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II.

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Dann aber schirmte der Simmerl die weissen Brauenbuschen mit der Hornhand und blinzelte ungläubig auf das grüne Nutzland um sie her. Sonst waren die weiten Wiesenflächen jetzt im Herbst leer wie ein Bettelsack; das Krähenvolt krächzte darüber hin, und um Mittag stiess der Maulwurf seine lockeren Erdhügel, oder es hoppelte da ein später Junghase unbesonnen am hellen Tag. Aber jetzt . . .

„Alles voller Leut’”, murmelte der Alte. „Alles voller Leut’! . . . Überall steigen’s umeinand . . . Bis wo die Filzen anfangen, stehen’s schon, die Deppen!”

„Die betrachten sich das Anwesen, weil’s halt morgen mitsteigern wollen . . .” Es verschlug der Simmerl-Mutter die Sprache. Sie betete nur wieder innerlich zu Unserer lieben Frau vom Troste . . . Und richtig — da stand schon am Weg so ein Städtischer, Bebrillter, schlecht im Futter und blass um seine spitze Nase herum, mit seiner Frau, grüsste höflich und sagte:

„Sie sind gewiss ein Einheimischer und können mir Auskunft geben!”

„Du kannst mir sonst was!” knurrte der Filzensimmerl verbissen. Der Herr verstand ihn nicht und fuhr fort:

„Ich bin nämlich ein Rechnungsrat aus Augsburg, der das Häuschen da drüben, so für die Sommerferien, gern haben möchte. Den Rest des Jahres könnte es ja leerstehen!”

„Gleich wirst zeitig . . .” brummte der Simmerl, grünes Gift in den Augen.

„Könnten Sie mir den Ankauf des Häuschens empfehlen? Wird es billig zu haben sein?”

„Schau, dass d’ weiterkommst, oder ich lass dir die Därm’ aussi!” zischte es jetzt unheimlich drüben aus den zahnlosen Kiefern unter den weissen Schnurrbartborsten.

„Mathilde — was lässt er?” fragte der Rechnungsrat begriffsstutzig seine Gattin.

„Ihnen Ihre Därm’!” belehrte ein dicker, fröhlicher Mann mit einem mächtigen Gamsbart auf dem Hütl, der daneben stand. „Wissen’s: das ist so eine persönliche Ausdrucksweise bei uns, bald einem etwas nicht recht ist. Der Simmerl ist halt ein Gradaus! Ich tät’ an Ihrer Stelle aber doch gehen, ehe er sein Brotmesser hinten vorlangt!”

„Otto — um Gottes willen — komm!” Das Ehepaar flüchtete im Lauf- und Trippelschritt. Erst ganz fern wagten sie stehen zu bleiben und sich umzuschauen. Der dicke Mann mit dem roten Gesicht lachte und klopfte dem Alten auf den krummen Buckel.

„So ist’s recht, Simmerl! Begehr’ auf! Lass dir net alles bieten!”

„Was soll ich dann tun, Kreuzpointner? Was kann ich dann machen gegen die Grosskopfeten alle — ein armes, altes Manderl wie ich?”

„Wir Gütler stellen uns hinter dich!” meinte der Kreuzpointner, und plötzlich veränderte sich sein blühendes, gutmütiges Gesicht: es bekam einen ganz gefährlichen Ausdruck. „Wir leiden’s nicht, dass dir die G’wappelten dein Häusel wegnehmen. Ich sag’ dir’s: es rumort gewaltig in Stoissham, nach Pfaffing hin und weiter im Land . . .”

„Wann’s was helfen tät’!” seufzte der Simmerl.

„Ich bin ein heisser Mann! Dafür kennt mich an jeder! Sie dürfen morgen in Pfaffing was erleben, wann sie’s zur Versteigerung kommen lassen wollen. Ich bring’ die Bauern in Schwung. Dein Beni da — der ist für so was zu langweilig!”

Der Sohn des Simmerl, der Beni, der sich bekümmert heranschob, war freilich ein Langsamer. Ein Bedächtiger. Man sah es seinem treuherzigen, blondschnurrbärtigen Gesicht an: was der Beni anfasst, das macht er recht. Aber Zeit musst ihm lassen. Sonst ist’s gefehlt. Wird auch nimmer anders, der Beni, mit seinen bald dreissig Jahren.

Des Simmerl-Beni stämmige, untersetzte Gestalt stak in einem städtischen Gewand. Gehört sich so, wann einer Hausdiener in dem Pilgergasthof vom Sebastian Marchl in dem heiligen Alt-Ötting ist und nur gerade für den Unglückstag morgen frei bekommen hat.

Er drückte den Eltern stumm die Hand. Wozu noch viel reden? Das Wasser stand ihm in den gutmütigen blauen Augen. In vierzehn Tagen wär’ man ein Hochzeiter, und der Pfarrer tät’s von der Kanzel allen ausdeutschen, dass der ehrengeachtete Jüngling Benediktus Simmerl vor den Traualtar tritt. Und jetzt ist alles zum Teifi — für ihn und für die Afra!

Die Afra Suppenmoser, seine Braut, stand neben ihm, mit einem verweinten, zarten, dunkeläugigen Gesicht, dicke, dunkle Flechten nach guter alter Art um das schmale Köpfchen, recht ein Dirndl aus den Bergen, aus St. Josef in der Öd — den fernen Bergen, aus denen nichts mehr an Juhu und Zitherklang, an Schnadahüpfeln und Schuhplattlergestampf in die riesigen, weithin weiss über das oberbayrische Städtchen qualmenden Stickstoffwerke von Trostberg wehte, in denen sie, die Afra, arbeitete, gerad’ nur, um dem Beni in dem langen Brautstand nah zu sein.

„Schaut’s nur all die Leut’ beisammen!” sprach ihr Verlobter hilflos, und seinen Vater, den Filzensimmerl, packte die Wut. Er lief knickebeinig, mit geballten Fäusten auf die nächste Gruppe zu und keuchte einem vierschrötigen Jungkerl ins Gesicht.

„Was bist? Ein Stallschweizer bist — mit deiner Freundschaft um dich rundumadum? Steigern willst? Ich rat’ dir: lass das unterwegens! Das Gütl taugt eh’ nix! Der Boden hat kein Schmalz! Ich muss dasselbige ja wissen. Mir gehört’s doch!” Der Alte überhastete die Worte, um sein Gütl, sein liebes Gütl, schlecht zu machen. „Da derfst lang düngen! Wann das Grundwasser steigt, laugt’s dir sauber wieder alles aus!”

Jetzt bekam auch der Beni Schneid und rannte auf ein paar Männer los, die hinten beim Häusl neugierig in den kleinen Kuhstall guckten.

„Ihr Viehschmuser, ihr! Wir werden net alt miteinand! Die Viecher — die bleiben im Stall! Da stell’ ich mich morgen davor! Schaut’s, dass ihr weiterkommt — ihr Kaschperle — ihr verdächtigen!”

„Lassen wir den saugroben Lackl!” Die Viehmakler trollten sich. Weiter in den Wiesen faltete die Simmerl-Theres die zitternden, gichtigen Knochenfinger vor einem Heuhändler.

„Steh’ dir doch net die Haxen in den Bauch! Habt’s doch ein Mitleid. Lasst uns doch unser Häusl!”

Und selbst die sanfte, kleine Afra schrie mit ihrer klagenden Kinderstimme den Jüngling an, der durch einen Zwicker das Moor prüfte und sich Notizen machte:

„Ein Agent für Prestorf sind’s? Ja — schamen’s Ihnen denn gar nicht, den Leuten das Letzte zu nehmen?”

„Lassen wir halt den alten Deppen, dem wo der Kalk schon im G’hirn raschelt!” sprach, mit einem Blick auf den Simmerl, drüben der Stallschweizer zu seinem Anhang und ging. Es war keinem wohl bei dem Geschrei und Gejammer der Simmerl-Leut’! Da biss einen was! Leicht kein Floh, sondern ein Stückel schlechtes Gewissen. Einer nach dem anderen machte sich still auf den Heimweg. Die Wiesen wurden leer. Der Simmerl wischte sich mit dem Handrücken den Zornschweiss von der Stirn und nickte:

„Für heut’ sind wir sie los!”

„Ist noch nicht Abend!” sprach dumpf der Beni.

Und da fragte auch schon gleichzeitig, eine Viertelstunde von dem Gütl entfernt, ein, für seine dreissig Jahre bereits etwas dicklicher, junger Herr in einem grellkarierten Ulster und modischen Münchner Schlapphut in gönnerhaftem Ton:

„Du — Mirzl — oder wie du heisst — sind wir hier recht beim Simmerl?” Zu seinem Begleiter, einem schon älteren Herrn, mit einem feinen, nervösen Gesicht, in Lodenmantel, Lodenhütl und Galoschen: „Das kann doch nicht stimmen, Baron!”

Nein. Da war kein weissgetünchtes, langgestrecktes Bauernanwesen mit Dunghaufen und Tennenauffahrt. Es stand hier ein schmuckes, braungestrichenes, untermauertes, norwegisches Holzhaus und seitwärts ein kleiner Nebenbau, der den Eingang zu einem, hoch mit Drahtgitter umzäunten Geflügelhof bewachte. Da drinnen wimmelte und gackerte es vor den niederen Holzställen von ein paar hundert rebhuhnfarbenen Hühnern. Die Magd, die der junge Herr gefragt hatte, war mit dem Ausreiben von Futternäpfen beschäftigt. Es fiel ihm auf, dass sie dabei alte Lederhandschuhe trug — so eine Mollen, um die Hände zu schonen! — ferner Holzpantinen gegen den Schlamm des Federviehhofs und eine mächtige, blaue Schürze. Sie hob den blossen, braunen Kopf. Er sah in das frische, hübsche, gebildete Gesicht einer Städterin — das war schon etwas Besseres — ein Gesicht zu Ende der Zwanzig, gesund gebräunt, mit lebhaften, braunen Augen.

„Da sind Sie von Stoissham umgegangen!” sagte sie. „Das hier ist die Hühnerfarm Erika.”

Der junge Mann hörte das reine, helle Norddeutsch. Er spürte so etwas Damenhaftes, Kühles. Ein breites, verlegenes Lächeln lief über seine, ein wenig gedunsenen, verwähnten, glattrasierten Züge mit den trägen, kleinen, dunklen Augen.

„Da bin ich ausgerutscht!” sagte er gemütlich in lässigem Münchnerisch. „Ich muss meine Entschuldigung machen, Fräulein Farmerin, oder wie darf ich sagen? Ihnen gehört sie doch sicher, die schöne Farm Erika?”

„Ja.”

„Und heisst die, wenn ich dumm fragen darf, nach Ihnen Erika?”

„Sie sehen doch rings das Heidekraut! Zum Simmerl müssen Sie jetzt da links quer über das Feld!”

Der dicke, junge Herr aus München liess den Blick sinnend über den Geflügelhof schweifen. Er trug einen mächtigen Siegelring, einen flimmernden Diamanten als Busennadel und einen dicken Goldgriff an dem Bambus-Spazierstock.

„Das hier bewirtschaften’s alles allein, Fräulein?” fragte er in seiner weichlich-trägen Art. „Ohne ein Mannsbild? Ach geh!”

„Das trägt’s nicht! Wollen Sie Eier kaufen? Oder fette Suppenhennen? Sonst bitte . . .’

„Mutti . . . Mutti!” Ein achtjähriges Mädelchen im Dirndlkleidchen, mit zwei Rattenschwänzchen von Zöpfen und blossen Beinchen in Haferlschuhen, sprang aus dem Blockhaus. Ein Bub, ein Jahr älter, in grauer Hirschhornjoppe, kurzen Lederbuxen und blossen Knien hinterher. „Es geht auf die Nacht. Wir müssen die Eier suchen!”

„Jesses — Kinder haben’s auch noch!” sprach der junge Münchner ergriffen.

„Adieu!”

„Na — wenn Sie nix von mir wissen wollen — no ja — das is halt das harbe Norddeutsche — das kennt man schon! Dank’ schön! Hab’ die Ehre, gnä’ Frau!”

Der Fremde stiefelte durch die Streuwiesen davon, ohne sich um seinen Begleiter zu kümmern. Dieser trat geheimnisvoll auf die junge Frau zu. Sie war aufgestanden und schaute, mittelgross, schlank gewachsen, mit ruhiger Sicherheit auf den unscheinbaren, nervösen Herrn im schlichten Lodenmantel vor ihr, der trotz alledem etwas Verwittert-Vornehmes an sich hatte.

„Ich muss die Gelegenheit wahrnehmen, gnädige Frau! Ich tue das in jedem Falle. Bin nämlich Gütervermittler. Darf ich Ihnen meine Karte überreichen? Baron Erwin von Pfeidt zum Sand. Ich berate jetzt soeben den Herrn Kürbl aus München da. Er will das Simmerl-Anwesen erstehen!”

„Ja, bitte . . .”

„Gnädige Frau . . .” Der Agent faltete beschwörend die Hände unter dem Kinn. „Wenn Sie die Hühnerfarm loswerden wollen, dann denken Sie an mich: Sie können sie auf die Dauer nicht halten!”

„Ich hab’ sie schon über ein Jahr!” Die junge Frau nickte ihm belustigt zu. Es war ein zwinkern in ihren glänzenden, braunen Augen: ,Den Schwindel kennen wir!‘

„Ich bin doch Fachmann in Grundstücken! Wie viele sind schon mit ihrer Hühnerzüchterei mit Schuh’ und Strümpfen pleite gegangen!”

„Weil sie falsch gespart haben!” Die klaren Züge der jungen Farmerin belebten sich im Eifer des Fachgesprächs. „Wenn man natürlich Fischmehl füttert, wird das Dotter eine weissgelbe Brühe! Und sofern man die grosse Mode mit den weissen Leghorns mitmacht — die sieht natürlich der Habicht auf zwei Meilen!” Ihr Antlitz war sachlich entschlossen. „Ich bleibe bei den rebhuhnfarbenen Italienern und bei dem freien Auslauf. Die ganzen Filzen, bis zu der einzelnen Kiefer drüben, habe ich für ein Spottgeld gepachtet!”

„Trotzdem . . .” rief der Agent verzweifelt.

„Ausserdem, wenn es Sie schon interessiert, beziehe ich eine Pension als Hauptmannswitwe!”

Der Baron Pfeidt rechnete blitzschnell im Kopf.

„Dann schaffen Sie’s vielleicht, gnädige Frau!” sprach er. „Aber allenfalls — bitte schön, gnädige Frau: darf ich mir wenigstens Ihren Namen in mein Büchel schreiben?”

„Wenn Ihnen der Name Gertrud Hellwig etwas sagt. . . Und nun laufen Sie, dass Sie Ihren Herrn nicht verlieren!” Sie drehte sich um. „Kinder — kommt! Ich hab’ so ein paar Hennen im Verdacht!”

Es gab Hühner, die heimlich da draussen statt im Stall legten, ganze Nester voll Eier, die man retten musste, ehe Krähe und Wiesel das Tischleindeckdich lobten. Die junge Frau und die beiden Kinder gingen suchend, den Blick am Boden, durch das kurzgemähte Riedgras. Das Mädelchen fragte:

„Mutti — dürfen wir jeden Monat das Geld holen, weil der Pappi weg ist?”

„Ja — Lütte!”

„Mutti — kommt der Pappi nicht einmal wieder?”

„Nein, Kind: der Pappi kommt nicht wieder!”

Nach einer Weile:

„Mutti — hat mich der Pappi wirklich niemals gesehen?”

„Nein — Lütte! Der Pappi hat dich nicht mehr gekannt.”

„Und ich werde den Pappi auch nie sehen?”

„Wenn du ganz lang, lang gelebt hast, dann wirst du ihn sehen! Da, wo der Pappi jetzt ist!”

„Mutti, muss ich da nach Frankreich?”

„Nein!”

„Du sagst doch immer, der Pappi liegt in Frankreich begraben?”

„Ach — sei still, Lütte! Du tust mir weh!”

Von der anderen Seite zupfte der Hansel:

„Mutti — wer war denn der dicke Herr, mit dem du vorhin gesprochen hast?”

„Ich weiss es nicht, und es interessiert mich auch nicht!” sagte Gertrud Hellwig. „Er hat gutmütig ausgeschaut, wie so ein rechter Münchner. Aber trauen tät’ ich dem doch nicht über den Weg!”

„Jetzt hat ihn der andere eingeholt!” Der Hansel streckte den Zeigefinger aus. „Ganz dahinten gehen sie beisammen!”

Simmerl

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