Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 8
Verbannung
ОглавлениеZehn der elf Stunden waren vorüber, die fliegende Stadt Ninive schwebte bereits über dem großen Subkontinent, der Indien genannt wurde und wenn man genau nach Norden sah , konnte man am Horizont bereits die nebelhaften Silhouetten der gigantischen Berge erkennen, die man den Himalaja oder auch das Dach der Welt nannte.
Shaktar stand mit nachdenklich in Falten gelegter Stirn im Eingangsbereich des kleinen Hauses, auf das er als Ratsherr und erster Krieger Anspruch besessen hatte und bereitete sich auf den Abschied von so vielem vor, das in seinem bisherigen Leben von Bedeutung gewesen war.
Er war bereit, die fliegende Stadt zu verlassen und damit die Konsequenzen auf sich zu nehmen, die er durch sein inniges Verhältnis, seine Liebe zu Sombra herauf beschworen hatte. Er hatte gewusst dass es Ärger geben konnte, ja sogar musste, wenn sie gegen ein derart strenges Tabu verstießen wie es die Zeugung eines Kindes mit einer geklonten Frau darstellte. Er hatte es kommen sehen und war trotzdem nicht in der Lage gewesen, diesen Wunsch den sie beide so sehr verspürten, zu unterdrücken. Sie mussten ihn einfach in die Realität umzusetzen.
Shaktar fragte sich wieder und immer wieder, was es wohl gewesen war, das in gleichzeitig zwei an sich so rationell veranlagte Lebewesen wie er selbst und die Agentin Sombra einen derart unsinnigen Wunsch entstehen ließ. War das wirklich Zufall gewesen oder lag darin eine schicksalhafte Bestimmung? Wurde dadurch etwas eingeleitet, das niemand – auch nicht er selbst – abzuschätzen in der Lage war?
Wohl kaum, denn was konnte schon aus dem Tod von zwei Verrückten schicksalhaftes entstehen?
Shaktar zweifelte nicht daran, dass sie beide in den Tod gingen. Sombras Chancen in Iberia ohne Unterstützung durch ein Shuttle aus der Stadt zu überleben waren so groß wie die eines Eisbrockens, der in den Brennraum eines Reaktors stürzte.
Und seine eigenen Chance?
Es gab kaum einen Platz auf der Erde, an dem seine Überlebenschancen kleiner gewesen wären. Wenn er Pech hatte würde er den Ausstieg aus der fliegenden Stadt ein paar Stunden lang überleben, wenn er viel Glück hatte nur einige Minuten.
Shaktar zählte im Kopf auf, was gegen sein Überleben sprach.
Zum einen war da die extreme Höhe. In mehr als achttausend Meter über dem Meeresspiegel war der Sauerstoffgehalt der Luft so dünn, dass er allein an diesem Problem schon rasch sterben konnte.
Dann war da auch noch die Kälte. Die aktuelle Außentemperatur am Zielort der fliegenden Stadt hatte der Computer mit vierundfünfzig Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt von Wasser angegeben! In dieser Kälte ohne eine spezielle Ausrüstung zu überleben war reine Glücksache.
Der Gipfel des Everest – Gebirges war mit Schnee und Eis bedeckt und er hatte weder geeignetes Schuhwerk noch eine Kletterausrüstung zur Verfügung, um sich dort auch nur halbwegs sicher zu bewegen.
Die Hitzeabstrahlung der fliegenden Stadt würde während des Landeanfluges eine Menge Eis und Schnee zum Schmelzen bringen, doch bei den herrschenden Temperaturen würde jede Flüssigkeit in kürzester Zeit wieder gefrieren. Dann aber käme ein nächster Hitzeschub, nämlich der Neustart der Stadt und dann war er als Ausgesetzter mitten im Abgasstrom der Fusionsreaktoren, in einer Hitzewelle von ungefähr viertausend Grad Celsius und diese Hitze würde ihn verdampfen. Wenn nicht würde sie schwere Lawinen auslösen, die ihn in die Tiefe reißen mussten.
Also keine Überlebenschance…
Shaktar war vollständig in düsteres Schwarz gekleidet. Er trug einen Mantel der scheinbar aus Leder gefertigt war und dessen Saum ihm bis zur Mitte der Waden reichte. Darunter eine dick wattierte Weste, eine eng anliegende Hose ebenfalls aus Leder, deren Beinlinge in den Schäften weicher, beinahe kniehoher Stiefel mit dicken Sohlen steckten und unter der Weste ein Hemd aus einem seltsam feinen, glänzenden Gewebe, das sich fast wie eine zweite Haut an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Der einzige farbige Aspekt seiner Kleidung war sein Gürtel. Ein breites Band aus leuchtend rot eingefärbtem, weich gegerbtem Leder, an dem er neben einer ganzen Reihe an Taschen und Beutel auch sein Schwert und zwei lange Dolche befestigt hatte. Sowohl die beiden Dolche als auch sein Schwert waren aus bestem Kerastahl geschmiedet und praktisch unzerstörbar. Sie staken in Scheiden aus einem glanzlos schwarzen Material und selbst die Hefte, Knäufe und Parierstangen der drei Waffen waren aus schwarz brüniertem Stahl und an den Griffflächen mit schwarzem Leder überzogen.
Neben Shaktar lag ein recht großer Sack aus demselben schwarzen Material, aus dem die Scheiden seines Schwertes und der Dolche gefertigt worden waren. In diesem Sack hatte Shaktar diejenigen seiner erlaubten Habseligkeiten verstaut, die mitzunehmen das Urteil des Rates der Zwölf ihm ebenfalls zugestanden hatte. Viel war es nicht. Vor allem Ersatzkleidung, dazu ein paar Energiewürfel und als ganz persönliche Erinnerungsstücke, ein paar Holo – CDs. Kleine, silbrig glänzende Scheiben, auf denen Holos gespeichert waren, die ihn vielleicht doch irgendwann an sein vergangenes Leben erinnern würden.
Das Material aus dem dieser Sack, sein Umhang, seine Hose, die Weste und sogar die Stiefel, aber auch die Scheiden seiner Waffen gefertigt war, gehörte zu einem der Geheimnisse, die Shaktar vor dem Rat der Zwölf bewahrt hatte, obwohl er damit ebenfalls gegen einen Kodex verstoßen hatte. Vor vielen Jahren schon war es ihm gelungen, durch immer neue Versuche aus Keramik ein Gewebe herzustellen, das zwar weich und elastisch war und dennoch die unglaubliche Haltbarkeit von Keramik besaß. Das Gewebe besaß darüber hinaus auch noch ein paar andere Eigenschaften, die ihm nun sehr nützlich sein mochten. Es war in der Lage enorme Wärmemengen zu speichern und diese einem vom Gewebe eingehüllten Körper in angenehmster Form zur Verfügung zu stellen. Außerdem reflektierte dieses Gewebe auch geringste Wärmeabstrahlungen eines Körpers, so stellte es einen ausgezeichneten Isolator dar.
Wenn er also eine Überlebenschance hatte, dann nicht zuletzt auch dank dieses kleinen Geheimnisses. Ganz sicher hätte ihm der Rat nicht gestattet, so ausgerüstet die Stadt zu verlassen und ins Exil zu gehen.
Sein langes, jetschwarzes Haar trug Shaktar im Nacken zu einem dicken Knoten geschlungen, welcher ihn als zur Kaste der Krieger gehörend auszeichnete.
Shaktar war ein, für einen in der fliegenden Stadt geborenen Menschen außergewöhnlich groß und muskulös. Er maß einen Meter und fünfundachtzig Zentimeter, seine Schultern waren breit, die Hüften schmal, die Beine lang und schlank. Alles an seinem Körper wirkte athletisch und durchtrainiert, selbst seine kräftigen Hände ließen erkennen, dass sie es gewohnt waren zu zupacken und festzuhalten, was sie gefasst hatten.
Shaktar war zudem auch ein schöner Mann, das wusste er, das bestätigten ihm die vielen Abenteuer, Eskapaden, Affären und Beziehungen die er im Laufe seines Lebens mit Frauen aller Art in der fliegenden Stadt gehabt hatte. Seine weiße Haut am ganzen Körper, auch im Gesicht war straff und glatt, die Stirn war hoch, breit und klar, seine Augenbrauen so schwarz wie sein Kopfhaar und dicht wie schwarzes Moos. Seine Augen standen weit auseinander und glitzerten in einem geradezu magnetisch wirkendem, eisigen Grau, seine Nase war etwas lang aber sehr gerade, mit einem kräftigen Rücken und weit geschwungenen Nüstern, seinem Mund war anzusehen, dass Shaktar über ungeheuer viel Willenskraft und Energie verfügte, was durch das markante Kinn mit dem tiefen Grübchen in der Mitte noch unterstrichen wurde. Shaktar war frisch und glatt rasiert und dennoch wirkten seine Wangen und sein Kinn, als wären sie von einem schwarzen Schatten überflort.
Ein schöner Mann, ein starker und harter Mann in jeder Beziehung, der Star und Sieger zahlloser Kämpfe in den Arenen Ninives, aber auch ein Mann dem das eigene Wort noch etwas galt und der für die Einhaltung eines einem Freund gegebenen Versprechens eher in den Tod ginge, als dieses Versprechen zu brechen.
Vor Shaktars innerem Auge spielte sich in dieser letzten halben Stunde ehe er sein gewohntes Leben vermutlich für immer verlassen musste, die Szene ab, die sich vor etwas mehr als zwei Stunden ereignet hatte.
Eine Abordnung von vier Agenten war gekommen und hatte seine Geliebte, die junge und so wunderschöne Sombra abgeholt. Allein die Erinnerung an diese Momente ließ in Shaktars Magen einen eisigen Klumpen entstehen.
Sombra war selbst Agentin und gehörte trotz ihrer Jugend – sie war noch lange nicht hundert Jahre alt – zu den zehn besten Agenten der Stadt. Allein aus dieser Sicht war es angemessen, dass sie von einer derart starken Abordnung abgeholt wurde. Sie beide hatten gewusst, was auf sie zu kam, sie beide hatten sich auf den Abschied vorbereitet und die letzten Stunden damit verbracht, sich mit geradezu verzweifelter Intensität wieder und immer wieder zu lieben und sich zu schwören, dass sie alles, wirklich alles daran setzen wollten, um auf der Erde zu überleben und sich zu finden. Sombra war so weit gegangen, Shaktar zu schwören, dass sie es schaffen würde, auch ihren gemeinsamen Sohn gesund zur Welt zu bringen und so lange am Leben zu erhalten, bis sie und Shaktar einander wieder gefunden hatten. Dann hatte Sombra sich angekleidet und gemeinsam hatten sie gefasst und in Würde auf die Abordnung gewartet.
Die vier Agenten - drei Männer und eine Frau – waren genau zur angekündigten Zeit aufgetaucht. Man wusste um Sombras Fähigkeiten, denn man schickte vier routinierte Agenten, die Sombra an ihren Verbannungsort bringen sollten und einer der Männer hatte ein Holo mitgebracht, auf dem eine letzte Anordnung des Rates der Zwölf gespeichert war.
Die Botschaft wurde vom Lordkanzler selbst, dem runzligen und schon über tausend Jahre alten Mordegay verlesen. Die Luft zitterte kurz, als sich das Holo aktivierte und das nahezu lebensechte Bild des Lordkanzlers entstand, dann ertönte seine tiefe Stimme und verkündete:
„Agentin Sombra, der Rat hat noch einmal über das Urteil nachgedacht, das verhängt wurde. Das Urteil wird insgesamt aufrecht erhalten, doch es wird dir untersagt, etwas anderes aus Ninive mitzunehmen, als dich selbst. Du wirst splitternackt auf der Hochebene Grazalema ausgesetzt werden. Alle anderen Bedingungen bleiben wie ursprünglich festgelegt. Entkleide dich also und folge dann den Agenten.“
Das Holo flimmerte kurz auf, dann erlosch es. Der Mann unter den Abgeordneten nickte Sombra zu und befahl:
„Du hast die Botschaft gehört. Befolge sie nun. Lege deine Kleidung ab und dann folge mir, damit wir dich zum Astroport bringen und in die Emigrationskapsel setzen können. Ninive will dich so schnell wie möglich los werden.“
Ninive tötete keine Menschen. Doch Ninive scheute sich nicht davor, Menschen auf das höchste zu demütigen und sie nackt und unbewaffnet in einer absolut feindlichen Umwelt auszusetzen, was den sicheren Tod bedeutete…
Sombra befolgte die Anweisungen des Holos und legte ihre Kleidung ab. Dabei war ihr Gesicht so blass, dass ihre Haut beinahe leuchtete. Dann wandte sie sich noch ein letztes Mal an Shaktar, schlang ihre Arme um seinen Nacken küsste ihn und richtete dann zum letzten Mal ihre Worte an den Mann, den sie liebte.
„Nun haben sie es also doch noch geschafft. Sie haben einen Angelo aus mir gemacht. Ich schwöre hier und jetzt, dass ich mein Leben lang nicht ruhen werde und alles daran setzen werde, um die fliegende Stadt zu vernichten. Nichts soll übrig bleiben, was jemals an Ninive und seine Bewohner erinnern kann.“
Sombras Stimme hatte nichts von ihren tatsächlichen Gefühlen wider gespiegelt. Ernst und ruhig, fast gelassen hatte sie ihre Worte vorgebracht, nur in ihren jadegrünen Augen war der Hass zu erkennen, der in der jungen Frau tobte, denn diese Augen wirkten so hart wie Splitter eines Diamanten.
Shaktar antwortete mit nicht weniger ruhiger und ernster Stimme.
„Nicht einen Angelo haben sie geschaffen, es sind deren zwei. Mehr, ich werde der erste Erzengel sein, den es gibt und nichts wird uns aufhalten können, wenn es darum geht, diese unsägliche Stadt zu vernichten. Dies schwöre ich bei meinem Leben und meiner Ehre als Krieger.“
Kaum waren diese Worte gesprochen, begann die Luft erneut zu flimmern, wiederum baute sich ein Holo auf, diesmal war es Shaktars Nachfolger Nurmigo, der sich meldete.
„Du weißt natürlich, dass wir deine Worte mitgehört haben und nun wissen, was in dir vor geht. Deshalb wirst du uns auch nicht übel nehmen, wenn wir dir sagen, für wie lächerlich und unwürdig wir deine Drohung halten, doch es ist unter unserer Würde, gegen deinen Hass und deine Drohungen vorzugehen. Doch du solltest daran denken, dass mit deiner Absetzung als Erster Krieger auch deine dir von Ninive übergebene Macht verloren gegangen ist. Mach dir also keine allzu großen Hoffnungen über deine Zukunft.“
Das Holo erlosch und die vier Abgeordneten starrten Shaktar mit einem höhnischen und durch und durch herausfordernden Grinsen an, es war als wollten sie den Mann zu einer unbedachten Handlung provozieren.
Shaktar spürte die unterschwellige Herausforderung und unterzog sich sofort der intensiven Selbstkontrolle. Jede Regung verschwand aus seinem Gesicht und seine Haltung glich viel eher der einer aus schwarzem Holz geschnitzten Statue, als der eines Menschen.
Sichtlich enttäuscht wandten die Agenten sich von ihm ab, nahmen Sombra in ihre Mitte und bugsierten die junge Frau zur Tür und hinaus. Ein letzter Blickwechsel, die Erkenntnis, den geliebten Menschen vermutlich für immer verloren zu haben und dann war sie fort.
Nie in seinem langen Leben hatte sich Shaktar einsamer gefühlt als in der Zeit, die vergangen war, seit Sombra aus seinem Blickfeld verschwunden war. Daran änderte sich auch nichts, als wenig später Falsett auftauchte, um formell von ihm Abschied zu nehmen, zuvor aber sollte er noch ihre Freigabeerklärung unterzeichnen, denn nur mit dieser war es Falsett erlaubt, mit einem anderen Mann eine neue Bindung einzugehen.
Shaktar unterzeichnete die Dokumente mit stoischer Gleichgültigkeit und auch der Abschied von Falsett würde sich nicht von dem unterscheiden, mit dem zwei flüchtige Bekannte sich von einander verabschiedet haben würden. Obwohl sie seit mehr als fünfhundert Jahren vor den Gesetzen der Stadt ein Paar gebildet hatten, verband sie wenig mehr, als eine flüchtige Bekanntschaft. Hätten sie sich die Mühe gemacht, die gemeinsam verbrachten Tage zu zählen, sie wären kaum auf hundert gekommen, denn ihr Zusammenschluss war damals rein politisch begründet gewesen und rasch hatten sie erkannt, dass die Summe ihrer Gemeinsamkeiten deutlich gegen Null tendierte. Mit der Unterzeichnung der Dokumente war aus Shaktars legaler Gefährtin die freie und unabhängige Rätin Falsett geworden.
Ein kurzer Händedruck, ein paar leere Floskeln, das war es, Falsett wandte sich um und verließ Shaktars Haus auf Nimmerwiedersehen.
Shaktar hatte seine Gedanken ein wenig schweifen lassen und so war er tatsächlich überrascht, als plötzlich die seltsame Stimme des Informationscomputers ertönte und ihn davon in Kenntnis setzte, dass die Landung auf dem Dach der Welt in sechshundert Sekunden stattfinden sollte. Nun zuckte Shaktar doch ein wenig zusammen, denn diese sechshundert Sekunden und ein bisschen was dazu waren es, die ihn noch von seiner Exekution trennten.
Im Gegensatz zu Sombra wurde Shaktar nicht abgeholt. Von einem ehemaligen Ersten Krieger, Obersten Techniker und Ratsherr erwartete man, dass er Format genug besaß, um ohne Geleit und ohne Kontrolle zum Ort seiner Exekution zu kommen.
Shaktars Zeit in der fliegenden Stadt war also abgelaufen. Shaktar griff nach seinem schwarzen Sack, hängte ihn sich über die Schulter und verließ das kleine Haus.
Er grinste ein wenig vor sich hin, als er das biometrische Türschloss aktivierte, das mit absoluter Sicherheit keinem anderen Wesen den Zutritt in das Haus gewähren würde, als ihm selbst. Sein Haus würde damit zu einem Mausoleum werden, das alle, die vorüber kamen an seinen einstigen Besitzer, den Ratsherr Shaktar erinnerte. Während Shaktars Amtszeit hatte es keine Exekution auf vergleichbarem Niveau gegeben, aber er war sich absolut sicher, dass er daran gedacht hätte, das biometrische Schloss zu modifizieren, ehe der alte Besitzer eliminiert wurde.
Auf Grund seiner Funktionen hatte ihm die Stadt ein Magmobil zur Verfügung gestellt. Shaktar stieg in das elegante, kleine Fahrzeug, sein Sack fand Platz auf dem zweiten Sitzplatz, der sich hinter ihm befand und Shaktar legte den Betriebsschalter um, der das Mobil zu einer sanft gleitenden Bewegung von mäßiger Geschwindigkeit beschleunigte, die ihn bequem und stressfrei zu jedem beliebigen Ziel in der Stadt brachte. Shaktar nannte der kleinen Steuereinheit des Mobils sein Ziel und lehnte sich bequem in der Sitzschale des Fahrzeugs zurück, denn die Fahrt erforderte keinerlei Aktivitäten von ihm selbst.
Wieder tauchte ein kleines Schmunzeln in Shaktars Gesicht auf. Es gab nur drei Dutzend dieser komfortablen Transporter in der Stadt und auch das Magmobil war auf Shaktars Profil biometrisiert und ausschließlich von ihm selbst nutzbar. Ohne seine Kooperation würde das Fahrzeug für alle Ewigkeit ungenutzt herum stehen müssen.
Der zukünftige Oberste Techniker würde gleich zu seinem Amtsantritt mit mindestens zwei ordentlichen Misserfolgen fertig werden müssen, denn die fliegende Stadt konnte es sich eigentlich nicht leisten, auf zwei so wertvolle Ressourcen wie Shaktars Haus und das Magmobil zu verzichten. Shaktar wusste nicht, wer aus dem Rat ihm in dieser Position nachfolgen würde, doch wenn er schon benannt war zeichnete er sich ganz sicher nicht durch besondere Schläue aus. Von diesen Überlegungen wurden Shaktars Gedanken praktisch nahtlos zu einem anderen, weit interessanteren und spektakuläreren Vorgang gelenkt.
Der Schlüssel zu den Antriebssystemen bestand ebenfalls aus einem biometrischen Code und in diesen Code waren unter anderem die Daten des Obersten Technikers und die des Ersten Kriegers integriert. Ohne diese beiden Codeschlüssel würden sowohl die Transportsysteme als auch die Waffensysteme der Stadt den Dienst verweigern.
Ob der Rat wenigstens an diesen Aspekt seines Urteils gedacht hatte?
Shaktar durchquerte alle neunzehn Ebenen der Stadt und wurde vom Magmobil hinunter zur untersten Base der Stadt gebracht, dorthin wo der gewaltige Hydrostempel aus der Hülle der Stadt gefahren werden konnte, um die Stadt sanft und weich auf einem festen Untergrund aufsetzen zu lassen. Im Bereich dieses Hydrostempels gab es vier kleine Schleusen, die ins Freie führten. Man hatte diese Schleusen in den letzten Jahrhunderten nicht mehr genutzt, denn niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Hydrostempel einer möglicherweise notwendigen Inspektion zu unterziehen. Die Schleusentore waren ursprünglich ebenfalls personifiziert gewesen, doch irgendein Techniker der Stadt hatte in einer fernen Vergangenheit beschlossen, diese Sicherheitsbarriere zu öffnen und hatte die Schleusen auf den Universalcode der Stadtbewohner umgestellt. Seither war es jedem Bewohner Ninives möglich, diese Schleusen zu öffnen und Ninive nach Gutdünken zu verlassen und wieder zu betreten. Die beiden einzigen Gründe, weshalb niemand von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, waren die Tatsache, dass nur wenige Menschen – Shaktar war einer von aktuell vier Bürgern, die über diesen Umstand informiert waren – davon Kenntnis besaßen und zum Andern hatte die Stadt seit der Flucht Falcons keine Landung mehr auf festem Untergrund durchgeführt.
Der Rat der Zwölf, zusammen mit dem neuen Ersten Krieger, war vollständig an dem Tor versammelt, das zu dem Raum mit den Schleusen führte und sie alle erwarteten Shaktar bereits gespannt. Sie konnten diesen Raum zwar auch ohne Shaktars Mitwirkung betreten, denn auch hier war bereits der Universalcode wirksam, doch den Ratsmitgliedern war alles, was mit Technik zu tun hatte fremd und unheimlich. Auch aus diesem Grund hatte wohl niemand daran gedacht, einen neuen Obersten Techniker zu berufen. Vielleicht waren sie der Meinung, die Stadt würde auch ohne einen solchen Obersten Techniker weiter funktionieren.
Shaktar schüttelte innerlich über so viel Ignoranz und Unwissenheit den Kopf und fragte sich, welchem Schicksal Ninive wohl entgegen steuern mochte, wenn er selbst die Stadt erst endgültig hinter sich gelassen hatte. Der Hass, den Shaktar verspürte, richtete sich – noch – nicht gegen die Stadt selbst sondern war auf den Rat der Zwölf und auf Nurmigo begrenzt. Die mehr als hunderttausend anderen Menschen und Mutanten hatten ihm nichts getan und würden ohnmächtig unter der Dummheit ihrer Führer leiden müssen.
Er kletterte aus dem Magmobil, hievte den Sack mit seinen Habseligkeiten über seine Schulter, rückte seinen Gürtel mit Schwert und Dolchen ein wenig zurecht, dann versiegelte er das Magmobil mit seinem Code und ging gemessenen Schrittes zu dem großen Tor aus Cortain, das den Zugang zu den Schleusen versperrte. Er legte seine Hand auf den Platz, der dem Obersten Techniker zugewiesen war, ein leises Zischen ertönte und dann glitt das mächtige Tor wie von Geisterhand geschoben zur Seite und gab den Durchgang in den riesigen Saal frei, in dem sich der Hydrostempel und die Schleusen befanden.
Shaktar betrat den Raum ohne zu zögern, durchquerte ihn und blieb dann vor der südlichen Schleuse stehen. Genau in diesem Augenblick ging es wie ein leises Seufzen durch den Raum, die weiß glänzende Keramikoberfläche des Hydrostempels zeigte, dass dieser sich zu bewegen begann, das Zischen von verdrängter Luft erfüllte den großen Raum und dann zeigte ein sanftes Ruckeln an, dass die Stadt butterweich auf der Spitze des Mount Everest aufgesetzt hatte.
Niemand in der Stadt verstand, wie dieses monströse fliegende Gebilde, das mehr als hunderttausend Menschen eine Heimat bildete, in der Lage war, ein solches Manöver auszuführen. Niemand, auch Shaktar nicht, begriff die mechanischen und energetischen Vorgänge, die hinter dieser – und hinter zahllosen anderen – Funktionen der fliegenden Stadt standen und welcher Art die Steuerung beschaffen sein musste, die diese Funktionen bewerkstelligte. Man nahm als gegeben hin, was seit nunmehr gut dreieinhalb Jahrtausenden das Leben und Überleben der Stadtbewohner sicherte und beschäftigte sich nicht weiter damit. Das gesamte Wissen, das mit den Funktionen der Stadt zusammen hing, stammte von den Alten und war für die Nachkömmlinge dieser Rasse ohnehin nicht nachvollziehbar. Man gab sich damit zufrieden, von der Stadt, ihren Maschinen, Einrichtungen und Fähigkeiten bedient zu werden, das Wissen, wie diese Bedienung zustande kam, wer wollte das schon haben? Nur Shaktar und ein paar wenige andere hatten beobachtet, wie sich gestörte Funktionen immer wieder selbst behoben, wie beschädigte Bauteile plötzlich wie von Geisterhand ausgetauscht worden waren und nur Shaktar hatte sich schon mehrfach gefragt, von welcher Art wohl die Intelligenz sein mochte, die hinter diesen überragenden Fähigkeiten steckte und was wohl geschehen würde, wenn diese Intelligenz eines Tages ausfiel. Irgendwann hatte allerdings auch er aufgehört, über diese Dinge nachzudenken, zumal auch er dabei zu keinem verwertbaren Ergebnis kam. Jetzt aber, da er Ninive wohl für immer verlassen würde, keimten diese Gedanken wieder in ihm auf und er fragte sich, wie diese Intelligenz reagieren mochte, wenn er, als ein über Jahrhunderte hinweg wesentlicher Bestandteil dieses Systems nicht mehr zur Verfügung stand. Er und seine Codierungen…
Die Mitglieder des Rates – nicht annähernd mit den Begebenheiten in dieser untersten Ebene so vertraut wie Shaktar – folgten ihrem verstoßenen Ersten nur zögerlich. Nurmigo war der forscheste unter ihnen, doch seine Triebfeder lag klar auf der Hand. Wenn Shaktar erst einmal durch die Schleuse in die Außenwelt verschwunden war, gab es keinerlei Hindernis mehr für ihn selbst um sich mit Falsett zusammen zu tun. Doch auch Nurmigo kam Shaktar nicht näher als zehn Schritte.
Shaktar stand vor der Schleusentür und nun fühlte er zum ersten Mal Panik in sich aufsteigen. Mit jedem Schritt den er getan hatte, war er dem Abgrund näher gekommen. Jetzt aber war er am Abgrund angekommen, es bedurfte nur noch eines einzigen Schrittes und dieser Abgrund würde Shaktar verschlingen, ohne jemals wieder etwas von ihm auszuscheiden.
„Delinquent! Bist bereit? Dann öffne die Tür, tritt in die Schleuse. Trage dein Schicksal wie es dem Mann gebührt, der du so viele Jahre lang innerhalb des Schutzes von Ninive gewesen bist.“
Shaktar kannte die Stimme, er musste sich dazu nicht umdrehen. Magranell, der Älteste Weise und Historiker der Stadt hatte zu ihm gesprochen. Mit seiner mild klingenden Greisenstimme hatte er schon zahllosen Delinquenten auf ihrem letzten Gang Mut zugesprochen und Trost, doch Shaktar wusste nur zu genau, dass Magranells Stimme ein angeborenes Talent war und nichts mit dem zu tun hatte, was dieser Mann tatsächlich fühlte und empfand. Magranell war tatsächlich härter als der härteste Kerastahl. Shaktar streckte seine rechte Hand aus und legte sie wiederum auf die für seine Funktion vorgesehene Stelle, worauf erneut ein sanftes Zischen erklang, die Schleuse wurde geflutet und im nächsten Augenblick würde sich die schmale Tür öffnen, damit er Ninive für immer verlassen konnte. Shaktars Magen zog sich zusammen, seine Eingeweide schienen zu einem eisigen Knoten zu werden, doch dann plötzlich wurde es ihm ganz leicht, denn er hörte Nurmigos Stimme in seinem Rücken und diese Stimme troff nur so von Häme und Schadenfreude und Genugtuung über die eigene, so deutlich verbesserte Situation.
„So wie dir ergeht es einem Bürger, der im Laufe seines Lebens zu mächtig geworden ist und dabei nicht einmal mehr gemerkt hat, wenn er andere Menschen in den Dreck getreten hat. Du Shaktar, warst viel zu mächtig. Du hattest Privilegien wie kein anderer in der Geschichte der Stadt, du warst an höchster Stelle, umso tiefer wird dein Fall nun dafür sein.
Geh jetzt, tritt hinaus in die Außenwelt, füge dich deinem Schicksal und verrecke dort draußen. Aber bis zu deinem letzten Atemzug erinnere dich an alles, was du heute verloren hast, weil du der Meinung warst, dich über alles und jeden hinweg setzen zu können. Geh und wisse, dass ich deine Frau für mich nehmen werde, dein Haus, sogar dein Magmobil, alles was du besessen hast, wird in Zukunft mir gehören.
Geh und verrecke.“
Shaktars Rücken versteifte sich bei diesen Worten, es hätte nicht viel gefehlt und Shaktar wäre herum gewirbelt und mit gezogenem Schwert auf Nurmigo losgegangen. Erst im letzten Augenblick gelang es ihm, sich zur Ordnung zu rufen, in dem Bewusstsein, dass selbst er nicht fähig gewesen wäre, einen Abwehrschlag der vereinten geistigen Kräfte des Rates der Stadt zu überleben. Stattdessen aber reifte in atemberaubender Geschwindigkeit ein ganz anderer Entschluss in ihm heran. Er trat noch einmal einen Schritt zurück und zur Seite zu dem Tableau hin, an dem man sich durch Fingerscan zum Benutzen dieses Durchganges legitimieren musste. Er war mit drei Identitäten gespeichert und alle drei Identitäten hatten höchste Prioritätsstufe. Mit einer dieser drei Stufen war er bereits abgemeldet, wenn er dem Sicherheitssystem auch noch mitteilte, dass die beiden anderen Identitäten ebenfalls die Stadt verlassen hatten, mochte das etwas auslösen, was sich noch keines der Ratsmitglieder auszumalen fähig war.
Er führte die Abmelderoutinen in aller Gelassenheit durch und grinste dabei nur stillvergnügt vor sich hin, als die Räte in seinem Rücken zwar darüber tuschelten, was er da wohl tat, doch keiner von ihnen schenkte seinem Tun mehr als die minimale Beachtung.
Als Shaktar fertig war und das System wieder im Ruhezustand befand, trat er erneut in die offene Tür und blieb dann so stehen, dass die Lichtschranke den Schließmechanismus nicht auslösen konnte. Nun drehte er sich um, wandte sich an die Gruppe der dreizehn Menschen in seinem Rücken und sprach Nurmigo mit leiser, ein wenig zynisch klingender Stimme direkt an:
„Ja, mein aufstrebender und ehrgeiziger junger Freund und Nachfolger in so manchen Bereichen, ich gehe. Ob ich dort draußen verrecke, wird sich noch zeigen, doch bevor ich gehe, will ich dich und die anderen des Rates doch noch etwas wissen lassen.
Du versuchst in meine Fußstapfen zu treten? Nun, bei Falsett mag dir das vielleicht sogar gelingen, doch das spielt keine Rolle. Du wirst wohl wissen, dass wir seit mehr als fünfhundert Jahren nur noch auf dem Papier Gefährten waren.
Aber wo willst du noch mein Nachfolger werden?
Du willst mein Magmobil fahren? Geh und versuch es, aber mach dir Gedanken darüber, mit welchen Mitteln du dem Fahrzeug erklären willst, dass du ich bist.
Du willst in meinem Haus wohnen? Tu es, wenn du es schaffst durch die Tür zu kommen.
Und du willst mein Amt als Erster Krieger übernehmen?
Dann sag mir, von wem du die Zugriffsrechte auf die Arsenale, auf die Waffenkammern und Waffensysteme übernehmen willst, wenn ich dort draußen bin. Du wirst ein Problem haben.
Und euch alle meine ehemaligen Kollegen im Rat der Zwölf frage ich:
Wer wird wohl in meine Rolle als Oberster Techniker schlüpfen? Habt ihr euch schon einen Nachfolger für mich ausgesucht? Dann seht mal schön zu, dass er alle meine System – Legitimationen für die Antriebe, die Sicherheits- und Lebenserhaltungssysteme übernimmt und so wenigsten die kleine Chance erhält, die Betriebsweise der Systeme zu verstehen und zu begreifen, welche wichtigen Pflege- und Wartungsarbeiten durchzuführen sind. Wie er – oder sie - das allerdings bewerkstelligen will, ohne meine Abmelderoutinen zu kennen, wird wohl euer Geheimnis bleiben. Ich werde es aber sehen, denn ich werde von dort draußen beobachten können, wie ihr vergeblich versucht, das Dach der Welt wieder zu verlassen. Ich werde euch beobachten und wissen, dass euch in wenig mehr als zehn Tagen der Sauerstoff ausgeht, wie in sieben Tagen die Wassergewinnung und schon in drei Tagen die Lebensmittelrecycler ihren Dienst quittieren.
Ich glaube, eure Chance zu verrecken ist nicht wesentlich kleiner als meine.
Ich gehe jetzt, meine ehemaligen Freunde. Ich gehe und ihr könnt nichts tun, um mich aufzuhalten.“
Mit einem entschlossenen Schwung warf Shaktar seinen schwarzen Ledersack quer durch die Schleuse, bis hin zu der Tür, die sich gleich öffnen und ihn hinaus in die Außenwelt lassen würde, dann tat er selbst den entscheidenden Schritt, trat aus der Lichtschranke heraus und in die Schleuse hinein. Erneut ertönte das leise, sanfte Zischen, als sich die Schleuse zur Stadt hin schloss, dann war er allein.
Für einen Moment befand er sich in einem Raum der absoluten Stille, dann ertönte ein weiteres Geräusch und das war sehr viel lauter, als das Verschlussgeräusch einen Augenblick zuvor. Ein seltsames Knistern, ein lautes Knacken, dann ein schabendes Schleifen und dann kam die Kälte. Die Schleuse füllte sich wabernd mit weißem Nebel, denn die hereindringende Kälte ließ jedes Molekül an Feuchtigkeit, das in der Schleusenluft enthalten war sofort kondensieren und zu Raureif werden. Shaktar trat neben seinen Sack, starrte kurz hinaus und jetzt erst wurde ihm bewusst, zu was er vom Rat der Zwölf verurteilt worden war.
Er starrte in die feindlichste Form einer Außenwelt, die nur vorstellbar war. Er sah seinen Tod und das einzige, was daran erfreulich war, mochte die Tatsache sein, dass es ein schneller Tod sein würde, der sein Leben beendete. ES war dunkel dort draußen, doch Shaktar wusste, dass sich in Außenwelt die Nacht ihrem Ende zu neigte und in wenigen Stunden die Sonne aufgehen musste. Wobei er sich absolut nicht sicher war, ob er diesen historischen Augenblick noch erleben würde.
Shaktar nahm sein Schicksal an.
Ein kräftiger Tritt mit dem Fuß und sein Sack flog durch die Schleusentür hinaus und landete mit einem dumpfen Geräusch in der weißen Masse, die den Gipfel des Mount Everest umhüllte, einer scheinbar weichen Masse, in der sein Sack sofort beinahe zur Hälfte einsank. Shaktar zögerte dennoch nicht mehr, es gab keinen Grund zu zögern, er sprang dem Sack hinterher. Es war nicht tief zum Boden hinunter, nur vielleicht zwei Meter. So landete Shaktar relativ weich und ganz dicht neben seinen Habseligkeiten. Allerdings stak er sofort bis fast zu den Hüften in dieser weißen Masse – er kannte den Begriff dafür, er wusste dass es sich um kristallisiertes Wasser, um Schnee handelte – und wurde nun körperlich mit der schier unvorstellbaren Kälte konfrontiert, die in Außenwelt herrschte.
Ein spontan aufsteigendes Gefühl befahl ihm, sich einfach fallen zu lassen, in der weißen Kälte zu versinken, die Augen zu schließen und zu sterben.
Doch ein Erster Krieger gibt nicht einfach auf, er kämpft.
Shaktar begann zunächst, sich durch mentale Manipulationen so gut es ging vor der immensen Kälte zu schützen. Er erhöhte seine Blutzirkulation und sorgte so dafür, dass der bösartige Biss des Frostes sofort soweit nachließ, dass die Mutlosigkeit und Angst in ihm zu schwinden begannen. Dann sah sich rasch um und stellte fest, dass der Landeplatz der Stadt von einem vergleichbar winzigen Gipfelplateau gebildet wurde, von dem aus es in alle Richtungen steil bergab ging.
Er vermochte nicht zu sagen, weshalb er tat, was er nun tat, ab er schnappte sich seinen Sack, zerrte ihn zum südlichen Rand des Plateaus, setzte sich rittlings auf den Sack und stieß sich über die Kante. Sofort nahm er Fahrt auf, der Sack schoss nur so unter ihm dahin und in wenigen Augenblicken entstanden neue, unbekannte Gefühle in Shaktar:
Freiheit, absolute Freiheit, süße, sauerstoffreiche wenn auch bitterkalte Luft füllte seine Lungen und der unbedingte Wille zu überleben übernahm die Herrschaft in seinem Denken. Noch einmal stieg ein Bild vor seinem geistigen Auge auf. Er sah die Gesichter der Räte, als er ihnen die Dummheit ihrer Handlung vor Augen geführt hatte, er sah die Erkenntnis in ihren Gesichtern aufsteigen und gleich darauf das blanke Entsetzen. Ein triumphierender Schrei kam wie eine Erlösung aus seiner Brust, stieg auf und verklang, während sein schwarzer Ledersack wie ein wild bockendes Pferd durch Eis, Schnee, Fels und Geröll glitt und Shaktar zu Tal und einem ungewissen Schicksal entgegen trug.