denen Bewertungen eine große Rolle spielen. Dass sich das mittelalterliche Anredesystem ir – du, das der Markierung sozialer Hierarchie diente (hoch – tief), zu dem System Sie – du gewandelt hat, das – grob gesagt – der Markierung von Distanz und Vertrautheit dient (nah – fern), ist ein Prozess der Adaption, aber nicht an die Welt der Dinge, sondern an die Welt der Werte. Dass wir ‚rot‘ und ‚grün‘ unterscheiden, scheint eine AnpassungAnpassung an unseren Wahrnehmungsapparat zu sein, dass wir ‚Mord‘ und ‚Totschlag‘ unterscheiden, ist eine Anpassung an unsere rechtlichen Bewertungen, dass wir ‚Stuhl‘ und ‚Hocker‘ unterscheiden, ist eine Anpassung an unsere Alltagslebensform.

„BegriffBegriffe sind sprachliche Werkzeuge des Denkens.“11Feilke Sie sind die geistigen Korrelate unserer GebrauchsregelGebrauchsregeln und werden im Allgemeinen von diesen erzeugt. Ich will versuchen, den Zusammenhang von Typen von Gebrauchsregeln und Typen von Kategorien darzulegen.

Die Gebrauchsregeln unserer Sprachen und die Kategorien, die durch sie hervorgebracht werden, sind die derzeitigen Ergebnisse eines potentiell unendlichen kulturellen Lernprozesses. Das Kategoriensystem, das wir durch den GebrauchGebrauch unserer Sprache erwerben, bringt uns in den Besitz von Lösungsstrategien von Problemen, mit denen der einzelne selbss nie in Berührung gekommen zu sein braucht. Indem wir unserer Sprache erwerben, „we learn to classify things in a certain manner without acquiring the actual experiences which have led successive generations to evolve this system of classification“.12Hayek„Learning without insight“,13 nennt Viktor Vanberg treffend diese Form des Wissenszuwachses. Gesellschaften sind nicht nur arbeitsteilig, sie sind sozusagen auch wissensteilig und erfahrungsteilig. Mit meiner Sprache erwerbe ich Erfahrungswissen, das Generationen vor mir gemacht haben. In seinem Aufsatz „Über den ‚Sinn‘ sozialer lnstitutionen“14 äußert sich von Hayek ausführlich über das implizite Erfahrungswissen, das in jenen „ohne Absicht entstandenen Bildungen wie Moral, Sitte, Sprache und […] Markt“15 enthalten ist und tradiert wird:

Das Wichtige ist hier, daß wir uns nicht nur der Sprache bedienen lernen, ohne wirklich zu wissen, was für komplizierte Regeln wir ständig anwenden […], sondern daß wir mit der Sprache sehr viel Wissen über die Welt erwerben, Wissen, das gewissermaßen in der Sprache enthalten ist und uns, ohne daß wir es formulieren könnten, ständig leitet, wenn wir in der Sprache denken oder sprechen. Daß uns die Sprache oft irreführt, ist natürlich oft betont worden. Aber viel öfter hilft uns der erlernte Gebrauch der Sprache, uns in der Welt, in der wir leben, zu orientieren, hilft uns, gewissermaßen automatisch viele Probleme zu lösen, ohne daß wir wirklich erklären könnten, wie wir zu dieser Lösung kommen. […] Es ist keineswegs selbstverständlich, daß sich die Dinge und Ereignisse gerade so gruppieren, wie wir sie mit gleichen oder verschiedenen Namen belegen; in der Zusammenfassung an sich verschiedener Dinge unter demselben Namen oder einer verschiedenen Benennung liegt schon viel Erfahrung verborgen.16

Die Kategorien, die sich durch unsere kommunikative Praxis bilden, überdauern nach Maßgabe ihrer funktionalen Tauglichkeit innerhalb der betreffenden KulturKultur. Logisch spricht nichts dagegen, eine Kategorie zu bilden, die all die Lebewesen umfasst, die essbare Eier legen: Hühner und einige andere Vögel, Seeigel, Ameisen, Störe und einige ander Fische. Wir könnten die Kategorie all der Dinge bilden, die man mit dem Fahrrad transportieren kann. In unserer Sprache gibt es keine Wörter, die diese Klassifikationen erzeugen. Dass es sie nicht gibt, liegt nicht an der „Unsinnigkeit“ solcher Kategorien, sondern allein daran, dass in unserer Lebensform offenbar dafür kein rekurrenter Bedarf besteht. Wörter und Begriffe sind (im wohlverstandenen Sinne) WerkzeugWerkzeuge unseres Kommunizierens und Denkens. Werkzeuge sind Mittel, die Standardlösungen für rekurrent auftretende Probleme bereitstellen. Logisch und technisch spricht auch nichts dagegen, dass es ein Werkzeug gibt, um in Milchflaschen gefallene Tischtennisbälle wieder herauszuholen. Dass es ein solches Werkzeug nicht gibt, liegt ausschließlich daran, dass dieses Problem in zu geringer FrequenzFrequenz zur Lösung ansteht. Hätten wir eine Religion, die eierlegende Tiere verehrt, oder ein Transportsystem, in dem das Fahrrad eine besondere Rolle spielt, so hätte sich auch der dazu geeignete Wortschatz mit den entsprechenden Kategorien gebildet. Die Kategorien, die durch eine natürliche Sprache hervorgebracht werden, sind aus logischer Sicht bisweilen äußerst verwirrend und wild. Was in evolutionären Prozessen zählt, ist nicht Logik, sondern Nützlichkeit. Sprachliche Evolution ist ad hoc und hemmungslos utilitaristisch. (Darunter scheinen besonders Sprachkritiker zu leiden.)

Betrachten wir beispielsweise die Kategorie ‚Vieh‘. Noch im Mittelalter bestand der Unterschied zwischen ‚Tier‘ und ‚Vieh‘ darin, dass wildlebende Tiere Tier (vgl. engl. deer) genannt wurden und die Nutztiere des Bauernhofs Vieh. Diese Unterscheidung ist offenbar mit der Verwissenschaftlichung einerseits und der Entbäuerlichung der Gesellschaft andererseits obsolet geworden. ‚Tier‘ ist zu einer biologischen Kategorie geworden; die SemantikSemantik des Wortes Tier enthält keine Gebrauchsbedingungen mehr, die den menschlichen Umgang oder den Nutzen für den Menschen betreffen (im Gegensatz etwa zu dem Wort Wild, das von der Wachtel bis zum Elefanten auf alles anwendbar ist, das von Jägern als jagbar angesehen wird).17 Die Kategorie ‚Vieh‘ ist für den heutigen Sprecher einigermaßen unklar geworden: Darunter fallen immer noch bäuerliche Nutztiere, aber offenbar nicht mehr alle. Bei Wilhelm Busch ist zwar noch von Witwe Boltes „Federvieh“ die Rede, aber ich würde heute von einem Gänsezüchter nicht mehr sagen, dass er Viehhaltung betreibe; und bei den „neuartigen“ Nutztieren wie Damwild oder Straußenvögeln wäre ich unsicher. Selbst von Pferden weiß ich nicht, ob ich sie zur Kategorie ‚Vieh‘ rechnen sollte. Möglicherweise ist ‚Vieh‘ auf bäuerliche Nutztiere, die primär der Ernährung dienen, beschränkt. Diese Unsicherheit der Zuordung ist eine Unsicherheit in bezug auf den Gebrauch des Wortes Vieh. Mangelnde kommunikative Kontakte zu Sprechern mit mehr Sicherheit und mangelnde Frequenz der aktiven wie passiven Verwendung des Wortes Vieh haben den Effekt, dass ich mich bei meiner aktiven Verwendung auf die Fälle beschränke, wo ich glaube, Gewissheit zu haben, und das sind die Rinder. So führt Unsicherheit zu Selbstbeschränkung im Gebrauch, und die Selbstbeschränkung vieler führt auf dem Wege der Kumulation mittelfristig zu Gebrauchsbeschränkung und somit zu BegriffsverengungBegriffsverengung.

Betrachten wir ein Beispiel für eine ziemlich „wilde“ Kategorie, die Kategorie ‚Salat‘. Die GebrauchsregelGebrauchsregeln des Wortes Salat sind dergestalt, dass es weder scharfe Grenzen dafür gibt, was unter die Kategorie fällt und was nicht, noch einheitliche Kriterien. Dennoch, das sei vorausgeschickt, macht uns der Gebrauch des Wortes Salat keinerlei Schwierigkeiten. Wir merken normalerweise gar nicht, wie verworren und aus logischer Sicht ad hoc wir dieses Wort verwenden. Salat wächst im Garten. Salat ist auch das, was bei Tisch in der Salatschüssel ist. Der Zusammenhang zwischen den Pflanzen, die man Salat nennt, und den zubereiteten Speisen, die man Salat nennt, ist alles andere als klar. Salatherzen kann man dünsten, dann entsteht Gemüse. Gemüse – wie Blumenkohl oder Paprika – kann man mit einer Vinaigrette anmachen, dann entsteht Salat. Der Salat in der Salatschüssel muss nicht aus Salat hergestellt sein, und aus Salat aus dem Garten kann man auch andere Speisen zubereiten als Salat. Bestimmte Gurken werden nahezu ausschließlich zur Herstellung von Salat verwendet,18 aber indem ich Gurken pflanze, pflanze ich nicht Salat. Man könnte annehmen, das Wort Salat sei zweideutig, so wie etwa Schloss. Gegen diese Annahme spricht das Sprachgefühl, und nicht nur dieses. Es gibt auch einen recht zuverläßigen Test: Bei ambigenAmbiguität Wörtern besteht Disambiguierungsverpflichtung. PinkalPinkal nennt dies „PräzisierungsgebotPräzisierungsgebot“.19 Bei Wörtern mit uneinheitlicher oder unklarer ExtensionExtension besteht keine solche Verpflichung. Wer sagt, Ich habe mir ein kleines Schloss gekauft, der kann nicht offenlassen, ob es sich um ein Vorhängeschloss oder ein feudales Gebäude handelt. Wer aber beispielsweise sagt, Ich habe mir eine Waffe gekauft, der kann durchaus offen lassen, ob es sich um einen Kampfpanzer oder ein Jagdmesser handelt. Im ersten Fall haben wir die Äußerung nicht verstanden, wenn uns die DisambiguierungDisambiguierung nicht gelingt. Im zweiten Fall haben wir die Äußerung auch dann verstanden, wenn wir nicht wissen, um welche Art von Waffe es sich handelt.

Zurück zum Salat. Wenn meine Frau sagt, Wir müssen noch Salat kaufen, so muss ich nicht in der Lage sein zu präzisieren, ob sie die Pflanze meint, die Salat genannt wird, oder Pflanzen, die sich zum Herstellen von Salat eignen. Ich würde nicht protestieren, wenn sie Tomaten und Gurken kaufte. Allerdings würde ich es für befremdlich halten, wenn sie Rindfleisch und Käse meinte, um einen Straßburger Fleischsalat zuzubereiten. Tomatensalat ist Salat, obwohl Tomaten nicht zu den Pflanzen gehören, die unter die Kategorie ‚Salat‘ fallen. Fleischsalat hingegen ist nicht Salat, so wenig wie Kartoffelsalat, Nudelsalat oder Obstsalat.20 Man kann nicht sagen, Ich habe heute viel Salat gegessen, und damit Fleischsalat meinen. Aber Fleischsalat ist auch keine metaphorische Übertragung wie beispielsweise Bandsalat (im Tonbandgerät). Betrachten wir zum Vergleich das spanische Wort ensalada. Im Garten wächst keine ensalada, sondern (beispielsweise) lechuga. Wenn die gewaschene und zerteilte lechuga auf dem Teller mit Essig und Öl übergossen und gesalzen ist, dann ist sie en-salada, was in etymologisierender Übersetzung ‚ein-gesalzen‘ heißt. Obstsalat wird nicht ‚eingesalzen‘; vielleicht ist es deshalb ungewöhnlich (wenn auch nicht völlig ausgeschlossen), Obstsalat ensalada de frutas zu nennen; er heißt macedonia de frutas. In Spanien wird Salat eher angerichtet (mit Essig und Öl übergossen) als mit Soße vermischt. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb sich das Wort ensalada nicht als Metapher zur Bezeichnung von Unordnung und Durcheinander verwenden lässt: Was hast du für einen Salat auf deinem Schreibtisch! Das Analoge gilt beispielsweise für die katalanische Kategorie ‚amenida‘. Der angemachte Salat auf dem Teller ist eine amenida; der Salat, der im Garten wächst, heißt enciam. Amenida ist ein Partizip von amenir, ‚würzen‘. Das heutige Substantiv amenida ‚Salat‘ ist eine Reduktionsform aus enciam amenida ‚gewürzter Salat‘. Während Obstsalat im Spanischen statt macedonia de frutas unter Umständen auch ensalada de frutas genannt werden kann, ist es im Katalanischen völlig unmöglich, amenida de fruites statt macedonia de fruites zu sagen. Das heißt, die spanische Kategorie ‚ensalada‘ ist ähnlich der katalanischen Kategorie ‚amenida‘, aber nicht mit ihr identisch. Beide Kategorien sind jedoch sehr verschieden von der deutschen Kategorie ‚Salat‘.

Die RegelRegel des Gebrauchs des Wortes Salat scheint aus einer Disjunktion von Gebrauchsbedingungen zu bestehen. Salat kann dazu verwendet werden, Pflanzen einer bestimmten Art zu bezeichnenbezeichnen oder/und ein mit einer Marinade angemachtes, durch Mischen zubereitetes Gericht, wobei die Basiszutaten nicht in die Gebrauchsbedingungen mit eingehen; alles was gemischt und angemacht ist, fällt unter die Kategorie ‚Salat‘. Das heißt, die Kategorie ‚Salat‘ ist zugleich eine Kategorie, die Pflanzen nach einem bestimmten Gebrauchswert klassifiziert, und eine, die eine bestimmte Zubereitungsart klassifiziert. Sie ist eine Kategorie, die in der alltäglichen Lebenspraxis und Kommunikationspraxis entstanden ist und ohne Rücksicht auf Klarheit und Logik tradiert wird. Sie ist wirr, hat unscharfe Ränderunscharfe Ränder, Farnilienähnlichkeitsstruktur sowie Prototypenstruktur, und dennoch macht uns der GebrauchGebrauch des Wortes Salat im Alltag keinerlei Schwierigkeiten.

Die beiden Beispiele Vieh und Salat sollten deutlich machen, dass unsere Kategorien, mit denen wir täglich kognitivkognitiv und kommunikativ hantieren, weit davon entfernt sein können, der Fregeschen „Forderung der scharfen Begrenzung des Begriffs“21Frege zu genügen, ohne dass uns dies auch nur die geringsten kognitiven oder kommunikativen Probleme bereitete.

Kategorien bzw. Begriffe sind Einheiten unseres Denkens. Sie werden erzeugt durch die Gebrauchsregeln der Wörter, mit denen wir sie bezeichnen. Wir erlernen nicht erst den Begriff ‚Salat‘ und dann gleichsam in einem zweiten Schritt, diesen BegriffBegriff mit dem Wort Salat zu bezeichnen, sondern wir lernen in unserem kommunikativen Alltag die RegelRegel des Gebrauchs des Wortes Salat. Indem wir dies lernen, lernen wir, mit einer gewissen Unschärfetoleranz, Salat von Nicht-Salat zu unterscheiden. Im wissenschaftlichen Diskurs gibt es auch den umgekehrten Fall: Man gerät im Zuge der Forschung zur Notwendigkeit, eine neue Kategorie einzuführen, für die es noch keine einfache Bezeichnung gibt, und sucht dann nach einem geeigneten Wort, das die Kategorie griffig benennt. Dieser Fall stellt eher die Ausnahme dar.22

Der Zusammenhang von Begriff und Gebrauchsregel ist bislang meines Wissens weitgehend unerforscht. Die Klärung dieses Zusammenhangs bedeutet nichts weniger als die Klärung des Zusammenhangs von Semantik und Kognition. Die „kognitive Linguistik“ ist eine Forschungsdisziplin, die Korrelationen zwischen kognitiven Einheiten, Strukturen und Prozessen und der Sprache erforscht. Auf dem Gebiet der sogenannten „kognitiven Semantik“ gibt es gegenwärtig zwei Hauptströmungen – eine, die die semantische Struktur mit der kognitiven Struktur identifiziert, und eine, die statt dessen ein Zweistufenmodell vertritt. Beide Modelle halte ich für unangemessen und will die Gründe dafür kurz nennen. Das Zweistufenmodell nimmt eine sprachgebunden gedachte semantische Form und eine sprachunabhängig gedachte konzeptuelle Struktur an. Was mich mit diesem Modell verbindet, ist die Überzeugung, dass eine Theorie der KonzeptKonzepte und Begriffe nicht identisch sein kann mit einer Theorie der sprachlichen SemantikSemantik. Was an diesem Modell unangemessen ist, ist die Sprachunabhängigkeitsannahme der Konzepte sowie seine repräsentationistische Semantikkonzeption: Zeichen repräsentieren dieser Theorie gemäß semantische Formen. Die Gründe der Ablehnung brauche ich nicht zu wiederholen. Für das Identifikationsmodell sind mir keine begründenden Argumentationsversuche bekannt. Es handelt sich dabei um eine façon de parler, die im günstigsten Fall auf eine Verdoppelung der Teminologie hinausläuft. Kognitive Kategorien, wie „concepts“, werden ohne weitere Rechtfertigung mit sprachlichen Kategorien, wie „meaningmeaning“, gleichgesetzt.23Schwarz Ein prototypischer Vertreter dieser Richtung ist Ronald LangackerLangacker. In seinem bekannten Aufsatz über Subjektivierung schreibt er:

Inspired by formal logic based on truth conditions, semantic theory in the twentieth century has for the most part presupposed an objectivist view of meaning. Indeed, semantic textbooks often devote considerable space to explaining why the student is wrong, if not hopelessly naive, in supposing that a meaning could be anything so mysterious as a thought or concept (for example KempsonKempson 1977: 15–20; PalmerPalmer 1981: 24–28). Recent years have nevertheless witnessed the emergence and continued elaboration of a reasonably explicit, empirically grounded subjectivist or conceptualist theory of meaning – in short, a true cognitive semanticscognitive semantics.24

Langackers Zitat enthält zwei irrige Suggestionen: Erstens versucht er den Eindruck zu erwecken, als bestünde der einzige Weg, eine objektivistische, wahrheitswertfunktionale Semantikkonzeption zu vermeiden, darin, Bedeutungen in den Kopf des Sprechers zu verlegen; und zweitens suggeriert er, dass die Autoren, die die Annahme, dass Bedeutungen mit Gedanken oder Begriffen gleichzusetzen seien, für naiv halten, „Objektivisten“ seien. Beides trifft nicht zu, zumindest nicht für die beiden von ihm genannten Autoren. Die nicht-objektivistischen Aspekte der BedeutungBedeutung wie SubjektivitätSubjektivität, PerspektivitätPerspektivität oder Evaluativität sind nichts anderes als Gebrauchsregeln, bei denen Sprecherein stellungen, Sprechetperspektiven und Sprecherbewertungen Bedingungen für den regelkonformen GebrauchGebrauch der betreffenden Wörter darstellen. Der Unterschied zwischen den Bedeutungen der Wörter geizig und sparsam besteht beispielsweise darin, dass der Sprecher das Wort geizig wählen sollte, wenn er die damit charakterisierte Disposition oder Verhaltensweise missbilligt, und er mit der Wahl des Wortes sparsam zeigt, dass er sie billigt.

Um den Schwächen des ObjektivismusObjektivismus zu entgehen, bedarf es nicht der „Flucht in den Kopf“, wie FeilkeFeilke25 die kongnitivistischen Bemühungen so treffend charakterisierte. Kognitivistisch konzipierte Semantiktheorien haben zwei prinzipielle und fundamentale Fehler: Sie sind zum einen repräsentationistisch mit all den daraus folgenden Problemen, und zum zweiten sind sie argumentativ zirkulär. Aus Beobachtungen sprachlicher Sachverhalte wird geschlossen auf das Vorhandensein korrespondierender kognitiver Strukturen, mit denen dann die beobachteten sprachlichen Sachverhalte „erklärt“ werden. Mark JohnsonJohnson exemplifiziert diese Zirkularität in seinem programmatischen Aufsatz, der den Titel „Philosophical Implications of Cognitive Semantics“26 trägt, in großer Klarheit. Ich will versuchen, die Grundauffassung dessen, was er „cognitive semantics“ nennt, in vier Thesen zusammenzufassen.

Die erste These möchte ich die These der „Metaphorizität der Erkenntnis“ nennen. Sie lautet: Unser Wissen, unser Denken, unser VerstehenVerstehen und unsere Erfahrung sind im Wesentlichen bildlicher, d.h. metaphorischer und metonymischer Natur. „Human beings are fundamentally imaginative creatures.“27 Metaphorizität ist das Wesen unserer kognitiven Aneignung der Welt. „Meaning, metaphysics, and morality are all irreducibly metaphoric.“28

Die zweite zentrale These ist die der „Systematizität der Bildlichkeit“: Die Metaphern, mit denen wir die Welt begreifen und erfassen (um gleich ein Beispiel dafür zu geben), die metaphors we live by,29 sind nicht privater und idiosynkratischer Natur. Es gibt metaphorische Muster, die weitgehend zeit- und kulturabhängig zu sein scheinen. „Our actual experience is largely structured by systems of metaphors.“30 Solche Muster nennen Lakoff und JohnsonJohnson „image schemas“. „Image schemas are structures of imagination. “31 Sie strukturieren unsere Erfahrungen und unsere Erkenntnis.

Die dritte These sei „These der Priorität der körperlichen Erfahrung“ genannt. „Cognitive semantics gives a central place to the role of our bodily experience in the structure of our conceptual systems.“32 Grundlegende körperliche Erfahrungen werden metaphorisch als Bildspender genutzt, um die Welt zu erfassen und zu begreifen.

Die vierte und letzte These ist die Widerspiegelungsthese. Sie besagt, dass unsere Sprache die Art und Weise, wie wir Kategorien bilden, widerspiegele; oder wie Dirk GeeraertsGeeraerts in seinem editorial statement der ersten Nummer der Zeitschrift Cognitive Linguistics schreibt: „The formal structures of language are reflections of general conceptual organization, categorization principles, processing mechanisms, and experimental environmental influences.“33 Mark Johnson schreibt: „We try to understand language, and meaningmeaning in general, as grounded in the nature of our bodily experience and activity.“34 Die vierte These besagt also ganz einfach, dass sich das, was die ersten drei Thesen besagen, in der Sprache irgendwie zeigt.

Wenn wir uns die vier Thesen dieser sogenannten kognitiven SemantikSemantik im Zusammenhang anschauen, so können wir feststellen, dass es sich zunächst in erster Linie um eine Theorie der kognitiven Struktur, eine Theorie der begrifflichen Aneignung handelt. Von Sprache ist nur am Rande die Rede. Die vierte These, die die Sprache ins Spiel bringt, ist von erstaunlicher Trivialität. Sie hat offenbar überhaupt nur die Funktion, eine Antwort auf die Frage zu ermöglichen: „Woher weißt du das, was du in den ersten drei Thesen behauptest?“ Die Antwort auf die Frage: „Woher weißt du, dass wir ‚imaginative creatures‘ sind, dass die Muster unserer Metaphorik ‚structures of imagination‘ sind, dass unsere Erkenntnis im wesentlichen metaphorisch ist, dass Körpermetaphern eine prädominante Rolle spielen, usw.?“ kann nur lauten: „Ich weiß das, weil ich herausgefunden habe, dass unsere Sprache systematisch metaphorisch ist und Körpermetaphern eine wichtige Rolle bei der Benennung von inneren und abstrakten Ereignissen spielen.“ (Auf die Frage der Systematizität und der Körperbezogenheit der Metaphorik werde ich in Kapitel 17 zurückkommen; hier geht es mir lediglich um die Argumentationsstruktur.) Wenn die Quelle der Kenntnisse über die Struktur der Kognition ausschließlich die semantische Struktur der Sprache ist, dann ist es nicht zulässig, sie zur Begründung oder Erklärung der semantischen Struktur der Sprache zurückzubiegen. Kognitive SemantikSemantik „erklärt“ Bekanntes mit Unbekanntem. Das heißt aber mit anderen Worten: Unter der Bezeichnung cognitive semantics wird diachrone und synchrone Semantik betrieben, und die Erkenntnisse über die semantische Struktur der Sprache (die hier nicht geschmälert werden sollen) werden als Erkenntnisse über die kognitive Struktur ihrer Sprecher ausgegeben. Kognitive Semantik erweist sich somit als eine façon de parler, als eine Art und Weise, in kognitivistischen Metaphern über Gebrauchsregeln zu reden. Die Argumentationsstruktur ist in ihren zentralen Punkten die der petitio principii.

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