Читать книгу Der Bauer in der Au - Rudolf Stratz - Страница 7
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Оглавление„Bist glei’ stad, Scheckele!“ schrie die Marei im Stall die Leitkuh an, vor der sie auf einem niedrigen Schemel hockte. Zwischen ihren Fingern rann der dünne, weisse Milchstrahl aus den Euterzitzen in den Melkeimer. An den beiden Enden der langen Rinderreihe plätscherte es ebenso. Dort sassen die Katrein, die alte Sennerin, und der alte Wastl. Der Simon holte armweis. Bergheu aus dem nahen Stadel und warf es den Viechern vor, die heute nicht zum Weiden gekommen waren.
Das behagliche Malmen der Kühe füllte die würzig-warme Dämmerung, durch die nur die gelben Lichtkreise der drei Stallaternen glommen. Undeutlich klang dann und wann eine Almglocke, wenn eines der Tiere schattenhaft die Hörner bewegte. Die eisernen Stallketten klirrten. Die Marei schob beim Melken ihr Licht zurecht, dass ein greller Streifen über ihr hübsches, braunes Gesichtel fiel, und schrie, zornmütig die Zitze pressend:
„So a damischer Stadtfratz — so a damischer! Bist dann narrisch g’worden, Mutter? Wer hat dann der Mutter g’schafft, Wastl, dass sie so a traurige Gans auf d’ Alm lasst!“
„Ja mei!“ sagte der Alte.
„I tät’ der an deiner Stell’ an Schwung geben, dass sie nach Minka heimkimmt!“
„Das Fräulein is ganz fei’ und still. Die sitzt draussen vor der Hütt’!“
„Und wo is der Bauer? Warum schaugt er denn nit hier nach seiner Sach’?“
„Geh — halt’s Mäu!“ Die alte Katrein rappelte sich steifbeinig vom Melkstuhl auf und wackelte durch die Tür nach vorn in die Kuchl, wo die Latschenzweige im Herd prasselten. Am Feuer sass der Loderer, der alte Berggänger, mit seinem vergilbten Ruckfack. Jetzt im Frühjahr hatte er weisse Enzianwurzeln darin — zum Schnapsansetzen bei den Bauern — verboten war’s freilich, das Enzianausraufen — und Klumpen gelbes Fichtenharz — fei’Obacht: die Waldherren haben’s gar nicht gern, wenn ihnen aus den Kerbschnitten in den Bäumen der Maisaft quillt! — und zuunterst — braucht der Schandarm gerad’ net zu schauen — ein paar geräuberte Katzenfelle.
Der Loderer hatte einen weisshaarigen Geierkopf, braun wie eine Nuss. Ein langer, weisser, vom Tabaksaft an der Wurzel gelber Schnurrbart hing ihm über den zahnlosen Mund. Der runzelte sich in verschmitzten Fältchen.
„Draussen sitzt der Vogl-Bauer, Katrein . . . “
„Aber net allein!“ Die Alte rieb still kichernd Schmalz in die Pfanne und holte die Salztüte aus dem Kastl.
„Er hat mich net g’spannt, wie ich im Dunkeln vorbei bin.“ Der Loderer kniff listig das eine wässerige Auge zu. „Aber was i g’sehn hab’, hab’ i g’sehn!“
„So? Schleckt er sie schon ab — die ausg’schamte Hennen?“ Die Marei kam mit einer Kanne kuhwarmer Milch herein und stellte sie auf den Fichtentisch, dass es krachte und die weissen Tropfen ihr in das braune Gesicht spritzten. Sie wischte sie zornig mit dem Handrücken ab. „Da lässt sich der Vogl net lang bitten! Den kennt man auf zehn Stunden rundumadum — den Bauer! . . . Die Lall’n aus Minka — die hat uns gerad’ auf der Alm g’fehlt!“
Die Tür schmetterte ins Schloss. Die Marei schlurfte mit heissen, ein wenig feuchten Schwarzaugen in den Stall zurück. Dort rannte sie im Gang gegen eine dunkle Gestalt.
„Jesses — der Simon — was stehst denn du da den Leut’n im Weg?“
„Ich wart’, ob ich dir noch a bissel helfen kann . .“
Das stille, immer etwas gedrückte Gesicht des Vogl-Simon verschwamm im Dämmern. Die Marei hörte nur seine weiche und gutherzige Stimme. Dann tastete etwas an ihrem Arm und suchte ihre Hand und kriegte sie zu fassen.
„Gift’ di net so, Marei!“
„Dös geht di an Dreck an!“
„Kennst ja den Flori . . . “
„Freili! Stroh brennt leicht!“
„Er is halt, wie er is!“
„Aber so schnell hat’s noch nie net bei ihm gebrannt!“
„Es hat ja noch mehr Mannsbilder, Marei!“
„Was d’ net sagst . . . “
„. . als wie zum Beispiel ich!“
„Ja. Du!“ Die Marei lachte.
„Was der Flori kann, sell kann ich auch! Wir können uns gerad’sogut wie die Zwei draussen vor die Hütten setzen, bis die Katrein den Schmarrn fertig hat . . . “
Er wollte die Marei sanft an der Hand nach dem Stalltor ziehen. Die Almdirn war bald so kräftig wie er. Sie riss sich los und stemmte feindselig die Fäuste in die Hüften.
„I hab’ kei’ Zeit! I muss mi jetzt wasch’n!“
Aber als sie das in ihrem ebenerdigen Verschlag neben dem Kuhstall getan und das Waschwasser aus dem Fenster gegossen hatte, kletterte sie selber hinterher hinaus in die Nacht. Die paar hundert Kuhhufe hatten schon den Platz zwischen der Hütte und dem hohlen Baumstamm der Bergbachtränke in einen zähen Morast verwandelt. Durch den stapfte die Marei lautlos in ihren Holzpantinen um die Ecke und äugte wie eine Katze in der Nacht nach vorn.
Da sah man, sobald das Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, zwei Schatten. Die sassen eng beisammen. Jetzt neigten sie sich zueinander. Jetzt wieder . . . .
„Ja — busselt’s euch nur . . . “ keuchte die Marei. Plötzlich fuhren die beiden schwarzen Umrisse hastig nach rechts und links. Eine grelle Lichtbahn fiel aus der geöffneten Tür auf sie. Von der Schwelle rief die Katrein:
„’s Nachtessen is!“
Die alte Almerin sah mit ihrem zerstrubbelten Grauhaar, dem grauwollenen Janker und den weit gebauschten, dreckigen Leinenhosen wie ein verwilderter Bergzwitter aus — ob Mann, ob Frau, nicht zu unterscheiden. Und ebenso hatte die braune Marei die blossen Füsse in den überschlammten Holzpantoffeln stecken, und auf ihren weissen Sennerinnenhosen hatten die Schwanzschläge der Kühe schon ganze farbige Landkarten gemalt.
Hingegen das hergelaufene Schankmadl aus München — die Stalldirn musterte giftig ihr Gegenüber — so eine tat sich leicht! Die war sauber beisammen. Die hatte ein Jäckchen aus grauem Loden an, mit grossen Hornknöpfen, und einen kurzen, feschen, grauen Rock und ein rotes Band um den Hals. So sass sie, dunkeläugig, mit einem zufriedenen, weichen, blassen Gesichtl, neben dem Vogl-Bauer, und lächelte alle der Reihe nach freundlich an und sagte recht lieb und warm:
„Aber schön ist’s bei euch heroben!“
Der Flori nahm sich als der Bauer zuerst aus der Schüssel. Jetzt wäre sein Bruder, der Simon, an der Reih’ gewesen. Aber er schob den rauchenden Schmarrn mit einem ritterlichen Handgriff dem Münchner Kindl vor die Stupsnase. Die ass nur wie ein Kanarienvogel und leckte dann den Blechlöffel ab und legte ihn nebenher und sprach sanft:
„So schön hab’ ich mir’s nit vorgestellt . . . “
Das glaub’ ich, du fade Moll’n! dachte die Marei. Sie kam zuletzt daran.
„ . . . Da möchť man gleich die Händ’ falten und beten!“ fuhr das Münchner Fräulein fort.
Dein Beten kenn’ ich . . . dachte sich die Marei. Sie hatte den linken Ellbogen auf den Tisch gestützt und den Schwarzkopf in die linke Hand und löffelte sich erbittert mit der Rechten die Brocken ein. Der Flori wischte sich den Schnurrbart. —
„Alsdann, Katrein . . . dass d’ mir fei’ auf das Fräulein Blumetsrieder aufpasst . . . “
Ja . . . dein notiges Fannerl . . . Die Marei lachte zornmütig vor sich hin . . .
„ . . . dass sie sich net verkühlt und net beim Blumenpflücken sich derfallt . . . und der Stier ihr nix tut . . . “
„Unten am Kreuzweg is der Reliquienschrein, Bauer! Sperrst sie am besten da gleich hinters Glas!“ verkündete die Marei.
„Dich hat keiner g’fragt, dalkete Dirn! . . . und dass das Fräulein ordentlich a Milch trinkt und was isst, damit wir Ehre mit ihr einlegen, wann s’ wieder nach München kommt . . . “
„Ach — Ihr seid so gut zu mir! Ihr seid so liebe Leuť!“ sagte die Fanny mit einem weichen Augenaufschlag, während sie alle zusammen aufstanden. „Aber lass mich jetzt gleich ’s Geschirr aufwaschen, Sennerin, dass ich auch was tu’! Ah na — mit G’schirr umgehn — das bin ich ja als Kellnerin gewohnt . . . “
„Aber heut noch net . . . Heut derfst allein machen, Katrein . . . heut braucht das Fräulein Ruh’!“ Der Vogl-Bauer zündete sich seine Pfeife an und trat vor das Haus. Neben ihm stand der Simon, den Rucksack im Kreuz, den Bergstock in der Hand.
„Kommst mit abi, Flori?“
„Jetzt, wo d’ Hand net vor den Augen siehst! Wär’ net schlecht . . . “
„Dazu hab’ ich die Latern’!“
„Und ich den Mond!“
„Da kannst noch a Stund’ warten, bis der übern Berg vorkimmt!“
„Von wegen meiner!“
Der Flori hörte die Schritte des Bruders und das Aufsetzen des Bergstocks unten in der Nacht versinken. Er setzte sich wieder auf den Felsblock von vorhin vor der Hütte. Die Funken aus seiner Pfeife verrieten durch die Finsternis seinen Ort. Nach kurzem kam etwas mit leichten Tritten über die Steine heran. Es nahm neben ihm Platz. Er hörte es leise atmen. Er fühlte, Ellbogen an Ellbogen, seine Wärme. Er ruckte von hinten seinen Arm darunter und setzte es sich wie eine Puppe auf die Kniee.
„Grüss Gott, Fannerl!“
Es lachte leise.
„Grüss Gott, Flori!“
Da sassen sie. Über ihnen am Nachthimmel glitzerten tausend grosse und kleine Lichter. Und tausend feurige Punkte von hellen Fenstern und Reihen von Landstrassenlaternen und farbigen Bahnhofssignalen durchfunkelten endlos, wo Menschen wohnten, tief unter ihnen das verschwimmende Schwarz der weiten bayerischen Hochebene. Ein rötliches Luftgewölk dämmerte über unsichtbaren Städten und Märkten, wie oben zwischen den Sternen der weissliche Nebel der Milchstrasse. Eine Schnur kriechender Glühwürmchen durch die Nacht. Ein Eisenbahnzug . . . . .
Ein fernes Rollen. Ein ganz schwacher Pfiff. Ein dumpfes Kuhgebrüll von der Alm. Ein verschlafenes Herdenglockengeläute. Das eintönige Plätschern des Quellstrahls in den Tränktrog. Käuzchengekreisch aus der dunklen Masse der Wälder unten: Kiwitt! . . . Kiwitt! . . .
Komm mit . . . ja . . den Vater hatte es ja geholt . . . auf den Kirchhof hinaus. Eine Weile schwieg der Flori nachdenklich. Es ging ihm wieder alles durch den Kopf — der Hof in der Au — die Sorgen . . . . Dann schwatzte er wieder mit dem Fannerl auf seinen Knieen, ihre Hand in seiner. Nicht viel G’scheites. Halt dies und das . . . .
Es war jetzt viel wärmer als am Abend. Ein heisser trockener Hauch strich von den Bergzacken über die Matten herab, als hätten sie da oben im Geklüft, zwischen den Schneefeldern, einen riesigen Backofen aufgestellt. Das Mailüfterl schickten sie von da drüben her, die Italiener. Du lieber Gott: Von der Frauenalm hier oben, am äussersten Ende Deutschlands, hatte es ein Vogel durch die Luft über die paar österreichischen Berge hin zur welschen Grenze bald näher als bis nach München.
Dann wuchs das Wehen des Südwindes aus den Gebirgsgründen hinaus zu einem dumpfen Gebrüll, das den weiten, nächtigen Luftraum zwischen dem dunklen Himmel und der dunklen Erde erschütterte.
„Jesses — es gibt a Wetter!“ Die Blumetsrieder-Fanny schrak in den Armen des Flori zusammen. Er beruhigte sie durch ein paar kräftige Schmatze auf die vollen, weichen Backen.
„Nachts geht der Föhn gern laut! Das gibt fei’ gutes Wetter für morgen.“
„Da kannst Blumen pflücken, Schneckerl!“ Ein Schmatz. „Aber versteig di beileib net!“ Ein Schmatz. „Geh halt gerad’ dahin, wo die Küh’ gehen!“ Ein Schmatz. „Tappiger wie d’ Viecher wirst dich auch net anstellen!“
„Und zum Stier sagst: Maxl — sei stad!“ Ein Schmatz. „Nachher kennt er di scho! Sell is a guter!“
„Und wann dir irgendwas abgeht, na haltst di an den Wastl!“ Ein Schmatz. „Dass du gerad’ weisst: die Katrein is a alter Teifi und d’ Marei a junger . . . “
„Vor Weibsleut’ fürcht i mi net!“ sagte das sanfte Fannerl und lachte.
„Aber vor Mannsbildern?“
„Kommt darauf an . .“
„ . . . als wie vor mir . . . ?“
„Bei dir“, sprach das Fannerl träumerisch und lehnte das dunkle Köpfchen an seine Schulter, bei dir tut’s Ichon not!
Der Flori wollte sie wieder küssen und fuhr ärgerlich mit seinem dunkeln Schnurrbart dicht vor ihrem schon zur Schnute gespitzten Mäulchen zurück.
„Da kimmt er scho’, d’r Teifi, und sucht uns“, knurrte er. „Schau bloss die Katrein da in der Nacht! Da kriegt die alte Hex’ wieder a Leben! Da gedenken ihr wieder all ihre Sünden, wie sie jung war und a Sennerin hier auf der Frauenalm. Da is es hier zugangen — mei’ Grossahndln haben mir, wie ich a Bub war, oft davon erzählt. Da hat’s noch Haberfeldtreiber gegeben, mit schwarzem Kienruss im Gesicht, und an Tabak hast billig kaufen können. Den haben die Pascher nachts aus Tirol herübergebracht — hier an der Hütten vorbei. Und am Sonntag — da haben s’ hier oben auf ’m Hackbrett g’spielt und gejuchzt und getanzt — die Katrein und ihre Freund’! . . . Der Mauser und der Loderer und die all’ . . . Ja — dös muss noch a Zeit g’wesen sein . . . “
Und plötzlich brach im Vogl in der Au der Geist seiner Väter durch.
Dös war die Zeit, wo der Bauer noch a Bauer war und Herr auf seinem Hof. Aber jetzt schreiben s’ dir in Berlin heraus, was d’ hier machen sollst, und wann d’ dir gerad’ so a Gesetz hast ausdeutschen lassen, dann haben’s es schon wieder anders umg’schrieben, droben, irgendwo. Ja — da fehlt sich’s weit! Der Bauer ist in Not, Fannerl!“
Die Ränder der Felszacken hoch oben färbten sich grell schwefelfarben. Hellgelb, mächtig, stieg der Vollmond über dem Höhenkamm empor. Fernhin füllten sich Wände und Halden und Matten mit bläulichem Dämmern. Man konnte hundert Schritt weit sehen. Der Vogl-Bauer und das Fannerl standen in vollem Licht, und von drüben schrie die alte Katrein:
„Gehn S’ bei, Fräulein! I schliess jetzt d’ Hütten!“
„Die Hütten wird g’schlossen, bald das Fräulein kimmt, und net eher! Dös sag’ i — der Bauer! Hast verstanden?“. Der Vogl wandte sich zu Fanny und drückte ihr herzlich die Hand. „Also lassen S’ Ihna gut da oben gehn, Fräulein Blumetsrieder! I schau’ eh’ bald wieder mal nach der Alm!“
In langen Sprüngen setzte er, sich mit dem Bergstock stützend und schnellend, die mondhellen Weiden hinab. Tief im Grund lag vor ihm weiss und still, zur Geisterstunde, der Hof in der Au. Der Vogl hatte die Mondscheibe im Rücken. Es war so hell, dass sein eigener Schatten vor ihm herlief — lang und schwarz wie ein Nachtgespenst, das lautlos, unheimlich auf den einsamen Bergbauernsitz im Tal herniederglitt.
Ob’s recht war, da oben mit dem Fannerl die Mäuler spitzen, wo der Vater erst so kurze Zeit unter der Erde lag? Der Flori hatte eine Anwandlung von Gewissensbissen. Freilich: der Vater war immer hart und karg gewesen. Der Vater und er hatten einander nie viel zu sagen gehabt. Der Vater hatte jetzt andere Sorgen, im Jenseits, im Fegfeuer. Der Vater brauchte heilige Messen, dass er mählich ’rausruckte aus den Flammen.
Ob das so richtig war — mit der Höll’ im Jenseits? Der Florian Vogl gehörte zu den Aufgeklärten — zu den jungen Burschen vom Weltkrieg ab und seiner Hölle auf Erden, im Schlachtendonner zwischen Bagdad und Lille. Die draussen gewesen und heimgekommen waren, die hatten zuviel gesehen und erzählten es den Jüngeren.
Aber es stand doch immer noch der Kirchturm mitten im Dorf. Da wuchs langsam wieder in der neuen Welt der alte Glaube . . .
Soll fleissig seine Seelenmessen kriegen — der Vater . . . Der Bauer in der Au öffnete ernst, zwischen Sterbandacht und Liebesgedanken, die Tür seines Hauses.