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Vorbemerkungen 1 Vorwort

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Dieses Buch handelt von sprachlichen Zeichen und ihrer Dynamik. Es will zeigen, wie Zeichen entstehen, funktionieren und sich verändern im Zuge der menschlichen KommunikationKommunikation. Sprachliche Zeichen sind nicht Voraussetzungen unserer kommunikativen Bemühungen, sondern deren (meist unintendierte) Folge. Dass der unüberschaubar großen Zahl an Publikationen über diesen Gegenstand eine weitere hinzugefügt wird, ist erläuterungsbedürftig. „Most of what we know about language has been learned in the last three decades“, schrieb Derek BickertonBickerton im Jahre 1990.1 Wenn diese Aussage mehr sein soll als ein autobiographisches Vermächtnis, so dürfte sie falsch sein. Mit Sicherheit trifft sie nicht zu für den Bereich der linguistischen Zeichentheorie. Alles was über sprachliche Zeichen gesagt werden kann, ist vermutlich irgendwann zwischen PlatonPlaton und heute gesagt worden. In einem sprachphilosophischen Gebiet mit mehr als zweitausendjähriger Tradition lässt sich wirklich Neues wohl kaum mehr entdecken. Mit anderen Worten, keine der wahren Aussagen dieses Buches erhebt Originalitätsanspruch. (Die falschen mögen origineller sein.) Allerdings bin ich der Meinung, dass dem vorschnellen Defensivargument „Das hat doch schon XY gesagt“ nicht allzuviel Gewicht zuzubilligen ist. Denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich meist, dass mindestens die Zusammenhänge, in denen etwas bereits früher gesagt wurde, andere waren. Den Nutzen dieser Arbeit sehe ich in erster Linie in der Rekombination von Ideen und Überlegungen, die verschiedenen Traditionen entnommen sind, sowie in der Perspektive ihrer Auswahl. Zeichentheoretische Überlegungen mögen auf den ersten Blick den Eindruck empirisch irrelevanten und unnützen Philosophierens erwecken. Martti NymanNyman sagt deutlich, weshalb dies falsch ist: „A theory of language change depends on the underlying theory of language. Therefore […], it is not at all idle ivory-towering to dwell upon ontological questions about language. For example, if we look upon language as an abstract Platonic object […], we get virtually no theory of language change at all.“2 All die psychologistischen Sprachauffassungen, die den Ort der Existenz der Sprache ausschließlich im Kopf des Menschen ansiedeln, sind ebensowenig in der Lage, Sprachwandel als inhärentes Phänomen zu konzipieren. „Die Sprache hat schließlich keine eigene Existenz unabhängig von ihrer mentalen Repräsentation“,3 schreibt ChomskyChomsky und entzieht sich damit der Möglichkeit, den Zustand einer Sprache (auch) in seiner historischen Bedingtheit zu begreifen. Das Verständnis von WandelWandel und Genese der Sprache ist ein konstitutives Moment des Verständnisses ihres Wesens, und vice versa. Grundlage einer jeden Sprachtheorie ist der Zeichenbegriff. Auch sprachliche Zeichen fallen nicht vom Himmel. Was Nyman von der Sprache allgemein sagt, gilt auch von Zeichen im Besonderen. Wenn wir sie im platonischen Himmel ansiedeln oder ausschließlich im menschlichen Kopf, erfahren wir nicht, woher sie kommen. Dass wir sie verwenden, um kommunikative Ziele zu erreichen, ist psychologistischen Auffassungen gemäß kontingent. Und dass sie entstehen im Zuge unserer Bemühungen, kommunikative Ziele zu verwirklichen, muss einer solchen Theorie verborgen bleiben. Die vorliegenden zeichentheoretischen Überlegungen gehen von dem Faktum aus, dass die Sprache, die wir heute sprechen, samt der Zeichen, die wir heute benutzen, eine Episode im permanenten Prozess sprachlichen Wandels sind.4Keller

Platon stellte in seinem Kratylos-Dialog unter anderem die folgende Frage: „Wenn ich dieses Wort ausspreche“ und dabei „jenes denke“, wie ist es dann überhaupt möglich, „daß du erkennst, daß ich jenes denke“?5 Er formuliert damit ein zeichentheoretisches Grundproblem, das bis auf den heutigen Tag in verschiedenen Versionen diskutiert wird. Till EulenspiegelEulenspiegel formulierte es so: „Was Ihr denkt, das weiß ich nicht[…], wie kann einer des anderen Gedanken erraten! Aber was Ihr mir gesagt habt, das weiß ich.“6 In Ludwig WittgensteinsWittgenstein Philosophischen Untersuchungen findet sich die folgende Version: „Wenn man aber sagt: ‚Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen‘, so sage ich: ‚Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen.‘“7 Was Platon, Till EulenspiegelEulenspiegel und Wittgenstein mit unterschiedlicher Akzentuierung thematisieren, ist die Frage, vermöge welcher Eigenschaften Zeichen zu erkennen geben, welche kommunikative Absicht der Sprecher mit ihrer Verwendung zu realisieren beabsichtigt. Dies ist die zentrale Frage, die in diesem Buch erörtert wird. Das Leitmotiv, unter dem es geschrieben wurde, haben Raimo AnttilaAnttila und Sheila Embleton formuliert: „Change is the essence of meaningmeaning.“8 An anderer Stelle schreibt Anttila: „Only a full understanding of the notion ,linguistic sign‘ makes both change and reconstruction comprehensible and theoretically explainable.“9 Es ist meine Absicht, einen kohärenten zeichentheoretischen Entwurf vorzuschlagen, der in der Lage ist, einen Beitrag zum Verständnis der Dynamik und der EvolutionEvolution natürlicher Sprachen zu leisten. Dabei bin ich mir bewusst, dass die Chance, ein solches Ziel zu treffen, geringer ist, als es zu verfehlen.

„The recent history of semiotics has been one of simultaneous institutional success and intellectual bankruptcy“,10Sperber und Wilson schreiben Dan Sperber und Deirdre Wilson mit einem gewissen Mangel an Selbstkritik. Aber selbst wenn man den Bankrott nicht ganz so dramatisch sieht, muss man wohl zugestehen, dass die zeichentheoretischen Überlegungen für die Sprachwissenschaft (mit wenigen Ausnahmen11Grice) weitgehend folgenlos waren. „After the publication in 1957 of Noam Chomsky’s Syntactic Structures, linguistics took a new turn and did undergo remarkable developments; but these owed nothing to semiotics.“12 Nun könnte man argumentieren: Das liegt nicht an der Zeichentheorie, sondern am chomskyschen Paradigma. Zu welchem Urteil man auch immer kommen mag, die Konsequenzlosigkeit der Zeichentheorie scheint mir für jedes andere linguistische Paradigma in gleicher Weise zuzutreffen. Dafür gibt es meiner Ansicht nach zwei Gründe.

Zum einen ist die herrschende Metapher, in deren Licht KommunikationKommunikation gemeinhin gesehen wird, inadäquat. Das Problem des Kommunizierens wird als Transportproblem konzeptualisiert. Der in diesem Buch vorgetragenen Ansicht gemäß hat Kommunikation nichts mit dem Vorgang des Einpackens, Wegschickens und Wieder-Auspackens zu tun. Kommunizieren ist vielmehr ein inferentieller Prozess. Kommunizieren heißt versuchen, den Adressaten zu bestimmten Schlüssen zu bewegen. Demgemäß haben Zeichen nicht den Charakter von Versandkartons, sondern vielmehr den von Prämissen für interpretiereninterpretierendes Schließen.

Zum anderen werden sprachliche Zeichen als im Grunde stabile Einheiten gesehen, denen bisweilen das Missgeschick des Wandels widerfährt. Zeichentheorien befassen sich gemeinhin mit Fragen der Architektur von Zeichen: Wie sind sie gebaut? Wieviele Seiten haben sie? Welches sind ihre Teile? Wie lassen sie sich ihrem Aufbau gemäß klassifizieren? Solche zeichentheoretischen Fragen passen zu der vorchomskyschen Syntax, die sich im Wesentlichen mit der Architektur von Sätzen befasste. Die hier vorgeschlagene Zeichentheorie versucht, einen anderen Weg zu gehen. Ihr oberstes Ziel ist nicht, die Frage nach der Architektur von Zeichen zu beantworten, sondern die nach den Prinzipien ihrer Bildung. Antworten auf die Frage der Architektur ergeben sich dabei von selbst. Menschen verfügen über die Fähigkeit, Dinge (im weitesten Sinne) als Zeichen zu interpretieren. Sie sind in der Lage, aus ‚Dingen‘, die sie sinnlich wahrnehmen, interpretierende Schlüsse zu ziehen. Genau diese Fähigkeit beuten sie zum Zwecke des Kommunizierens aus. Kommunizieren besteht darin, sinnlich Wahrnehmbares zu tun bzw. hervorzubringen in der Absicht, einen anderen damit zu interpretierenden Schlüssen zu verleiten. Kommunizieren ist ein intelligentes Ratespiel.13García Die Fähigkeit, dem Adressaten Interpretationsvorlagen zu geben, die ihm das Erraten des Kommunikationsziels erlauben, möchte ich semiotische Kompetenz nennen. Das Wissen, das dieser Fähigkeit zugrunde liegt, sei semiotisches Wissensemiotisches Wissen genannt. Die hier vorgelegte Zeichentheorie ist konzipiert als eine Theorie unseres semiotischen Wissens. Semiotische Kompetenz und semiotisches Wissen sind der sprachlichen Kompetenz logisch vorgeordnet: Dank unserer Fähigkeit, Wahrnehmbares interpretativ zu nutzen, und dank der Fähigkeit, diese Fähigkeit wiederum zum Zwecke der KommunikationKommunikation auszubeuten, bilden sich sprachliche Zeichensysteme als spontane Ordnungen heraus. Etwas verkürzt kann man sagen: Sprachen entstehen durch die Nutzung semiotischen Wissens zum Zweck der Beeinflussung von Mitmenschen.

Das Buch besteht aus fünf Teilen mit insgesamt zwanzig Kapiteln. Im ersten Teil werden zwei prototypische Zeichenauffassungen einander gegenübergestellt. Jeweils am Beispiel eines klassischen und eines modernen Sprachphilosophen wird die instrumentalistische und die repräsentationistische Zeichenauffassung vorgestellt. Erstere wird durch PlatonPlaton und WittgensteinWittgenstein dokumentiert, letztere durch AristotelesAristoteles und FregeFrege. Der instrumentalistische Gedanke wird zur Grundlage der weiteren Überlegungen gewählt. Im zweiten Teil wird die BeziehungBeziehung von SemantikSemantik und Kognition angesprochen. Ich versuche zu zeigen, dass eine Identifikation der BedeutungBedeutung sprachlicher Zeichen mit den ihnen (möglicherweise) entsprechenden kognitiven Einheiten den in diesem Buch verfolgten Erklärungszielen inadäquat ist. Plakativ gesagt: Begriffe eignen sich nicht als Kandidaten für Bedeutungen. Der dritte Teil befasst sich mit den drei zeichenbildenden Verfahren, die den Kernbereich unserer semiotischen Kompetenz ausmachen: dem symptomischen, ikonischen und symbolischen Verfahren. Im vierten Teil versuche ich zu zeigen, dass diese drei grundlegenden zeichenbildenden Verfahren eine Art eingebaute Dynamik haben. Ein Verfahren kann von einem anderen abgelöst werden, ohne dass planende Absicht im Spiel ist. So können Symptome und Ikone zu Symbolen werden, und zwar ausschließlich durch die Art und Weise, in der sie zum Zwecke des Kommunizierens verwendet werden. Die drei gundlegenden zeichenbildenden Verfahren sind auf einer höheren Ebene erneut anwendbar. Wir nutzen sie, um Metonymien, Metaphern zu bilden, und um mittels Sprache über Sprache reden zu können. Im fünften Teil zeige ich an einigen Beispielen die Relevanz der dargelegten zeichentheoretischen Überlegungen im Rahmen erklärender Theorien des Sprachwandels.

Zeichentheoretische Schriften sind meist schwer zu verstehen. Es ist mein Wunsch, dass dies für den vorliegenden Text nicht gelten möge. Ich habe mich jedenfalls bemüht, so klar, unprätentiös und verständlich zu schreiben, wie es mir möglich ist. Um das Buch für die Leserin und den Leser und nicht zuletzt auch für den akademischen Unterricht benutzerfreundlich zu machen, habe ich versucht, jedes einzelne Kapitel so zu verfassen, dass es möglichst autonom ist. Jedes Kapitel sollte idealiter auch einzeln lesbar und aus sich selbst heraus verständlich sein. Ich hoffe, dass mir dies einigermaßen gelungen ist, wenngleich mir bewusst ist, dass dieses Ziel nur um den Preis unzumutbarer Redundanz wirklich konsequent durchführbar gewesen wäre. Insbesondere gilt für das zehnte Kapitel, dass es Voraussetzung für das Verständnis aller nachfolgenden Kapitel ist.

Vorfassungen des vorliegenden Textes wurden ganz oder teilweise gelesen und konstruktiver Kritik unterzogen von Raimo AnttilaAnttila, Axel Bühler, Sheila Embleton, Fritz Hermanns, Jochen Lechner und Frank LiedtkeLiedtke. Ihnen sei für ihre Hilfe sehr herzlich gedankt. Ständige Gesprächspartnerin in jeder Phase der Entstehung dieses Buches war mir Petra RadtkeRadtke. Ihre inhaltlichen wie sprachlichen Einflüsse, die in die vorliegende Fassung eingingen, sind so zahl- und umfangreich, dass es ein unmögliches Unterfangen wäre, sie im Einzelnen lokalisieren zu wollen. Sie wird das Maß des Dankes, das ich ihr schulde, selbst am besten einzuschätzen wissen. Nicole Schmitz hat mir bei der redaktionellen Überarbeitung und der Erstellung der Register sehr geholfen. Dafür sei auch ihr gedankt. Schließlich haben die Studierenden, Kollegen und Diskutantinnen, die Teile dieses Buches in Form von Vorlesungen und Vorträgen gehört haben, viel zum Entstehen beigetragen. Dankbar bin ich auch dem Verlag für die zuverlässige Betreuung und stets kooperative Unterstützung.

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