Читать книгу Der Bauer in der Au - Rudolf Stratz - Страница 9
6
Оглавление„Machst eher a Gesicht wie a Leichenbitter als wie a Hochzeiter, a angehender!“ sagte der blasse, sanfte Simon Bogl. „Hock net so spinnet da, Flori, wann wir jetzt nach Walching einfahren!“
Juchhu! Es juchzte von dem maiengrün umkränzten, grossen, grauen Bierauto des Korbinian Norz, des Bruckbräu in Holzing, das sich der Gebirgstrachtenverein Pittenham für den Sonntag gemietet hatte. Gesteckt voll war der Lastwagen von den Burschen und Dirndln. Enggepresst sassen sie auf den quergereihten Holzläden, grün und gelb gestickt die Joppen und die Kniebuxen, buntgeblümt die Fürtücher mit den Sträusschen, farbig gefältelt die Röcke, silbern klimpernd die Geschnüre am schwarzen Mieder und die talerschweren Uhrketten. Um die ragende, noch in Schwarz gewickelte Vereinsfahne wehten die Adlerflaume auf den Filzhüten der Burschen und flatterten die langen, schweren Hutbänder an den goldgestickten Tellerkrempen der Mädchen. Eine grosse Staubfahne wirbelte hinterher, auf der Fahrt unter blauem Himmel durch das grüne bayerische Land.
Juchhu! — vom Wagen. Juchhu! — vom Weg als Antwort. Huphup! — das Mahngebrüll des Bierkolosses an Hühner und Hunde. Vorn fiedelten und bliesen die Musikanten: ,Gar ’n wunderliebs Dirndl hab’ i weinen sehn, und da hab’ i ’s halt g’fragt, was dem Dirndl is g’schehn . . . ‘
Juchhu! Der Vogl-Flori fuhr aus seinem Brüten auf. Sein Bruder gab ihm einen Rippenstoss.
„Dort — die Kirch’ — das is Walching!“
Der ganze Gau rund um den Chiemsee war noch zu Urahndls Zeiten „salzburgisch“ gewesen, unter den Mönchen auf der Herreninsel, und über ihnen der allergnädigste regierende Herr Fürsterzbischof von Salzburg, mit seinen Regimentern Gewaffneter oben auf der Feste, seinem adligen Domkapitel, seinem glänzenden Hoftross. Von dorther war das Südliche in das Land gekommen. Das üppige Barock. So wölbte sich auch ob der Kirche von Walching keine spitze, weisse Turmnadel, sondern breit ausladend eine schwarze Zwiebelkuppel auf weissem Stamm. Kleine Fähnchen flatterten schief gesteckt aus ihren Luken, Böllerschüsse krachten vom Hang neben dem Friedhof. Grüne Tannreisgirlanden mit weissen Willkommtafeln spannten sich am Eingang ins Dorf von der Schmiede zum Baderhaus und von der bürgerlichen Tafernwirtschaft zur Molkerei.
Juchhu! Die Pittenhamer wurden mit Musik von dem jubilierenden Gebirgstrachtenverein ,D’ Walchinger’, der heute seine Fahnenweihe feierte, in das Dorf eingeholt. Der Flori und sein Bruder marschierten als Trauerleider in dem Zug nicht mit. Sie stiegen für sich mit der Zenz, ihrer Schwester, und deren Mann, dem Heiss, zu einer Graskuppe empor, von der man weithin über das ganz nahe Bayerische Meer hinsah mit seiner grossen Wald- und seiner kleinen, wie auf dem Seespiegel schwimmenden Klosterinsel, seinem Kranz von weissen Dörfern und Kirchen und Schlössern längs der mächtigen, sonnenhell fern, ganz fern ins Flachland verflimmernden Wasserfläche.
Den Hügel hinauf kam jetzt der Festzug. Vorn der Ornat des Geistlichen. Der Flori nahm, abseits stehend, den Hut in die Linke und bekreuzigte sich. Feierliche Stille der Feldmesse unter freiem Himmel.
In wirren Gedanken stand der Vogl-Bauer. Er hatte die Augen scheinbar andächtig auf den grünen Boden gerichtet. Der Maiwind spielte um seinen blossen, dunklen, widerspenstigen Schopf. Über sich, im Baum, hörte er ein Finkenmännchen zirpen. Dumpf von drüben, vom Altar, das Paternoster . . . .
Et ne nos inducas in tentationem . . . . Der Flori verstand kein Latein. Aber er fühlte in sich deutsch die welschen Worte . . . . Führ’ uns nicht in Versuchung . . . .
Fiat misericordia tua, Domine, super nos . . . Herrgott — jetzt war nicht die Zeit, ans Fannerl zu denken! Überhaupt nicht an die Weibsleuť . . . .
Ja, aber wozu bin ich nachher hier? . . . Sakra — Sakra . . . Herrgott: das gehört sich net, auch nur in Gedanken zu fluchen, wann s’ beten . . .
Dominus vobiscum!. . .
Et cum spirito tuo . . . . . .
Juchhu! Weisswürst’ genug gab’s jetzt da unten im Dorf, beim Mittagläuten, und auf dem Festplatz pochte es am Spund der Banzen, der Bierfässer. Jetzt ward’s weltlich! Jetzt scharte es sich in farbenfrohem Gewimmel um den erhöhten, viereckigen, bretternen Schuhplattelboden inmitten der Wiese. Um den herum in weitem Kreis die buntgestickten Fahnen der Trachtenvereine, mit farbig wehenden Bändern und je einem schwarzen Band, und auf ihm in silbernen Buchstaben die Namen der im Weltkrieg gefallenen Mitglieder, und auf der sonnengeschützten Seite, zwischen den Masten mit den blauweissen bayerischen Wimpeln, die Tribüne für den Gauvorstand und die Grosskopfeten der Umgegend — alle, Herren und Damen, auch wenn sie aus einem Ahnenschloss kamen, heute hier in Landestracht, und weit über die Wiesen, Kopf an Kopf, das Gewoge von Adlerflaum und Gamsbart und flachen, schwarzen Frauenhüten. Und die Münchner Filzl der Sommerfrischler mit dem giftgrünen Band und dem Rasierpinsel hinten, und der scheckige Druckkattun der Dirndlkleider aus dem Berliner Warenhaus — lacht’s fei’ net! — meinen’s auch gut — die Breissen und die Sachsen! — und städtisches Gewand dazwischen genug.
„Is halt gerad’ a Jammer, dass der Vogl nit mitplattelt! Das ist der Ansehnlichste von allen!“ hörte der Flori hinter sich irgendeine helle Stimme. Er drehte sich nicht um. Das war ihm nichts Neues, dass er für die Weiber der Rechte war aus dem Hochgebirge, breit in den Schultern, hager in den Hüften, lang, braun, trotzig, mit Adlernase und dunklem Schnurrbart und heissen Augen, in seiner prächtigen Tracht, gestickte Rehlein auf dem ledernen Leibgurt, Hirschgrandln und Theresientaler über den grünen Weste, das lange Hirschhornmesser drohend aufrecht hinten im Sack.
Eintönig, unermüdlich spielte die Musik den Ländlertakt des Schuhplattlers. Ein Verein nach dem andern schickte seine besten Leuť zum Wettbewerb. Sachkundig verfolgte abseits der Vogl-Flori all die vielen verschiedenen Arten des Plattlers, der den Stadtleuten als ein einziger Tanz erschien — den Steirer — den Haberer — das Mühlradl — den Marsianer — den Werdenfelser — den Heiselratz — den g’spassigen Watschentanz und die wilden Holzhackerbuam mit dem Kopfwurf des einen über die Schulter des andern und scheinbar gezückten Messern.
Dann kriegte der versonnene Vogl-Bauer plötzlich einen derben Stupf in die Rippen, und die Zenz neben ihm raunte vielsagend:
„Jetzt gib fei’Obacht — verstehst?“
„Es hat die Ehre . . . “ rief oben mit schallender Stimme der Leiter der Tänze „ . . . der Gebirgstrachtenverein „D’ Walchinger’!“
Die Bohlen donnerten von den Sprüngen der Nagelschuhe, die Lederschenkel klatschten vom Patschen breiter Handflächen — juchhu! — die Burschen duckten sich im Tanz und balzten wie die Birkhähne. Und in ihrer Mitte drehte sich sittsam, stets auf der gleichen Stelle, das Dirndl des Vereins, die Augen niedergeschlagen, die Hände in das Hüftmieder gestemmt, immer um sich selber, dass die weiten Röcke flogen.
„Dös is die Distl-Vroni!“ sagte die Zenz.
Die Erbtochter beim Distl war gut ein paar Jahr’ über zwanzig, nicht gar zu gross, schmal und schlank, von feiner Figur, zierlich fast wie eine aus der Stadt, eine dicke, weizenblonde Zopflast unterm Hut — hier, auf dem Trachtenfest, litt’s keine Bubiköpfe. Sie hatte ein feines, längliches, wie altdeutsches Gesicht, mädchenhaft streng, mit hellblauen Augen und rosiger Haut.
„Flori — was sagst jetzt?“
„Harb schaut sie her — dei’ Distl-Tochter!“ Der Flori zündete sich, wie sonst beim Kuhhandel, eine Zigarre an, um nach aussen seinen Gleichmut zu bewahren. „Aber sauber is sie scho’ . . . “
„Bildsauber . .“
„Lässt sich nix dawider sagen!“
„ . . . und hält auf sich! Dem Vronerl ihr Ruf — da gibt’s nix! Die is streng mit die Mannsbilder!“
„Glaub’s gern, wann i sie anschau’!“
Die Distl-Vroni guckte einmal flüchtig herüber — aber nur einen Augenblick, wie durch Zufall — und tanzte züchtig im wilden Wirbel der Burschen weiter. Ihre Wangen waren vom Drehen gerötet. Ein paar verstohlene Grübchen um die Mundwinkel . . . .
„Du, Zenz: I mein’ — die hat’s dick hinter den Ohren!“
„Hundertachtzig Tagwerk Land hat sie, du Depp!“
„Das is ganz a G’fährliche!“
„Sechzig Stuck Vieh! . . . Und die Baugründ’, Flori — die Baugründ’ . . . Frag, wen d’ magst: die Gründ’ sind bar Geld . . . “
„Kann leicht sein!“
„Gerad’ nur die Mutter auf dem Altenteil: die is leicht zu haben! Wie lang die’s noch macht! Voriges Jahr, zu Mariä Himmelfahrt, hat sie schon einmal ’s Wasser in den Füss’g’habt . . . “
„Alleweil hat sie wieder hergeschaut . . . “
Die Veronika Distl tanzte immer noch um sich selbst, schon ein wenig atemlos. Jetzt schwang der eine von den Burschen sie mit beiden Armen leicht, als wäre sie eine Strohpuppe, in die Höhe und stellte sie auf die kleinen, weissbestrumpften, in schwarzen Schuhen steckenden Füsse. Die Musik verstummte.
„Gar is!“ murmelte der Flori. Er verwandte kein Auge von der Distl-Vroni.
„Wann i ein Mannsbild wär’, die täť mir g’fallen!“ sagte die junge Heissin von Walching.
Die Distl-Vroni stand da und lachte und wischte sich mit dem Tüchel die heissen Backen und schwatzte unbefangen mit dem und jenem. Die Vogl-Geschwister schoben sich langsam durch das Volkstrachtengewühl auf der buntbewimpelten, musiküberschmetterten Festwiese, immer wieder haltmachend und irgendeinen aus der Freundschaft begrüssend. Denn die Versippung und Verschwägerung dieses alten Bauernadels reichte weithin durch das Oberland.
So kamen sie, wie durch Zufall, bis zu der Distl-Tochter. Der Flori sah sie jetzt ganz aus der Nähe. Sie hatte ein feines, klares, wunderhübsch geschnittenes Gesicht mit ein paar Sommersprossen als Schönheitsfleckerln und einem schmalen, festen, kirschroten Mund und lebhafte lichtblaue Augen unter dichten blonden Brauen.
Ein wenig was vom Herrschteifi . . . Freilich: die Erbtochter . . . Ah — mit dir werd’ i scho’ fertig . . . Der Flori sog nachdenklich an seiner Zigarre, den Hut mit dem Adlerflaum keck und schief auf dem Ohr. Die Veronika nickte der Zenz zu.
„Grüss’ di Gott, Heissin! . . . Is ’leicht dein Bruder — der da?“ Sie bot ihm die Hand. „Hast vor net lang den Vatter hergeben müssen! Mei’ christliches Beileid hinterher!“
„Vergelt’s dir Gott!“
Jetzt kam das Schweigen — das vielsagende. Der Bruder Simon füllte die Pause mit dem alten und ewigen Gesprächsstoff, solange es Bauern gibt:
„A schönes Wetter haben wir heut!“
„Freili!“
„Aber ob’s halt’ . . . “
„Solang’ der Bergwind hergeht . . . “ Die Vroni schaute prüfend hinüber nach der ganz nahen Kette der Voralpen.
„A bissel a Regen täť net schaden . . . “
„Dem Sommerkorn net! Futter haben wir gerad’ genug!“
„Habt’s ihr schon Heuen ang’fangen?“ Es war die erste Frage des Flori. Die Distl-Tochter strich sich die seidene Schürze glatt:
„Noch net viel! Is ja noch früh im Jahr!“
„Alsdann — b’hüt di Gott!“
„B’hüt enk Gott beieinand . . . “