Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 7
Der Rat der Zwölf
ОглавлениеZum ersten Mal seit mehr als fünf Jahrzehnten war der Rat der Stadt wieder vollständig und in Person zusammen gekommen. Eine durch und durch ungewöhnliche Situation, die aber durchaus begründet war, denn es stand eine wirklich schwerwiegende Geschichte zur Lösung an:
Shaktar, der Erste Krieger Ninives, dazu auch der Oberste Techniker und damit zugleich der Erste unter den Zwölf hatte gegen eines der strengsten Gesetze der Stadt Ninive verstoßen und darüber war zu reden und abzustimmen.
Als Erster Krieger war Shaktar für die gesamte Kampfmaschinerie Ninives und natürlich auch deren Einsatzbereitschaft zuständig, ebenso wie für die Ausbildung sämtlicher Agenten der Stadt.
Die Aufgaben des Ersten Krieger für sich betrachtet, verlangten dem Amtsinhaber eine ganze Menge ab. Doch da war ja noch mehr, denn als Oberster Techniker überwachte er mit einem Stab von mehr als tausend Bürgern ersten Grades nicht nur die Einsatzbereitschaft der mächtigen Fusionsgeneratoren und damit sämtlicher Antriebs- und Versorgungssysteme der Stadt, er war auch für die Betreuung und Instandhaltung der Schleusensysteme nach Außenwelt und für alle Sicherheitssysteme innerhalb der Stadt zuständig. Damit nicht genug, unterstand ihm auch noch der gesamte Bestand an städtischen Flugmaschinen.
Eine weitere, mehr als beachtliche Aufgabe.
Niemals in der dreieinhalb Jahrtausende währenden Geschichte der Stadt hatte ein Mensch derart viele Funktionen und damit auch derart viel Macht auf sich vereint. Diese Bündelung wäre sicherlich auch niemals zustande gekommen, hätte es wenigstens in einem der beiden Sektoren der Macht auch nur eine halbwegs vertretbare Alternative zu Shaktar gegeben. Doch das war eben nicht der Fall.
So war Shaktar zu dem geworden, was er war und ausgerechnet er hatte nun gegen eines der schärfsten Tabus der Stadt verstoßen?
So war es und er bestritt es noch nicht einmal…
Wie immer in all den Jahrtausenden, seit die fliegende Stadt Ninive gebaut und ihrer Bestimmung übergeben worden war, traf man sich in der gewaltigen, transparenten Kuppel, die unter dem höchsten Punkt des Schutzschirmes lag, denn nirgendwo in der Stadt stellte sich das Gefühl der Macht schneller und intensiver ein, als dann, wenn man sich im großen Ratssaal aufhielt.
Die Atmosphäre des Saals war imponierend. Ein riesiger, runder Tisch aus silbern glänzendem Chromat, in dessen Tischfläche verschiedene Geräte und Bedienkonsolen eingelassen waren. Auch die Monitore am Platz eines jeden Ratsmitgliedes waren eingelassen, doch sie konnten je nach Lust hochgeklappt werden. Die Sessel bestanden aus einem halborganischen Material, das sich automatisch und in kürzester Zeit der Körperform und der Körpertemperatur des darin Sitzenden exakt anpasste und höchste Bequemlichkeit auch während der manchmal schier endlosen Sitzungen garantierte. Die stets auf gleich bleibende und optimal verträgliche Temperatur und Feuchtigkeit konditionierte Luft im Saal, vor allem aber der phänomenale Ausblick über die gesamte Stadt Ninive, all das zusammen schuf ein Bewusstsein der Macht, der Unangreifbarkeit, der überirdischen Fähigkeiten.
Die acht Männer und vier Frauen kannten diese Empfindungen teilweise schon seit mehreren Jahrhunderten und sie genossen diese Gefühle immer noch und immer wieder aufs Neue.
Nur an diesem Tag fiel es ihnen schwer, den üblichen Genuss zu empfinden, denn sie waren zusammen gekommen um über ein sehr delikates und zugleich äußerst fatales Ereignis zu reden und unangenehme Maßnahmen einzuleiten.
Dieses Ereignis, es hatte eine ebenfalls unliebsame Vorgeschichte, die letztendlich zu dem nun anstehenden Problem geführt hatte.
Vor etwas mehr als neunzig Jahren hatte einer der Ihren, der Magnat und Bioniker Falcon etwas getan, das bis zu diesem Tag niemand verstehen konnte:
Er hatte Ninive, die fliegende Stadt, die Königin aller jemals geschaffenen fliegenden Städte heimlich und bei Nacht verlassen und keinem der Ratsmitglieder war es trotz ihrer teilweise enormen mentalen Fähigkeiten gelungen, auch nur den Hauch einer Spur von Falcon zu finden. Falcon war geflohen und blieb unauffindbar. Das allein war nicht weiter schlimm, vielmehr schlimm war, dass es ihm gelungen war, wertvollste Besitztümer der Stadt mitzunehmen.
Insbesondere eines der Teile, die Falcon entwendet hatte, wurde in Ninive besonders schmerzlich vermisst, denn es gab in dieser an Wundern eigentlich nicht gerade armen Metropole nur sehr wenige Exemplare dieser Teile.
Es wurde „die Haut“ genannt und besaß unerhörte Kräfte.
Selbst schlimmste Verletzungen, ja sogar den Verlust von Gliedmaßen war die Haut in der Lage ungeschehen zu machen, wenn man sich in die Haut hüllte und ihr Zeit gab, die notwendigen Wunder zu vollbringen. Kleinere Verletzungen, wie man sie sich häufig auf der Jagd, aber auch bei der täglichen Handarbeit immer wieder mal zuziehen konnte, heilte sie im Nu,
Der Verlust eines Armes, eines Beines oder auch nur eines Teils dieser Extremitäten bedurften zwar eines länger Aufenthalts in der Haut, doch wenn man danach – es konnte mehrere Monate dauern - wieder zum Vorschein kam, war man wie Neu.
Ein solches wunderbares Ding, von dem niemand zu sagen wusste, wie es herzustellen war, ob es sich dabei um ein Gerät oder gar ein Lebewesen handelte, hatte Falcon entwendet. Der Verlust für Ninive war überaus schmerzlich, denn es gab nur zwei Dutzend dieser Häute. Verdammt wenig, um in einer Stadt wie Ninive, in der etwas mehr als hunderttausend Menschen lebten, alle vorkommenden Unfälle zu versorgen.
Schon deshalb hatte der Rat der Zwölf damals erstmalig beschlossen, Agenten hinaus zu schicken, die feststellen sollten, ob Falcon etwa gar in der verseuchten und damit tödlichen Umwelt außerhalb der Stadt hatte überleben können. Dann sollte er getötet werden. War er dagegen schon tot, war seine Leiche zu suchen und in beiden Fällen war dafür zu sorgen, dass die Haut und auch die übrigen Dinge, die Falcon entwendet hatte, nach Ninive zurück gebracht wurden.
Agenten, das waren niemals reinrassige Menschen, man setzte für Tätigkeiten außerhalb der Schutzschirme niemals den wertvollen reinen Genpool von Menschen aufs Spiel. Mutanten, Ergebnisse genetischer Versuche der Wissenschaftler Ninives viel diese Aufgabe zu.
Es gab eine Vielzahl solcher Mutanten in der fliegenden Stadt, denn die Wissenschaftler – auch Magnaten genannt – experimentierten seit mehr als dreitausend Jahren mit der Erbmasse der Bewohner Ninives. Das Ziel war anfangs gewesen, den Fortbestand der Menschen der Stadt zusätzlich zur normalen Fortpflanzung und der Aufzucht in den Retorten und Brutnester auch auf diesem Weg sicher zu stellen. Doch schon bald hatte es sich gezeigt, dass es eine unlösbare Aufgabe war, der die Magnaten da nach jagten. Es gelang einfach nicht, Menschen exakt nach den Mustern derjenigen, die in Ninive lebten zu klonen. Die Abweichungen reichten von eklatant bis minimal, doch sie waren immer vorhanden. Dummerweise wurden die Abweichungen aber immer erst dann erkennbar, wenn die Klone – wie auch alle Menschen – Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts das Stadium der Geschlechtsreife erreichten. Dann erst begannen die Abweichungen zu Tage zu treten, dann wurden Unterschiede zwischen reinerbigen Menschen und Klone feststellbar.
Die größten sichtbaren Abweichungen stellten bisher Mutationen dar, die nur noch entfernt Ähnlichkeiten mit Menschen besaßen. Zumeist waren sie kaum mehr als mittelgroß, aber mit schier unglaublichen Muskeln bepackt. Wesen, deren Gesichter zwar noch annähernd menschliche Züge besaßen, die aber auf ihrem ganzen Körper einen silbergrauen Pelz trugen. Statt einem Mund hatten sie durch vor gewölbte Kieferpartien beinahe so etwas wie Schnauzen und hinter ihren Lippen verbargen sich Gebisse, die selbst einem Wolf das Fürchten beibringen konnte. Die Hände und Füße dieser Mutanten waren anstatt mit Finger- und Zehennägeln mit einziehbaren Klauen ausgestattet, wie sie auch eine der großen Raubkatzen der alten Zeit auf Außenerde nicht stärker und schärfer besessen haben mochten. Sie blickten mit übergroßen Augen in die Welt, deren Pupillen in einem sehr intensiven grün leuchteten. Eine Eigenschaft, die sie mit allen Klonen Ninives gemeinsam hatten.
Sprechen im menschlichen Sinn konnten diese Wesen nicht, dennoch war die Verständigung mit ihnen mühelos, denn sie verfügten über telepathische Fähigkeiten der höchsten Stufe. Oder besser gesagt, sie stellten die Telepathen der höchsten Stufe dar. Auch ihre Intelligenz konnte man schlichtweg als überragend bezeichnen, doch mit ihren missgestalteten Händen und Füßen waren sie zu jeder Art manueller Tätigkeit unbrauchbar. Ihre Sinne entsprachen denen der Raubtiere, denen sie ähnelten und so beschloss der Rat der Zwölf, diese Mutanten – obwohl sie trotz ihres extremen Äußeren sehr friedliche Wesen waren - in einer einsamen Region des südwestlichen Europas, der Halbinsel Iberia „auszuwildern“. Diese Gegend war von den heißen Kriegen der Alten nur wenig kontaminiert, dort mochten diese Mutanten eine Chance zum Überleben haben oder auch nicht.
Man nannte diese Mutanten auf Grund ihres Äußeren auch die Wilden und der Magnat, in dessen Zuständigkeit ihre Entstehung fiel, war Falcon.
Die schlimmste Art der Abweichung aber stellten nicht die Wilden dar, sondern eine Art von Klonen, die äußerlich kaum von den Menschen Ninives zu unterscheiden war. Wesen, immer von geradezu perfekter Schönheit, die mit Erreichen der Geschlechtsreife und der damit verbundenen Erkenntnis, kein Bürger Ninives zu sein oder jemals zu werden, einen abgrundtiefen Hass auf die Stadt und alles, was sie repräsentierte entwickelten. Diese Klone - man nannte sie auf Grund ihrer Schönheit auch Angelos - wurden sofort und ohne jede Gnade nach Außenwelt emigriert, sobald die Abweichung zu Tage trat.
Zwischen diesen beiden Stufen gab es Abweichler in zahlreichen Nuancen, die aber in aller Regel der Stadt und vor allem dem Rat der Zwölf zumeist sehr gute Dienste leisteten. Sie waren äußerst loyal und leicht zu lenken, denn auch sie besaßen zumeist enorme mentale – hauptsächlich telepathische – Fähigkeiten, waren von hoher Intelligenz und absolut kaum zu überbietender körperlicher Leistungsfähigkeit, was die einen zu ausgezeichneten Arbeitskräften, die andern zu hervorragenden Jägern und Kriegern werden ließ. Und letztere setze der Rat der Zwölf ausschließlich als Agenten ein, die den Interessen des Rats dienten. Auch auf der Jagd nach Falcon und ein paar weiteren Abtrünnigen wurden Agenten eingesetzt. Fast immer mit durchschlagendem Erfolg.
Falcon war der letzte einer Reihe von Abtrünnigen gewesen und immer hatte es sich um Magnaten gehandelt. Vor ihm waren schon gut zwei Dutzend andere Männer und Frauen aus der fliegenden Stadt geflohen, bis auf vier – einschließlich Falcon – hatten die Agenten alle anderen aufgespürt und eliminiert.
Die Agenten unterstanden direkt dem Rat der Zwölf, der ihre Ausbildung in allen Bereichen überwachte und leitete und dafür sorgte, dass ein Agent – ob männlich oder weiblich – in jeder nur denkbaren Kultur, unter allen nur vorstell- und simulierbaren Umweltumständen überleben konnten. Die Sprachbegabung steckte in den Genen dieser Klone, ebenso wie alle anderen Fähigkeiten, die sie brauchten um auf „Außenwelten“ zu überleben. Ihr oberster Ausbilder war der Erste Krieger der fliegenden Stadt, also seit ungefähr zweihundert Jahren der Ratsherr Shaktar.
Die Klone – allen voran die Agenten – besaßen zwar keinerlei Bürgerrechte aber jede Menge Freiheiten in der fliegenden Stadt. Oftmals lebten sie in Lebensgemeinschaften mit bürgerlichen Familien oder auch Einzelpersonen und das war in Ordnung so. Viele Bürger hielten sich zusätzlich zu ihren bürgerlichen Gefährten Geliebte aus den Reihen der Klone, wobei der Grad der Abweichung niemals eine Behinderung sondern allenfalls eine Bereicherung darstellte. Niemand störte sich daran, wenn ein Mann mit einer geflügelten Elfe oder eine Frau mit einem gehörnten und bocksbeinigen Satyr zusammen lebte, doch den Bürgern der Stadt war es bei Höchststrafe verboten, mit Klone Kinder zu zeugen.
Und damit war man beim Kern des Problems angelangt, denn der mächtigste Mann der Stadt, der Ratsherr Shaktar, hatte genau gegen dieses heilige Gesetz verstoßen. Seine junge Geliebte, die wunderschöne Agentin Sombra war schwanger von ihm.
Shaktars legale Gefährtin war die Medizinerin und Wundärztin Falsett, die nicht nur in ihrem Beruf führend war, sondern auch in hohem Grade telepathische Talente besaß und so war es kein Wunder, dass sie von dieser Schwangerschaft bereits wenige Tage nach dem Datum der Empfängnis wusste.
Wie es ihre Pflicht als treue Bürgerin der fliegenden Stadt war, brachte sie diese Tatsache sofort dem Rat der Zwölf zur Anzeige und nun war der Rat zusammen gerufen worden um diesen einmaligen Präzedenzfall zu beraten und zu lösen.
Mordegay, der Lordkanzler und nach Shaktar Zweiter unter den Ratsherren eröffnete die Sitzung und übergab sofort das Wort der Anklägerin, der Ältesten im Rat, der Kommunardin Frese, die – vermutlich weil die ganze Geschichte so delikat und unangenehm war - unverzüglich zur Sache kam. Es stand ja auch nur ein einziger Punkt auf der Tagesordnung und der war schnell geschildert, denn die Fakten lagen klar auf der Hand.
Es gab weder eine Diskussion um Schuld oder Unschuld, es ging lediglich um die Frage, was mit der Agentin Sombra zu geschehen hatte und wie das Problem mit dem Ersten Krieger und Obersten Techniker zu lösen sei.
Sombras Fall war rasch gelöst.
Ninive tötete keines seiner Kinder. Nicht jedenfalls mit eigener Hand. Ninive verstieß Kinder, die nicht in das Profil der Stadt passten, sie wurden auf Außenerde ausgesetzt.
Der Ratsherr Mastor – sein Metier waren Ermittlungen und Geheimdiensttätigkeiten aller Art – ergriff das Wort und trug vor:
„Die Anzeichen dafür verdichten sich, dass unser immer noch flüchtiger Ex – Magnat Falcon die Halbinsel Iberia erreicht und sich dort einem Clan Wilder angeschlossen hat, die es – wie auch immer – geschafft haben im Gift der verseuchten Erdoberfläche zu überleben. Ich schlage vor, wir bringen auch Sombra dort hin und wenn sie es schafft, Falcon zu finden und zu töten, braucht sie dort nur so lange zu bleiben, bis ihr Kind geboren ist und sie es beseitigt hat. Danach mag sie zurück kehren in die Stadt und sich meinem Haushalt anschließen. Ich hielte das für eine gerechte Strafe.“
Der Rat war nach kurzer Debatte mit diesem Vorschlag einverstanden und nahm ihn mit nur einer Gegenstimme – derjenigen Shaktars – an.
Als nächstes wurde der Fall des Ersten Kriegers und Obersten Technikers erörtert und dazu musste zunächst der Ratsherr Shaktar seines Amtes enthoben und durch andere Ratsmitglieder ersetzt werden.
Die gesamte Prozedur ging in einer, für den Rat der Zwölf völlig untypischen Hast von statten, Shaktar wurde zuerst seines Amtes Erster Krieger enthoben, dann auch als Oberster Techniker abberufen und gleich darauf insgesamt als Ratsmitglied abgesetzt, somit konnte er an den Entscheidungen, die ihn betrafen nicht mehr aktiv mitwirken. Ratsmitglied an seiner Stelle wurde seine offizielle Gefährtin, die Ärztin Falsett. Shaktars Nachfolger als Erster Krieger wurde sein intimster Feind, der noch relativ junge Nurmigo, ein von Falsett heftig protegierter Nachwuchspolitiker und vermutlich auch deren Liebhaber. Ein Oberster Techniker wurde zunächst noch nicht benannt, weil noch immer kein geeigneter Kandidat zur Verfügung stand.
Durch diese Wahlen war bereits klar gestellt, welchem Schicksal Shaktar entgegen sah und die Entscheidung des Rates der Zwölf fiel genau so aus, wie es zu erwarten war.
Man ordnete an, dass Shaktar auf den Besucherrängen des Ratsaales Platz nehmen und die Verhandlung über sein Schicksal dort abwarten sollte. Shaktar befolgte die Anordnung ohne jeden Widerspruch, er hatte sich offenbar längst in sein Schicksal gefügt und ließ alles in stoischer Ruhe über sich ergehen.
Diesmal war Nestros der Sprecher des Rates, ebenfalls nicht gerade ein glühender Anhänger Shaktars und er verkündete in knappen Sätzen, was der Rat entschieden hatte:
„Der Verstoß des ehemaligen Ratsherrn, Ersten Krieger und Obersten Techniker Shaktar gegen die strengsten Gesetze unserer Stadt ist bewiesen und wird auch nicht bestritten.
Die Schwere des Verstoßes lässt dem Rat keinen Spielraum in seinem Urteil und so hat der Rat der Zwölf entschieden, dass Shaktar all seiner Bürgerrechte in Ninive verlustig gehen soll.
Weiterhin soll Shaktar die fliegende Stadt Ninive für immer verlassen. Shaktar wird in Außenwelt ausgesetzt und darf dabei außer geeigneter Kleidung und seinen Waffen nichts mitnehmen. Als Aussetzpunkt wurde der höchste Gipfel des Daches der Welt, der Mount Everest gewählt. Die Stadt Ninive wird morgen dort hin fliegen und die Aussetzung wird vom neuen Ersten Krieger persönlich überwacht werden.
Der Rat der Zwölf ist sich dessen bewusst, dass dies ein äußerst mildes Urteil darstellt. Doch Ninive tötet keine Menschen um zu strafen. Schon gar keine Menschen, die sich so um die Stadt verdient gemacht haben wie der ehemalige Ratsherr Shaktar. Zum Andern wird diese Aussetzung allen in der Stadt lebenden Zweiflern nachhaltig beweisen, wie ungeheuer die Oberfläche der Erde auch nach mehr als dreieinhalb Jahrtausenden noch kontaminiert ist, denn Shaktar wird dort draußen eines raschen Todes sterben.
Ich bedanke mich beim Rat der Zwölf für die rasche und wirkungsvolle Zusammenarbeit in diesem Fall und frage abschließend den Beklagten Shaktar:
Nimmst du dieses Urteil an?“
Shaktar stand langsam von seinem Stuhl auf, sah sich kurz im Ratssaal um und erwiderte, ohne jemanden direkt anzusprechen:
„Habe ich denn die Wahl der Ablehnung?“
„Nein, die hast du nicht. Jedenfalls nur insofern, als dass du uns allenfalls noch zwingen könntest dich doch noch hinzurichten. Mehr Spielräume gibt es nicht mehr für dich.“
„Dann soll es so sein, ich verzichte auf die vom Rat geforderte Ablehnung oder Anerkennung eines Urteils, das durch und durch ungerecht ist. Bringt mich zum Aussetzungspunkt.“
Kantor, der Erste Astronaut der Stadt griff zu der Konsole an seinem Platz, tippte ein paar Befehlszeilen ein, dann sprach er mit deutlich akzentuierter Stimme die Befehle an die Steuereinheiten der fliegenden Stadt, die dieses gewaltige Gebilde zum Dach der Welt bringen würden.
Shaktar schauderte, als der Navigationscomputer die Zielkoordinaten bekannt gab und sich im schier selben Moment die Stadt in Bewegung setze und den Flug zum Dach der Welt in Angriff nahm.
Die Fusionsreaktoren, die der fliegenden Stadt die erforderlichen Energiemengen lieferten, waren gewaltig. Energiemengen, die notwendig waren, um dieses System der fliegenden Stadt nicht nur am Leben zu erhalten, sondern den ganzen Koloss auch auf einen stratosphärischen Orbit der Erde zu bringen und zu jedem beliebigen Punkt fliegen zu lassen. Jetzt fuhren diese Reaktoren zwei Stufen höher und beschleunigten Ninive auf ein Tempo das kurz unterhalb der Schallgeschwindigkeit lag. Sie würden innerhalb der Atmosphäre fliegen und deshalb war eine höhere Geschwindigkeit nicht ratsam. Der Computer verkündete, dass alle Funktionen erfolgreich in Betrieb gegangen waren und das bestimmte Ziel in elf Stunden, zweiunddreißig Minuten und zwanzig Sekunden erreicht werden würde.
Elf Stunden blieben ihm um seine Angelegenheiten zu ordnen, elf Stunden in denen er sich von vierhundertsechsundachtzig Jahren des Lebens in der fliegenden Stadt verabschieden konnte, elf Stunden um sich auf den nahen und absolut unvermeidlichen Tod vorzubereiten.
Shaktar stand auf und verließ den Ratssaal ohne zu grüßen. Er fügte sich wortlos in sein Schicksal und trug es, wie es einem Ersten Krieger, der er zweieinhalb Jahrhunderte lang gewesen war ziemte.