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IV.

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Also ganz gross und vierecket is er dagestanden, auf der Wiesen vor meinem Häusl, der Teifi”, berichtete keuchend, mit irren Augen der Filzensimmerl den Bauern, die sich um ihn drängten, „und hat mir mein Hab und Gut abgefordert — der Münchner Aff’, der g’schnakelte, mit der Zigarre im Maul! Ich hab’ zuschlagen wollen, ihr Leut’, und ich hab’ mich nicht getraut! Derselbige hat zu grausame Augen gehabt und einen angeschaugt! Da kannst nix machen!”

„Und morgen, vor dem Notari, da wird der wampete Teifi wieder vorhanden sein”, schrie der Simmerl weiter, „und mir mei’ Häuserl absteigern. Er hat’s mir fest versprochen, eh’ dass er gegangen is! So einer hält sein Wort! Der lasst net aus! Das ist einmal gewiss. Ihr müsst mir helfen, Leut’! Ich bitt’ euch um eurer Seligkeit willen — helft’s!”

„Dös is a ganz a raffinierter Bazi”, bestätigte der Bacherlvater, und wies mit dem schiefen weissen Kopf zum Kirchturm hinauf. „Sturm müsst’s läuten — jetzt noch auf d’ Nacht, dass sie’s in den Dörfern rundum hören!”

„Ruhe jetzt!” gebot der breitschultrige Gendarm Wiesböck mit der strengen Dienstmiene eines Feldgrauen von einst.

„Ruhe — sagen’s?” schrie der hitzige Kreuzpointner, der mit seinem Anhang vom „Alten Wirt” her eingerückt war. „Wir Bauern wollen ja bloss Ruh—e haben — vor dem Gerichtsvollzieher . . .”

„. . . der heut’ wieder in Stoissham von einem Haus zum andern gelaufen ist”, ruft der hemdsärmelige Bürgermeister. „Ja — wo sollen wir’s denn hernehmen? Aus dem Mist kratzen können wir’s net!”

„Da schmeiss ich bald lieber meine ganze Sach’ hin und geh’ nach Amerika.” Eine rauhe Stimme von irgendwo aus dem Hofdunkel: „Dort könnt ihr mich gern haben!”

„Da!” Der Kreuzpointner hatte einen Stall aufgerissen und leuchtete mit der Laterne hinein. „Da schaut’s die gepfändeten Küh’! . . . A jede kein mit dem Wapperl auf dem Kopf!”

„So schaugt’s bei jedem hier im Dorf aus!”

Die Kühe verdrehten verdutzt die Hörner, an denen die Siegel des Gerichtsvollziehers klebten, bei der nächtlichen Ruhestörung. Es rasselte etwas. Der baumlange, zaundürre Bacherlvater, der in seiner Jugend ein ganz Wilder gewesen war, fuhr verschmitzt lachend einen schmutzigen Schubkarren vom Misthaufen herunter und kippte ihn um.

„Da derft’s lesen: Gepfändet wegen zwanzig Markln!”

Ja — da klebte zwischen den Dungspuren an der Holzwand das blaue Adlerwappen des deutschen Reichs von 1926 — der Simmerl gab dem Karren einen Tritt und ächzte, während der Zug sich durch die Dorfgasse weiterwälzte, mithumpelnd.

„I sag’s ja: der Teifi is im Land!”

„Da oben steht er ja!” schrie er dann plötzlich und deutete mit dem zitternden, hornigen Zeigefinger nach der einen hellen Scheibe des Oberstocks beim „Alten Wirt”. In dem Fensterrahmen war die behäbige Gestalt des Privatmanns Liborius Krübl sichtbar, der mit phlegmatischem Interesse die aufgeregten Bauern unten betrachtete, so als sässe er im Kino.

„Auf geht’s, ihr Leut’!”

„Holt’s den Münchner herunter!”

Aber der „Alte Wirt” hatte schon vor der Zeit Feierstunde geboten und das Haustor von innen verschlossen. Vor dem Eingang hatte sich der Wachtmeister Florian Wiesböck aufgepflanzt. Sein Revolver stak zwar noch im Futteral, aber es klang doch sehr nachdrücklich, als er sagte:

„Jetzt hört’s auf mit die Sprüch’ und geht’s schlafen! Morgen ist auch noch ein Tag!”

„Morgen beim Notar!”

„Gelt — ihr kimmt’s alle nach Pfaffing eini!” bettelte der Filzensimmerl.

„Da lässt keiner aus!” bestätigte der Kreuzpointner, und alle Köpfe nickten. Bloss die Wirtsmarei, die schwarze Katz’, konnte sich nicht enthalten, auf dem Treppenabsatz zu blecken:

„Hintenauf tatscheln — dös könnt’s ihr Mannsbilder! Jetzt weist mal morgen, was ihr sonst vermögt!”

Und bei den Worten der schwarzen Marei bekam es der Simmerl plötzlich mit der Furcht in seinem verwirrten, verstörten, alten Kopf. Herrgott — wann’s nur net morgen doch ausbleiben — die Stoisshamer — und ich steh’ allein vor dem Notar und dem Teifi da oben — dann gnad’ mir Gott — ich weiss mich nicht zu wehren! „Helft’s, ihr Leut’! Helft’s einem armen, alten Krauter, der wo nix auf der Welt hat als das bissel Land und Weib und Kind, und eh’ bald heimfahrt zu unserem Herrgott . . .”

Aber wer soll helfen? Wer? Eine blinde Angst packte den Filzensimmerl. Er lief davon, vor das Dorf hinaus, blindlings in die Nacht . . . Patsch . . . da war er schon mit einem Bein im Moor, zog es nass heraus. Gewann wieder den schmalen Fahrweg. Zu beiden Seiten dunkelten die Streuwiesen. Alles war still bis auf das sanfte, klagende Kä—kä, mit dem die Sumpfohreule in unhörbarem Schattenflug dicht über dem Boden hinstrich und sich die Mäuse aufgriff.

Dann warnte da das dumpfe Bellen eines grossen Wachhundes und ein einsamer Lichtpunkt blinkte auf — das hellerleuchtete Fenster in einem kleinen Blockhaus, überall lagen Federn und Flaum auf dem zerkratzten Boden. Aha — das war bei der Spinneten — der Städtischen — der Geflügelzüchterin . . . Und da stand die Frau selbst im hellen Schein des Fensters vor ihrer Farm Erika — mit der linken Hand die Augen schirmend, in der rechten ein Schrotgewehr — net schlecht anzuschauen — das musste sich der Simmerl schon sagen — frisch und jung — braune, lebhafte Augen — ein bissel zu dünn die Frau — für das, was man auf dem Lande gewohnt ist — aufg’futtert g’hört sie — aber schon sehr a Hübsche. Bildsauber, bald du sie so aus der Nähe anschaugst . . .

Blass war sie jetzt, die Städtische, und hat gezittert, als sie dem Alten in die verrunzelten Züge geguckt hat, bald aber hat sie aufgeatmet, dass das kein Böser nicht war.

„Mir war so bange!” sagte sie hochdeutsch. „Nicht für mich, sondern für meine Kinder!”

„Jesses! Vor ’nem Mandl wie mir?”

„Nein! Vor dem Radl-Kramer! Ich hab’ mir immer eingebildet, es schleicht wer ums Haus! Da konnt’ ich mir nicht helfen. Ich musst’ ’raus und nachschauen!”

„Da draussen bringt dich der Radl-Kramer eh’ um, Frau!” tröstete der alte Gütler. Dann stieg jäh wieder der Koller in ihm hoch. Er schrie:

„Was soll er denn dir tun, Frau? Du hast ja nix! Wann der Radl-Kramer kommt, dann bestell’ ihm: er soll heut’ Nacht noch mit dem Münchner abfahren — mit dem Wampeten in Stoissham — oben beim Alten Wirt! Da erhält er was Recht’s! Das ist ein Schmankerl für die Höll’!”

Er schaute der jungen Frau kopfschüttelnd in das klare Gesicht. Das war recht weich geformt, wie es sich für ein junges Weibsbild gehört. Aber um dem Mund herum — da hatte sie doch so etwas Festes, Ruhiges. Die weiss, was sie will! Die geht fei’ geradaus! Da derfst ruhig sein . . .

„Ich kann dir nix helfen, und du kannst mir nix helfen!” sprach er. „Aber da draussen im Filzenlager is einer — ein ganz ein Gewaltiger — der helfen kann, bald er nur mag . . .”

„Meinen Sie den Grossen, Starken mit dem Vollbart und den merkwürdigen grossen blauen Augen?”

„Denselbigen! Aber ich kenn’ ihn net, den Mann!”

„Ich auch nicht! Begegnen tun wir uns ja oft! Aber angeredet haben wir uns noch nie!”

„Der hat an Ansehen da draussen in den Filzen! Vor dem ducken sie sich weit und breit! Schau, Frau — zu dem ist jetzt mein Bittgang. Vielleicht, dass er sich meiner derbarmt!”

Die junge Frau schaute vor sich in das Dunkel, als riefe sie sich das Bild des Retters aus der Not da draussen in die Erinnerung zurück: Äusserlich einer aus dem rauhen Filzenvolk wie jeder andere auch, die zerarbeitete Taglöhnerjacke, die zerfaserte Hose vom Morast schwarz gefleckt, die hohen Stiefel vom Moorschlamm überkrustet, den Schlapphut über dem tiefbraun gebrannten Gesicht, von Wind und Wetter fahl gebleicht — genau wie jeder andere . . .

Nur dass er sich auf hundert Schritt von jedem unterschied. Durch die straffe Haltung. Und durch den festen Gang. Durch die harte Art, den Kopf im Genick zu tragen. Ganz ein Mann für sich. Gott weiss wer.

„Stecken Sie sich nur hinter den starken Mann da draussen, Simmerl!” sagte sie. „Zu dem hätt’ ich auch Zutrauen!”

„Ich geh’ jetzt zu ihm!” sprach der Simmerl hoffnungsvoll.

„Und sagen Sie ihm doch”, die junge Frau zögerte einen Augenblick. „Wir kennen uns doch nur vom Sehen! Er grüsst mich immer, wenn er hier vorbeikommt! — Also die Farmerin von der Geflügelfarm Erika liess ihn auch schön bitten, er möge doch ein gutes Werk tun und Ihnen beistehen!”

„Ich glaub’ ja net, dass ein solchener sich darum schert, was ein Weibsbild daherredet”, versetzte der Filzensimmerl treuherzig. „Aber ich werd’s ausrichten! Schuldigen Dank, Frau! P’füt di Gott!”

Simmerl

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