Читать книгу Der Bauer in der Au - Rudolf Stratz - Страница 4
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ОглавлениеEichendunkel, Lärchenhelle, Fichtenschwarz, Espengezitter, weisse, wilde Kirschbaumblüten, Weissdornstacheln, Haselnussstecken, Wacholdergewurzel — die ganze grün wechselnde, sonnenzitternde Waldwand wippte weithin unter dem Griff zweier starker Arme — eine wild gewachsene Urwaldmauer noch, da unten im letzten Süden des Deutschen Reichs, im bayerischen Hochlandswinkel zwischen Inn und Salzach.
Durch das sich sträubende, aufgeregt schwankende Dickicht brach, aus dem Waldschatten heraus, Einer mit breiten Schultern und stand da im Sonnenschein auf der lichten Grasmatte, den Kugelstutzen am Riemen, sechs Fuss lang, in seinen schweren Nagelschuhen, den verschwitzten Lodenfilz mit hoch wehendem Adlerflaum schief hinterm Ohr, grün und gelb gestickt die graue Joppe und die Hosenträger und der Gürtel, nackt die braunen Knie unter den kurzen, schwarz abgewetzten Lederbuxen, grüngeringelte Stutzen über den drahtigen Waden — stand da wie ein Bild der bayerischen Berge, aus denen fern gegen die Salzburger Grenze hin, über dem Steinernen Meer, der letzte Riese des Reichs, der Watzmann, sein noch winterlich weisses. Schneehaupt zum tiefblauen Himmel hob.
Zu Anfang der Dreissig der Bursch aus dem Wald, tief braun gebrannt das verwegene Gesicht mit der Adlernase über dem langen, dunklen Schnurrbart und den stählern wie bei einem Raubvogel glänzenden Augen.
Vor diesen Augen dehnte sich unermesslich, tief da unten, die flache bayerische Hochebene, mit ihren unzähligen weissen Nadeln der Kirchtürme, den grünen Vierecken der Felder, den blauen Seen, den braunen Mooren, den weissen Bändern der Strassen, den schwarzen Wäldern.
Und ganz in der Nähe, in einen Talkessel der Vorberge gebettet, fast unter der Schuhspitze des Jägers, schimmerte blendend weiss, wie aus der Spielzeugschachtel gepackt, fast ein Dorf im kleinen, waldverloren, ein riesiger Einödhof. Eine eigene kleine Kapelle neben dem dreistöckigen Wohnhaus mit dem grüngestrichenen Balkon und den buchsbaumgesäumten roten Kieswegen um den Springbrunnen in dem blumenbunten Vorgarten. Hinter den langen, flachen Stalldächern die Baracken des Sägewerks am aufgestauten Wildbachbecken, weithin die Wagen- und Maschinenschuppen, frei stehend unter blühenden Obstbäumen die Waschküchen und erdgemauerten Backöfen und farbig gekringelten Bienenstände, hundertfach weiss das Gesprenkel der Hühner um das Gehöft, braun-weiss die Flecken der vielen weidenden Kühe zwischen den Gattern, melodisches Almglockengebimmel, verwehtes Peitschengeknall . . .
Aber die Leute auf dem Hof da unten gingen nicht wie sonst mit Sense und Melkeimer und Holzaxt und Mistgabel ihrer Arbeit nach. Die standen da und schauten — ja — nach was?
Um sich herum, vor der leise murmelnden Waldmauer, hörte der Jägersmann oben nur die Stimme der Berge — misstöniges Hähergezeter aus Buchengeäst, das sanfte Gegurr der wilden Taube im Eichenwipfel, das metallische Glucksen des schwarzen Alpeneichhorns blitzschnell den Fichtenstamm hinauf, fern, eintönig wie ein Holzhacker, das Klopfen des Buntspechts und unermüdlich, in diesen Maitagen, irgendwoher aus grüner Weite, vom Morgen bis zum Abend der Frühlingsruf: Kuckuck! Kuckuck!
Jetzt eine Bewegung da unten, unter dem Dienstvolk im Grund. Sie hatten den Mann oben am Waldrand erkannt.
„Juchhu!“ klang es dünn durch das Wehen des Windes herauf. Das war die Marei, die Jungmagd. Die hatte die hellste Stimme von allen.
„Juchhu!“ Er antwortete. Es tönte schneidend wild und froh, wie der Schrei eines der letzten Adler, die sich noch einmal hier in die Bergwildnis verflogen. Jetzt sprang einer unten vor — ein Bursch, etwas jünger und viel kleiner und nicht so breit gestellt in den Schultern wie der da oben.
Was wollte er denn nur — der Bruder — der Simon? Der fuchtelte aufgeregt mit den Armen und winkte, herunterzukommen. Und die andern schrieen und gestikulierten mit.
Brandschaden auf dem Einödhof? Nein. Der rauchte nur friedlich aus bläulich dünstenden Schornsteinen. Also was denn nachher? Immerhin. Der Jäger oben zog schnell die Patronen aus dem aufgeklappten Zwilling, hängte sich ihn über die Schulter und setzte sich in Trab.
Von unten liefen sie ihm entgegen. Sie taten sich härter als er, bergauf. Der Bruder Simon, der blasse, schwächliche, war dem Dienstvolk voraus. Aber wo es steiler ging, verlor er den Atem und klomm nur noch schrittweise empor. An ihm vorbei rannte die Flinkste, die Marei, die Jungdirn. Ihr braunes, wildes Gesichtel mit den lichtblauen Augen und dem dunklen Zopfkranz um die Schläfen tauchte aus einem Steilhang nah unter dem Bursch aus dem Walde auf. Sie hatte den Mund weit offen. Ihre weissen Zähne blitzten. Sie keuchte:
„Mach voran, Flori! Der Bauer fährt heim!“
Und jetzt hinter ihr, ausser Luft, auch der Simon:
„Kimm, Flori! Kimm! Mit dem Vater geht’s z’ End!“
Der Flori flog in federnden Sprüngen die Grasleiten hinab. Die andern rannten nebenher. Die Marei berichtete abgerissen:
„Gestern, auf d’ Nacht, wie wir ’s Vieh eingewiesen haben, hat’s ihn derwischt! Gerad’ hingeschlagen is er! Dös is a Stickfluss, sagt der Doktor! Da kannst nix mehr machen!“
„Wir haben gleich nach dem Doktor telephoniert!“ Der Simon hielt aus Leibeskräften laufend mit dem stärkeren und grösseren Bruder Schritt. „Er is bald kommen! Aber nach dir haben wir umsonst gesucht! Was machst denn die ganze Nacht im Wald? Jetzt is doch keine Jagd nit!“
„Er wird doch noch jaga derfa!“ schrie die Marei im Rennen. Der Flori deutete über seine Schulter zurück. Neben dem Rucksack tanzte da ein Fuchsschwanz auf und ab.
„Auf d’ Füchsin, die als d’ Hennen holt, hab’ ich vor dem Bau angesessen und sie heut früh gekriegt — das Luada! Seid’s froh!“
„Wenn d’ Maifüchsinnen so gross wären wie die Ochsen, täten s’ uns alle zerreissen!“ keuchte die Marei.
„Und wann du nur dem Flori alleweil ’s Wort reden kannst!“
„Ich hab’s ihr nit g’schafft, der dummen Dirn!“ Der Flori stand vor dem Haus. Er nahm den Hut ab und bekreuzigte sich. Sein Antlitz war tiefernst. „Kommt’s ’rein — zum Vater!“
Innen, im steingepflasterten Mittelgang, stand die Zenz, die ältere Schwester des Florian und des Simon, mit ihrem Mann, dem Heiss von Walching, weit aus dem Chiemgau her. Der Chiemseebauer war ein schöner, aufrechter, langer Mann, nicht mehr der jüngste, schon in die Vierzig, mit einem ruhigen und klugen Antlitz. Er drückte dem Schwager die Hand.
„Wir sind heut schon vor dem Frühläuten ’kommen!“ sagte er, während sie zusammen die knarrende Treppe hinaufstiegen. Neben ihm schluchzte die junge Heiss-Bäuerin, den am unteren Rand goldgestickten, flachen Hutteller mit den lang hängenden schwarzen Bändern auf dem tränenüberströmten, vollwangigen, blühenden Gesicht.
„Ja — wer hätt’ dös gedenkt! Noch net sechzig is er — der Vater! Und gerad’ wie ein Junger hat er daherg’schaut!“
Aber jetzt sah der Bauer in der Au nicht mehr aus wie ein Junger, sondern wie einer, der auf die weite Reise geht. Er lag oben, schon seit Jahren ein Witwer, in seinem lustig himmelblau mit weissen Vögelchen und grünen Blumen bemalten Bett, den gelblichen, grauschnurrbärtigen Kopf mit feierlich verfallenen Zügen tief in den rotkarierten Kissen.
Bunt wie das Bett war alles Gerät im Zimmer — die Schränke, die Kasten, die Stühle. Durch die kleinen, offenen vier Fenster flutete goldenes Sonnenlicht auf die weissgescheuerten Dielen und das Kruzifix über der Tür und die Bilder der lieben Heiligen an den Wänden, goldumrahmt in Buntdruck die schwarze Mutter Gottes in Altötting und die Grotte von Lourdes. Vor dem kupfernen Weihwasserkesselchen in der Wandnische ein Strauss Vergissmeinnicht und Dotterblumen. Dicht draussen winkten im Maiwind vor dem tiefblauen Himmel Baumgrün und weisser Blütenglast, Hahnenkraht, Spatzenzirpen, Kuhgebrüll, Hühnergegacker, Ferkelgequieke wehten in die Stille des Sterbezimmers wie ein letzter Gruss des lieben Viehs. Es war ein freundlicher Abschied von dieser Welt.
Die Brust des Bauern rasselte noch in schweren Atemzügen. Sein Mund und seine Augen waren offen. Aber die Krankenschwester aus dem Markt Holzing draussen in der Ebene, eine Religiose vom Dritten Orden, schüttelte leise die grosse, weisse Flügelhaube:
„Er kennt sich nimmer!“
Unten im Erdgeschoss, gleich wenn man hereinkam zur Rechten, hatte der Bauer sein Arbeitszimmer. Schon sein Vater hatte die Decke schön mit goldgelbem Zirbelholz ausgetäfelt. An der blaugetünchten Wand hingen Rehgewichtln und ausgestopfte Vögel und eingerahmte Photographien. Auf dem Schreibpult der Marienkalender mit Kreuzeln von Geschäftsterminen für die einzelnen Tage des Monats Mai. Daneben das Telephon.
„Derfen sich fei’ eilen, Hochwürden!“ sprach drängend in den Apparat hinein der alte Gnadl-Vater, einer der Bergbauern aus der Nachbarschaft. Das ganze Zimmer war voll von ihren wetterbraunen, hageren, ernsten Gestalten. Der Grill‘ von Obergaiching und der Schwaiger von Pittenham mit ihren Weibern, der Pointner vom Hemhof samt seinen Söhnen, der Höchsteiger, Bürgermeister von Pittenham, Alles uralter Bauernadel des Berglands, seit ein paar Jahrhunderten mit den Vogl hier in der Au verschwägert und versippt.
Sie schwatzten nicht viel. Sie sassen und schwiegen. Ruhige Ergebung auf den verwitterten Zügen. Von Erde bist du, zur Erde gehst du! In die Erde streut der Bauer den Samen. Aus der Erde spriesst dem Bauern das Korn. Zur Erde kehrt der Bauer zurück. Und statt des Korns streuen, die da leben, ihm die Erde nach, auf dass er im Himmel auferstehe wie das Korn auf Erden. Im ewigen Kreislauf und Gleichmass folgen sich die Jahreszeiten und die Menschengeschlechter. Wie soll einen Bauern der Tod erschrecken?
„Um Sankt Pankraz ’rum fahren die Vogl gern heim!“ sagte in die Stille die kleine, gebückte Fetz-Mutter. Sie musste es wissen. Sie war schon über achtzig. Sie hatte schon zwei Vogl in der Au mit den Füssen voran aus dem Haus hier kommen sehen — den Vater und den Grossvater von dem Sterbenden oben. Und das waren nur die letzten aus einer langen Reihe. Denn schon bald nach dem Dreissig-jährigen Kriege, als man daranging, die von den Kaiserlichen verbrannten Gehöfte wiederaufzubauen, hatte der Fürstbischöflich Salzburgische Ezpositus von Pittenham in sein Kirchenbuch vermerkt: ,Domus Au. Vogl paganus et uxor sua.’ ,Im Haus zur Au der Bauer Vogl und sein Weib.’
„Kommt s’ endlich — die Theres“, murmelte die braune Marei, die mit dem ganzen Gesinde auf dem Flur stand. Ein Berner Wägelchen mit zwei von Schweissflocken weissgesprenkelten Füchsen fuhr vor. Die zweite Tochter des Bauern, die Ametsrainerin von Egg, drüben dicht an der Salzburger. Grenze, kletterte hinter ihrem Mann heraus. Das war ein kleiner, gedrungener Graukopf, fröhlich sonst von Gesicht und Gemüt, ein Viehhändler und der beste Viehkenner in der ganzen „Freundschaft“, der Verwandtschaft, weit und breit.
Er schlug stumm ein Kreuz, ebenso sein Weib, die Theres, eine kleine, blasse, stille Bäuerin. Sie stiegen in das Sterbezimmer hinauf. Dort hatte sich nichts geändert. Immer noch gackerten draussen die Gänse in das Todesröcheln und schlug der Buchfink und rauschte der Wildbach übers Wehr und ging die Welt ihren Gang.
Dann ein dumpfes Hupen. Ein graues Kleinauto lief flink wie eine Maus den holperigen Bergweg empor. Ein volbärtiger, derber, bebrillter Mann steuerte es und liess es stehen und stieg, während alle ihn grüssten, bedächtig die Treppe empor. Oben am Krankenbett runzelte Dr. Nikolaus Gschwendtner, der Arzt aus dem Markt Holzing und Münchner Landtagsabgeordneter, die Stirnfalten bis in die schwarz umbuschte, elfenbeinerne Glatze.
Er war selbst ein Bauernsohn. Er wusste: mit Bauern sprach man nicht städtisch geleckt, sondern frei her, halt gerad’ so, wie’s ist.
„Gar is’s bald mit dem Vogl!“ sagte er gedämpft zu den Umstehenden. „Da g’hört jetzt ein anderer her als wie ich!“
„Alleweil kimmt der Herr!“ rief von unten die Marei mit ihrer hellen Stimme. Gleich darauf faltete sie die braunen Stallhände und begann zu flüstern: „Jesus, Maria und Joseph!“ Und um sie verschränkten sich rings die arbeitsharten Finger der Männer und Frauen, und ein summendes Murmeln von Sterbegebet ging durch das Haus: „der von den Toten auferstanden ist . . . der uns den Heiligen Geist gesendet hat . . . . .“
„Pax huic domui!“ Friede diesem Haus! Der Pfarrherr Felix Gasthuber stand im Ornat, mit der Stola bekleidet, im Sterbezimmer. Er besprengte den Raum und alle, die ihm dahinein gefolgt waren, mit Weihwasser. Er neigte sein Ohr zum Kranken nieder . . . . horchte . . . . . fragte mit leiser, tröstender Stimme. Ein Röcheln unten . . . .
„I mein’, der Vogl derfangt sich noch einmal . . . “, murmelte hoffnungsvoll der Gnadl-Vater, der selber schon mit einem Bein in der Ewigkeit stand. Er war zu klein. Er konnte durch die Leut’ vor ihm das Bett und die letzte Beichte nicht sehen. Er wusste nur: Da war’s, wo der Flori stand — dunkeläugig, einen Kopf länger als die andern, scharf von der Fensterhelle abgehoben das gesenkte Profil mit dem dunklen Schnurrbart unter dem Adlerschwung der Nase.
„ . . . . . Per eundem Christum dominum nostrum! Amen! . . . “ Eine Stille. Draussen keuchte bergauf auf einem Zweirad, mit flatternden schwarzen Rockschössen, ein junger Geistlicher heran. Ein junges Mädel schob, hundert Schritte hinter ihm, atemlos, erhitzt das frische, verstörte Gesicht, ihr Rad. Der dritte der Brüder, der junge Priester Donat Vogl, und seine jüngste Schwester, die Leni, die ihm die Wirtschaft führte, drängten sich an der Freundschaft vorbei die Stiege hinauf.
„Der Alte Wirt in Söllenwies hat mich im Galopp zur Bahn gefahren, wie ich die Nachricht telephonisch gekriegt hab’!“ sagte er. „Und in Holzing hab’ ich mir auf der Station zwei Fahrräder für mich und die Leni geliehen, um . . . .“
Der junge. Hochwürdige brach ab. Jetzt erst sah er, wie es drinnen stand. Sah die ragende Gestalt seines Bruders Flori, die kleinere seines Bruders Simon. Davor den Priesterornat neben einem fahlen Haupt in den Kissen. Hört das feierliche Rituale in articulo mortis: „ . . . . remissionem omnium peccatorum tibi concedo et benedico te . . . .“ Und wusste: das war die kürzeste Formel des Ablasses aller Sünden, wenn das fliehende Leben nur noch an den Fäden von Minuten hing . . . . . . . .
Und dann, eine halbe Stunde später, stand der Florian Vogl, der Älteste und Erbe, allein vor dem Haus im Garten. Da war alles wie sonst. Die Sonne schien. Der Bach lief. Die Schwalben huschten, mit flatternden Strohhalmen im Schnabel, zum Bau des Hochzeitsnestes im Gebälk. Brünstig brüllte, Herr in der Herde, drüben der Stier. Am blauen Himmel kreisten wie dunkle Punkte zwei Habichte schrill schreiend im Liebesflug. Leben. Leben. Und ganz aus der Ferne, zitterig-dünn in der warmen Luft, von der Kirche in Pittenham das Sterbegeläut für den toten Bauern in der Au.
Der Flori hörte zögernde Schritte hinter sich. Er drehte sich um. Die Jungdirn, die Marei, zeigte schmerzlich die weissen Zähne in dem braunen, wilden Gesichtl und bot ihm die feste, kleine Hand und sagte leise:
„Tröst’ di Gott! Bauer!“
Er nickte ihr zu. Das war das erstemal, dass ihn jemand „Bauer“ nannte! Jetzt war er der Herr! Untertan ihm Haus und Stall und Baumannsfahrnis und Vieh und das ganze weite Bergtal, hoch die Matten hinauf bis tief in die grossen, ernsten Wälder da oben . . . . . .
Über denen standen grau gezackt, riesig die Felsgipfel, in weissen Feldern noch der Winterschnee an ihren Hängen, wie noch darüber die weissen Wolkenballen im Himmelsblau. Er sah den Schnee auf den Kämmen hoch da oben in Schleiern wehen, so wie hier unten im Tal die Blütenbäume stiebten, und dachte sich geistesabwesend: Laut geht heut der Wind . . .
„Noch net sechzig Jahr’ alt — der Vater!“ sagte er zu dem stillen, blassen Simon, der ihm gefolgt war. „Zwanzig Jahr’ hätt’ ich ihm leicht noch geben! Er hat ja manchmal so dahergered’t, dass er mir bald mal den Hof übergibt! Aber recht ernst war’s ihm damit noch nie net!“
„Warum hätt’ er auch sollen?“ Der blasse, stille Simon wischte sich mit dem Handrücken die Augen. „Dich hat’s sorglose Leben ja g’freut! Wer kann den so preisplatteln wie du? Und im Bauerntheater Komödie spielen? Und bei jeder Fahnenweihe? Und gar auf der Jagd! Derfst lang suchen, bis einer trifft wie du . . . “
„Und wann’s dem Vater zuviel war“, der Simon holte ein rotgeblümtes Taschentuch hervor und schnaubte sich tränenschluckend. „Die Arbeit hab’ ja i getan! I war ja immer der Baumeister hier auf dem Hof. I hab’ mich plagen derfen mit Odelfahren und den Motor anlassen und die Zäune flicken. Und i wär’ doch so viel lieber geistlich geworden wie der Donat drinnen!“
„Du verstehst die Bauernsach so gut wie einer!“
„’leicht schon! Aber es gibt halt noch mehr in der Welt . . . “
Die Brüder verstummten. Es rief aus dem grünen Wald übers Tal, immer wieder, und der Simon hub an:
„Hörst den Kuckuck? . . . Aber hat je einer den Kuckuck gesehen?“
„I schon mal . . . auf der Jagd . . . “
„Ja. Du. Aber sonst keiner. Das is nur ein Ruf — verstehst . . . ein Ruf an einen . . . bald da, bald dort — man weiss nit, woher der Ruf kommt! Aber man hört ihn vom Morgen bis in d’ Nacht!“
„Was du daherspinnst . . . “
„Das sind nur Gedanken — gerad’ jetzt — wo der Vater heim is! . . . Ja — Flori — jetzt liegt der Hof auf dir. . .“