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III.

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„Uff!“ sagte der alte Banners und liess sich erschöpft auf einen Sessel im Wohnzimmer seines Hotels nieder. „... so ’n unnützes Herumstehen und feierliches Gesicht machen ... das macht müder als ein ganzer Vormittag Arbeit ... Ich werd’ alt ... ich merk’s ... alt und müde ...“ wiederholte er nach einer Weile und stützte den verwitterten Graukopf in die Hand ... „... ja ... ja ... Kind ... das ist der Lauf der Welt ...“

Er war allein mit Mary. Ehe sie noch am Hotel vorfuhren, hatte er Ellen gebeten, ihm für ihre Kinder einige Spielsachen einzukaufen, damit er als Grosspapa des Abends doch nicht mit leeren Händen in ihr Haus käme. Das hatte ihr ohne weiteres eingeleuchtet, und sie war mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, an der Ecke der Charlottenstrasse ausgestiegen.

Mary freilich ahnte, dass die Bitte ihres Vaters nur ein Vorwand war. Sie sass ihm stumm gegenüber, ihren gewohnten gleichgültigen Ausdruck auf dem blassen, leidenschaftlichen Gesicht. Sein Blick ruhte zuweilen auf ihr — das fühlte sie, ohne es zu sehen — ein treuer, sorgender Vaterblick, den sie von früher her wohl kannte. Es schien, als warte er, dass sie zu sprechen anfangen solle. Allein sie schwieg. Sie atmete leicht, ihr Auge war klar und kühl, ihre Hand ruhig wie immer, während sie ihrem Vater, der seine Zigarrentasche hervorgeholt hatte, ein Streichholz entzündete.

„Danke!“ sagte der Alte, seiner Henry Clay die ersten duftigen Ringeln entlockend, und wieder trat Stille ein.

Plötzlich stand Mary auf und begann im Zimmer auf und nieder zu gehen. Scheinbar gelangweilt und doch von einer inneren Unruhe getrieben, jenem leisen, unbestimmbaren Zittern der Nerven, mit dem das Temperament über die Willenskraft siegt und sich verrät.

Der alte Herr schob sich die Brille zurecht und folgte mit den Augen der schlanken, hohen Gestalt, um die sich in schillernden, leise zischelnden Falten der Wurf des perlgrauen Kleides schmiegte. Darunter blinkten die langen, schmalen Lackschuhe und durchmassen, lautlos und elastisch wie der Tritt einer Katze, den dicken Smyrnateppich. Etwas Katzenhaftes, eine seltsame Mischung von gleichgültiger Ruhe und verhaltener Schnellkraft lag in all ihren Bewegungen und glomm in dem grünlichen Glanz, der zuweilen tief innen in ihren grauen Augen aufleuchtete. Kein Zweifel — sie war nicht so schön wie ihre goldblonde, rosige Schwester. Sie war mehr. Eines der Gesichter, die man nicht vergisst, die mit ihrer stummen Leidenschaftlichkeit wie ein quälendes Rätsel in der Erinnerung stehenbleiben.

Der kleine Kommerzienrat sah auf die Uhr. „Hast du ’ne Ahnung, Mary,“ fragte er ... „... wie lange Ellen braucht, um das Spielzeug für die Kleinen zu finden?“

„Woher soll ich das wissen?“ Mary war am Fenster stehengeblieben und schaute hinaus. „... Wir haben ja keine Kinder!“

„Na ja ...“ der alte Herr schüttelte ärgerlich den Kopf ... „... ’s ist ja auch zu dumm! Vorderhand musst du dich eben mit über Ellens Kinderstube freuen.“

„Das kann ich nicht!“ sagte Mary. „Im Gegenteil ... das erste Mal ... wie ich davon hörte ... da hab’ ich die ganze Nacht geweint.“

„Aber ... Mary ...“

„Ja, das verstehst du nicht, Papa! Man kommt sich so unnütz vor ... So ohne Ziel und Zweck ... Wenn man so morgens aufsteht und sich erst überlegen muss: wie schlage ich heute nun den ganzen lieben langen Tag tot ...?“

„Du hast doch deinen Mann!“

„Unter Tag seh’ ich ihn selten. Da hat er seine Geschäfte ...“

„Ja ... was treibt er denn nun so eigentlich?“

„Er frühstückt irgendwo ... mit ein paar Menschen! Manchmal sind’s anständige Leute ... manchmal ganz unglaubliche Gestalten. Mit denen schliesst er dann irgendwas ab ... kauft ein Haus oder eine Zeitung und verkauft eine Schiffsladung Weizen oder einen Posten afrikanische Shares ... was weiss ich ... ich versteh’ nichts davon ... und dann fährt er wohl noch auf die Börse und zum Notar. Kommt er dann gegen fünf zum Mittag, ist er meistens in der besten Stimmung. ‚Das deutsche Volk arbeitet ganz tüchtig für mich,‘ sagt er dann, wenn er sich die Serviette umlegt ... ‚Heute habe ich tausend Mark Plus gemacht und für morgen liegt schon ein neues Schaf auf der Bank ...‘ Und wenn ihm der Diener seinen Mumm extra dry eingiesst, behauptet er jedesmal: ‚Die Wolle der Schafe ist mein sittliches Eigentum! Man muss den kleinen Mann zur Emsigkeit erziehen. Wo bleibt sonst meine Dividende?“

„Nette Grundsätze,“ sagte der alte Herr kopfschüttelnd ... „... aber es glückt ihm ja, wie’s scheint!“

„Ja. Neulich zeigte er mir seine Bücher. In den drei Jahren, die wir verheiratet sind, hat er, wie er behauptet, meine Mitgift mehr als verdoppelt!“

„So, so? Aber ihr habt’s doch nicht nötig. Und wie derlei auf die Dauer das Dasein deines Mannes ausfüllen soll ...“

„Es ist doch nur ein Übergangsstadium,“ sagte Mary. „Ehe er aus dem Staatsdienst vor zwei Jahren austrat, hat er mich förmlich um Erlaubnis gefragt. ‚Du hast einen Regierungsassessor und künftigen Landrat geheiratet,‘ erklärte er ... ‚... bestehst du darauf, Landrätin zu werden und so weiter im Trott der Staatskarriere, so mache ich den Zickzackkurs der Regierung weiter mit, und wenn mich das Schicksal bis Krotoschin verschlagen sollte. Aber die grosse Karriere, die wir beide wollen, ist uns dann verschlossen. Wie die Dinge heute liegen, kriegt man die nur als ganz freier, unabhängiger Mensch!‘ Das hab’ ich eingesehen, und so zogen wir nach Berlin.“

„Und worauf wartet er nun hier?“

„Auf den grossen Schlag, wie er’s nennt! Der ganze Witz im Leben sei der, die Dinge auf sich zukommen zu lassen! Inzwischen ‚lebt er sich in Berlin ein‘ ... nach seinem Ausdruck ... das heisst ... er macht alle die Geschäfte, von denen wir sprachen.“

„So?“ Der kleine Handelsherr stiess eine mächtige Rauchwolke in die Luft ... „... und wie stellt sich denn dein Mann beiläufig so den grossen Schlag vor?“

Mary überlegte einen Augenblick. „Darüber wollte er mit dir selbst sprechen!“ sagte sie dann zögernd. „Ich will mich nicht in Politik mischen!“

„Also Politik ist’s?“

„Natürlich. Oskar erklärt jeden Tag, ihm gebühre eine führende Stellung im Leben der deutschen Nation!“

„Und ich soll ihm dazu verhelfen?“

„Ja. Durch den Reichstag.“

Der Kommerzienrat stand, sich auf die Tischplatte stützend, auf. „Nun kann ich mir schon denken,“ sagte er trocken ... „.... also lassen wir’s vorderhand. Das ist ’ne Sache zwischen ihm und mir!“

Er ging auf seine Tochter zu und legte ihr leise den Arm um den Nacken. „Nun schau mich mal an, mein Mädel!“ sagte er ... „oder vielmehr auf mich herunter. Denn du bist ja mit Gottes Hilfe einen Kopf länger wie dein alter Vater!“

Sie beugte sich herab und gab ihm einen Kuss. „Ich bin ganz Ohr, Papa! Was willst du wissen?“

„Etwas, was einen Vater schliesslich auch angeht ...“ sprach der alte Herr ernst ... „... ob du glücklich bist, Mary? ... Mir scheint’s leider nicht so ganz der Fall.“

Das junge Weib schwieg eine kleine Weile. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. „Weisst du, Papa,“ sagte sie dann ... „... Glück ... das ist schliesslich auch ein Begriff! Ich bin immer eine kühle Natur gewesen ... ohne die Illusionen vieler anderer Mädchen ... und darum ist mir auch manche Enttäuschung erspart geblieben. Das kann man doch auch schon ein gewisses Glück nennen und ...“

„Halt! ...“ unterbrach sie der alte Herr, „... zur Sache! ... ich habe dich gefragt, ob du glücklich bist? Glück heisst für euch Frauenzimmer Liebe. Liebst du deinen Mann?“

„Liebe ...?“ sagte Mary ... „... vielleicht versteht darunter auch jeder etwas anderes. Ich verstehe darunter, einen Menschen gern haben! Das Wilde und Stürmische, was man vielleicht die eigentliche Liebe nennt — das ist nie über mich gekommen. Dazu bin ich zu kalt von Natur.“

„Wir haben vorhin am Reichstag einen Menschen getroffen, mein Kind ...“ ihr Vater schüttelte nachdenklich den Kopf ... „... wenn ich an den Tag denke, an dem ich unsern damaligen Hauslehrer an die frische Luft setzte ...“

„Er hatte eine ungeheure Macht über mich ... mit meinen achtzehn Jahren,“ sagte Mary ganz ruhig, „... gewiss ... das kann ich nicht leugnen! Wenn er’s befohlen hätte, wäre ich vom Turm heruntergesprungen. Sein Wille war meiner. Ich hatte gar keine Persönlichkeit mehr. Aber ob man das Liebe nennen kann ... diese Übermacht eines starken Charakters über ein halbfertiges Geschöpf, wie ich es damals war ... nun ... jedenfalls ist’s vorbei und nicht wiedergekommen.“

„Also dein Mann hat diesen Einfluss nicht?“

„Es war doch von vornherein eine Vernunftehe ...“ Mary schaute ihrem Vater kühl ins Gesicht ... „Darüber haben wir uns ja nie Illusionen hingegeben.“

„Das heisst ... er brauchte viel Geld und eine kluge Frau ... und du einen sehr klugen Mann, um an seiner Seite zu einer glänzenden Stellung und dem Lebensgenuss im grossen Stil, wie ihn dein Naturell verlangt, zu kommen?“

„Nun, ja ... so ungefähr.“

„Schön!“ sagte der alte Kaufmann, „mir hat, wie du weisst, deine Wahl nie gefallen. ‚Ja‘ hab’ ich trotzdem gesagt, denn du warst einundzwanzig, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Nun komm’ ich ja selten nach Berlin, trotz des Reichstags. Ich hab’ zu viel Arbeit mit den Fabriken, und meine Gesundheit ist schlecht. Aber wenn ich komme, finde ich, dass dein Mann wohlbeleibter, frivoler und selbstzufriedener geworden ist. Von dem mageren, eleganten Regierungsstreber, der damals auf unseren Bällen vortanzte, ist auch nicht die Spur übriggeblieben. Er setzt Fett an, körperlich und geistig. Er wird mir zu früh satt. Und darum frag’ ich dich noch einmal: Mary ... bist du mit ihm glücklich?“

„Ja.“

„Kind ... ist das auch wirklich wahr?“

„Ja.“

„Kannst du mir das beschwören?“

„Ich schwör’ es dir!“ sagte die junge Frau halblaut, mit unbeweglichem Gesicht und halbgeschlossenen Augen.

„Hm ... hm!“ Der alte Herr ging unruhig rauchend im Zimmer auf und nieder. „Also was fehlt dir denn?“

„Mir? ... Nichts!“

„Na ... hör’ mal!“ Er blieb ärgerlich vor seiner schönen Tochter stehen ... „... willst du mir was weismachen? Das seh’ ich doch, dass du leidest ... dass irgend etwas an dir zehrt; man braucht ja bloss dein Gesicht anzuschauen ... Warum sagst du mir’s denn nicht?“

„Ich weiss nicht, was du meinst, Papa?“

Er fasste ihre kühle, magere Hand. „Mary ...“ sagte er, „du weisst, was du mir bist ... mehr als deine seelengute Schwester und viel mehr als mein Sohn. Der und ich verstehen uns nicht. Wir leben in zwei verschiedenen Zeiten, und ich gönne ihm gern sein Reserveoffizierspatent von den Bonner Husaren und seine Korpsbänder aus Heidelberg und Göttingen, sein Monokel, seine prinzlichen und gräflichen Freunde und alles, wenn er nur mich alten Mann im Arbeitskontor in Frieden lässt. Aber mein eigentlicher Sohn ... das bist du! In dir erkenne ich ein Stück von mir wieder ... Verstand ... zähes Wollen und Selbstbeherrschung ... mehr als recht ist. Denn, weiss Gott ... niemand meint es so gut mit dir wie ich! Mir könntest du schon vertrauen!“

Das schlanke junge Weib rang in lachender Ungeduld die Hände. „Wenn ich aber doch kein Geheimnis habe, Papa!“ rief sie aus.

„So ... so ...“ sagte der alte Herr, setzte sich wieder in den Lehnstuhl und rauchte verdrossen weiter.

„Sag’ mal ...“ hub er nach einer Pause wieder an. „Warum vertragen sich eigentlich eure Männer so schlecht zusammen?“

„Sie sind so verschieden! Eine harte Pflichtnatur wie Herbert und dagegen Oskar ... nun ... du kennst ihn ja ...“

Der Kommerzienrat schaute sie plötzlich an, mit einem so angstvoll forschenden Blick, dass sie unwillkürlich stehenblieb ... „Ist das der einzige Grund, Mary?“

„Es war niemals von einem andern die Rede!“

„... und es war auch nie ein Gedanke ... eine Empfindung ... möchte ich sagen ... dass etwas ... Tieferes dahinter steckt ... etwas, was zwei Männer nun einmal trennen muss ...“

„Sie haben ja gar keine Berührungspunkte!“

„... Ausser dass sie Schwäger sind!“

„... sag’ mal, Papa!“ Mary nahm neben ihrem Vater Platz. „Geht das nun auf Ellen?“

„Nein, Kind!“

„Wenn’s also auf mich geht,“ sagte die junge Frau ganz ruhig ... „dann erinnere dich, bitte, an das, was du vorhin gesagt hast ... dass ich dir im Wesen so ähnlich sei! Hast du in deinem ganzen Leben irgend etwas zu verheimlichen und zu bereuen?“

„Gott sei Dank, nein!“ Der alte Herr schüttelte den Kopf.

„Nun ... dann, Papa ...“ sie wandte ihm voll das Antlitz zu und in ihren Angen sprühte es auf, wie ein grüner Blitz ... „... dann denke, bitte, das gleiche auch von mir!“

Der alte Herr stand ganz erschrocken auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ja ... aber, liebes Mädel ...“ rief er ... „du wirst doch nicht glauben, dass ich dich im Ernste ...“

„Ich glaube gar nichts!“ sagte sie, lehnte sich in den Stuhl zurück und schloss wie ermüdet die Augen. „... Ich möchte nur, dass darüber Klarheit ist und ich nicht unnütz mit Fragen gequält werd’!“

„Schön!“ Der kleine Kommerzienrat holte sich eine neue Zigarre heraus und setzte sie in Brand. Dabei blickte er verstohlen auf seine Tochter. Aber Mary sass ganz ruhig da, mit beinahe apathischem Gesichtsausdruck. Ihre Wangen waren blassgetönt wie immer, und leise regelmässige Atemzüge hoben ihre Brust.

Da klopfte es. Ellen trat herein, mit Paketen beladen, plaudernd, lachend und geschäftig. Sie war noch ganz ausser Atem vom Treppensteigen, während sie die Schächtelchen und Kistchen aufmachte, um all ihre Herrlichkeiten zu zeigen. Hier das laufende Häschen sei für den kleinen Albert. Wenn er nur in Gegenwart der Bonne damit spiele, werde er es nicht so bald kaput machen. Für Ernst, der ja schon älter und vernünftiger sei, passten die Bleisoldaten besser. Als Offizierskind gehöre er doch eigentlich schon zur Armee, wenn er auch erst später ins Kadettenhaus käme. Und auf Baby, das neuerdings beim Zahnen über Gebühr schreie, werde der bunte Wollvogel auf der Stange mit den Klimperglöckchen sicher wohltätig beruhigend wirken. Alles zusammen koste zwölf Mark achtzig! Ob das dem Grosspapa nicht zuviel sei?

„Nein,“ sagte der alte Herr und warf Mary einen lächelnden Blick zu. Beide empfanden in diesem Augenblick dasselbe — dass diese schöne, voll erblühte Frau, die sich so über die Kindergeschenke freute, selbst im Grunde ihres Wesens noch ein Kind war und voraussichtlich ihr ganzes Leben lang blieb — ein goldblondes, argloses und gutherziges Kind, dessen freundliche Augen alles — die Welt, die Menschen, sein eigenes Dasein — klein und nett wie eine gemütliche Puppenstube ansahen.

Mary liess das Häschen auf der Tischplatte hinlaufen. „Ja ... du hast’s gut!“ sagte sie in einem sehnsüchtig träumerischen Ton. „... mit deinen drei Göhren ...“

„Ich hab’ auch meine Not ...“ die schöne Frau setzte sich und wickelte die Geschenke sorgsam wieder ein ... „... das könnt ihr mir schon glauben!“

„Mit den Kindern?“ fragte der alte Herr.

„Ach ... Ärger gibt’s mit denen genug ... den ganzen Tag ... besonders mit Ernst ... unartig wird der Junge ja neuerdings ... das ist geradezu ... aber das meine ich nicht ... sondern etwas wirklich Arges ... das Unglück mit Herbert ...

„Dein Mann ist immer guter Dinge!“ fuhr sie zu Mary fort ... „... man muss ja manchmal gerade auflachen, wenn er so ’reinkommt, mit seinem schlauen Augenblinzeln und dem frechen Gesicht. Und immer bringt er den neuesten Witz von der Börse mit oder hat sonst was zu erzählen. Hingegen meiner ... ja ... ihr glaubt’s vielleicht nicht ... aber er ist imstande und geht den geschlagenen Vormittag in seinem Zimmer auf und nieder ... oder sitzt da und schaut vor sich hin, und es wird Mittag, ohne dass man auch nur ein Wort von ihm zu hören bekommt.“

„Ich versteh’s wohl!“ sagte der Kommerzienrat. „Gezwungene Untätigkeit ist was Schreckliches.“

„... und nun gar für einen Mann wie Herbert,“ ergänzte Ellen ... „Andere Kameraden von ihm, die finden irgendeine Beschäftigung, sie sammeln Briefmarken oder gehen auf die Jagd und spielen Skat und legen sich auf Malerei und werden Landwirte oder irgendwas und sind zufrieden. Aber sprich davon mal mit Herbert. ‚Das sind ausgenutzte Troupiers,‘ sagt er, ‚die wissen, dass ihnen recht geschehen ist und sie zum alten Eisen gehören. Aber ich —‘ Und ’s ist ja wahr. Ein Offizier wie er, Hauptmann im Generalstab, dicht am Militärattaché, die ganze Brust voll Orden — und nun mit einemmal alles zu Ende. Da kann er keine Freude an Spielereien finden wie die andern. Was er braucht, das ist ein ganz grosser, bedeutender Wirkungskreis!“

„Vielleicht ist der ihm nahe!“ Der alte Herr lächelte fein und stiess die Zigarrenasche behutsam ab. „... ich hab’ so meine Pläne mit ihm. Wenn’s Zeit ist, sprechen wir drüber, und dann wird er, denk’ ich, zufrieden sein!“

„Geb’s Gott!“ seufzte die blonde Ellen. „Bis jetzt wird’s täglich schlechter mit seiner Stimmung. Anfangs — gleich nach dem Unglück — als wir zur Kur in der Schweiz waren und dann in Italien ... da war er noch ganz guter Dinge. Da scherzte er noch manchmal über die ganze Geschichte. Ich weiss noch, wie er einmal mitten auf dem Canal Grande mit der Gondel zu schaukeln anfing und meinte, er könne nicht ertrinken. Das Schicksal verfahre mit ihm so wunderlich, dass er sicher noch zu grossen Dingen aufgespart sei. Aber dann ... seit wir in Berlin sind ... von da an ging’s los ... der Trübsinn ... und die Unruhe, und wurde immer ärger ... auf den Tag, als wir im Bahnhof Friedrichstrasse einfuhren und du, Mary, und dein Mann dastanden und uns erwarteten! Weisst du noch ... Wir haben dann noch zusammen im Monopolhotel gegessen.“

„Ich erinnere mich nicht mehr recht,“ sagte Mary.

Ellen seufzte. „Ich seh’s noch vor mir. Wir waren ja so lustig den Abend und mussten immer über dich und Herbert lachen. Denn ihr kanntet euch ja noch kaum und wart ganz verlegen, weil ihr ‚du‘ zueinander sagen solltet ... und kamt immer wieder aus Versehen in das ‚Sie‘ hinein ...“

Mary schaute zur Decke auf. „Ja ... das weiss ich noch!“ sagte sie trocken lachend. „Schliesslich tranken wir in aller Form Brüderschaft. Es wäre eigentlich unnötig gewesen, denn wir sehen uns ja doch fast nie.“

„Ja ... ’s ist zu schade!“ Auf Frau Ellens rosigem Gesicht lag wirklicher Kummer. „... Papa ... du könntest wirklich einmal mit deinen Schwiegersöhnen ein ernstes Wort sprechen.“

Der alte Herr schüttelte den Kopf, während er unverwandt auf Mary blickte. „Das geht mich nichts an!“ sagte er. „Das haben die Herren unter sich auszumachen. Also der Aufenthalt in Berlin bekommt deinem Mann so schlecht?“

„Wie ich dir sage ... Vom ersten Abend ab war er wie verwandelt!“

Am Boden tönte ein schwacher Fall. Mary hatte, wie es schien aus Versehen, mit dem Ellbogen eines der Spielzeugpakete vom Tisch gestreift. Sie bückte sich danach und es dauerte eine Weile, bis sie es fand und wieder hinlegte. Eine feine Röte hatte sich über ihre Züge ergossen.

„Ich will die Pakete doch lieber in den Mantel tun,“ sagte Ellen und trat in das Vorzimmer hinaus ... „... sonst vergesse ich sie noch.“

Der alte Herr sah Mary an.

„Wir wollen hinuntergehen, Mary!“ sagte er ruhig. „... Und was du mir nicht sagen willst, verschweigst du mir eben! Komm, Ellen! Ich muss ’ne Kleinigkeit frühstücken.“

„Ach ja ...“ Ellen stand arglos lächelnd in der Türe ... „... ich hab’ auch ordentlich Hunger ... von all dem Zuschauen ...“

Die letzte Wahl

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