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4. Vier Typen ziemlich unsympathischer Männer

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Der Hausmeister beziehungsweise jener Typus, dem man tagtäglich auf der Arbeit begegnet

Im Nachhinein betrachtet, hätte er jede Unterhaltung, die er geführt hatte, seit er reden konnte, umschreiben wollen. Er beneidete Männer, die immer eine Antwort oder einen Kalauer parat hatten, im rechten Moment brillierten und sich nicht hinterher das Gehirn über Fragen linguistisch-beziehungstechnischer Natur zermarterten. Fast alle Wortwechsel seines Lebens hätte er geändert, und es war unglaublich, wie wenig ihm dieses Bewusstsein auch bei jenem nützte, der fünf Minuten später folgte.

Der Hausmeister: »Signor Pacini, was soll ich tun, die Tür aufbrechen?«

Er: »Signor Screma, bleiben Sie um Himmels willen, wo Sie sind.« (Da seine innere Grammatik, wohl wie die anderer Leute, keine Höflichkeitsform vorsah, wollte er eigentlich sagen: »Screma oder wie du noch mal heißt, du bist genauso dumm, wie dein Name hässlich ist.«)

Der Hausmeister: »Signor Pacini, es ist niemand da. Sie können rauskommen, wenn Sie möchten.«

Er: »Signor Screma, das glaube ich Ihnen, vielen Dank. Lassen Sie mich einen Augenblick in Frieden?« (Er hätte sagen wollen: »Screma, hau schon ab.«)

Der Hausmeister: »Vielleicht fühlen Sie sich nicht gut, Signor Pacini?«

Er: »Signor Screma, ich fühle mich bestens.«

Der Hausmeister: »Hier ist niemand. Sie können rauskommen, wenn Sie möchten.«

Er: »Signor Screma, zwingen Sie mich bitte nicht, mich zu wiederholen …«

Der Hausmeister (zu jemandem neben ihm, leiser): »Haben Sie gehört? Ich habe es Ihnen gesagt. Es geht ihm überhaupt nicht gut.«

Der Nachbar mit Hund

Als er überstürzt nach Hause zurückkehrte, schnappte auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür ein Möpschen nach seinem Hosenaufschlag und wollte nicht mehr loslassen.

»Ben!«, ertönte es von oben. »Komm her.«

Ein schmächtiger Mann mit gebeugtem Rücken und lebhaften Äuglein kam, auf einen Stock gestützt, die Treppe herunter.

»Ein richtiger Schelm, der kleine Ben«, sagte Modesto, ohne damit aufzuhören, sein Bein zu schütteln. (Er hätte »Was für ein hässlicher, einfältiger Köter, dein Ben« sagen und ihm einen Tritt irgendwo auf halber Strecke zwischen Spaß und Pädagogik verpassen wollen.)

»Verzeihung«, sagte der Mann, sobald er den Treppenabsatz erreicht hatte. »Wir sind zwei an Einsamkeit gewöhnte Wesen und haben vergessen, wie man sich anderen gegenüber verhält.«

Er war einst für Mussolinis Geheimpolizei OVRA als Informant tätig gewesen und schon als Zwanzigjähriger mit diesem Stock herumgelaufen, der in Wirklichkeit ein verkappter Stoßdegen war, Gerüchten zufolge hatte er mit der scharfen, schmalen Dreikantklinge mehr als nur ein Auge ausgestochen.

»Uns bleibt nur noch«, fuhr der Mann fort, »im Rivoire in einer Ecke mit Blick auf die Piazza von allen unbehelligt La Nazione zu lesen.«

»Stimmt, die nennt sich jetzt wieder La Nazione«, bemerkte Modesto und konnte sich endlich von Bens Schnauze befreien.

Er zog die Schlüssel aus der Tasche und sagte, bevor der Mann mit dem Stock dem Hund weiter treppab folgte:

»Eine kleine Frage nur, was haben Sie in der Zeit gemacht, als«, er räusperte sich, »La Nazione eingestellt war?« (Sieh an, diesmal war es ihm gelungen, das zu sagen, was er sagen wollte.)

Der Mann drehte den Oberkörper, schaute ihn an, hob den Arm und richtete triumphierend den Stock auf seine Brust, als wollte er mit dem Finger auf ihn zeigen: »Der da!«. Er verharrte eine Sekunde in dieser Position, sagte dann: »Und Sie, Signor Pacini? Was haben Sie damals gemacht?«

»Dieser Mensch bringt Unheil und bewahrt zu Hause ein Glas mit den Augen aller Kommunisten auf, die er umgebracht hat«, hatte Aurora einmal gesagt. »Der Barista von gegenüber hat es mir erzählt.« Sie war ihm und seinem Hund ein paar Tage zuvor abends auf dem dunklen Treppenabsatz begegnet und vor allem über das metallische Klacken des Stocks auf dem Steinfußboden erschrocken. Modesto hatte gelächelt. »Vielleicht, weil er nie in seine Bar kommt. Er geht lieber in die auf der Piazza.« Aurora war nachdenklich geworden. »Meinst du?«

Im Begriff, aufzuschließen, der Schlüssel steckte schon, hielt Modesto vor der Tür inne, verlagerte nur das Gewicht vom einen Bein aufs andere, weil die Seite, auf die er gestürzt war, langsam zu schmerzen anfing. In diesem Augenblick drang vom Erdgeschoss her das schwache Bellen des Mopses zu ihnen. Der Mann senkte den Stock, wandte sich von seinem Nachbarn ab und setzte ohne Abschiedsgruß seinen Weg treppabwärts fort.

Ein Abwesender, der immer dazwischenfunkt

Modesto ging schnurstracks ins Arbeitszimmer, stieß unterwegs gegen das Wandbord, das deutsche Messer bewegte sich.

Vor dem Schreibtisch aus Nussbaumfurnier blieb er stehen, zog eine der Schubladen heraus und wühlte in den Papieren. Nahm den Kleinen Lavater zur Hand, in den er den anonymen Brief gesteckt hatte. Holte diesen hervor, behielt ihn eine Weile in der Hand. Faltete ihn dann, einmal, zweimal, und riss ihn mit nervösen Bewegungen in kleine Stücke. Machte das Fenster auf und warf alles in Richtung Zürgelbaum. Ein Kind blickte von seinem Dreirad auf und schaute mit offenem Mund zu, wie die Konfettis in alle Richtungen segelten.

Er setzte sich, schaute sich um, zog dann mit einem Ruck die ganze Schublade heraus und legte sie sich auf die Knie. Zuhinterst stand ein kleines, durchsichtiges Gefäß. Er nahm es und hielt es ans Fenster: ein in Formalin eingelegter Fötus. Höchstens zehn Zentimeter lang, mit einem übergroßen Schädelchen, das über einen gallertartigen, an eine Hautblase erinnernden Bauch gebeugt war, dazu fadenförmige Gliedmaßen, wie Käfer sie haben, nur ein bisschen dicker und von heller Farbe. Er legte das Ding in die Schublade zurück und schob sie wieder zu.

Danach ging er in die Küche und trank einen Schluck Wasser aus dem Hahn. In der Anrichte fand er ein halbes Ringbrot, das er in zwei Stücke brach: Das eine aß er sofort, das andere steckte er sich in die Tasche. Er putzte die Zähne, strich sich ein wenig Brillantine ins Haar. Ging zum Wandbord und wählte eine Nummer.

»Ich bin’s, klar doch, wer sonst?«

Den Hörer zwischen der hochgezogenen Schulter und dem Ohr eingeklemmt, nahm er das Messer zur Hand, das er unzählige Male gesehen hatte und an dem er ebenso oft seinen Blick hatte abprallen lassen, um ihn unverzüglich auf etwas anderes zu lenken.

»Nichts. Warum?«

Es war ein exklusives Fallschirmjägermesser der deutschen Luftwaffe. Der Holzgriff war mehrfach eingekerbt. Er zählte die Linien: elf.

»Logisch ist sie nicht zu Hause.«

Der Hörer rutschte zwischen Ohr und Schulter hervor, schlug, während das Kabel eine Schlangenbewegung machte, gegen einen Silberrahmen, der zu Boden fiel und eine Fotografie freigab.

»Mist. Moment mal.«

Er bückte sich und hob das Foto auf: Fünf junge Bartträger lächelten in die Kamera, alle einen Arm auf die Schulter des Nebenmanns gelegt, im anderen hatten sie das Gewehr. Der Älteste, in der Mitte, mit schief sitzender Mütze und einem strahlend weißen Lächeln, trug eine Lederjacke und war der Einzige, der seinen Gewehrlauf nach unten hielt.

»Doch, doch, ich höre dir zu.«

Er drehte die Fotografie um. Auf der Rückseite stand in schräger, hastiger Schrift: Auch ein einziger eroberter Hügel ist ein der Barbarei entzogenes Stück Geschichte. Papa.

»Du gehst mir auf die Nerven, wenn du so redest.«

Darunter hatte eine andere Hand mehr hingekritzelt als geschrieben: Und für mich ist der Hügel, den du besteigst, ein Berg. Aurora. Der Anfangsbuchstabe des Namens sah wirklich aus wie ein kleiner Berg, allerdings ein krummer, der zu kippen drohte, während das abschließende A eine höchst respektable Anhöhe darstellte, fest und stabil. Auf den ersten Blick hätte man glauben können, diese beiden Buchstaben wären von zwei verschiedenen Personen geschrieben worden. Er schob das Foto in den Rahmen zurück.

»Gut, bis gleich.«

Als er aufgelegt hatte, betrachtete er sich im Spiegel, neigte den Kopf zuerst nach rechts, dann nach links, um das Haar zu prüfen, lächelte dann und betastete die Vorderzähne. Schließlich drehte er sich um, zog den Regenmantel an und verließ die Wohnung.

Der Unbekannte, der eine Affäre mit deiner Frau hat

Im gleichen Moment, in dem Modesto aus dem Haus trat, stand Aurora in der Bar gegenüber in der Telefonkabine, steckte unter nervösem Klimpern Jetons in den Schlitz, um jemanden anzurufen.

»Hallo. Luciano, hörst du mich?«

»Ah, du bist es.«

»Natürlich, wer denn sonst?«

»Von wo rufst du an?«

»Ich bin schwanger.«

»Ah.«

»Ich bin mir ganz sicher.«

»Schwanger.«

»Genau.«

»Wer von beiden?«

»Einer von beiden.«

»Herzlichen Dank.«

»Du vielleicht.«

»Ich vielleicht.«

»Sehen wir uns heute?«

»Gut.«

Aurora verließ die Kabine, hörte die Tür hinter sich zufallen. Ging zum Tresen, wo der Barista ihr zuzwinkerte und fragte: »Sie wünschen?«

Sie antwortete: »Grappa, bitte.«

Drei Lebende, drei Tote

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