Читать книгу ACT der Liebe - Хэррис Расс, Russ Harris, Расс Хэррис - Страница 11
ОглавлениеKAPITEL 3
Soll ich bleiben oder soll ich gehen?
Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich muss aus dieser Beziehung raus.
Haben Sie jemals Gedanken dieser Art gehabt? Ja? Ich auch. Und meine Frau ebenfalls. Und so gut wie jeder einzelne meiner Freunde, Kollegen und Familienangehörigen. Liegt das daran, dass ich mich mit einem seltsamen Haufen außergewöhnlich anormaler Menschen umgebe? Mitnichten. Die Wahrheit ist die, dass fast jeder zuweilen Gedanken wie diese hat. Das sind die Dinge, die Ihr Verstand Ihnen sagt, wenn Sie mit Ihrem Partner eine wirklich schwierige Zeit durchmachen. Und es ist absolut nichts Schlimmes daran. Es ist sogar vollkommen nachvollziehbar, wenn man bedenkt, wie der menschliche Verstand sich entwickelt hat.
Denken Sie nur einmal über Folgendes nach: Wie ist unsere Spezies – ein schwächlicher, nackter Affe – in der Lage gewesen, die Herrschaft über den Planeten zu übernehmen, obwohl sie in direktem Wettbewerb mit so vielen anderen Tieren stand, die schneller, stärker und tödlicher sind als wir? Wir haben dies einzig und allein wegen der überragenden Problemlösefähigkeit des menschlichen Verstandes geschafft. Der primitive Verstand unserer fernen menschlichen Vorfahren suchte ständig nach Möglichkeiten, die Überlebensprobleme zu lösen, die den Menschen damals beschäftigten: Wie beschaffe ich Lebensmittel und Wasser, wie finde ich Schutz vor dem Wetter und wie schütze ich mich vor Feinden und wilden Tieren. Und mit jeder menschlichen Generation entwickelte sich der Verstand weiter, wurde er immer komplexer, bis er sich zu dem fantastisch vielschichtigen Problemlösungsapparat wandelte, der er heute ist.
Wann immer Ihr Verstand auf ein Problem stößt, sucht er deshalb umgehend nach einer Lösung. Und wenn eine Situation schmerzhaft, schwierig oder bedrohlich ist, besteht eine vollkommen vernünftige Lösung darin, ihr zu entkommen! Kein Wunder, dass wir an Scheidung oder Trennung denken. Aber es gibt da einen Knackpunkt: Die Lösungen, die Ihr Verstand ausspuckt, sind nicht immer kluge Lösungen. Denken Sie zum Beispiel an all die Male, als die Art, wie jemand Sie behandelte, Sie so richtig wütend machte und Ihr Verstand Ihnen als scheinbar gute Lösung empfahl, den anderen anzubrüllen oder zu schlagen oder zu beleidigen. Stellen Sie sich vor, wie viel Ärger und Stress Sie sich selbst (und anderen) bereitet hätten, wenn Sie all diesen Empfehlungen tatsächlich nachgekommen wären. Malen Sie sich aus, in welchem Zustand die Welt wäre, wenn wir alle automatisch jede Empfehlung unseres Verstandes beherzigen würden.
Das Beziehungsdilemma
Nun gibt es natürlich alle möglichen problematischen Situationen, in denen die beste Lösung tatsächlich darin besteht, ihnen zu entkommen – zum Beispiel, wenn Ihr Wohnhaus brennt! In Beziehungen aber ist die Sache nur selten so eindeutig, und viele Menschen kämpfen mit dem Dilemma zwischen Bleiben und Gehen. Manchmal verbringen sie sogar große Teile ihres Tages damit, das Thema, gefangen in ihrem Verstand, endlos zu beleuchten: die Vor- und Nachteile des Bleibens oder Gehens immer wieder in Gedanken durchzugehen. Das Problem ist, dass in diesem Vorgehen keine Vitalität steckt. Während Sie in Ihren Gedankenprozessen stecken bleiben, erfolglos die große innere Debatte wiederholen, verschwenden Sie enorm viel Zeit und verpassen einen großen Teil Ihres Lebens.
Wenn Ihre Beziehung nicht gut läuft, ist es natürlich wichtig, etwas Zeit mit dem Betrachten der Vor- und Nachteile des Bleibens oder Gehens zu verbringen. Aber tagein, tagaus diesem Thema nachzuhängen, wird Sie wahrscheinlich nur stressen, ohne Ihnen zu helfen, zu einer klaren Entscheidung zu gelangen. Es kann deshalb hilfreich sein, zu bedenken, dass es grundsätzlich vier Möglichkeiten für den Umgang mit jeder problematischen Beziehung gibt:
Option 1: Gehen
Option 2: Bleiben und das ändern, was sich ändern lässt
Option 3: Bleiben und das akzeptieren, was sich nicht ändern lässt
Option 4: Bleiben, aufgeben und Dinge tun, die es noch schlimmer machen
Lassen Sie uns jede Option einzeln betrachten.
Option 1: Gehen
Wäre Ihre Lebensqualität insgesamt besser, wenn Sie gingen, statt zu bleiben? Ist es mit Blick auf Ihre gegenwärtigen Lebensumstände – Ihr Einkommen, Ihren Wohnort, Ihren Familienstand, Ihre Kinder (oder deren Fehlen), Ihre Familie und Ihre sozialen Netzwerke, Ihr Alter, Ihre Gesundheit, Ihre religiösen Überzeugungen und so weiter – wahrscheinlich, dass Ihre Gesundheit und Vitalität auf lange Sicht besser wären, wenn Sie gingen? Selbstverständlich können Sie dies nie bestimmt wissen, doch können Sie auf der Basis dessen, was bis zu diesem Punkt geschehen ist, eine angemessene Vorhersage treffen.
Ich hoffe, Sie werden alles in diesem Buch Vorgeschlagene ausprobieren – wirklich mit Leib und Seele versuchen, Ihre Beziehung zum Gelingen zu bringen –, bevor Sie diese Option ernsthaft in Betracht ziehen. (Natürlich kann es seltene Ausnahmen geben, wie etwa die, dass Sie oder Ihre Kinder durch Ihren Partner in körperlicher Gefahr sind, denken Sie jedoch daran, dass dieses Buch solche ernsthaften Probleme nicht behandelt.) Wenn Sie sich mit allen Kräften bemühen und sich trotzdem letztendlich entscheiden, zu gehen, haben Sie zumindest den Trost, zu wissen, dass Sie Ihr Bestes versucht haben. (Sollte dies der Fall sein, finden Sie im Anhang Informationen dazu, wie Sie Ihre Beziehung in einer Weise beenden, die den Schaden minimiert. Ich hoffe, Sie müssen ihn nie lesen.)
Option 2: Bleiben und das ändern, was sich ändern lässt
Wenn Sie sich dafür entscheiden, diese Beziehung weiterzuführen, besteht der erste Schritt darin, zu ändern, was immer sich ändern lässt, um sie zu verbessern. Und in jeder Situation gilt, dass Sie am meisten Kontrolle über Ihre eigenen Handlungen haben. Richten Sie Ihre Energie also auf das Handeln aus, darauf, dass die Beziehung durch Ihren Einsatz so gut wird, wie sie nur sein kann. Die Handlungen Ihres Partners können Sie nicht kontrollieren; kontrollieren können Sie nur Ihre eigenen. Zu Ihren Handlungen könnte gehören, dass Sie Ihre Kommunikationsfähigkeiten verbessern, einen Babysitter engagieren, um öfter ausgehen zu können, mehr Durchsetzungsvermögen zeigen (um das bitten, das Sie wollen, und Nein zu dem sagen, das Sie nicht wollen) oder mitfühlender, liebevoller oder akzeptierender sind.
Beachten Sie, dass wir, wenn wir von Handlungen sprechen, nicht irgendwelche alten Handlungen meinen. In der Akzeptanz- und Commitment-Therapie ermuntern wir Sie zu Handlungen, die durch Ihre Werte geleitet werden. Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, handelt es sich bei Werten um Ihre tiefsten Herzenswünsche bezüglich dessen, wer Sie während Ihrer kurzen Zeitspanne auf diesem Planeten sein wollen und wofür Sie stehen wollen. Wenn Ihre Handlungen durch Ihre zentralen Werte geleitet werden, unterscheiden sie sich sehr stark von Handlungen, die Sie vornehmen, wenn Sie distanziert, automatisch reagierend, vermeidend oder in-Ihrem-Verstand sind.
Option 3: Bleiben und das akzeptieren, was sich nicht ändern lässt
Angenommen, Sie haben jede Ihnen mögliche Handlung vorgenommen, um die Beziehung zu verbessern, es gibt absolut nichts mehr, was Sie noch tun können – und Ihre Beziehung ist weiterhin wirklich schwierig. Und angenommen, Sie entscheiden sich trotz allem, mit Ihrem Partner zusammenzubleiben. Wenn Sie diese Wahl treffen, ist es an der Zeit, sich im Akzeptieren zu üben. Sie sollten Raum für diese schmerzhaften Gefühle schaffen, sollten diese wertenden, feindseligen, verzweifelnden oder selbst-zerstörerischen Gedanken loslassen, sollten sich selbst zurückholen, wenn Sie sich aufregen oder Sorgen machen. Sie sollten sich aus diesem inneren Sumpf herausziehen und in Ihr Leben zurückkehren. Dann gilt: Beschließen Sie, Ihre Werte zu leben, leben Sie in der Gegenwart und holen Sie das Beste aus Ihrem Leben, ungeachtet der Herausforderungen, mit denen Sie sich konfrontiert sehen.
In der Praxis finden Option 2 und 3 normalerweise gleichzeitig statt: Sie handeln, um die Situation zu verbessern, und akzeptieren das, worüber Sie keine Kontrolle haben.
Option 4: Bleiben, aufgeben und Dinge tun, die es noch schlimmer machen
Allzu häufig bleiben Menschen in einer problematischen Beziehung, tun aber nicht alles ihnen Mögliche, um sie zu verbessern, und üben sich auch nicht im Akzeptieren. Vielmehr machen sie sich Sorgen, regen sich auf, grübeln, analysieren die Beziehung zu Tode, beklagen sich bei anderen, steigern sich in die Probleme hinein oder beschuldigen sich selbst oder ihren Partner. Oder sie werden kalt und verschlossen oder feindselig und kritisch oder depressiv – oder sogar selbstmordgefährdet. Oder sie versuchen ihr Befinden dadurch zu verbessern, dass sie Drogen nehmen, Alkohol trinken, Zigaretten rauchen, Junkfood essen, vor dem Fernseher abschalten, im Internet surfen, um Geld spielen, Affären haben, dem Shopping frönen und so weiter. Derartige Strategien berauben Sie auf lange Sicht unweigerlich Ihrer Vitalität. Wenn Sie Option 4 wählen, erhöhen Sie garantiert das Leiden in Ihrem Leben.
Auf dem Zaun sitzen
Sie können diese vier Optionen jedes Mal durchgehen, wenn Sie in einem „Soll ich bleiben oder gehen?“-Dilemma feststecken. Das hilft Ihnen, zu erkennen, dass Sie immer Wahlmöglichkeiten haben. Falls Sie üblicherweise Option 4 als Ihre bevorzugte Methode der Bewältigung wählen, empfinden Sie dies möglicherweise als provozierend, weil es Sie dazu zwingt, Verantwortung zu übernehmen. Möglicherweise behaupten Sie sogar steif und fest: „Ich habe das nicht gewählt. Ich kann nicht anders.“ Bitte seien Sie nicht gekränkt und hören Sie nicht mit dem Lesen auf, falls Sie sich gerade so fühlen. Beim Durcharbeiten dieses Buches und beim Entwickeln Ihrer psychischen Flexibilität wird Ihnen klar werden, dass Sie tatsächlich die Wahl haben, wenn es darum geht, wie Sie auf die Herausforderungen Ihrer Beziehung reagieren – und dass Sie wählen können, dies in einer Weise zu tun, die Ihr Leben bereichert, statt es zu beeinträchtigen.
Wenn Sie sich dem „Bleiben oder Gehen“-Dilemma gegenübersehen, ist es wichtig, zu erkennen, dass es keine Möglichkeit gibt, nicht zu wählen. Sie können entweder wählen, sich festzulegen, oder Sie können wählen, sich nicht festzulegen. Für Letzteres gibt es im Englischen den bildhaften Ausdruck „auf dem Zaun sitzen“. Sie können entweder wählen, auf dem Zaun zu sitzen, oder Sie können wählen, vom Zaun herunterzuklettern – zur einen oder zur anderen Seite. Auf einem Zaun zu sitzen, d. h. sich nicht festzulegen zu wollen, ist für kurze Zeit in Ordnung, aber binnen Kurzem wird es unglaublich schmerzhaft. Und wenn Sie lange genug dort oben bleiben, wird der Zaun letztendlich umkippen und Sie mit sich zu Boden reißen! Die Optionen 1, 2, und 3 beinhalten sämtlich, dass Sie sich festlegen – dass Sie vom Zaun heruntersteigen. Option 4 bedeutet, dass Sie starrköpfig auf dem Zaun sitzen bleiben, obwohl die Zaunpfähle in Ihr Fleisch stechen und Sie große Schmerzen leiden.
Angesichts dessen, dass dies Ihre einzigen vier Wahlmöglichkeiten sind, lautet die Frage nun also: Wie stark wollen Sie sich festlegen? Lassen Sie uns diese Frage jetzt betrachten.
Wie stark wollen Sie sich festlegen?
Eine Frage müssen Sie sich ehrlich stellen: Wie sehr sind Sie bereit, an der Verbesserung Ihrer Beziehung zu arbeiten? Wo rangiert Ihre Antwort auf einer Skala von 0 bis 10, wenn 0 bedeutet, „nicht bereit, irgendwie daran zu arbeiten“, und 10 bedeutet, „bereit, zu tun, was immer nötig ist“?
Falls Sie eine hohe Zahl erreichen – fantastisch! Das ist ein guter Start. Falls Sie eine niedrige Zahl erreichen, sollten Sie einen genauen und ehrlichen Blick auf Ihre Situation werfen. Wollen Sie wirklich auf diesem Zaun sitzen bleiben, bis die Pfähle sich durch Ihr Fleisch bohren? Oder können Sie bereits die in dieser Wahl liegende Leblosigkeit erkennen?
Falls Sie Option 4 wählen
An dieser Stelle sollten Sie möglichst aufrichtig mit sich sein. Falls Sie nicht bereit sind, an Ihrer Beziehung zu arbeiten, wählen Sie in Wirklichkeit Option 4: bleiben, aufgeben und Dinge tun, die es noch schlimmer machen. Falls dies im Moment Ihre Position ist, warten Sie bitte ein paar Tage mit dem Weiterlesen. Achten Sie jeden Tag auf folgende Dinge und machen Sie sich dazu täglich Aufzeichnungen in Ihrem Tagebuch:
• Achten Sie auf die Auswirkungen, die das „Aufgeben“ auf Ihre Gesundheit und Vitalität hat.
• Achten Sie darauf, welchen Preis Sie für diese Wahl, „aufzugeben“, zahlen – in Form von emotionalem Schmerz, verschwendeter Zeit, vergeudetem Geld, verschwendeter Energie und weiterer Beschädigung Ihrer Beziehung.
• Achten Sie auf sämtliche Handlungen von Ihrer Seite, die Ihre Beziehung zu verbessern oder Ihr eigenes Wohlbefinden und Ihre eigene Vitalität zu erhöhen scheinen.
Gesetzt den Fall, dass Sie jetzt gewillt sind, an Ihrer Beziehung zu arbeiten, besteht der nächste Schritt darin, zu überlegen … gehören immer zwei dazu?