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4 Aristoteles’ repräsentationistische Zeichenauffassung
ОглавлениеWer über Zeichen, deren BeziehungBeziehung zur kognitiven Welt und zur Welt der Dinge reden will, der muss drei Ebenen der Betrachtung klar und deutlich auseinanderhalten:
1 die linguistische Ebene der Zeichen (Wörter, Sätze),
2 die epistemologische Ebeneepistemologische Ebene der kognitiven Korrelate (Begriffe, Propositionen) und
3 die ontologische Ebene der Dinge, Wahrheitswerte1 und Sachverhalte.
Dazu ist es notwendig, eine Schreibkonvention zu übernehmen. Man kann von Elefanten reden, von ‚Elefant‘ und von Elefant. Im ersten Fall redet man von bestimmten Tieren, im zweiten Fall von einem BegriffBegriff und im dritten Fall von einem deutschen Substantiv. Vorsichtshalber sei betont, dass diese Unterscheidungen weder zu der Annahme verpflichten, dass jedem sprachlichen Zeichen ein begriffliches Korrelat entspricht, noch zu der Annahme, dass die BedeutungBedeutung eines Zeichens auf der epistemischen Ebene anzusiedeln ist. Beide Annahmen werden wir eingehend zu diskutieren haben.
PlatonPlaton unterscheidet im „Kratylos“ diese drei Ebenen der Betrachtung: die der Wörter, die der Gedanken und die der Dinge.2 Aber er trifft diese Unterscheidung eher versteckt. Die KonventionKonvention, so sagt er, diene dazu, „daß du erkennst, daß ich jenes denke“. (434 e) Wörter dienen somit dem Sprecher dazu, dem Adressaten seine Gedanken „kundzumachen“. (435 a) So ist die Frage konsequent, vermöge welcher Eigenschaften der Wörter der Hörer erkennen kann, was der Sprecher denkt. Platons Antwort lautet: Es ist die BildhaftigkeitBildhaftigkeit und/oder Konventionalität des Wortes. Das Wort ist jedoch kein Bild des Gedankens, sondern ein Bild des Gegenstandes, an den der Sprecher denkt. Das Modell der Bildhaftigkeit ist, vereinfacht gesagt, folgendes: Das Wort, das ich verwende, ähnelt dem Wesen des Dings, an das ich denke, und so kannst du erkennen, an welches Ding ich denke. Dies ist, wie wir noch sehen werden, ein Modell des Kommunizierens mit ikonischen Zeichen. Wer versteht, dass das Schildchen mit dem durchgestrichenen Schwein auf dem Essteller, das die Lufthansa auf ihren „no pork flights“ verwendet, besagen soll, dass die Speisen auf dem Teller den Speisegeboten des Korans entsprechen, erkennt „die Gedanken des Sprechers“ dank einer ÄhnlichkeitÄhnlichkeit des verwendeten Zeichens mit den Speisen.
Die Unterscheidung der drei Betrachtungsebenen wurde zum ersten Mal in voller Deutlichkeit von AristotelesAristoteles getroffen, und zwar in der bereits erwähnten Schrift, deren deutsche Übersetzung den Titel „Peri Hermenias oder Lehre vom Satz“ trägt. Aristoteles’ primäres Interesse galt der Theorie des Syllogismus und der Logik. Seine zeichentheoretischen Bemerkungen auf den ersten drei Seiten dieser Schrift haben eher den Charakter von Vorbemerkungen im Dienste einer Theorie des Satzes, die wiederum im Dienste einer Theorie des Syllogismus steht.3ItkonenCoseriu Aber so spärlich seine Ausführungen zur Theorie der Zeichen auch sind, so einflussreich sind sie auf das europäische sprachphilosophische Denken geworden.4Arens
Die zentralen zeichentheoretischen Aussagen lauten:
Es sind also die Laute [phonai], zu denen die Stimme gebildet wird, Zeichen [symbola] der in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen [pathemata], und die Schrift ist wieder ein Zeichen der Laute. Und wie nicht Alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei Allen dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die einfachen seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge [pragmata], deren AbbildAbbilder die Vorstellungen sind. […] Das Nomen also ist ein Laut, der konventionell etwas bedeutet, ohne eine Zeit einzuschließen, und ohne daß ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat. Denn in dem Eigennamen Kallippos hat Hippos (Pferd) für sich durchaus nicht die Bedeutung, die es in den Worten kalos Hippos (schönes Pferd) hat. […] Die Bestimmung ‚konventionell‘ (auf Grund einer ÜbereinkunftÜbereinkunft) will sagen, daß kein Nomen von Natur ein solches ist, sondern erst wenn es zum Zeichen geworden ist. Denn auch die artikulierten Laute, z.B. der Tiere, zeigen etwas an, und doch ist keiner dieser Laute ein Nomen. (16 a)5
Um die Position des Aristoteles zu verdeutlichen, will ich versuchen, seine Aussagen in reformulierter Form aufzulisten (wobei ich die über die Schrift beiseite lasse):
1 Laute sind konventionelle Zeichen von VorstellungVorstellungen.
2 Laute sind sprachspezifisch.
3 Vorstellungen sind Abbilder von Dingen.
4 Vorstellungen und Dinge sind universal.
5 Die Bedeutung eines Nomens ist nicht kompositionell.
6 Ein natürliches Zeichen kann kein Nomen sein.
Das Zeichenmodell enthält somit drei Elemente und zwei Relationen:
Laut | Vorstellung | Ding |
Symbolisiert (konventionell) | bildet ab (natürlich) |
Norman KretzmannKretzmann faßt dieses Zeichenmodell wie folgt zusammen: „lt seems that, according to this account, words signify things in virtue of serving as symbols of mental modifications resembling those things.“6Coseriultkonen Gegenüber Platons im „Kratylos“ entfalteter Zeichentheorie stellt die Aristotelische Theorie einen großen Fortschritt dar. Der Fortschritt besteht in den folgenden vier Punkten:
1 Wahrheit und Falschheit wird nicht mehr Wörtern zugeschrieben, sondern nur der Rede, wobei Aristoteles selbst den Fall nichtassertiver Sprechakte berücksichtigt: „So ist die Bitte zwar eine Rede, aber weder wahr noch falsch.“ (17 a)
2 Die Bedeutung von Wörtern und Namen wird nicht als zusammengesetzt aus der Bedeutung von Wortteilen oder Lauten angesehen.
3 Die Bedeutung von Eigennamen wird nicht mehr etymologisierend gedeutet. (Vgl. Aristoteles’ Beispiel Kallippos vs. Platons Beispiel Hermogenes.)
4 Symbolcharakter wird nur konventionell symbolisierenden Lauten zugesprochen. Damit wird eine erste Unterscheidung von Symbolen und Symptomen (z.B. Tierlauten) getroffen.
Allerdings enthält diese Theorie auch – aus heutiger Sicht – drei deutliche Fehleinschätzungen bzw. Schwächen und – aus der Sicht der im folgenden propagierten Zeichenauffassung – einen Nachteil gegenüber PlatonPlatons Auffassung:
1 Die Welt der Dinge sowie die der Vorstellungen von den Dingen wird objektivistisch konzipiert. Die Sprache ist für Aristoteles ein konventionelles Nomenklatursystem kognitiver Abbildungen objektiv vorgegebener Dinge.
2 KonventionKonvention wird mit ÜbereinkunftÜbereinkunft gleichgesetzt.
3 Die Relation des Symbolisierens bleibt unexpliziert.
Aristoteles scheint in etwa von dem folgenden Weltbild ausgegangen zu sein: Die Welt der Dinge ist objektiv so, wie wir sie wahrnehmen. Durch die Wahrnehmung entstehen innere Bilder der Dinge. Die inneren Bilder werden durch Übereinkunft mittels Lauten symbolisiert. Daraus folgt: (i) Die inneren Bilder, die Vorstellungen, müssen eine „natürliche Richtigkeit“ in Platons Sinne haben; d.h. sie sind physei. (ii) Da eine Sprache die Vorstellungen von den Dingen nur noch symbolisiert, können die Klassifikationen, die wir mit unserer Sprache vornehmen, nur von der Natur der Dinge vorgegeben sein. ArbiträrArbiträr ist also nur die Bezeichnung der Vorstellung, nicht die Vorstellung selbst und nicht die begriffliche KlassifikationKlassifikation, die wir mit unserer Sprache vornehmen. Es ist dieser Theorie gemäß wohl kaum zu verstehen, weshalb Angelsachsen den BegriffBegriff ‚Fleisch‘ in zwei Begriffe „aufspalten“, nämlich ‚flesh‘ und ‚meat‘; oder weshalb es im Spanischen keinen Begriff gibt, der unserem Begriff ‚Salat‘ entspricht.7 Es gibt meines Wissens keine befriedigende Theorie über den Zusammenhang der Einheiten der ontologischen, epistemischen und sprachlichen Ebene. Die objektivistische Sicht von Aristoteles ist jedoch mit Sicherheit falsch. Angemessener dürfte eine Theorie sein, wie sie beispielsweise von Derek BickertonBickerton vertreten wird: „The categories, into which we divide nature are not in nature, they emerge solely through the interaction between nature and ourselves.“8 Das System unserer Begriffe ist kein Spiegel der Welt, sondern ein Spiegel unserer Auseinandersetzung mit der Welt. Es ist zu vermuten, dass es ein Kontinuum gibt zwischen Begriffen, die mehr oder weniger universaler Natur sind, wie ‚Baum‘, ‚rot‘, ‚Wasser‘ oder ‚fünf‘ und solchen, die sehr kulturspezifisch und/oder sprachspezifisch sind, wie etwa ‚Sünde‘, ‚Salat‘, ‚Geschenkartikel‘, ‚gemütlich‘ oder ‚Geflügel‘. Auf diese Fragen werden wir in Kapitel 7 zurückkommen.
Die unter (2) und (3) genannten Schwächen der Theorie des Aristoteles kann man auch heute noch finden. Ich will sie hier nur vorläufig ansprechen und die eingehendere Behandlung einem späteren Kapitel vorbehalten. Zunächst ein Wort zu dem Begriff ‚Konvention‘. Konventionen und Übereinkünfte sind verschiedene Dinge. Nicht alle Übereinkünfte sind Konventionen, und nicht alle Konventionen sind aus Übereinkünften entstanden. Sprachliche Symbole gehen normalerweise nicht auf Übereinkünfte zurück. Konventionen sind, das hat David LewisLewis9 gezeigt, Verhaltensregularitäten von Individuen einer Gruppe, die durch komplexe, wechselseitig aufeinander gerichtete Erwartungen erzeugt werden. Aber nehmen wir der Einfachheit halber für einen Augenblick an, Aristoteles hätte recht mit der Annahme, Laute symbolisierten Vorstellungen aufgrund einer Übereinkunft. Kommen wir überein, der Laut [kulp] möge die Vorstellung eines runden halbhohen Tisches mit drei Beinen symbolisieren. Wie können wir [kulp] dazu bringen, diese Vorstellung auch tatsächlich zu symbolisieren? Wenn wir darin übereinkommen, [x] möge ‚y‘ symbolisieren, wie macht [x] das? Symbolisiert [x] ‚y‘, wenn wir vereinbaren, dass dies so sei? Diese Frage muss jede Theorie beantworten können, die eine Relation zu einem Korrelat als wesentlichen Bestandteil der Zeichenhaftigkeit ansieht. Man könnte annehmen, [x] symbolisiere ‚y‘ genau dann, wenn [x] für ‚y‘ steht oder wenn [x] ‚y‘ repräsentiert. Mit einer solchen Antwort hätten wir jedoch das Rätsel nur verdoppelt oder verdreifacht. Denn „stehen für“ und „repräsentieren“ bedürfen nicht weniger der Erläuterung als „symbolisieren“ selbst.10Tugendhat Mit anderen Worten, es muss klar gemacht werden, was es heißt zu sagen, etwas symbolisiere etwas. Selbst wenn wir annehmen, dass ein Laut genau dann BedeutungBedeutung hat, wenn er für etwas steht oder etwas symbolisiert, sei es eine Vorstellung oder ein Ding (Annahmen, die ich nicht vertreten werde), müssen wir die Frage beantworten, wie Sprecher und Hörer denn wissen oder auch lernen können, für welche Vorstellung oder für welches Ding der Laut steht. Die Annahme, dass die Bedeutung eines Lautes oder die Bedeutung eines Zeichens in seiner Entsprechung zu einem wie auch immer gearteten Korrelat besteht, enthebt uns nicht der Verpflichtung, anzugeben, wie die Verbindung zu dem Korrelat hergestellt und aufrechterhalten wird.
Kommen wir noch einmal für einen Augenblick auf Platons Sprach- und Zeichenverständnis zurück und vergleichen wir dieses mit dem des Aristoteles: Für PlatonPlaton sind die Wörter dazu da, vermöge ihrer ÄhnlichkeitÄhnlichkeit und/oder ihrer Konventionalität dem Adressaten die Gedanken des Sprechers zu verraten. Kommunizieren heißt für Platon offenbar, dem Hörer Mittel „an die Hand“ zu geben, damit dieser erschließen kann, woran der Sprecher denkt. Für Aristoteles sind die Wörter dazu da, Dinge zu bezeichnenbezeichnen, indem sie Vorstellungen symbolisieren, die AbbildAbbilder der Dinge sind. Auf die Frage, um die Platon gerungen hat: „Wie schaffen es die Wörter, etwas über die Gedanken zu verraten?“ gibt Aristoteles eine Scheinantwort: Sie schaffen es dadurch, dass sie sie symbolisieren! “The famous question of […] the rightness of names, which was the subject of Cratylus, can no longer arise”, schreibt Hans ArensArens und fügt enthusiastisch hinzu: „This is a remarkable progress.“11 Diese Fortschrittseuphorie kann ich nicht teilen. Denn Platons unangemessene Antwort spricht nicht gegen die Angemessenheit der Frage, die weiterhin im Raume steht. Die Sprache wird von Aristoteles als lautliches Repräsentationssystem eines kognitiven Repräsentationssystems angesehen. Sie ist somit ein sekundäres Repräsentationssystem – eine These, die, unabhängig von Aristoteles, auch von BickertonBickerton entdeckt worden ist.12 Während Platon eine instrumentalistische Zeichenkonzeption vertritt, hat Aristoteles eine repräsentationistische. Die Frage, die Platon zum Teil in unangemessener Weise beantwortet, wird von Aristoteles gar nicht gestellt.
Hat Aristoteles eine psychologistische Bedeutungstheoriepsychologistische Bedeutungstheorie vorgelegt? Im allgemeinen wird diese Frage bejaht:13Ax „There can be no doubt that Aristotle has generally been understood as representing the psychologistic theory of meaningmeaning: meanings are just those mental concepts and judgements which are expressed by words and sentences (more precisely: by strings of sounds identifiable as word-forms and sentence forms).“14Itkonen Eine solche Annahme setzt jedoch zweierlei voraus: erstens, dass das, was ein Laut symbolisiert, als seine Bedeutung angesehen wird, und zweitens, dass VorstellungVorstellungen (pathemata) psychologische Einheiten sind. Die erste Annahme mag so selbstverständlich erscheinen, dass eine Alternative gar nicht in den Sinn kommt. Zu gegebener Zeit werde ich die These vertreten, dass es nicht sinnvoll ist, das als Bedeutung anzusehen, wofür Laute „stehen“, sondern das, was sie zu Zeichen macht. Die zweite Annahme ist schwieriger zu beurteilen. Denn eine Psychologie im heutigen Sinne gab es zu Aristoteles’ Zeiten freilich nicht. Zumindest aus heutiger Sicht bietet sich eine platte psychologistische Interpretation nicht an. Die pathemata, von denen bei Aristoteles die Rede ist, sind erstens überindividuell („bei allen Menschen dieselben“), und zweitens sind sie zeitlos. Beides trifft auf Vorstellungen im psychologischen Sinne nicht zu. Aristoteles’ pathemata sind objektive Abbilder der Dinge; Vorstellungen im psychologischen Sinne haben stets ein subjektives Moment.15 Pathemata sind Resultate der Erkenntnis der Dinge; die Lehre der Erkenntnis ist nicht die Psychologie. Hans ArensArens sagt es deutlich: „He does not say: ‚all human beings form the same notions in their minds‘.“16 Aber er benötigt aufwendige Argumentationskonstruktionen, um Aristoteles’ These, dass die pathemata bei allen Menschen dieselben seien, als sinnvoll zu retten. Ich möchte die Frage, ob Aristoteles eine psychologistische Bedeutungstheorie vorgelegt hat, den Aristoteles-Kennern überlassen und hier lediglich darauf hinweisen, dass aus der Tatsache, dass er den Ausdruck pathemata verwendet, dies meines Erachtens nicht ohne zusätzliche Begründung gefolgert werden kann.
Die beiden genannten Sprach- bzw. Zeichenauffassungen, die instrumentalistische und die repräsentationistische, stehen sich in der Sprachwissenschaft und der Sprachphilosophie auch heute noch gegenüber. Als prototypischen und vielleicht einflussreichsten Theoretiker einer repräsentationistischen Sprachkonzeption möchte ich Gottlob FregeFrege mit seiner Theorie über SinnSinn und Bedeutung darstellen. Der prominenteste Vertreter einer instrumentalistischen Auffassung ist Ludwig WittgensteinWittgenstein mit seiner in seinem Spätwerk vorgelegten GebrauchstheorieGebrauchstheorie der Bedeutung. Beide werden die Grundlage unserer weiteren Überlegungen sein.