Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 10

Winchester

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Der Nebel verhinderte, dass man von der Zinne aus weit ins Land hinaus sehen konnte. Allenfalls konnte man ahnen, wie es dort draußen aussah und wer diese Ahnung hatte, verzichtete gerne auf den tatsächlichen Ausblick.

Das gesamte Land war eine einzige Wüste und die Menschen, die in dieser Wüste lebten, hatten sich innerhalb weniger Jahre von Bauern und Handwerkern zu streitsüchtigen Banditen und Kriegstreibern entwickelt. Es gab keinen Tag, an dem es in diesem Land nicht kräftig regnete und der unbewachsene Boden hatte sich in einen mehrere Fuß tiefe Morast verwandelt, den zu durchqueren nur noch auf wenigen befestigten Wegen möglich war.

Edward hatte sich einen Umhang aus dick eingefettetem Leder über die Schultern geworfen und einen breitkrempigen Hut aufgesetzt, ehe er auf die Mauern von Winchester gestiegen war, um in sein Königreich hinaus zu schauen.

Ab und zu brauchte er diesen Anblick, denn mit seiner Hilfe holte er sich nicht nur neue Motivationen für seine Eroberungspläne auf dem Kontinent.

An diesem besonders trüben Tag entsprach seine Stimmung genau den Wetterverhältnissen. Seine Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt, denn was immer er in den letzten paar Tagen angefasst hatte, der Ärger stand stets vor dem Erfolg und der Erfolg ließ gerade auf sich warten. Was blieb war der Ärger.

An allererster Stelle der Ärger mit Machilla, denn seine dritte Frau hatte ihm wieder einmal kräftig Druck gemacht.

Jeder Gedanke an Machilla war für den König mit äußerst zwiespältigen Gefühlen verbunden.

Machilla stellte eine Rarität dar, denn vermutlich war sie die letzte noch lebende Nachkommin des legendären und vor unzähligen Jahrtausenden untergegangenen Atlantis.

Ihre Schönheit raubten den Männern den Atem und den Schlaf. Ihr goldenes Haar, die jadegrünen Augen, ihre schlanke und dennoch kraftvolle Gestalt, einfach ihre gesamte Erscheinung löste in den Männern Besitzgier und einen kaum noch zu bändigenden Fortpflanzungstrieb aus. Machilla war eines Tages an Edwards Hof aufgetaucht, begleitet von einem Gefolge, das ausschließlich aus stummen Männern und Frauen bestand und hatte – kaum zu glauben aber wahr – im Thronsaal während ihrer Begrüßungsaudienz verkündet, dass sie die künftige und in absehbarer Zeit einzige Königin eines Imperiums werden würde. Damals war sie nach eigenen Angaben dreizehn Jahre alt gewesen.

Man nannte sie die weiße Rose von Winchester.

Was zunächst jedoch niemand außer dem König erfuhr, war die Tatsache, dass Machilla nur teilweise menschlich war. Für andere Betrachter kaum zu erkennen, befanden sich hinter ihren Ohren funktionsfähige Kiemen, die es ihr gestatteten, sich unbegrenzt im und unter Wasser aufzuhalten. Zwischen den Fingern und Zehen besaß sie Schwimmhäute mit deren Hilfe sie sogar mit den großen Hechten in den Seen des Imperiums um die Wette schwimmen konnte.

Darüber hinaus war Machilla eine Frau, die auf den Instrumenten der Macht spielen konnte, wie kaum jemand außer ihr.

Nun aber war sie, so hatte sie ihren Mann kühl und sachlich wissen lassen, nicht mehr länger bereit, eine von neun offiziellen Gemahlinnen eines hoffnungslos verarmten Königs zu sein. Eines Königs, dessen Steuereinnahmen kaum ausreichten, Heu, Hafer und Stroh für die umfangreiche Pferdezucht der Königin zu finanzieren, geschweige denn irgendeinen sonstigen Luxus. Seine Familie musste von den Erträgen seiner verpachteten Güter leben und auch seine Kriege finanzierte er auf diese Weise, anstatt die Bauern, Handwerker und Händler seines Landes ordentlich zur Kasse zu bitten. Sie erwartete von ihrem Ehemann, dass er endlich sein Versprechen einlöste und acht seiner Ehefrauen verstieß und nur eine – Machilla selbst natürlich – behielt.

Sie hatte ihm alles gegeben, was er brauchte.

Sie hatte ihm bislang achtzehn Kinder geboren und war gerade mit dem neunzehnten schwanger.

Ihr atlantidisches Erbe hatte sie für die gemeinsamen Ziele verwendet. Sie hatte beträchtliche Mengen an Edelmetallen, hauptsächlich Gold und Silber aber auch eine große Menge an Chrom, Mangan und Vanadium, Metalle die man bis zu ihrer Ankunft im Imperium nicht einmal gekannt hatte, besessen. Es war ihre Mitgift gewesen und mit einem Teil dieser Mitgift hatte sie Ländereien bei den Verwandten ihrer Mannes, bei den Bretonen auf der anderen Seite der Meerenge, gekauft. Ländereien mit ausgedehnten Wäldern und in diesen Wäldern war das Holz geschlagen worden, um die Schiffe zu bauen, die man brauchte um die Armeen des Imperiums in fremde Länder zu bringen, die es zu erobern galt.

Zu guter Letzt war sie es gewesen, die ihm die Nachricht um das Leben des Einen Gottes gebracht und ihm sogar den direkten Kontakt zu Gott verschafft hatte.

Sie verlangte ja nichts Unbilliges von ihm, war sie der Meinung, denn um einmal die Woche Sex zu haben, braucht kein Mann auf der Welt neun Frauen. Die anderen Frauen hatten ihm zudem zusammen nur zehn Kinder geboren, während Machilla allein schon deren achtzehn zur Welt gebracht hatte und zwar durchweg alle gesund und bei klarem Verstand.

Auch der Eine Gott schrieb vor, dass ein Mann nur eine Frau haben solle und nur mit dieser einen Frau legale Kinder haben konnte, die ihn auch beerben konnten. Wie konnte er, der er sich seit einigen Jahren als heiliger König und legitimer Nachfolger des heiligen Sankt Stefan feiern ließ, dennoch und unverdrossen an seinen anderen Frauen festhalten?

Edward aber schüttelte es allein schon bei dem Gedanken, vor eine seiner Frauen hintreten zu und ihr sagen zu müssen, dass sie fortan nicht mehr seine Frau und ihre Kinder nicht mehr seine Kinder waren. Edward war sich darüber im Klaren, dass er, obwohl als Krieger und Usurpator von gnadenloser Härte, im Umgang mit seinen Frauen und Kindern als der absolute Feiglingen gesehen werden musste. Weder einer seiner Frauen noch etwa einer Tochter oder gar einem Sohn hatte er jemals etwas abschlagen können und das war der große Schwachpunkt seines Lebens.

Wann immer Edward in seinen Gedanken und Überlegungen zu diesen Erkenntnissen gekommen war, musste jemand dafür büssen. Der nächste, der ihm über den Weg lief, ob Mann oder Frau, ob Untertan oder Diplomat aus fernem Land, ob Bauer oder Adliger, all das spielte dann keine Rolle mehr. Vor Gott und vor Edwards hilfloser Wut auf sich selbst waren alle Menschen gleich.

„Herr, der Gelehrte der Gaeloch Borasta wünscht dich zu sprechen. Darf er auf die Mauer kommen oder soll er im Thronsaal auf dich warten?“

Das hatte Edward gerade noch gefehlt!

Mit dieser Ankündigung fuhr seine Laune endgültig in den Keller, denn der Gelehrte der Gaeloch war ein mächtiger Dorn im Fleisch des Königs. Er übertraf an manchen Tagen sogar noch Machilla, denn ihm konnte man nun wirklich nichts recht machen. Er war ausschließlich am Meckern und Nörgeln.

Dumm war nur, dass der Druide mit seinen Nörgeleien auch noch Recht hatte.

Natürlich wäre es zum Beispiel viel klüger gewesen, mit den neuen Schiffen Baumschösslinge auf die Inseln zu bringen, als Krieger auf den Kontinent. Aber einen Krieg zu führen war viel unterhaltsamer und kurzweiliger als Bäume zu pflanzen und ein erobertes Land auszupressen brachte den Gewinn sofort und nicht erst in ein paar hundert Jahren, wie die Bäume.

Außerdem hätte Machilla einen solchen – ihrer Meinung nach – Unfug niemals geduldet. Immerhin gehörten die Schiffe ja ihr und nicht dem Staat.

Entsprechend mürrisch klang seine Antwort an den Diener.

„Er soll im Thronsaal warten. Ich komme irgendwann.“

Der Diener verdrückte sich eilends wieder, denn wenn der König in einer solchen Stimmung war, konnte alles Mögliche passieren. Dann konnte es auch geschehen, dass er einen seiner Diener von der Mauer warf. Nur um sich danach noch schlechter zu fühlen.

Edward blieb noch eine ganze Weile im Regen und Nebel auf der Mauer und versuchte herauszufinden, was es diesmal war, das den Gelehrte der Gaeloch zu ihm führte. Er ahnte es und deshalb blieb er auf der Mauer und als er sich endlich zum gehen aufraffte, geschah auch das nur langsam.

Der Thronsaal war eine Einrichtung in der Burg zu Winchester, die auf der Welt nicht Ihresgleichen hatte. Edward hatte die Idee und die genaue Planung zu diesem Thronsaal von Gott persönlich erhalten und war sofort begeistert gewesen. Sein Thronsaal war eine Art mentaler Verstärker. Was immer in diesem Saal gesprochen wurde, es war für jeden Menschen im Reich zu hören, der auch nur über minimalste telepathische Fähigkeiten verfügte. Damit konnten das Volk und die Vasallen des Imperiums nie mehr behaupten, man habe dieses oder jenes nicht gewusst.

Kaum im Thronsaal angekommen begriff Edward, dass ihn seine Ahnung nicht getrogen hatte. Der Gelehrte der Gaeloch war wirklich erbost über die neu eingeführte Funktion der Prälaten, vor allem aber über die Art und Weise wie Edward diese Prälaten einzusetzen plante.

Der Geistesblitz – die göttliche Eingebung – zu deren Berufung war ihm eines Nachts gekommen. Gott war ihm im Traum erschienen und hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es sowohl unter seinen direkten Nachkommen, als auch willkürlich über sein Reich verstreut eine Reihe von Menschen gab, die mit beeindruckenden Fähigkeiten ausgestattet waren. Meist allerdings ohne dies selbst zu wissen oder, wenn sie es wussten, vermieden sie es mit der Scheu der Menschen vor dem Unerklärlichen ihr Talent zu nutzen. Er selbst, Edward of Winchester hatte ein sehr großes telepathisches Potential, das völlig brach lag. Sein eigenes Talent wurde nur noch von dem seiner Tochter Chelida übertroffen. Gott befahl ihm, seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und erklärte ihm sinniger Weise auch gleich wie das gehen sollte und dann sollte er beginnen, die Talente in Schulen zusammen zu ziehen, sie auszubilden und zu den Stützen seines Imperiums und vor allem zu Stützen des Heeres zu machen. Gott ordnete an, dass diese telepathischen Talente unter dem Begriff Prälat im Reich und im Heer Dienst tun sollten und dass es ihre vornehmste Aufgabe sein sollte, den Ruhm Gottes und des Imperiums zu mehren, Europa zu erobern und den Glauben der Chrianos im Reich zu verbreiten.

Edward war am anderen Morgen aufgewacht und der Traum war im Gegensatz zu anderen Träumen so präsent wie ein reales Erlebnis. Edward war sich sicher, er hatte eine weitere Begegnung mit dem Einen Gott gehabt. Absolut sicher. Deshalb machte er sich sofort und voller Elan an die Arbeit, die göttlichen Anweisungen umzusetzen.

Einige der Talente waren leicht zu rekrutieren, denn sie lebten praktisch vor seiner Nase. Seine Tochter Chelida, das größte aller Talente, sein jüngerer Bruder Reginald Bull, dessen Freund und Schildknappe Thomas Shifford, die Hexe Murana la Mar, die beiden ungleichen Brüder Godfrey of Essex und Roderick of Sussex und noch gut zwei Dutzend weiterer Frauen und Männer wurden in einem alten Gemäuer zusammen gezogen und von Edward persönlich ausgebildet. Doch die Anzahl an Prälaten reichte bei weitem nicht, wollte man ganze Heere kontrollieren und Europa erobern. Also schickte er Späher und Spione über Land, um alle Talente aufspüren zu lassen und sie in zuvor benannten Orten ihren zukünftigen Lehrern – den Prälaten, die Edward selbst ausgebildet hatte – zu übergeben. Allerdings stellte sich bei der Suche unter der Landbevölkerung ein eigenartiges Phänomen heraus:

Es gab kaum Briten unter den Talenten, nicht einen einzigen Kenter und nur sehr wenige Waliser. Begabte Scoten dagegen und Eire gab es überproportional viele. Insgesamt war es so, dass die Telepathie bei den Völkern mit Gaeloch – Blut weitaus stärker verbreitet war, als bei den anderen Stämmen. Zum Glück war Edward nicht rassistisch veranlagt und hatte deshalb kein Problem, auch die Gaeloch in seine Prälatenschulen bringen zu lassen. Manchmal geschah die freiwillig, manchmal musste nachgeholfen werden und manchmal fiel die Nachhilfe auch gar nicht so sanft aus. Doch Edward war es gewohnt, dass sein Wille durchgesetzt wurde. Wie war ihm ziemlich einerlei.

Und genau da begann der Ärger mit dem Gelehrten der Gaeloch.

Eigentlich hätte Borasta schon an der Ausbildung durch Edward teilnehmen müssen, um dann sofort als Lehrer eingesetzt zu werden, denn sein Talent übertraf sogar das Talent Edwards noch um einiges. Doch Borasta lachte Edward schallend ins Gesicht, als dieser ihm gleich zu Beginn ihres Treffens den Vorschlag zum x-ten Mal unterbreitete.

„Mein König, wie oft muss ich es noch sagen, damit du es endlich glaubst? Es wird in einer Million Jahren nicht geschehen, dass sich ein Gelehrter der Gaeloch von seinem uralten Glauben abwendet und sich stattdessen zu eurem albernen, von hinten bis vorne verlogenen Gott hinwendet. Vergiss es und höre auch auf, weiterhin Gaeloch zwangsweise in deine Schulen zu rekrutieren. Zum Einen akzeptiere ich als geistiges Oberhaupt aller Gaeloch deine Methoden nicht und zum Anderen ist es vergeudete Energie, die Frauen und Männer in deinen Praktiken auszubilden. Sie sind bereits von Druiden geschult worden und werden sich nicht umdrehen lassen.“

„Ach ja? Vergeudete Energie? Seit wann interessiert dich, womit ich Energie vergeude? Deine geliebten Gaeloch werden weiterhin in meine Schulen getrieben werden und wenn sie sich gegen unsere Instruktoren zur Wehr setzen, wird man ihnen die Gehirne ausblasen. Dann bekommst du sie natürlich wieder zurück.“

„Du bist widerlich, der du dich König Edward nennst. Du bist auch kein wirklicher König, denn ein echter König liebt sein Volk, denn sein Volk ist für ihn wie seine Kinder. Du dagegen liebst nur dich. Deshalb sage ich es dir noch einmal, lass deine Finger von den Gaeloch und begnüge dich mit den Talenten innerhalb deiner Stämme. Sonst bekommst du Ärger mit uns.“

„Du drohst mir? Du drohst deinem König? Du musst wahnsinnig sein! Wärst du nicht derjenige, der du bist, wärst du nicht Gelehrter der Gaeloch, mein Schwert würde dich fressen. Doch ich verschone dich, denn irgendwie mag ich dich auch noch. Aber, Gelehrter der Gaeloch Borasta, drohe mir nie wieder!“

Zum ersten Mal seit sie sich kannten, war es Edward gelungen, Borasta aus der Fassung zu bringen. Der Druide wurde blass im Gesicht, seine Miene wirkte wie in Blei gegossen, dann fragte er mit leiser Stimme nach:

„Du würdest das heilige Schwert der Mitte, die uralte und ewige Drachenklinge tatsächlich zu persönlichen Zwecken benutzen? Du hast das nicht bloß so daher gesagt? Mein König mir scheint von uns beiden bist du der Wahnsinnigere. Ich gehe und ich stehe dir nicht mehr als Freund und väterlicher Ratgeber zur Verfügung. Sieh zu wie du in Zukunft mit deinen Problemen ohne mich fertig wirst. Was ich wegen der Gaeloch gesagt habe, bleibt gültig.“

Der Druide verschwand aus dem Thronsaal, König Edward aber ging zu einem der hohen Fenster hinüber, durch die man hinunter in den Hof des Schlosses von Winchester sehen konnte und beobachtete, wie der Gelehrte der Gaeloch aufrecht und stolz den Hof überquerte und gleich darauf in der Dunkelheit des Torbogens verschwand.

„Ich scheiß auf dich, Gelehrter der Gaeloch. Ich werde mir die Gaeloch holen und sie werden meine besten werden im Chor der Prälaten! Darauf kannst du mehr als nur einen lassen!“

Borasta wurde nach diesem Tag viele Jahre lang nicht mehr am Hof zu Winchester gesehen.

Shandra el Guerrero

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