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Drittes Kapitel

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„Es ist verdriesslich, Kriegsbruder Christian, dass ich Dir nicht vor Deinem Gasthof Adieu bieten kann, wenn Du heute Morgen wieder nach Jena abreisest. Aber es ist eine Session im ersten Departement des Staatsministeriums anberaumt, und ich bin protokollierender Assessor. Kannst Dir schon denken, worum es geht. Eure Burschenfeuer ob Eisenach machen hier uns verantwortlichen Staatsdienern seit Tagen die Köpfe heiss und werden es noch Wochen und Monate lang tun!

„Frei gesprochen, Bruder, ist es Zeit, dass Du wieder die Ilm mit der Saale vertauschst. Du hast in diesen drei Tagen hier genug Embarras in der Weimarer Geruhsamkeit angerichtet. Man fand mässigen Geschmack an Deinem wilden Wesen. Man gab zu, dass in Dir Verstand und Feuer wohnt, doch dass es sich in ungehobelter Weise, nach Eurer neuen Jenaer Art, äusserte.

„Besonders hast Du die Frauenzimmer betrübt und verwirrt! Die guten Kinder bangen sich vor Deinen aufrührerischen Worten und werden sie doch nicht los! Gestern, bei einem Schälchen Tee bei meiner Schwester, stritt die schöne Welt stundenlang darüber, in wie weit ein heroischer Mann einem gesitteten vorzuziehen sei, und beklagte, dass bei Dir der Heroismus der Sitte entbehrt. Noch vorige Woche, vor Deinem Einbruch, hätte man den Heroismus zu den Tugenden der Barbaren gerechnet. So hast Du inzwischen die Geister umgemodelt!

„Lass mich von Friderique sprechen! Noch bin ich nicht in schicklicher Form mit ihr verlobt. Aber es ist an dem, und um so mehr schmerzt es mich, dass Du sie vorgestern mit Deinem rauhen Ungestüm aus ihrem sanften Dasein gerissen hast. Seitdem ist mein Mädchen, wie sie mir gestern klagte, von Trauer und Unruhe erfüllt, dass es soviel Wildheit auf der Welt giebt. Sie ist Dir gram. Sie möchte alles — nur nicht Dir noch einmal begegnen.

„Was mich anlangt, ich stehe zwischen Euch beiden — dem Freund und der Geliebten. Ich verstehe Dich. Denn wir haben zusammen die Säbel wider den Erbfeind geschwungen, und ich verstehe Friderique. Denn ich nenne Weimar — wie Bethlehem in Juda so klein und so gross — meine Heimat.

„Na — Kerl — aus Eurem Brausen wird sich schon der Wein keltern! Mit Dir muss man freiherzig reden! Also singe und raufe Du in Jena — dafür hat es Gott nach allgemeinem Urteil erschaffen —, aber halte dich künftig in politicis zurück, als sei es heisses Eisen. Im Vertrauen: der Rotzebue hat schon einen Bericht an den Zaren gesandt. Auch die Spitzel des Herrn Staatskanzlers von Metternich waren unter Euch arglosen Burschen am Werk. Gott weiss, was sich dort überall zusammenbraut. Nun — Du erhälst von mir nach Jena rechtzeitig geheimen Bescheid, wenn hier etwas gegen Dich in Gang kommt. Auf alle Fälle wird es bis dahin Monate währen. Denn der Weg der Briefe bis Petersburg und zurück ist lang, zumal jetzt bei einfallendem Winter! Gott befohlen! Karl Helmich, einst nicht so zahm, sondern im Heiligen Krieg ein Kerl wie Du!“

Der Studiosus Christian Ellerbrook schob das Schreiben in die Tasche seines schwarzen Burschenrocks, holte statt dessen eine Pistole heraus und Feuerte einen blinden Schuss ins Leere, dass das Treppenhaus blauqualmend dröhnte.

„Eure Hausknechte sind taub. Niemand kommt, wenn ein honoriger Bursch läutet!“ sprach er zu dem heranstürzenden Wirt und Gesinde, während sich rings die Türen entsetzter Gäste öffneten. „Man soll ungesäumt meinen Mantelsack auf meinen Gaul unten schnallen.“ Er lud schon wieder geübt mit Pulver ohne Pfropf und Blei. „Sonst mache ich das ganze Haus zur Schützenbude!“

Unten vor dem Gasthof stand im Regengeriesel ein uralter Riese von einem Mietross, hängenden Haupts, knickenden Knies, aber mit knochiger Rippe beinahe den Hausknecht überragend, der ihn hielt. Christian Ellerbrook zählte dem Mann aus seinem Lederbeutel fünf thüringische Groschen als Trinkgeld auf die Hand. Er drückte sich das schwarze Burschenbarett fester auf den gebräunten Römerkopf. Über dem dunklen, kleinen Körnerschnurrbart funkelten die dunklen Augen.

„Wehe über Weimar!“ sagte er zu den verblüfften Mägden, die vom Neptunbrunnen Wasser holten, „Weimar, wache auf!“ wandte er sich an den alten Polizeidiener auf dem Bürgersteig. „Weimar — werde deutsch!“ rief er mit schallender Stimme über den Marktplatz, dass es vom Cranach-Haus widerhallte. Er schob den bespornten linken Stiefel in den Steigbügel und zog ihn zögernd wieder zurück.

Aus dem kleinen Modemagazin an der Ecke trat, von dem Kaufmann dienernd herauskomplimentiert, Friderique von Laubisch. Sie wandte ihr weiches und seelenvolles, von den braunen Locken sanft umschmeicheltes Gesicht zu dem tränenden Himmel und spannte einen kleinen bunten Parapluie auf. Er schützte kaum ihren rosenbesetzten Schutenhut vor dem Regen. Aber ihre schlanke Gestalt war eng bis zu den Knieen in einen bunten Kaschmirschal in jenem klassischen Faltenwurf gewickelt, wie ihn Madame Henriette Hendel-Schütz auf ihren mimischen Soiréen der Sozietät lehrte.

Sie führte, um nicht durch Alleingehen auf der Strasse aufzufallen, als Chaperon ein zehnjähriges Mädchen an der Hand. Der trippelnden Kleinen reichten die mit Spitzenkanten besetzten weissen Höschen unter dem Knieröckchen bis zu den Knöcheln. Völlig in ein Gespräch über den Einkauf vertieft, den das Kind trug, kamen die Beiden auf den „Erbprinzen“ zu, und in den Augen des Schwarzrocks, der neben seinem Gaul stand, war ein Lachen über das merkwürdige Spiel des Zufalls, dass der Kammerjunker von Helmich nicht zum Abschied kommen konnte und das wahrscheinlich seiner Angebeteten erzählt hatte und der Wille Gottes das Fräulein Friderique gerade jetzt hier vorbeiführte . . .

Beim Lüften seines Burschenbaretts schaute die Schöne erst auf. Sie war blass. Ihre blauen Augen ruhten mit dem Vorwurf eines leidenden Lammes auf dem verwegenen Jenaer Bursch im schwarzen Rock.

„Es ist wohlfeiler Crèpe de Chine aus Hamburg in dem Laden drüben eingetroffen“, sagte sie mit unsicherer und schmerzlicher Stimme wie zur Erklärung. „Ich kaufte einige Ellen zu einem Schärpenkleidchen für mein Schwesterchen.“ Die Kleine knickste. Wieder ein trauriger Blick von drüben. „Ich muss leider kaltsinnigen Abschied von Ihnen nehmen, Herr Studiosus!“

„Ja, ich besorge, ich habe es bei Euch verfehlt!“ Christian Ellerbrook gab lachend die Zügel seines Gauls dem Hausknecht zu halten. „Das ist mein gemeines Los. Deutschland und vorzüglich Weimar ist ein Wolkenkuckucksheim. Aber wir Schwarzen trommeln Euch schon noch wach!“

„Oh, lästern Sie nicht unser Athen an der Ilm!“ Friderique hob schmerzlich die langen, vom Schutenhut beschatteten Wimpern. „Man trifft in dieser Stadt mehr Anmut und Bequemlichkeit als irgendwo!“

„Hole der Kuckuck Anmut und Bequemlichkeit!“ Christian Ellerbrook stiefelte langsam, sporenklirrend neben Friderique von Laubisch und ihrer kleinen Beschützerin den Bürgersteig entlang. „Danach fragt ein Bursch in Jena keinen Deut, sondern nach Freiheit und Ehre.“

„Die edelsten Geister sind hier versammelt!“

„Wer wird nicht Ehrfurcht vor dem Herrn von Goethe und dem verstorbenen Herrn Professor Schiller empfinden?“ sprach der Student. „Aber der Brite stiehlt das Meer, der Wälsche stiehlt das Land, und der Teutsche schlägt indes die Leyer! Das mag in Weimar angehn. Aber es gibt viele andere Länder und Städte, soweit die deutsche Zunge klingt. In ihnen herrscht die gemeine deutsche Not.“

Er schritt in seinem Radmantel, der seinen schwarzen Rock und das Eiserne Kreuz der Freiheitskriege gegen den Regen deckte, neben dem Fräulein von Laubisch längs der Häuserreihen am Markt. Die langen Haare flogen ihm im Herbstwind um den blossen Hals. Friderique seufzte.

„Der Herr von Helmich hat Sie bei uns eingeführt — er, der gelindeste unter allen Männern!“

„Das werden die Franzosen von ihm nicht erzählen!“

„Ich hoffte, Sie wären seines schönen Schlags! Wie habe ich mich getäuscht! Man kann sich keinen schmerzlicheren Zustand denken, als der, in den Sie mich versetzt haben! Sie haben mit rauher Hand die Altäre umgestürzt, auf denen ich der Freundschaft und Schönheit opferte.“

„Das ist der Sturm von Jena, Demoiselle!“

„Das gibt mir einen traurigen Begriff von Ihrem dortigen Aufenthalt. Von Duellen und Schlägereien von dort zu hören, waren wir gewohnt, von Tumulten um das Billard und Pereatrufen auf dem Markt! Aber dass dies brausende Wesen sich jetzt in das Geistige aufbläht . . .“

„in den deutschen Geist . . .“

„. . . und dass es nicht leicht ist, ihm zu widerstehen!“ Friderique kamen die Tränen. „Es ist die kalte Verneinung der gesitteten Welt, die meine Welt ist. Und doch werde ich irre an meiner Welt!“

„Hört’s, Ihr da oben: Körner und Schill!“

„Der Herr Major von Schill war ein Preusse. Sie sind kein Preusse. Warum werfen Sie sich zum Engel mit dem feurigen Schwert auf und wollen uns aus unserem Paradies an der Ilm vertreiben?“

Sie hatten schon einmal den Marktplatz umschritten und begannen ihre Wanderung zum zweiten Mal. Das Kind trabte verfroren an Frideriques Hand nebenher.

„Ich bin in Köln, in des heiligen Reichs Pfaffengasse geboren“, sagte der Student von Jena. „Ich habe alle Ohnmacht des heiligen Reiches am deutschen Strom gesehen. Ich fand mich, einen deutschen Jüngling, vom linken Ufer des deutschen Rheins mit sechzehn Jahren als Bürger des französischen Kaiserreichs. Unter wälscher Herrschaft, mitten im Lande Wittekinds, büffelte ich als Student in Münster die Naturwissenschaften. Ich sollte eben als deutsches Kanonenfutter für die Grosse Armee des korsischen Ungeheuers ausgehoben werden, da hat ihm der Brand von Moskau den Weg zur Hölle geleuchtet. Ich sammelte Jünglinge in Münster um mich. Ich wollte in Westfalen die deutsche Freiheit ausrufen. Ich musste vor deutschen Fürstenknechten in wälschem Sold nach Preussen fliehen. In Breslau bin ich den Lützowern beigetreten. Kein Treffen, wo ich nicht dabei war. Ich bin mit Vater Blücher übern Rhein und nach Frankreich hinein und hab, wie wir geschworen hatten, mein Ross in der Seine getränkt. Ich hab ein Jahr darauf bei Ligny mitgefochten und zum glorreichen Ende bei Waterloo! Ich kam nach Köln zurück, wo meine Familie seit vielen Menschenaltern die Apotheke zu den Heiligen Drei Königen führt, und fand meinen Vater mir gram, weil ich zu den Preussen gegangen war. Er will nichts davon wissen, dass er jetzt selbst ein Preusse ist. Sein Herz hängt an der alten kurfürstlichen Bischofszeit. Immerhin schickt er mir regelmässig zu leben, so dass ich meine Studien in Jena beschliessen kann, wo allein in Deutschland unter dem edlen Karl August die Geistesfreiheit blüht!“

„So spricht ein Preusse!“ sprach Friderique schmerzlich.

„Nein. Ein Deutscher!“ schrie der Student. Er stand neben seinem regentriefenden trojanischen Pferd. „Das ganze Deutschland soll es sein!“ singt unser Arndt. Und alle guten Deutschen einander gleich! Freies Reich! Alle gleich! Heisa juchhe!“

„Die Leute laufen ja auf dem Marktplatz zusammen, Monsieur!“

„Hört’s nur, Ihr Siebenschläfer, Ihr Tuckmäuser, Ihr Bönhasen!“ Der Student kletterte in den Sattel. „Grüssen Sie Bruder Helmich von mir, mein Fräulein!“

„Ich bange schon, wenn Sie wiederkommen und von neuem unsere Residenz in Trubel bringen!“ klang es leise von unten. Ein Lachen oben unter dunklem Schnurrbart.

„Unbesorgt! Mir behagt der Markt von Jena mehr. Von dort aus streitet es sich besser gegen alle Bösen und Buben. Hier in Weimar weht mir eine zu dünne Luft. Ich komme nicht wieder. Ich wünsche wohl zu leben, Demoiselle!“

Der Studiosus Ellerbrook schwenkte das Federbarett und ritt über das Marktpflaster in der Richtung nach dem Brühl davon, und das Fräulein von Laubisch sah ihm, das Schwesterchen an der Hand, tränenschwer nach.

Sturm des Herrn

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