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V.

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Der Simmerl-Nikodem stapfte weiter „pfeilgerad” in die Nacht und das Moor hinaus. Hätte einer den gebückten Alten da keuchend auf seinen Säbelbeinen über den quatschenden Sumpfboden humpeln gesehen, der durfte meinen, der Filzgütler würde durch Irrlichter auf Nimmerwiederschauen in den Morast verlockt. Denn da draussen bewegten sich unruhig Feuerpunkte in der Finsternis hin und her, blinkten auf und verschwanden.

Aber den Simmerl kümmerte das nicht. Auch nicht die vielen hundert stillen Nachtmänner, die undeutlich rechts und links von dem Knüppelweg standen. Das waren keine toten Seelen oder sonst etwas Grausames, sondern die Türmchen von übereinander gestapelten und gekastelten, in der Luft trocknenden Torfstücken. Und die huschenden Irrlichter waren die Laternen von spät in ihr Lager heimkehrenden Torfstechern, und deren wandernde Barackenburg selbst war ein in der unendlichen Nacht verlorenes und verschwommenes Stück Dämmerschein von Licht und da und dort zerstreuten, hellen kleinen Fenstern.

Manche der Scheiben waren schon dunkel. Dahinter schliefen sie nach des Tages Müh’ und Arbeit — die Filzarbeiter, mit Weib und Kind in ihren flüchtig genagelten Holzbuden, und die Unverheirateten unter der dünnen Dachpappe ihrer Hütten. Kaum dass irgendwo ein Säugling greinte oder ein Köter kläffte, als der Simmerl vorsichtig, als wär’ er ein Dieb in der Nacht, der noch hell erleuchteten Kantine zuschlich.

Drinnen in dem Wellblechschuppen schrien sie hübsch durcheinander, die Filzer — könnt’st meinen, das wär’ wie vor der Rauferei auf der Kirchweih! Es waren keine Läden vor den Fenstern. Der Simmerl konnte leicht, wenn er das verrunzelte, bange Gesicht der Scheibe näherte, in den tabakblauen Raum voll Torfleut’ blicken. Da waren zwei Parteien — das sah er gleich — die standen einander drohend gegenüber — recht in Hitze beide, wo’s doch schon für Maulschellen und Messer viel zu spät auf die Nacht war. Die einen, das waren weitaus die Mehrheit. Und der vor ihnen — ihr Fürsprecher — der Simmerl faltete die Hände — gelobt sei Jesus, Maria und Josef — das war er selbst — der Grosse, der Starke, der Nothelfer, hager, lang, sehnig von Gestalt, in seinen hohen Dreckstiefeln, mit seinem wilden, braunen Haarbusch und dem dichten, braunen Bart über das halbe Gesicht, der ihn älter machte als er überhaupt war. Mochte nicht viel über die Dreissig sein, bald du ihn näher anschaust, und Augen hat er im Kopf — da derfst dich schon fürchten — seine Stimme geht hart und hell, ganz wie von einem Herrischen, der das Befehlen gewohnt ist, so wie’s der Simmerl in seiner fernen Dienstzeit vor vierzig Jahren bei den Luitpold-Kanonieren in München gekannt hat, laut genug, dass man’s durch die Scheiben hört.

„Sie sind völlig überflüssig in Deutschland”, sagt der gefährliche Torfstecher da drinnen schneidend zu seinem Widerpart in der Kantine und dessen Häuflein finstere Gesellen hinter ihm. Er spricht hochdeutsch, gerad’ wie die Städtische da hinten in der Farm. „Sie, und ihr roten Brüder aus Moskau alle, die hier wie die Flöhe in den Filzen herumwimmeln! Schauen Sie, dass Sie nach Russland heimkommen, und überlassen Sie die dummen Kerle, die Sie hier verhetzt haben, gefälligst mir! Ich werde schon dafür sorgen, dass die Kameraden wieder zur Vernunft kommen und gute Deutsche werden!”

„Was hat denn der ,Golds Russki‘, der Latrinenwisch, hier zu suchen?” donnerte er plötzlich und fegte mit einer unheimlichen Bewegung der flachen Hand, so als wollte er einen köpfen, ein verknülltes, fettfleckiges Zeitungsblatt vom Tisch: „Wenn es in Russland so herrlich ist, wie Sie’s hier den Leuten in den Filzen predigen — warum leben Sie denn dann hier in der Fremde im Dreck? Weshalb zieht’s Sie da nicht mit Gewalt nach dem Moskauer Paradies zurück — he — Herr Jefroykin?”

Der, mit dem der Wildäugige sprach — der Simmerl sah es durch das Fenster — war schon ein z’widerer Mensch — flachbrüstig, mit schmalen Hängeschultern. Rötliches Haar hatte er, einen rötlichen Vollbart und stechende, schwarze Augen. In dem unstäten Elsternblick, mit dem er dem anderen ins Gesicht schaute, in der krummen Nase und der hängenden Unterlippe, in dem aufgeregten Händegefuchtel und geschmeidigen Schulternzucken steckte selbst für des Filzensimmerls unkundigen Blick schon der echte Schlawiner, so einer aus dem Ghetto des fernsten Ostens. Auch sein geläufiges, aber fremdartiges, sonderbar singendes Jiddisch-Deutsch mit dem uralten, unheimlichen Lächeln der Lippen besagte genug.

„Hättet ihr mich nicht im Krieg gefangen nehmen sollen, Herr Johannsen! Wäre ich nicht nach Deutschland gekommen!”

„Alle russischen Kriegsgefangenen sind seit vielen Jahren zurück!”

„Nü — ich bin geblieben! Es sind viele noch da! Es sind noch mehr gekommen!”

„. . . weil unsere schlappen Regierungen euch nicht hindern, das Volk zu vergiften . . .”

„Was heisst vergiften?” Eine kränkliche Schulterbewegung Jefroykins.

„. . . sondern sie lässt euch ungehängt in Deutschland herumlaufen, um sogar hier, wo sich Fuchs und Wolf gute Nacht sagen, uns allerärmsten Leuten zur Last zu fallen!”

„Armes Volk. Sehr armes Volk!” sprach Jefroykin mit einem weichen, nachgiebigen Lächeln. „Muss man aufklären! Arbeite ich in der Mitte der Ärmsten . . .”

„Wer hat Sie denn je schon mit einem Grabscheit in der Hand gesehen, Chaim Jefroykin?” Der Torfstecher Johannsen trat dicht vor den Rothaarigen hin, der ihn rätselhaft von unten her aus seinen geröteten Lidern anblinzelte. „Bei der Arbeit daneben stehen und aufhetzen — das ist Ihre Tätigkeit. Woher haben Sie nur immer Geld, während Sie nichts tun? Von welcher Stelle bekommen Sie die verfluchten Hetzblätter, die Sie überall verteilen?”

„Frag’ ich nach Ihren Sachen?” sagte Jefroykin. „Nix kümmere ich mich darum, Herr Johannsen! Tät’ man auch vielleicht manches Interessante hören!”

„Das einzige Bemerkenswerte an mir ist, dass ich alle die Kameraden da hinter mir wieder zu guten Deutschen bekehrt habe. Die waren mutlos. Ihnen war die Zeit zu viel für unser bisschen Menschenverstand. Sie waren verdrossen. Vielen war überhaupt alles gleich. Diese alle habe ich aufgerüttelt. Weithin, wo die Lager in den Filzen sind. Das ist gewiss nicht mein Verdienst! Es geht so von mir aus. Die glauben jetzt, dass es einmal wieder bei uns in Deutschland besser wird, und haben neuen Mut! Da sollen Sie rotes Moskauer Gespenst mir nicht mehr lange in die Quere kommen! Schauen Sie jetzt zu, dass Sie in nächster Zeit von hier verschwinden, oder . . .”

„Nü — oder . . .?”

„Oder ich werde dafür sorgen, dass Sie kein Vergnügen mehr am Aufenthalt hier finden!”

Jefroykin ging nach der Tür, ein paar finster blickende Filzer mit ihm. Er hatte immer eine demütig gebückte Haltung, aber dabei ein grausam listiges Lächeln, während er noch einmal stehen blieb und sagte:

„Glaub’ ich nicht, dass Sie mir etwas tun!”

„Verlassen Sie sich darauf, dass ich Sie auf den Trab bring’!”

„Wie denn? Und die Behörden? Werden Sie sagen: die Behörde ist weit. Sie findet nicht leicht den Weg hier heraus! Aber wenn hier etwas geschieht, kümmt sie doch — die Behörde . . .”

„Dann wird sie endlich mit der Nase darauf gestossen, was Sie sind, und was Sie hier treiben!”

„Sag’ ich Ihnen das Gegenteil!” Die Sprechweise des Moskauers wurde plötzlich schnell, rabulistisch. Das geläufige Händespiel verwandelte sich in einen Dolchstoss mit dem Zeigefinger gegen den straff breitbeinig, finster dastehenden Torfstecher Johannsen. „Wird die Behörde nicht mich suchen, sondern den, der Gewalt gegen Chaim Jefroykin aus Kischinew verübt hat. Wird Sie, Herr Johannsen, nicht mich fragen: Nü — wer sind Sie eigentlich? Zeigen Sie doch mal Ihre Ausweise! Gottes Wunder — was sind das für welche? Gibt’s nicht auch falsche Papierchens, Herr Johannsen? Was sagen Sie nü?”

„Hinaus jetzt!”

„Ich hab’ nix gesagt!” Jefroykin trat eilig über die Schwelle. „Hat das ’ne Wichtigkeit, was ich red’? Ein armer Ausländer?” Er blickte noch einmal schadenfroh über die Hängeschulter zurück. „Vielleicht überlegen Sie sich’s noch, Herr Johannsen! Meinen Sie nicht?”

Chaim Jefroykin schlurfte mit seinen Getreuen davon, einer etwas abseits gelegenen Baracke zu. Dort war in dem Torfstecherlager das Standquartier Moskaus, auf dessen schwarzem Pappdach bei Tag das blutrote Sowjetfähnchen im Ödwind flatterte, und an dessen Holzwand innen die Bilder Lenins und Liebknechts angenagelt waren.

Der Filzarbeiter Johannsen stand hell im Licht, auf der Türschwelle der Kantine, hager, straff und sehnig, mit auf der Brust gekreuzten Armen, und blickte verächtlich aus seinen durchdringenden blauen Augen dem Rückzug Russlands nach. Hinter ihm drängten sich die verwetterten und verwitterten, braunen Köpfe der Torfgräber. Einer von ihnen, ein grosser, kräftiger, bärtiger Mann mit dem verwaschenen Band des Eisernen Kreuzes auf der ausgeblichenen Arbeitsjoppe hob eine arbeitsharte Faust.

„Ich tät’ dem Russki, dem hundsledernen, gleich auf der Stell’ an Schwung geben . . .”

„. . . dass er bis nach dem Moskau hintri fliegt”, ergänzte mit heller Stimme ein junger Fanatiker, fast noch ein Bub. Johannsen zupfte ihn väterlich am Ohr.

„Red’ nicht mit, Domini! Das verstehst du noch nicht!” Und dann zu dem alten Frontsoldaten: „Schau, Gori — mir zuckt’s ja auch in den Fingern. Aber es heisst warten!”

„Meinst, Klaus?”

Der Torfstecher Klaus Johannsen nickte.

„Ich will erst den Ort im Moor ausfindig machen, wo der Jefroykin seine verdammten Hetzschriften versteckt hält und von da aus verteilt. Das muss ein ganzes grosses Lager von stinkiger Druckerschwärze sein. Es ist wie ein heimlicher Brandherd mitten im Moor. Dort trifft sich der Jefroykin nachts mit den anderen Moskowitern, und sie hecken neues Sauzeug aus. Da möcht’ ich sie, wenn sie schön auf einem Haufen beieinander sind, mit euch zusammen . . .”

„. . . umzingeln und fei’ abzwicken!” rief der bärtige Gori begeistert.

„Ich bin ihnen schon auf der Spur!” sagte Klaus Johannsen. „Heute vor Sonnenaufgang schleich’ ich mich auch wieder hinaus!” Er beugte misstrauisch den hartgeschnittenen Kopf vor. „Da hinten rührt sich doch etwas im Schatten?”

„Gleich gehst bei!”

„Ja — wer is denn das Manderl aus der Nacht?”

„Ich kenn’ ihn nie net!”

„‘s is halt der Filzensimmerl!” rief die Knabenstimme des Domini Kastl. „Weiter nix!”

„Ja — was machst denn nachher du hier? Du zitterst ja am ganzen Leib! So red’ doch!”

„Tut dir keiner was, Simmerl!”

Das alte Bäuerlein krampfte den Hut in den Händen. Es humpelte erschöpft in die Mitte der Filzer. Die heissen Tränen liefen ihm über das verrunzelte Gesicht. Es keuchte:

„Helft’s, Leut, helft’s!”

„Bist leicht dem Radl-Kramer begegnet?”

„Selbiger Näuber wär’ mir lieber als der dicke Teifi, der wampete Münchner, oben beim Alten Wirt in Stoissham. Der hat a Geld! Er macht vor allen Leuten seine Brieftaschen auf. Da stecken die Tausendmarkscheine übereinander, dick wie die Kirchweihnudeln!”

„Was geht das dich an, Simmerl! Du bist alt! Wannst wieder auf die Welt kommst, wirst vielleicht ein ganz Reicher!”

„Mit dem Geld will er mir doch mein Gütl nehmen!” wimmerte der Filzensimmerl. „Das tät’ der Radl-Kramer nie net! Da würd’ sich selbst ein Räuber im Wald schämen! Aber der Wampete aus München net!”

„Die Stoisshamer haben mir zwar versprochen, sie ziehen morgen vor dem Notar seinem Haus auf und lassen keinen herein”, wandte er sich atemlos an die gedrängten, braungebrannten Gesichter in der Runde. „Aber schaut’s: die Stoisshamer haben selber Häuseln. Denen bangt’s am Ende um ihr eigenes bissel Fahrnis, wann’s wider die Obrigkeit aufbegehren! Ihr hier — ihr seid nix! Ihr habt nix! Euch kann keiner etwas nehmen! Ihr dürft’s Mäu’ aufmachen! Und wann sie sogar einen von euch einsperren täten, so hat er’s im Winter dort wärmer als hier draussen und tut sich leichter mit der Arbeit!”

„Ich hab’ wie ich jung war, akkurat so Torf gestochen wie ihr, um mein Gütl zu gewinnen!” Der Filzensimmerl hatte das Hütl auf den weissen Kopf gestülpt und faltete die Hände. „Ich weiss, was dies für ein blutsaures Brot is — genau wie ihr. Ich bin einer von den eurigen! Ihr tätet euch ja so leicht mir zu helfen. Ihr geltet für keine Guten, wann man euch z’nahe kommt. Wann ihr euch bloss beim Notar draussen hinstellt und redet miteinander übers Wetter oder sonst etwas, nachher getraut sich der dicke Saukerl mitsamt seinen Tausendmarkscheinen gar net erst hinein!”

„Wir lassen ihn fei’ net durch, bald er kommt!” rief der junge Kastl-Domini. Klaus Johannsen winkte ihm ab.

„Erst soll mir der Simmerl genau erzählen, wie alles liegt!” sagte er. „Dann werden wir schauen!”

Der Filzensimmerl berichtete, unter Zittern und Tränen. Er schloss:

„Ich hab’s gerad’ gesagt, wie’s eben is! Wahr und wahrhaftig! Da tu’ ich darauf einen Eid . . . Wer weiss, wie bald ich heimfahr’! Da möcht’ ich doch net als Sünder vor unserm Herrgott hinstehn. Also glaubt’s mir, ihr Leut’!”

„Simmerl — du lügst nicht! Das merkt man dir an!” Der Torfstecher Johannsen schaute aus seinen stahlblauen Augen auf die schweigenden Arbeitsmänner aus Moor und Moos um ihn her. Er fragte sie nicht. Er befahl:

„Kameraden: dem alten Mann da geschieht bitter unrecht! Da mag in den Gesetzbüchern stehen, was will! Dem Alten verteidigen wir sein Gütl. Wir lassen morgen eine halbe Tagschicht fahren und marschieren nach Pfaffing!”

„Und jetzt hör’ auf, dich zu bedanken!” sagte er, als der Simmerl kein Ende fand mit Händedrücken, und wie er mit den Seinen für sie alle wegen der Guttat fleissig beten wollt’, „und mach’, dass du heimkommst! Was hast du denn noch?”

„Ich hätt’ bald auf einen Auftrag vergessen!” sprach der Simmerl. „Von der Städtischen! — Weisst — die da drüben — die unserm Herrgott ins Handwerk pfuscht und macht sich die Gickel selber in einem Kasterl mit einem Ofen. Sie spricht, sie kennt dich vom Sehen und du sie auch . . .”

„Ja!” sagte der Torfstecher Johannsen schnell und lebhaft. „Was ist denn mit ihr?”

„Warum regst dich denn so auf?”

„Ach — nichts!”

„Ich hab’ gedacht, die Hühnerfarmerin, die neumodische — sie ist selber so eine abscheuliche Henne. Aber bald du mit ihr red’st, ist sie ganz kommod. Und sie lässt dir sagen, sie tät’ auch recht schön für mich bitten!”

Klaus Johannsen lachte. Er hatte plötzlich ein ganz verändertes belebtes Gesicht.

„Also — wenn du die Dame wiedersiehst”, sagte er, „dann bestell’ ihr von mir, ich tät’ es schon von mir aus. Aber ich freute mich, dass sie auch ein Herz für fremde Not hat! Leb wohl, Simmerl!”

Das ist ein froher Heimweg, Simmerl! Durch die stockfinstere Nacht, in der am Himmel tausend Sterne tröstend funkeln, als spräche unser Herrgott: „Simmerl — ich bin doch da!” Leicht wird der breiige Moorweg dem Simmerl, als wär’ er zwanzig Jahre jünger. Mit einem dankbaren Lächeln um die eingefallenen Lippen tritt er daheim in die Stube und stösst nur hervor:

„Helfen tun’s! Z’sammenhalten tun’s alle!”

Die Angehörigen Simmerls sind sämtlich wach — sein Weib und sein Sohn, der Beni, und die Afra, die Braut. Der Simmerl setzt sich hin und berichtet. Dabei wird ihm die Stimme unsicher, und er stockt. Die Seinen sind doch nicht so froh, wie er denkt.

Die beiden Frauensleut’ — sie haben Angst vor Gewalttätigkeiten morgen in Pfaffing! Wann da nur kein Blut fliesst!

„Mei: Im Wirtshaus ist das am Sonntag manchmal der Fall! Dafür haben wir den Doktor und den Bader auf der Welt. Aber so sind’s — die Weibsleut’! Da darf man nix drauf geben!”

Der Beni wieder — der braucht Zeit, nach seiner Art. Der hat es sich jetzt überlegt und fragt:

„Ja — und die Schandarmerie?”

„Was vermag der Wiesböck und der andere Wachtmeister zu zweit gegen soviel Leut’?”

„Ihr letzt hier draussen in der Öd!” spricht der Beni. „Ihr seid da nicht kundig. Ich bin jetzt seit Jahren in der Stadt. Da weiss man mehr von so etwas! Dort sind die Behörden.

Übereinander sitzen’s da — die Ämter! Meinst, die Behörden lassen mit sich spassen?”

„Ja — und was sollen’s denn tun — die Ämter?”

„Hast noch nie etwas vom Telefon gehört? Und von Lastkraftwagen? Mit denen schicken’s in einer halben Stund’ Schandarmen, soviel sie nur gerad’ mögen, nach Pfaffing! Nachher ist’s g’fehlt!”

Jetzt herrscht tiefe Stille in der Stube. Die Filze draussen schweigen. Und die Menschen, die hier leben, haben’s von ihnen gelernt. Jedes denkt sich sein Teil. Dann steht die Simmerl-Mutter auf.

„Ich geh’ schlafen!” spricht sie erschöpft. Mit ihr steigt die Afra die Hühnertreppe zum Oberstock des Häusels empor. Der Beni ist in den Stall gegangen. Von da holt er sich ein paar Bund Heu, macht sich in der Milchkammer ein Lager und wirft sich drauf, ein paar Minuten später könntest du lange rütteln, bis du ihn aufweckst.

„Vater — wo bleibst denn? Kimm!” ruft von oben die zittrige Stimme des alten Weibleins. Aber der Simmerl schüttelt den weissen Kopf.

„Ich kann net schlafen! Ich bleib’ hier unten!”

Auf der Ofenbank sitzt der Simmerl. Die Kacheln dahinter sind noch lau. Kannst du zur Not noch den alten Buckel wärmen und vor dich hingucken, in den gelben Lichtschein der Petroleumlampe auf dem Bauerntisch und spintisieren.

Recht hat er, der Beni: sie werden sich schon nichts bieten lassen, die Herrn in Pfaffing! Werden telefonieren, und da hupt’s schon, die Lastwagen kommen angerollt, und auf ihnen hocken die Gendarmen gleich reihenweise, wie die Krähen auf den Telegraphendrähten.

Der alte Simmerl fängt an zu schnaufen vor Angst. Er denkt weiter: die Gendarmen springen vom Wagen herunter, drängen die Leute zurück und bilden zwei Ketten vor dem Notar. Mitten zwischen ihnen durch stolziert, so recht dick und aufgeblasen, der Münchner ins Haus hinein, keiner darf ihm etwas tun. Die Gendarmen schützen ihn . . .

Was sollen sie da machen? — Wenn sie überhaupt kommen — die Stoisshamer?

Der Filzensimmerl wischt sich den Angstschweiss von der Stirn. Er kann sich nicht wehren. Das ist bei ihm jetzt schon ein Zwangsbild: da sitzt der Notar und liest etwas vor. Drinnen steht der Münchner, nimmt die Feder und unterschreibt etwas. Nachher gehört das Simmerl-Gütl halt ihm. Und draussen passen die Gendarmen fei’ auf, dass keiner den Teifi stört!

Was sollen sie da machen — wann die überhaupt kommen — die Filzer?

Na — mein Lieber — so geht’s nicht!

Der Filzensimmerl stand mühsam auf und schaute durch die Scheiben. Die Neumondnacht war nicht mehr so schwarz als bisher. Es lag schon etwas wie das erste ahnende Morgengrauen in der bittern, zähen Nebelluft.

In ein paar Stunden darfst betteln gehn, mein Lieber, wann du den Teifi nicht aus der Welt schaffst . . .

Der Simmerl-Beni, der Sohn, hatte einen gesegneten Schlaf. Aber im Oberstock weckte die dunkeläugige Afra die alte Theres.

„Mutter — mir ist gerad’, als wär’ eben die Haustür gegangen . . .”

Die beiden Frauen machten sich ein bisschen zurecht und stiegen die Treppe hinunter. Im leeren Wohnzimmer verqualmte die Petroleumlampe.

„Jesses — wo ist denn der Vater hin?”

Nirgends in dem kleinen Haus. In dem kleinen Stall. In der Holzlege. Im Waschhaus. Da war kein Ort, wo sich der Filzensimmerl unbemerkt hätte aufhalten können.

„Er wird sich doch kein Leid angetan haben?” Die alte Simmerl-Theres rang die Hände. Der Beni war jetzt auch auf die Beine gekommen. Er überlegte. Dann zeigte er auf einen leeren Nagel an der Wand.

„Da hat’s Gewehr gehangen!” sagte er. „Das hat der Vater mit sich hinausgenommen. In die Nacht!”

„Um Gotteswillen — spring’ ihm nach!”

„Wie soll ich den Vater da draussen finden, wo du kaum schon die Hand von den Augen siehst? Jetzt kannst nix tun als beten, Mutter!”

Simmerl

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