Читать книгу Shandra el Guerrero - Rudolf Jedele - Страница 9
Visionen
ОглавлениеDer Rat der Zwölf war erneut zusammen gekommen.
Shaktars Verbannung und die dabei begangenen, eklatanten Fehler der verbliebenen Räte hatten die größte Krise ausgelöst, in der sich die fliegende Stadt Ninive jemals befunden hatte. Es war gekommen, wie Shaktar es vorher gesagt hatte. Nicht in der ganzen katastrophalen Bandbreite, aber bei weitem schlimm genug.
Die für die Lebenserhaltung notwendigen System funktionierten weiter, denn Falsett, Shaktars ehemalige legale Frau hatte doch so viel über Shaktar gewusst, dass sie zusammen mit den Künstlichen Intelligenzen des Zentralcomputers einige seiner Passworte und Anmelderoutinen hatten herausfinden können. Ein paar andere hatten sie überbrücken können. So funktionierten alle Systeme und Ninive konnte weiter leben. Alle Systeme bis auf eines:
Niemand war in der Lage, die Fusionsreaktoren weiter hochzufahren und die Stadt zum Fliegen zu bringen. Was immer sie versucht hatten, war ergebnislos geblieben. Die Steuereinheiten der Reaktoren reagierten auf keinen wie auch immer gearteten Zugriff und Ninive blieb auf der Spitze des Mount Everest sitzen, wie eine Glucke, die auf ihrem Nest sitzt und etwas ausbrüten will.
Die Räte waren entsetzt gewesen, als sie erkannten, welche haarsträubenden Fehler sie begangen hatten. Sie hatten sich vollkommen von ihren Antipathien gegen den Ratsherr Shaktar und seine überlegenen Fähigkeiten leiten lassen und ihn ohne jede Weitsicht eliminiert.
Magranell hatte die zweite Sitzung innerhalb weniger Tage einberufen, weil besprochen werden musste, wie man sich auf oberster Ebene weiter verhalten sollte. Er hatte persönliches Erscheinen aller Räte angeordnet und die Räte hielten sich an die Forderungen des Ältesten im Rat. Dies umso mehr, als Magranell die volle Unterstützung des neuen mächtigsten Mannes im Rat besaß. Lordkanzler Mordegay war in vielen Bereichen in die Rolle Shaktars geschlüpft und verstand es sogar halbwegs mit diesem Erbe zu Recht zu kommen.
Nun saßen sie also in ihren komfortablen Sesseln vor ihren Konsolen und warteten auf die Ansprache des Lordkanzlers. Mordegay hatte tiefe Sorgenfalten auf seiner sonst so sorgfältig glatt gehaltenen Stirn und aus seiner Stimme war tatsächlich so etwas wie Bedrückung zu entnehmen, als er nun zu sprechen begann.
„Schwestern, Brüder, Mitglieder des hohen Rates der fliegenden Stadt Ninive. Eine Serie schlimmer Ereignisse hat uns am heutigen Tag erneut zu einer Zusammenkunft gezwungen, obwohl die letzte erst wenige Tage zurück liegt.
Wir haben unseren Bruder Shaktar aus der Stadt verstoßen, weil wir der Meinung waren, er vereinige zu viel Macht und zu großes Wissen in sich. Wir haben ihn mit einem mehr als fragwürdigen Prozess alle Macht genommen und ihn vermutlich in den Tod geschickt und uns zuvor doch keine Gedanken gemacht, wer ihn aus unseren Reihen ersetzen wird. Und wir haben versäumt uns seine Zugriffsrechte auf die Systeme der Stadt zu eigen zu machen.
Shaktar ist spurlos vom Dach der Welt verschwunden, wir müssen davon ausgehen, dass er bereits tot ist, denn selbst ein Mann mit seinen Fähigkeiten kann in einer Todeszone wie dem Himalaja nicht am Leben bleiben.
Was hat er uns aber hinterlassen?
Ich fordere euch der Reihe nach auf, von den Problemen zu berichten, die seit seinem Verschwinden in der Stadt entstanden sind.
Falsett magst du beginnen?“
„Ich danke dir für dieses Privileg. Noch nie hat eine Rätin mit meiner geringen Erfahrung die Gelegenheit erhalten, als erste im Rat zu sprechen. Nun aber zur Sache:
Shaktar hat seinen gesamten Privatbereich mit für uns nicht zu öffnenden Sperrcodierungen versehen. Wir können sein Haus nicht öffnen und wir sind nicht in der Lage, sein Magmobil zu benutzen. Ich habe zusammen mit den Künstlichen Intelligenzen sämtliche mir plausibel erscheinenden Zahlen-, Wort- und Zahlen-Wort- Kombinationen versucht ohne auch nur in die Nähe eines Erfolges zu geraten. Beide wichtigen Ressourcen sind für uns verloren.“
Diese Nachricht war nicht mehr brandneu gewesen, die Räte waren auf den internen Kanälen bereits informiert gewesen und hatten sich mit dem Problem vertraut gemacht. Sie hatte sich auch schon eine Meinung gebildet.
Natürlich, es fehlten wichtige Ressourcen, doch wie wichtig waren sie denn tatsächlich? Shaktars Haus und das Magmobil wären ohnehin nicht an seine ehemalige Frau Falsett sondern an seinen Nachfolger als erstem Krieger, an Nurmigo übergegangen. Es wäre also dessen Aufgabe gewesen, sich die erforderlichen Codierungen von Shaktar geben zu lassen.
Hatte er dies getan?
Nein.
War durch den Ausfall dieser Ressourcen das Gemeinwohl der Stadt gefährdet?
Nein.
Damit war klar, wie der Rat entscheiden würde und als Sprecher des Rates verkündete Nestor auch gleich die getroffene Entscheidung.
„Die beiden Ressourcen werden aus den Beständen gestrichen und stehen damit nicht mehr zur Verfügung. Nurmigo wird allerdings in seiner bisherigen Wohnung bleiben müssen und die üblichen Verkehrswege und Verkehrsmittel benutzen müssen, denn es gibt derzeit weder ein freies Haus noch ein ungenutztes Magmobil in der Stadt. Der Rat hat entschieden.“
Nurmigo sah zu Falsett hinüber und beiden war die Enttäuschung über diese Entscheidung anzusehen. Doch eine einmal getroffene Ratsentscheidung wurde nur selten revidiert. Nicht jedenfalls, wenn die Revisionsgründe von so untergeordneter Bedeutung waren, wie das Wohlergehen eines einzelnen Ratsmitgliedes. Allerdings blieb ihm nicht viel Zeit, dem entgangenen Luxus nachzutrauern, denn er war der nächste, der berichten musste.
„Die Tore der Shuttleschleusen lassen sich nicht mehr öffnen, wir können nur noch die kleinen, unbewaffneten Stratogleiter aus der Stadt schicken, denn ihre Schleusen sind auch mit den einfachen Codes der Räte zu öffnen. Bewaffnete Expeditionen können wir nicht mehr absetzen, ebenso wenig sind wir im Augenblick in der Lage, Agenten zu Aktionen mit Luftunterstützung zu entsenden. Das letzte Shuttle, das Ninive verlassen konnte, diente der Exilierung der Agentin Sombra.“
„Und wo ist dieses Shuttle jetzt?“
Die Frage kam von Mastor, doch ehe Nurmigo auf diese Frage antworten konnte, mischte sich Kantor, der erste Astronaut ein und rief:
„Das Shuttle ist verloren, es hat sich selbst zerstört, ohne dass wir den Grund dafür erfahren haben. Wir können vergessen, dass es jemals existiert hat. Was mich vielmehr als dieses Shuttle interessiert, ist die Frage, wie es um unsere Waffensysteme überhaupt bestellt ist. Wer kann mir darauf zuverlässig antworten?“
Nurmigo starrte betreten vor sich hin und musste dann zugeben, dass Ninive seit dem Augenblick waffenlos war, da sich Shaktar mit seinem schwarzen Sack über die Kante des Plateaus in die Tiefe gestürzt hatte.
„Dann ist Ninive so gut wie tot. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.“
Frese, die Leiterin der Archive hatte diese Bemerkung gemacht und sie traf damit den Kern dessen, was alle Räte im Augenblick dachten.
Als nächstes stand das Problem der Versorgung mit Wärme und Licht, mit Atemluft und Trinkwasser und die Produktion synthetischer Nahrungsmittel durch den Recycler auf der Tagesordnung. Mordegay erteilte das Wort an Libana, Technikerin des zwölften Grades und nach Auffassung der meisten Räte der einzige Mensch in der Stadt, der auch nur annähernd in Shaktars Spuren weitergehen konnte. Libana allerdings verspürte nur wenig Lust, sich mit dieser Aufgabe zu identifizieren. Sie wollte viel lieber weiter in ihrer Entwicklerwerkstatt arbeiten und Geräte entwickeln, die niemand brauchte. Sie fürchtete sich eindeutig vor der Verantwortung. Doch Mordegay und Magranell hatten sie mit mehr als nur sanfter Gewalt dazu gebracht, an dieser Ratssitzung teilzunehmen und danach in die Rolle des Ersten Technikers zu schlüpfen.
Libanas Stimme war ausgesprochen mürrisch als sie nun zu berichten begann:
„Unser ehemaliger Bruder Shaktar, dies muss ich heute, da ich mich einige Tage mit den Anforderungen an einen Ersten Techniker befasst habe eindeutig einräumen, war ein Genie. Er hatte die Systeme der Stadt verstanden und beherrscht. Alle. Ich dagegen verstehe nicht einmal die grundlegenden Systeme.
Zusammen mit der Künstlichen Intelligenz habe ich es zwar geschafft, die Systeme der Lebenserhaltung soweit in Betrieb zu halten, dass sie auf unbestimmte Zeit im letzten Zustand weiterproduzieren werden, der ihnen von Shaktar vorgegeben worden war. Anpassungen, Veränderungen, Modifikationen sind derzeit nicht durchführbar und ich kann auch nicht sagen, ob solche jemals wieder durchgeführt werden können. Die Stadt kann auf diesem Stand auf unbestimmte Zeit weiter existieren. Wie lange, vermag ich nicht vorher zu sagen.
Den Antriebskomplex kann ich auch nach intensivsten Studien und vielfachen Versuchen noch nicht einmal betreten. Weder auf virtuelle noch auf reale Art. Damit ist mir jede Möglichkeit genommen, das Verständnis für die Systeme zu beschaffen und die Codierungen Shaktars außer Betrieb zu setzen. Die Stadt wird hier auf dem Dach der Welt bleiben müssen, bis ein Techniker auftaucht, dessen Möglichkeiten die meinen weit übersteigen.
Ich muss an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen, dass ich ein Techniker der zwölften Stufe bin. Um Shaktar zu ersetzen müsste ich ein Techniker der vierzigsten Stufe sein und das werde ich in diesem Leben nicht mehr erreichen.
Ich bitte den Rat, einen anderen Menschen an meine Stelle zu setzen.“
Libanas Bitte blieb ungehört. Nestor verkündete mit trockener Stimme, dass der Rat in der gesamten menschlichen Bevölkerung keinen Techniker hatte finden können, dessen Stufe auch nur annähernd dem entsprach, was Shaktar repräsentiert hatte. Es gab zwar eine Handvoll Techniker der zwanzigsten Stufe und sogar einen der die vierundzwanzigste Stufe erreicht hatte, doch diese Techniker waren entweder uralt oder aber in ihrer Loyalität zur Stadt von äußerster Fragwürdigkeit.
Magranell stellte den Antrag, Libana zur Ersten Technikerin Ninives zu ernennen und der Rat stimmte dem Antrag zu. Mit dieser Ernennung war zugleich die Berufung in die dreißigste Stufe eines Technikers verbunden und der Rat sprach die Empfehlung an Libana aus, sie möge die damit verbundenen Möglichkeiten im Sinne der Stadt umfassend nutzen und dafür sorgen, dass sich ihr offizieller Rang und ihre individuellen Fähigkeiten möglichst rasch einander annäherten.
Damit waren die beiden wichtigsten Themen der Sitzung behandelt und die Räte waren irritiert. Keines der Themen war von solcher Geheimhaltungsbedeutung gewesen, dass ein persönliches und vollständiges Erscheinen der Räte gerechtfertigt war. Noch war zwar die Öffentlichkeit nicht umfassend über die technischen Probleme informiert, doch die meisten Menschen Ninives scherten sich ohnehin einen Dreck darum, ob die Stadt flog oder auf einem Berggipfel fest saß. Sie befassten sich mit völlig anderen Problemen. Mit Fragen der Mode oder der Musik, die in den nächsten zwei, drei Zeitzyklen die Partys bestimmen würden. Fragen der Religion standen aktuell hoch im Kurs und die überaus wichtige Diskussion darüber, ob die nächste Rede des Lordkanzlers zum Kalenderwechsel nicht doch besser spanischer Sprache anstatt in Englisch gehalten werden sollte. Oder in einer der siebzig anderen Sprachen, die in der fliegenden Stadt existierten.
Die Stadt kümmerte sich um ihre Menschen, doch den Menschen ging ihre Stadt am Allerwertesten vorbei …
Die Unruhe unter den Räten nahm zu, denn obwohl die Themen besprochen und die Entscheidungen getroffen worden waren, gab der Lordkanzler nicht das Zeichen, dass die Sitzung zu Ende sei. Stattdessen ertönte plötzlich ein Summen in den Köpfen der Räte und mit diesem Summen wurden sie aufgefordert, ihre Gedanken und Gehirne auf intimsten Modus zu schalten. Dann setzte sich der Lordkanzler mit ihnen auf direktem Weg in Verbindung.
„Meine Schwestern und Brüder, die Situation, in die wir uns gebracht haben, ist weit aus beschwerlicher und bedenklicher, als wir es im öffentlichen oder halböffentlichen Sprachverkehr zugegeben haben. Wir haben zu viele Fehler gemacht und diese Fehler holen uns jetzt einer nach dem anderen ein.
Vorgestern mussten wir mit Schrecken feststellen, dass unsere Sicherheitssysteme seit Shaktars Ausscheiden ein nicht reparables Leck aufweisen. Über dieses Leck kann man die Stadt ungehindert verlassen und wieder betreten, ohne dass jemand davon Kenntnis erhält. Ninive besitzt damit eine unkontrollierte Verbindung zu Außenerde, was eine der größtmöglichen Katastrophen im Gefüge der Stadt darstellt. Das Leck ist derart, dass wir es zwar entdeckt haben, aber wir besitzen keine Möglichkeit heraus zu finden, wie es entstanden ist, wie viele Bürger der Stadt es bereits kennen und wie viele es schon genutzt haben. Menschen und Klone können Ninive über dieses Leck unbemerkt verlassen, sie können nach Gutdünken kommen und gehen und jede nur denkbare Infektion, jede Seuche nach innen bringen und uns alle ausrotten.
Das allerschlimmste an der Sache ist, dass wir das Leck nicht einmal lokalisieren und eingrenzen und es damit mit konventionellen Mitteln bewachen können, da es sich um ein dynamisches Leck handelt, es befindet sich immer genau an der Stelle, an der jemand es haben will, der die notwendigen Informationen besitz.
Auf Grund dieses Lecks haben wir einen Ausschuss gebildet. Der Ausschuss sollte verschiedene Optionen im Zusammenhang mit diesem Leck prüfen. Zum Ausschuss gehören neben Mastor als Vorsitzender der Geheimen Dienste noch Magranell als Erster Historiker und Lignus als wichtigster Genealoge und Biologe Ninives. Die Aufgabe des Ausschusses war es, verschiedene Optionen zu überprüfen. Heute möchte ich ihnen das Ergebnis der Arbeit dieses Ausschusses vorstellen.
Erste Aufgabe war es, die neuesten Aufzeichnungen von Außenerde zu überprüfen und die übersandten Messdaten zu analysieren. Ich will euch nicht mit technischen Einzelheiten langweilen, aber wir haben heraus gefunden, dass bereits wieder zwei Drittel der Erdoberfläche im Notfall wieder von uns bewohnt werden könnten. Wir müssten dazu ein paar geringe Maßnahmen ergreifen, doch nichts von echter Größe wäre notwendig.
Die nächste Aufgabe war es, einem Versuch erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, den Magranell schon vor vielen Jahren eingerichtet hat. Ich bitte Magranell, uns diesen Versuch selbst zu erläutern.“
Magranell war bis vor wenigen Jahren Mordegays Vorgänger auf dem Platz des Lordkanzlers gewesen, doch dann hatte sich das Alter bei ihm bemerkbar gemacht und er war – ein ungewöhnlicher Vorgang – freiwillig zurück getreten. Doch seine Macht als einer der ältesten Bewohner Ninives hatte er nie verloren. Im Gegenteil, Magranell hatte Macht hinzu gewonnen. Als Lordkanzler hatte er für jede seiner Entscheidungen Rechenschaft ablegen müssen. Jetzt, da er diese Funktion abgegeben hatte und vorgab nur noch Historiker zu sein, war er dennoch wichtigster Berater des Lordkanzlers, doch dieser trug die Verantwortung. Magranell standen seit seinem Rücktritt als Lordkanzler nahezu unbegrenzte Mittel für seine historischen Forschungen zur Verfügung und seine Experimente wurden fast immer so unter Verschluss gehalten, dass selbst Shaktar nur von einigen wenigen gewusst hatte.
Magranell begann nun die Räte zu informieren.
„Wie wir alle wissen, leben die meisten Menschen mit einer tief in ihrem Inneren verwurzelten Angst vor Ereignissen, die sich nicht direkt erklären können. Wir, die Historiker, haben schon vor langer Zeit entdeckt, dass diese Ängste die Grundlage jeder Religion in der Geschichte der Menschheit gebildet haben. Ohne die Ängste der Menschen gäbe es weder Götter noch Religionen.
Aufbauend auf diese Erkenntnis haben wir als nächstes untersucht, welche der bekannten und wichtigen Religionen die größte Fülle an Macht auf sich vereint hatte und wir konnten drei verschiedene Religionen ausfindig machen, die aber – so ergaben es unsere Nachforschungen – letztendlich nur Varianten einer eigentlich einheitlichen Betrachtungsweise darstellten. Es gab einen allwissenden und alles vermögenden Gott und diesem Gott am nächsten waren die Menschen. Doch nicht alle Menschen waren diesem Gott gleich nahe.
Diese Religionen nannten sich Christentum, Islam und Scientology Church. Sowohl das Christentum als auch der Islam teilten sich in mehrere Untergruppen, die aber jeweils für sich betrachtet, nicht von sonderlicher Bedeutung waren. Diese beiden Religionen waren schon relativ alt und hatten nahezu auf der ganzen Welt die weitaus älteren Naturreligionen und Vielgötterprinzipien abgelöst. Das Christentum existierte zur Zeit der heißen Kriege seit fast zweieinhalbtausend Jahren, der Islam war um etwas mehr als fünfhundert Jahre jünger. Die dritte Gruppe, die Scientology Church war eine noch sehr junge Bewegung, die aber kurz vor Beginn der heißen Kriege unerwartet starken Zulauf erhielt.
In all diesen Religionen aber herrschten Menschen, die den Willen Gottes zu kennen vorgaben und diese Menschen schufen so genannte göttliche Gesetze.
Dann gab es Menschen, die vorgaben, ausschließlich diesem einen Gott zu dienen und dafür zu sorgen, dass sein Wille überall auf der Welt befolgt wurde.
Diese beiden Gruppen von Menschen vereinigten eine solche Fülle an Macht auf sich, dass sie letztendlich die Auslöser des dritten Weltkriegs waren und es schafften, die Welt unserer Vorväter zu vernichten. Das alles umfassende Problem bestand allerdings gar nicht in der ungesunden Anhäufung von viel zu viel Macht in viel zu wenige Hände sondern darin, dass es drei Varianten der einen These gab und die Vertreter jeder Variante die Alleinherrschaft anstrebte.
Nun aber weg von der Vergangenheit und zu unseren Problemen.
Ich habe schon vor vielen hundert Jahren erkannt, dass unser System der Abkapselung in den fliegenden Städten falsch und deshalb auf die Dauer nicht haltbar ist. Aus diesem Grund habe ich mit dem Tage meiner Ablösung als Lordkanzler begonnen, die Erde auf unsere Rückkehr vorzubereiten und sicherzustellen, dass wir uns nicht mit bestehenden Machtstrukturen herum plagen müssen, sondern dass die Menschen schon zuvor daran glauben, dass wir die Erlösung von allen Problemen und Ärgernissen darstellen und wir so mit offenen Armen empfangen werden.
Deshalb habe ich also begonnen den Glauben an den Einen Gott aus der Versenkung zu holen.
Ich habe diesem Gott ein Gesicht gegeben –mein Gesicht – und ich habe ihm einen Namen gegeben. Ich nannte ihn Chriano, ein einfaches Wort, das nichts zu bedeuten hat, als dass es sich für Menschen in allen Sprachen leicht aussprechen lässt. Ich habe ein System aus diesem Gott gemacht und dann habe ich vor nunmehr einundneunzig Jahren zusammen mit unseren Geheimen Diensten und den Genealogen unter der Aufsicht unseres Rates Lignus die Erde überprüft, um heraus zu finden, wo sich dieses System am wirkungsvollsten einführen ließe.
Schon damals konnten wir feststellen, dass sich die Erde langsam aber zunehmend wirkungsvoll von den Nachwirkungen des dritten Weltkriegs erholte. An manchen Stellen ging es schneller, an manchen dagegen noch langsam, aber die Erholung war allgegenwärtig, nur unsere Stadt Ninive blieb davon unberührt. Bei uns gab es ja auch nichts, das sich hätte erholen müssen.
Wohin ich auf meinen Forschungsreisen über die Erde kam, konnte ich eine immer gleiche Feststellung machen. Die Natur hatte aus den Fehlern des dritten Weltkriegs gelernt. Überall entwickelten sich neue Populationen von Menschen, Pflanzen und Tieren und was immer wuchs, was immer sich entwickelte, es waren immer nur die besten und stärksten Anlagen, die sich durchsetzen konnten. Das galt auch für die Menschen. Größer und schöner, stärker und widerstandsfähiger wurden sie, doch zugleich fehlte ihnen ein ganz entscheidendes Gen. Das Verständnis für technische und naturwissenschaftliche Vorgänge war praktisch ausgestorben, statt dessen wuchs eine archaische Gesellschaft heran, die zwar in der Lage war, sich in einer neu entstehenden und unglaublich wilden Natur zu behaupten, denen aber nahezu jede Begabung für Evolution und Revolution fehlte. Und noch etwas war anders, die Fruchtbarkeit der Menschen, ihre Fortpflanzungsrate war deutlich niedriger, als vor dem dritten Weltkrieg. Nicht jede Paarung führte zum Erfolg und nicht jede Frau wurde während ihrer fruchtbaren Jahre tatsächlich auch schwanger. Viele Paare bekamen niemals Nachwuchs, die Paare, die Nachwuchs zeugten, schafften es oft nur ein einziges Mal und ein Paar, das mehr als zwei Kinder hatte, war eine Sensation. So blieb die Population der Menschen spärlich, die erneute Besiedlung der Erde durch die Menschen blieb dünn.
Eine Ausnahme von diesen Phänomenen gab es an einer einzigen Stelle und zwar auf den Inseln im Atlantik, die in früheren Zeiten als die britischen Inseln bekannt gewesen sind. Dort war der radioaktive Fallout während des Krieges wohl am geringsten geblieben und die überlebenden Menschen begannen schon bald, sich wieder zu vermehren. Der dritte Weltkrieg hat mehr als fünfundneunzig Prozent der damaligen Weltbevölkerung ausgelöscht, von ehemals acht Milliarden Menschen überlebten gerade mal vielleicht zehn Millionen, die auf der gesamten Erde verteilt waren. Mehr als eine Million dieser Überlebenden, waren auf den britischen Inseln anzutreffen und sie vermehrten sich ununterbrochen. Dort also, auf den britischen Inseln fanden wir unseren ersten Ansatzpunkt für die Umsetzung meiner Idee. Da diese britischen Inseln der einzige Ort auf der ganzen Welt gewesen waren, wo bei Beginn des dritten Weltkrieges noch eine funktionierende Monarchie existiert hatte, konnten wir dort mit ein wenig Nachdruck auch bald wieder einen Monarchen etablieren. Ihr herrschendes Geschlecht waren die Windsors und es gab sogar noch einen lebenden Nachkommen des letzten Königs. Ein damals noch junger Mann, sein Name war Edward von Winchester und er war ein genetisch veränderter Mensch mit einer enorm hoher Lebenserwartung und auch sonst ein paar hoch interessanten Eigenarten.
Als ich mit meinen Forschungen soweit gekommen war, als ich alle Informationen, mit denen ich mittlerweile ausgestattet war ausgewertet hatte, war es nicht weiter schwierig eine Entscheidung zu treffen und dauerhafte Manipulationen durchzuführen.
Ich schickte dem jungen König eine eigens von mir hergestellte Klone, eine schöne Frau, die ich Machilla nannte und der ich die Legende anhing, sie stamme aus dem längst versunkenen Reich Atlantis. Um das umso glaubwürdiger zu machen, hatte ich dafür gesorgt, dass Machilla funktionsfähige Kiemen hinter den Ohren bekam und Schwimmhäute zwischen den Fingern und den Zehen. Lignus hat Machilla nach meinen Angaben mit mir zusammen erschaffen und wir haben sie extrem fruchtbar und gebärfähig gemacht. Inzwischen hat allein sie mit König Edward neunzehn Nachkommen gezeugt. Machilla war es auch, die meine Idee von Chriano sowie das gesamte von mir entwickelte System dem jungen König Edward unterbreitete und es ihn aufsaugen ließ, wie ein Schwamm Feuchtigkeit aufsaugt. Machilla und ihre Kinder war es vorbehalten, die neue Religion unter den Völkern der Inseln zu verbreiten.
Sie waren erfolgreich.
Derzeit glauben mehr als achtzig Prozent der Bewohner der britischen Inseln an den Einen Gott, der mein Gesicht hat und an seine Botschaften. Wenn wir also gezwungen sein werden, auf die Erde zurück zu kehren, könnten wir dies auf den britischen Inseln tun und würden auf gar keinen Fall als Bettler sondern als der lebende Gott mit den Erzengeln an seiner Seite kommen. Wir kämen also als uneingeschränkte Herrscher.
Leider haben wir aber auch in diesem Experiment den einen oder anderen kleinen Fehler eintreten lassen. Es gibt immer Aspekte, die man einfach nicht voraus berechnen kann, so auch in diesem Fall.
Als wir mit dem Experiment begannen, regierte König Edward lediglich über Britania. Doch kaum stellte sich heraus, welche Macht er über die Menschen durch das Prinzip Chriano und die Ausnutzung ihrer Ängste bekam, begann unser junger König sich seiner Genetik entsprechend zum Eroberer zu entwickeln. Er begann über ein Inselimperium nachzudenken und überfiel kurz hintereinander seine Nachbarn und gliederte die Reiche Kent, Wales und Schottland in sein Königreich ein. Er benötigte nur wenige Monate dazu, denn kaum hatte er seinen Imperiumsgedanken unter seinen Fürsten und Vasallen verbreitet, begannen diese eine regelrechte Kriegerkaste ins Leben zu rufen und eine den Nachbarn hoch überlegene Kampftechnik aufzubauen. Die Briten erinnerten sich ihrer uralten Kriegertraditionen und mit dieser Entwicklung hatten wir nicht gerechnet. Doch wir begrüßten sie, denn sie bestätigte unsere Gedankengänge. Nach kaum drei Jahren waren auch die Inseln Irland, Island, Shetland, Faröe und Jersey annektiert und es gab tatsächlich ein kleines Imperium und in diesem Imperium war nicht der König sonder der Eine Gott - mit meinem Gesicht - die höchste Instanz.
Kurze Zeit später mussten wir uns mit weiteren Problemen auseinander setzen.
Zum Einen zeigte sich, dass auf allen Inseln des neuen Imperiums die Gene der alten menschlichen Rasse noch sehr stark waren. Vielleicht durch die Eroberungen ausgelöst, begannen die Menschen des Imperiums sich wie rasend zu vermehren. Innerhalb von nur zehn Jahren hatte sich die Population auf den Inseln verdoppelt. Die Ernährung dieser explodierten Bevölkerung wurde immer mehr zum Problem.
Zum Anderen waren Kriege auch dann teuer und vernichteten Rohstoffe, wenn sie mit einfachen Mitteln geführt wurden. Der technische Standard auf den britischen Inseln entsprach zwar nur dem frühen Mittelalter der Epoche vor dem dritten Weltkrieg, doch Eisen war knapp auf den Inseln und um aus Eisen Stahl und Waffen herzustellen benötigt man weitere Rohstoffe, die auf den Inseln nur begrenzt vorhanden sind.
Die Bevölkerungsexplosion und die Kriege hatten aus den Inseln innerhalb eines Jahrzehnts weitgehend Wüstenland gemacht. Ausgedehnte Wälder hatten die Bewohner vollkommen abgeholzt und damit war auch die gesamte Fauna dieser Waldregionen irreversibel zerstört worden. Sämtliche Rohstoffvorkommen waren bis tief unter den Boden abgebaut und es kam zu Erdeinbrüchen. Flüsse und Seen verschwanden in den Tiefen des Urgesteins, die Oberfläche verdorrte, obwohl die Inseln von Wasser umgeben waren. Doch gerade dieses Wasser, der Atlantik sorgte dafür, dass die Verwüstung noch rascher voran schritt. Das Wasser des Atlantiks ist kalt. Durch die Abholzungen auf den Inseln kam es dort zu ganz neuen Energieabläufen. Die Sonne heizte die Landmassen stärker auf, als jemals zuvor, doch der Atlantik brachte Nacht für Nacht kalte Luft über das Land und dadurch legte sich über die Inseln ein dicker Nebelteppich, der sich schon bald auch tagsüber nicht mehr auflöste.
Wir begannen zu überlegen, wie wir diese Probleme aus der Welt schaffen konnten und die Lösung lag auf der Hand. Wenn wir König Edward den Weg eröffneten, seine Eroberungen auf dem europäischem Kontinent fortzusetzen, war er in der Lage, mit seinen hausgemachten Problemen fertig zu werden und wir würden bei unserer Rückkehr auf die Erde nicht auf verwüstete Inseln mit einem scheußlichen Klima anstehen sondern könnten uns in gemäßigten Regionen niederlassen. Wir beschlossen unser künftiges Zentrum im ehemaligen Königreich Spanien zu erreichten und dort gab es einen Platz, der uns besonders geeignet erschien, das Hochland der Grazalema.
Die Eroberung eines ganzen Kontinentes stellte auch für Edwards Imperium eine ziemliche Herausforderung dar. Wir beschlossen ihm entsprechende Unterstützung angedeihen zu lassen.
Wir stellten ihm Pläne zum Bau von großen Schiffen zur Verfügung und unser lieber Lignus bastelte aus den Genen der Inselbewohner eine neue Generation von Menschen. Männer und Frauen, die ein sehr großes telepathisches Potential besaßen und die künftige Führungsschicht unter König Edward darstellen sollten. Telepathen, die in der Lage waren, große Menschenmengen zu kontrollieren stellten eine unschlagbare Waffe dar, wenn sie richtig eingesetzt werden. Auch bei der Beherrschung eroberter Regionen sind sie nur hilfreich und machen das Regieren ziemlich einfach.
Unsere Sorgen und Probleme wurden also gelöst.
All diese Pläne haben wir in den letzten knapp hundert Jahren immer weiter entwickelt, immer mehr verfeinert, so dass wir heute sagen können, es stellt für uns bald kein Problem mehr dar, wenn unsere Heimatstadt Ninive uns nicht mehr dauerhaft zur Verfügung steht. Ich denke, es wird kaum mehr ein halbes Jahrhundert dauern, bis wir unsere Rückkehr auf die Erde soweit vorbereitet haben, dass wir Ninive ohne Trauer verlassen können.“
Die Ratsmitglieder waren sprachlos. Was Magranell ihnen geschildert hatte, war ein Szenario, mit dem sie sich erst auseinander setzen mussten. Ein Diskussion von Magranells Plänen wurde deshalb vertagt, die Ratssitzung aufgelöst und die Räte kehrten in ihre Häuser und Wohnung zurück, um das Gehörte zu verarbeiten.