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Viertes Kapitel

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Durch die Gassen von Weimar donnerte im ersten, leisen, vorweihnachtlichen Schneeflockengestiebe eine vierspännige Glaskarosse und hielt gegenüber der grossherzoglichen Residenz, vor den Ministerien des Gelben Schlosses. Der Staatsminister Karl Wilhelm von Fritsch, ein angehender Fünfziger, ein Sohn und Enkel schon sächsischer Minister, stand zum Empfang des Besuchers hochselbst am Eingang, blossen Haupts, mit einem ehrerbietigen Lächeln auf den geistreichen, glattrasierten Zügen, die mehr den Dichter in Mussestunden als den Staatsdiener im Hauptberuf verrieten, und begrüsste voll tiefen Respekts den aussteigenden Fremden mit dem hechtgrauen Cylinderhut auf dem weissen Kopf und in einfachem rostbraunem Reisemantel und geleitete ihn in das Innere.

Gleich darauf kam eine zweite Hofequipage vor dem Gelben Schloss zum Stehen. Wieder empfing Herr von Fritsch mit gleicher feierlicher Höflichkeit einen betagten Diplomaten mit lebhaften dunklen Augen und magyarischem Gesichtsschnitt und stieg zu seiner Linken an den sich tief verbeugenden Beamten des ersten Departements des Inneren eines Grossherzoglich Weimarischen Ministerii vorbei die Treppe zum Conferenzsaal empor.

Und zur selben Zeit griff drüben am Graben im Haus des Majors im Ruhestand von Laubisch der Assessor von Helmich erschrocken nach der dünnen, um den Hals geschlungenen und über den Achatknöpfen der Blümchenmeste schaukelnden Goldkette und zog seine Uhr.

„Ich muss mich eilends empfehlen, meine Schönen, und Sie, meine Freunde! Im Gelben Schloss erwartet mich die Historie!“

„Brauchen Preussen und Österreich wirklich Deinen Rat?“ frug seine Schwester, des klassischen Namens Theora, die eigentlich Emma hiess, ein frisches blondes Mädchen. Sie stand neben der Haustochter Friderique von Laubisch in einem Kreis von Fräuleins der Schönen Welt und jungen Cavalieren in dem blauen Rundsalon vor einem künstlerischen Bühnenaufbau von leeren Stühlen und Weinkisten.

„Ich muss in der Antichambre warten, ob man mich zum Protokollieren benötigt. Meine Damen: der Ihrige!“

Der Kammerjunker von Helmich war fort. Das Stiftsfräulein von Mengershausen, das nicht mehr die Jugend drückte, gross, knochig, berühmt durch ihre scharfen Epigramme und Satiren, sprach mit tiefer männlicher Stimme:

„Wir müssen das lebende Bild ohne ihn weiter proben. Nächste Woche ist doch schon der klassische Redoutenaufzug im Stadthaus. Wir stellen an Monsieur Helmichs Plag als Apollo Musagetes einen Haubenstod! Vorwärts, Homer!“

Homer war ein ältlicher, durchgeistigter Hofmann in zeisiggrünem Frack und engen schwarzen Beinkleidern. Er setzte sich majestätisch in die Mitte, eine zusammengerollte Nummer des Ludwig Wielandschen „Patrioten“ wie eine Urschrift der Ilias auf das übergeschlagene Knie gestemmt.“

„Wir folgen in unserem Bild ‚Homers Apotheose‘ strictissime der Beschreibung, die Herr von Goethe von dem antiken, im siebzehnten Jahrhundert zu Marino gefundenen Basrelief gibt: Ilias und Odyssee knieen fromm an meiner Seite. Von hinten bekränzt mich Eumelia. Mythos als bekränzter Opferknabe. Historia streut Weihrauch. Poesie hält ein paar Fackeln — recht so, teure Helmich! Tragödia, alt und würdig — das sind Sie, meine beste Mengershausen — Comödia jung und anmutig, hebt ihre rechte Hand. So heben Sie doch die Hand, verehrungswürdiges Fräulein von Laubisch!“

Aber die schöne Friderique ging in ihrem rosa Wiener Tüllkleid beiseite und setzte sich am Fenster nieder und stützte stumm das Kinn in die Hand. Ihr zartes seelenvolles Profil zeichnete sich braunumlockt wie ein kunstvoller Scherenschnitt von dem schneegrauen Dezemberhimmel ab. Ein leidender Tross schloss die weich knospenden Lippen.

„Setzt lieber an meine Stelle auch einen Perückenstock“, sagte sie. „Mir ist es verdriesslich, diesen alten Waldgott, den Homer, zu fetieren!“

„Was haben Sie gegen den blinden Sänger?“

„Muss es denn immer griechisch sein?“ Friderique von Laubisch schaute, den andern abgewandt, kummervoll und trotzig in das weite, kahle bereifte Thüringer Land hinaus. „Es gibt doch auch noch andere Sujets!“

„Haben Sie die Gefälligkeit, sie uns aufzuzeigen!“ bat der Homer gereizt, hoch von seinem auf Kisten stehenden Sessel. Friderique wandte den braunen, mit einem Spitzenhäubchen bedeckten Kopf leise der Gesellschaft zu.

„Wir leben doch in Deutschland“, versetzte sie sanft. „Warum wählen wir nicht ein lebendes Bild von deutscher Art?“

„. . . der ich angelegentlichst um ein Beispiel bitte, das nicht edle Naturen durch Bärenhäuterei und nordische Nebel abstösst?“

„Man braucht ja nicht in der Vergangenheit zu verweilen!“ Friderique lächelte träumerisch. „Es ist doch um uns ein Brausen der Zeit. Warum trifft unsere Wahl eines lebenden Bildes nicht den Aufruf des Königs von Preussen ‚An mein Volk‘ — wie die Jünglinge begeistert zu den Waffen strömen — wie in der Schenke in Breslau Bräute, Mütter, Schwestern die freiwilligen Jäger zum Eintritt in Lützows Wilde Verwegene Jagd segnen!“

Ein Schreckensschrei der Schöngeister durch das blaue Rundgemach.

„Friderique — Du fieberst! Was geht uns Preussen an?“

„War nicht unser Grossherzog zeitlebens mit Ruhm und Ehren preussischer General!“ Die blasse, empfindsame Friderique sprang ungestüm auf. Ihre gefühlvolle Stimme klang viel heller und lauter als sonst. „Hat nicht unser erhabener Karl August als deutscher Fürst dem Bonaparte getrogt und eben darum vor dem Ungeheuer bestanden? Nehmt Euch an seiner aufrechten deutschen Gesinnung ein Beispiel, meine Lieben!“

„Da muss ich Fridriquen beitreten.“ Ihr Vater stand im Zimmer. Er schüttelte den feinsinnigen, schnurrbärtigen Soldatenkopf. Er wandte sich halblaut zu dem Stiftsfräulein neben ihm. „Aber es ist in Wahrheit nicht Serenissimus, der ihr vorleuchtet. Der deutschschwärmerische Geist kommt ihr von anderswo . . . Und es ist doch jetzt zwei Monate her, dass der schwarze Student wieder aus Weimar abgeritten ist.“

„Wir, die Grossmächte, führen mit Studenten Krieg!“ sprach zu gleicher Zeit im Conferenzsaal des Gelben Schlosses in Weimar der vorhin vorgefahrene preussische Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg. Er war schon nahe den Siebzig. Weltlich-sinnlich immer noch, trotz des dichten, weissgewellten Haars, sein verstandesmächtiger kantiger Kopf mit den breit ausladenden Wangen und den glattrasierten, feinen, aber in den Mundwinkeln entschlossen gefurchten Lippen. Er trug, unter der weissgeknoteten Halsbinde auf dem dunklen Schossrock das Eiserne Kreuz und den hellblauen Achtspiss des Schwarzen Adlers. Er lächelte das feine ironische Lächeln eines grossen Herrn und grossen Geistes.

„In der Tat, Euer Hoheit!“ Der Minister Karl Augusts, der Freiherr von Fritsch, nickte verständnisvoll. „Die jungen Herren in Jena können stolz darauf sein, wegen ihres flüchtigen Burschenübermuts auf der Wartburg nach Monaten die höchsten Vertreter der beiden deutschen Grossmächte in unserem kleinen Weimar vereint zu sehen!“

„Wir hatten die Ehr’, Ihrem hohen Landesherrn in Audienz aufzuwarten!“ sagte als Dritter am Beratungstisch, der auch schon bejahrte Wiener Staats- und Conferenzminister Graf Karl Zichy von Vasonykeö, der nach dem Fürsten Hardenberg vor dem Gelben Schloss aus seiner Karosse gestiegen war. „Ihr erlauchter und erleuchteter Grossherzog Karl August hat mich, als Gesandten des Staatskanzlers Fürsten Metternich, recht lieb empfangen! Wissen’s, Excellenz: das war mir nicht angenehm, Ihrem Serenissimo zwei mahnende Handschreiben unserer Souveräne in Hinsicht Eures faden Wartburgfests zu überreichen. Aber der hohe Herr hat die beiden Billeterln freimütig mit einer gewissen Fröhlichkeit entgegengenommen!“

„Er ruht ganz in sich! Er kennt keine Menschenfurcht!“

„Er hat herzlich lachen müssen, als ich höchstdemselben die Worte aus der Umgebung des Fürsten Metternich wiederholte, nur mit Zittern könne ein Vater heute noch seinen Sohn auf die Hochschule nach Jena ziehen sehen!“

„Und im selben Sinn, Hoheit,“ wandte sich der Minister von Fritsch an den Staatskanzler von Hardenberg, „hat unser Grossherzog amtlich durch unsern Geschäftsträger Müller in Berlin bestellen lassen: „Vertrauen und Mut können die gegenwärtige Aufregung der Studiosen an allen Hochschulen ersticken, Argwohn und gewaltsame Massregeln aber würden Deutschland nur verwirren!“

„Vortrefflich, Excellenz! Immerhin liegt aus Berlin eine substanziierte Denunciation über die Verbrennung eines der Wartburgbücher vor. Dieses, wie sich dessen Verfasser, der Herr von Kamptz, ausdrückt, bis jetzt allein in Weimarer Landen gefeierte literarische Autodafé . . .“

Der Minister von Fritsch klingelte und winkte dem eintretenden Assessor von Helmich, ein auf dem Tisch liegendes Blatt zu ergreifen.

„Verlesen Sie die eingelaufene Beschwerde des Herrn von Kamptz!“

„Ein Haufen verwilderter Professoren und verführter Studenten“, begann der Kammerjunker von Helmich, „haben eine durch Feuer und Mistgabeln geübte Zensur . . .“

„Übergehen wir diese Einleitung . . .“

„Unreife Solone, welchen die Ruhe und Ordnung in unserem Staate ein wahrer Greuel ist, und welchen es vorteilhafter wäre, wenn, wie in Italien, so auch in Deutschland, der rechtliche Bürger die Sicherheit vor Räubern erst von diesen selbst erkaufen müsse . . .“

„Gut gebrüllt, Herr von Kampe!“ Selbst der Fürst Hardenberg musste lächeln.

„. . . haben, einem Policey-Collegium zum Hohn, eine Scene der rohesten Barbarei . . .“

Der Minister gab seinem Assessor einen Wink zu verstummen.

„Der Kern dieses Berliner Fastenbriefs“, sagte er, „ist lediglich die Verbrennung einiger Gensdarmerie-Vorschriften, darunter auch weimarischer . . .“

„Und was hat Ihr Landesherr zu diesem Frevel gesagt?“

„Karl August hat gelacht!“

„Das dacht ich mir!“

„. . . aber zugleich ernstlich befohlen, unter allen Umständen die Wiederholung solcher Dummenjungen-Streiche zu verhindern!“

„Nun — und das wird uns also in Berlin genügen!“ Der Staatskanzler Fürst Hardenberg stand auf. Graf Zichy mit ihm. Der alte Ungar hob, um das Wort bittend, die Hand.

„Als Stellvertreter Seiner Durchlaucht des Fürsten Metternich habe ich leider noch nit die Ehr’, mich für völlig beruhigt zu erklären. — Uns graust’s in Wien vor den staatsgefährlichen Professoren in Jena, die, wie man bei uns sagt, nicht volkstümlich, sondern volksdümmlich sind. Das Laster beleidigter Majestät, heisst es, geht da auf offener Strasse umanand!“

„In dieser Hinsicht“, sprach der Staatsminister von Fritsch, „möchte ich an ein goldenes Wort Serenissimi, meines allergnädigsten Herrn, erinnern, das er seiner Zeit amtlich verlautbaren liess. ‚Mein Ehrgeiz ist‘, liess sich Karl August vernehmen, dass in meinen Landen auf eine des deutschen Nationalcharakters würdige Weise sich Licht und Wahrheit verbreite‘ . . .“

„Und ist eine Hochschule nicht eben ein wahrer Leuchtturm für Wahrheit und Wissen?“ Der schöngeistige, selbst dichtende Weimarer Minister wandte sich an den alten Wiener Grafen: „Glauben Euer Excellenz wirklich, dass ein Fürst, der solch edle Principien verkündet, seine Landesuniversität Jena mit einem catilinarischen Geist sättigt, gegen den zu wüten, wie Seine Durchlaucht Fürst Metternich sich zu äussern beliebten, Pflicht aller Regierungen sei?“

„Ja — wissen ’s: Ich kenn’ das Jena ja gar nicht!“ Der Cabinettsminister Zichy schüttelte den Graukopf.

„So folgen Euer Excellenz dem Rat, den Ihnen mein Grossherzog gab: Fahren Sie hier von Weimar die paar Meilen hinüber in das winzige Musenstädtchen, das jetzt das Sorgenkind der europäischen Cabinette ist, und berichten Sie, was Sie gesehen haben, nach Wien. Ich hoffe, dass der Herr Staatskanzler dort dann ruhiger schlafen wird!“

Hunderte von Burschen gingen an dem mondhellen, linden Dezemberabend auf dem Markt von Jena auf und nieder. Aus dem Gewimmel der schwarzen, deutschen Röcke wehten die Federn von den schwarzen Baretten. Die offenen Fenster der altertümlichen kleinen Bürgerhäuser umher waren hell und mit Menschen besetzt. Ein unbestimmtes Brausen lag über der Versammlung von Jünglingen und vereinzelt schon vollbärtigen Jungmännern mit langen Haaren und blossen Hälsen über weissem Schillerfragen. Vom Turm der Stadtkirche herunter läuteten dröhnend die Glocken.

„Da haben wir’s: Ein abscheilid’s Bild der liberté und egalité!“ Der Weimarer Gesandte Graf Zichy wandte sich in seinem offenen, auf dem Platz inmitten der Schwarzröcke haltenden Reisemagen an seine beiden Weimarer Begleiter, den Grafen Edling zu seiner Linken und, ihm gegenüber, den Kammerjunker Karl von Helmich. „Die Zusammenrottung, mein Lieber, erinnert schon an die französische Revolution. Es fehlt nur noch die Guillotine mitten auf dem Platz. Gleich werden’s mit dem Barrikadenbau beginnen — die jungen Herrn!“

Der junge von Helmich lächelte. Er winkte einem der Burschen zu, der mit verwegenem schnurrbärtigem Römerkopf und feurigen, rheinisch-dunklen Augen das Gewirr der Hüte überragte. Der Studiosus Christian Ellerbrook antwortete mit einem schallenden ‚Volunto! — Wolle! —‘, dem Mahnruf der Burschenschaft an der Ofenwand des Okenschen Auditoriums — dem Kriegskameraden. Dann erhob er die Rechte — mit ihm die andern Führer der Schwarzen Röcke und entblösste gleich ihnen mit der Linken das Haupt. Feierlich klang es aus Hunderten von jungen Männerkehlen über den Markt von Jena:

„Wem soll der erste Dank erschallen?

Dem Gott, der gross und wunderbar

aus langer Schande Nacht uns Allen

in Flammen aufgegangen war . . .“

„Es ist ein Jahrhunderte altes Vorrecht der Studenten von Jena, auf den Strassen zu singen!“ sagte in den Wagen der Assessor von Helmich zu dem Abgesandten Metternichs. „Früher hörte man rauhe Saufgesänge. Schelmenliedlein. Unartige darunter. Selbst Zoten. Seit der Gründung der Burschenschaft sind sie ausser Schwang gekommen. Man hört nur noch ernste und vaterländische Weisen!“

„. . . der unserer Feinde Trotz zerblitzte.“

Es hallte andächtig von Hunderten von Lippen in das Glockengeläute aus der Höhe.

„Der unsere Kraft uns schön erneut

und auf den Sternen waltend sitzet

von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

„Sie sehen, Excellenz: auf den Söllern des Rathauses stehen beifällig die Professoren und lauschen.“ Baltisch gefärbt das Deutsch des neuen Staatsdieners in Weimar, des geistreichen Grafen Edling. „Vor der Hofapotheke die Bürgermädchen — schmucke Kinder — unbehelligt von den ernsten jungen Männern!“

„Noch weit drüben auf dem Burgkeller“, ergänzte der Assessor von Helmich, „sitzen die Philister bei ihrem Stübchen Rosenbier und ergötzen sich an den vaterländischen Gesängen! Dort im, Gasthof zur Sonne’ haben die durchreisenden Fremden die Fenster offen. Herren und Damen hören zu!“

„Und über die aufrührerischen Vollbärte“, sprach nachdenklich Graf Zichy, „könnt’ man hinwegschauen, nachdem sich darunter das Eiserne Kreuz präsentiert.“

Es waren ehemalige schwarze Reiter Lützoms, die da standen — Christian Ellerbrook mitten unter ihnen — in ihren schwarzen Röcken jetzt noch der Uniform der Totenkopfbusaren ähnlich, Theodor Körners Kampfgenossen. Über den Platz hin hallte sein Sang:

„Vater — Dich preisen wir!

Vater — Dir danken wir,

dass wir zur Freiheit erwachten!“

„In dem Bericht unseres Staatsdepartements, Excellenz“, sagte der Assessor von Helmich, „heisst es ausdrücklich: ‚Die Jünglinge geloben sich Brudersinn und Eintracht’, und als unmittelbare Folge dieser Eintracht zeigt sich unter den Studierenden in Jena eine grosse Sittlichkeit und strenge Beobachtung landesherrlicher Gesetze . . .“

„Wie auch die Hölle braust,

Gott, Deine starke Faust,

stürzt das Gebäude der Lüge!

Führ’ uns, Herr Zebaoth!

Führ’ uns, dreieiniger Gott . . .“

„Sie hören die Begeisterung, Excellenz!“ Wärmer als sonst die Stimme des jungen Weimarer Weltmanns. „Sie kommt aus einer grossen Zeit, die nahe erst hinter uns liegt, und aus reinen Seelen. Alles Fluchen, Schuldenmachen und Hasardieren ist in der Burschenschaft verpönt, der Besuch übler Häuser, das unmässige Kommerchieren. Wehe, wer einen Philister betrügt oder sein Kegelgeld in der ‚Tanne’ nicht zahlt. Selbst das Raufen versucht man — lachen Sie nicht! — hier— hier in Jena — einzudämmen! Der Studiosus Ellerbrook, mein Blutbruder von Ligny, den ich hier Eurer Excellenz präsentiere, ist, nach dem Grafen Bocholtz, der Wildeste aller Jenenser, was immerhin etwas bedeuten mag. Er wird Ihnen Bescheid sagen, welcher Geist — ob ein böser oder guter — auf unser Jena herniedergestiegen ist!“

„Diesen Geist, alter Herr!“ Christian Ellerbrook drückte ungezwungen der Wiener Excellenz im Wagen die Rechte, „haben uns schon im Vorjahr, am zweiten Jahrestag der Einnahme von Paris, die guten Jenaer Mädchen in unser Panier gestickt. Das Panier bedeutet für uns Burschen: ‚deutsche Einheit und Volksehre!“

Der greise Staatsmann rieb sich die von dem Händedruck des Jenaer Burschen gerötete Rechte.

„Volksehre! . . . Aber freilich!“ sagte er. „Nur: wie schaut’s da nachher bei Euch jungen Herren mit dem schuldigen Respekt vor den angestammten Fürsten aus?“

„. . . die über Deutschland Rat halten, wie unser Karl August — die wollen wir recht lieben, wie wir’s schon bei jedem Kommersch singen: ‚Stosst an, Landesfürst lebe!“ Und die über Deutschland Unrat halten, die mögen sich hier in Jena an die Stiefelwichser und Billardeurs halten, aber nicht an uns freie Burschen.“

„Ja — ja — die liebe Freiheit!“ erkundigte sich neugierig der alte Graf. „Wie steht Ihr denn da zu den Gesetzen, wann Ihr so frei seid, frei zu sein?“

„Gerade weil wir frei sind, alter Herr, gehorchen wir freiwillig der Obrigkeit! Nur darf man uns nicht in dumme Geistlosigkeit hinstrecken wie die toten Klötze — wie Vater Jahn sagt! Wir wollen nicht von hochwohlgeborenen französischen Affen regiert und wir wollen nicht von wohlgeborenen lateinischen Affen belehrt werden!“

„So — so! . . . In Würzburg und den Main runter fangen’s schon überall die Juden zusammen! In Frankfurt nehmen die Tumulte kein End’! Wie haltet Ihr’s denn da mit der bürgerlichen Ruhe und Ordnung?“

„Wir sind deutsch! Weh dem, der unser Deutschtum antastet! Sonst lassen wir jedermann in Frieden!“

„No — ich dank’ schön, mein Lieber! Zerknackens mir nur nicht die Finger! Hab’ die Ehre! Ja: ich weiss nicht.“ — Der K. K. Cabinettsminister Graf Zichy wandte sich im Wagen an den Grafen Edling. „Ich kann nix Auffälliges in dem verrufenen Jena finden! Jung sind’s halt noch, die Buben! Aber das gibt sich! . . . Von Wien aus schaut das Alles viel schlimmer her. Ich werd’ in dem Sinn ungesäumt an den Herrn Staatskanzler Metternich berichten!“

Und auf dem Markt zu Jena stand der Studiosus Ellerbrook inmitten der Mitglieder des „Staatsrechtlichen Vereins“, des Decknamens für die Führer-Auslese der Burschenschaft, und lachte trotzig und begeistert mit geschwungener Faust.

„Wir haben der Metternichtigkeit den Weg gewiesen!“

„Der Knechtschaffenheit!“

„Heil die heilige Freiheit!“

„Volunto! Volunto!“

„Heil Karl August!“

„Heil unsern Lehrburschen, den Professoren! Da drüben winken sie uns vom Rathaus! Der Oken, der Fries, der Luden! Heil, Ihr alten braven Kerle!“

Daneben stand auf dem mondhellen Markt eine zweite, gedrängt und aufgeregt raunende Gruppe von Commilitonen. Das war die „Litterarische Bildungsgesellschaft“, der getarnte enge Ring der „Unbedingten“, der Allerschärfsten in der Burschenschaft. Aus ihrer Mitte trat ein junger Mann im schwarzen Rock rasch auf Christian Ellerbrook zu. Er war schlank und hochgewachsen. Lange schwarze Ringellocken hingen um das ernste, blasse, gegen das Kinn hin schmal zulaufende Antlitz mit den hellen Augen und dem seltsam kleinen, hartnäckigen Mund.

„Furchtbarer Verrat!“ murmelte er dumpf mit einem Anklang an die bayrisch-fränkische Mundart.

„Wieso, Bruder Sand?“ Der Andere lachte. „Im Gegenteil! Wir haben jetzt beim König in Berlin und beim Kaiser in Wien einen Stein im Brett!“

„Aber der Tyrann an der Nema reckt über Deutschland die Knute!“ sprach kalt und verbissen Karl Ludwig Sand, der Theologe. „Wir haben es schwarz auf weiss!“

„Horcht, was der Spukmeier meldet!“

„Sprich, Sand!“

„Wisst: der Weimarer Schandbube und Erzknecht Kotzebue hat jüngst ein Mémoire an seinen Brotherrn, den Zaren Alexander, verfasst . . .“

„Wir haben dem Schuft schon einmal ein Bündel zerbrochener Gänsekiele zur Warnung durchs Fenster geschmissen!“

„. . . ein Mémoire, in dem er erklärt, die deutsche Studentenjugend müsse durch Russland dem freiheitlichen Irrgarten entrissen werden, in dem sie jetzt herumstolpere!“

„Hast Du den Dreck selbst gelesen, Bruder Sand?“

„Er war von dem Elenden seinem Sekretär auf ekles Wälsch diktiert. Die Schreiberseele konnte einige Sätze nicht entziffern und bat einen wackeren Mann, den Litterator Lindner, der mit ihm im selben Hause in Weimar wohnt, um Hilfe. Hei! — unser Lindner wusste Bescheid, was tun? In einer Stunde schrieb er die wichtigsten Stellen ab und schickte sie hierher nach Jena an den Herrn Professor Oken! Unser Oken hat sie jetzt eben in der ‚Isis“ veröffentlicht! Man reisst sich drüben in der Druckerei um die ‚Isis’, ehe sie konfisziert wird! Man zahlt einen Dukaten und mehr für das Exemplar! Ich habe mir eines gerettet! Da seht!“

Von Hand zu Hand ging, noch druckfeucht, die Nummer der „Encyklopädischen Zeitung“, die das halbe literarische Europa im Atem hielt. Sperber- und schakalköpfig bewachten auf dem Titel des gelblichen Quartblatts Osiris und Anubis die sitzende Isis. Hieroglyphen standen im Text geheimnisvoll neben den Namen des Missfälligen. Eine krumme Nase ergänzte das Bild des Saul Ascher, eine Knute das des Janke, ein Eselskopf das des Publizisten Reinhard. Eine Gans aber, die sich mit dem rückwärts gebogenen Schnabel hinten im Darm pickte — das war der Rotzebue . . .

„Die Gans wollen wir rupfen!“ rief Christian Ellerbrook. Um ihn ein drohendes Geschrei:

„Wir haben den Kotzebue gewarnt, als er neulich seinen Sohn hier besucht hat, er solle sich nicht wieder in der Umgegend von Jena blicken lassen!“

„Der Schmalzgesell ist in solcher Hast nach Weimar abgereist, dass er seinen Mantel hier vergessen hat!“

„Der Mantel hängt noch jetzt bei seinem Sohn auf der Bude!“

„Wir holen ihn!“ schrie der Studiosus Ellerbrook leuchtenden Auges. „Burschen! Ich weiss einen göttlichen Skandal! Kommt!“

Der mondklare Markt brauste in unruhiger Erwartung der Burschenschaft. Aus den lichthellen Fenstern der verschneiten alten Giebel guckten die Spiessbürger mit Kind und Kegel. Dann wuchs von der Ecke her ein im Fackelschein sich näherndes Triumphgeschrei. Ein stürmisches Halloh aus hundert Kehlen. Gellend wie in Lützows Tagen der Befehl des Studiosus Ellerbrook.

„Rollt mal ein leeres Fass aus dem ‚Stern’ herbei!“

Dort fuhren die Damen entsetzt von den Fensterbrüstungen des Gasthofs zurück.

„Um Gottes willen! Da schleifen sie ja einen Menschen über das Pflaster! Sie schlagen auf den Unglücklichen ein!“

„Es ist nur sozusagen eine litterärische Vogelscheuche, Mesdames!“ beruhigte der Wirt. „Die durchreisenden Herrschaften müssen mit der frischen Art, in Jena zu leben, vorlieb nehmen. Jetzt steigt Einer der Verwegensten unter den jungen Herrn auf das Fass. Die Commilitonen beleuchten mit Pechbränden sein Gesicht! Sehen Sie nur, wie seine Augen über die Köpfe hin funkeln!“

„Ihr Burschen!“ schrie Christian Ellerbrook. „Ihr seht hier den Bluthund von Galgenbach, genannt Kotzebue! Wir müssen ihm einen Denkzettel geben! Er selber ist leider nicht da! Also haben wir seinen Mantel mit Stroh ausgestopft. Nun wollen wir seinem Stellvertreter mit unsern Ziegenhainern unsere Meinung sagen!“

Die Knüttel aus Hagedorn klatschten auf den still liegenden und stäubenden und knisternden Radmantel. Die Fackeln lohten. Erhitzte Gesichter lachten.

„Achtung: die Pedelle!“

Ein Massenschrei des Zorns.

„Licht weg!“

„Pereat!“

„Bursche raus!“

Jena, das alte, wilde Jena, schäumte auf. Jena war nicht gewillt, vor zwei Pudeln oder ein paar Stadtsoldaten zu weichen. Die letzte Husarenabteilung hatte der Grossherzog, der ewigen Krawalle müde, schon im Vorjahr für immer aus dem Städtchen weggenommen. Das Städtchen war der Burschenschaft selbstherrliches Reich.

„Lachst Du nicht, dass Kotzebue verprügelt wird?“ schrie begeistert im Feuerschein Christian Ellerbrook von seiner Tonne. „Hei! Bruder Sand! — Du hast keinen Sinn für Humor!“

In dem von schwarzen Haarsträhnen umwallten Antlitz des Theologen Sand regte sich keine Miene. Er sagte nur kalt:

„Für Kotzebue ist es zu wenig!“

„Es ist genug!“ Der Studiosus Ellerbrook sprang mit einem Turnersatz von dem Bierfass. „Gebt den Mantel dem Commilitonen Kotzebue zurück! Er soll ihn seinem Vater schicken! Sauber ausgeklopft sei er!“ Er brach ab. Es klangen Rufe von den Häusern her. Wilde Rufe. Studenten liefen mit langflatternden Haaren über blossen Hälsen und schrien:

„Die ‚Isis’ ist confisziert!“

„Rast nur, Ihr Büttel der Gewalt, zu der der Druck der Grossen selbst unsern Fürsten zwingt!“ Christian Ellerbrook breitete stürmisch die Arme gen Himmel. „Aber unsere Oriflamme: die deutsche Freiheit und Volksehre — die confisziert Ihr nicht!“

Sturm des Herrn

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