Читать книгу ACT der Liebe - Хэррис Расс, Russ Harris, Расс Хэррис - Страница 14

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KAPITEL 5

Sie leiden beide

Haben Sie schon mal einen Film gesehen, in dem der Held einen Faustschlag direkt ins Gesicht bekommt? Eine schaurige Nahaufnahme in Zeitlupe, in der Schweiß und Blut durch die Luft spritzen? Merken Sie, wie Sie bei so etwas zusammenzucken oder zusammenfahren oder sich abwenden, obwohl Sie wissen, es ist nur ein Film? Sie wissen, es ist alles nur gespielt, und können trotzdem nicht anders, als das Geschehen irgendwie nachzuempfinden. Ist es nicht paradox, dass wir so leicht den nicht vorhandenen Schmerz einer erfundenen Filmfigur nachempfinden können, den sehr realen Schmerz der Menschen, die wir lieben, aber häufig vollkommen vergessen?

Menschen sind soziale Tiere. Wenn es um Herzensangelegenheiten geht, sind wir uns fast alle ziemlich ähnlich. Wir wollen geliebt, respektiert und umsorgt werden. Wir wollen uns mit anderen verstehen und die Zeit mit ihnen generell genießen. Wenn wir mit den Menschen, die wir lieben, kämpfen, wenn wir sie zurückweisen oder uns von ihnen distanzieren, fühlen wir uns nicht gut. Und wenn sie mit uns kämpfen, uns zurückweisen oder sich von uns distanzieren, fühlen wir uns noch schlimmer. Wenn Sie also mit Ihrem Partner kämpfen, leiden Sie beide.

Vielleicht zeigt Ihr Partner Ihnen seinen Schmerz nicht; vielleicht wird er einfach wütend oder stürmt aus dem Haus oder stellt still den Fernseher an und beginnt zu trinken, aber tief im Inneren leidet er genauso wie Sie. Vielleicht weigert sich Ihre Partnerin, mit Ihnen zu reden, vielleicht kritisiert sie Sie in scharfem Ton oder geht mit ihren Freundinnen aus, aber tief im Inneren leidet sie genauso wie Sie. Es ist so wichtig, dies zu erkennen und im Gedächtnis zu behalten. Wir neigen dazu, uns so sehr in unserem eigenen Leiden zu verfangen, dass wir leicht vergessen: Unser Partner sitzt im selben Boot wie wir.

Angenommen, Ihr Partner hat tief sitzende Verlassensängste: befürchtet, dass Sie ihn für jemand „Besseres“ verlassen werden. Oder angenommen, er hat Angst davor, sich gefangen zu fühlen, kontrolliert oder „erstickt“ zu werden. Wenn Sie dann kämpfen, werden diese Ängste in ihm aufsteigen; möglicherweise ist er sich ihrer nicht einmal bewusst, weil sie sehr schnell unter Schuldzuweisungen oder Groll begraben werden. Oder angenommen, tief in seinem Inneren fühlt Ihr Partner sich zutiefst wertlos: hält sich für unzulänglich, nicht liebenswert, nicht gut genug. Das an sich ist schon schmerzhaft, doch zeigen Menschen, die sich in ihrem Inneren so fühlen, zudem häufig ein Verhalten, das die Beziehung belastet. Möglicherweise sucht Ihr Partner dauernd nach Bestätigung, fordert Anerkennung für das, was er erreicht oder beiträgt, bittet Sie ständig um Beteuerung Ihrer Liebe oder Bewunderung für ihn oder wird ziemlich eifersüchtig und besitzergreifend. Wenn Sie dann mit Frustration, Verachtung, Kritik, Ungeduld oder Langeweile reagieren, verstärken Sie sein tief sitzendes Gefühl der Wertlosigkeit. Und das gibt dann Anlass zu noch mehr Schmerz.

Wie Ihre Beziehung begann

Zu erkennen, dass Sie beide seelische Schmerzen haben, ist ein wichtiger Schritt hin zum Neuaufbau Ihrer Beziehung. Wenn Paare das erste Mal in meine Praxis kommen, beginne ich die Sitzung deshalb immer mit einer kleinen Einleitung. Ich sage so etwas wie: „Offensichtlich sind Sie hergekommen, um über die Probleme in Ihrer Beziehung zu reden und darüber, wie sie sich lösen lassen. Bevor wir das aber tun, möchte ich etwas darüber wissen, wie Sie sich kennen gelernt haben und wie Ihre Beziehung war, bevor die Probleme anfingen.“ Dann bitte ich jeden Einzelnen, die folgenden Fragen zu beantworten:

• Wie haben Sie sich kennen gelernt?

• Was fanden Sie, abgesehen vom Aussehen, am attraktivsten an ihm/ihr?

• Welche persönlichen Eigenschaften bewunderten Sie am meisten an ihm/ihr?

• Was haben Sie gerne gemeinsam getan?

• Was tat Ihr Partner, das diese Unternehmungen angenehm machte?

• Beschreiben Sie einen der schönsten Tage, den Sie je miteinander verbracht haben. Wo waren Sie? Was taten Sie? Wie verhielten Sie sich zueinander? Was sagten Sie einander und was taten Sie miteinander? Wie war Ihre Körpersprache?

• Was aus der Anfangszeit Ihrer Beziehung vermissen Sie am meisten?

• Was sehen Sie als die größten Stärken Ihres Partners?

Dahinter steckt eine bewusste Strategie. Wenn sie zu mir kommen, befinden sich beide Partner in einem konflikt- und spannungsgeladenen Zustand. Beide haben sich in einer Geschichte darüber verfangen, was an dem anderen nicht stimmt. Beide leiden so sehr, dass sie wahrscheinlich den Bezug zu vielen der Dinge verloren haben, die ursprünglich Gründe dafür waren, warum sie sich zueinander hingezogen fühlten. Diese Fragen verbinden sie vorübergehend mit wärmeren, weicheren Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Wenn sie zu antworten beginnen, kann man deutlich sehen, wie sie sich entspannen. Zusammengebissene Zähne lockern sich. Düstere Blicke verschwinden. Sie machen es sich auf ihren Stühlen bequem. Gesichter werden weich. Statt sich gegenseitig wütend anzustarren oder sich bewusst wegzudrehen, beginnen sie einander anzublicken und zuzuhören. Einer oder beide können sogar lächeln oder feuchte Augen bekommen. Dies zu sehen, ist herzerwärmend. Sie haben spontan ein Gefühl der Verbundenheit wiederentdeckt.

Leider ist das nicht immer der Fall. Manchmal antwortet ein Partner auf wenig hilfreiche Art: „Ich kann mich nicht erinnern“, „Ich weiß nicht, ob wir wirklich jemals gerne zusammen waren“ oder „Wir haben nie einen schönen Tag miteinander verbracht. Selbst an unserem Hochzeitstag haben wir uns gestritten“. In anderen Fällen spricht ein Partner warmherzig und liebevoll, der andere aber starrt vollkommen desinteressiert in die Luft, lächelt zynisch oder langweilt sich ganz offensichtlich. Diese einfachen Fragen und ihre Antworten liefern deshalb einen Reichtum an Information.

Nehmen Sie sich nun also einen Moment Zeit und beantworten Sie diese Fragen selbst. Schauen Sie sie sich noch einmal an und denken Sie still ein paar Minuten über sie nach. Oder, noch besser, schreiben Sie Ihre Antworten in Ihr Tagebuch und achten Sie dabei darauf, was Sie fühlen:

• Können Sie Kontakt zu einem warmherzigen Gefühl oder zu Wertschätzung für Ihren Partner herstellen? Oder sehen Sie ihn lediglich als eine Last, ein Hindernis, eine Plage?

• Was geschieht, wenn Sie sich die Zeit nehmen, über seine Stärken und positiven Eigenschaften nachzudenken? Sehen Sie ihn dann irgendwie anders?

• Fällt es Ihnen schwer, seine positiven Eigenschaften wahrzunehmen und anzuerkennen, weil Sie sich so sehr auf seine Fehler und Schwächen konzentrieren?

Ihre Antworten geben Ihnen wichtige Informationen. Wenn Sie keinen Kontakt zu irgendeinem Empfinden von Warmherzigkeit, Zärtlichkeit oder Wertschätzung für Ihren Partner herstellen können, haben Sie wahrscheinlich große Schmerzen und sind Ihre Warmherzigkeit und Ihre Zuneigung unter Schichten des Grolls, des Schmerzes, der Wut, Furcht oder Enttäuschung begraben. Machen Sie sich dann keine Vorwürfe. Selbstgeißelung erhöht lediglich den bereits vorhandenen Schmerz. Nehmen Sie sich stattdessen einen Moment Zeit, um zu erkennen, dass Sie leiden. Und sagen Sie sich etwas Freundliches und Fürsorgliches: etwas in der Art, wie Sie es Ihrem besten Freund oder Ihrer besten Freundin sagen würden, wenn er oder sie so große Schmerzen hätte wie Sie.

Wenn diese Übung Sie hingegen wieder mit etwas Warmherzigkeit und Zärtlichkeit für Ihren Partner verbindet, achten Sie darauf, wie sich das anfühlt. Wie ist es, Ihren Partner aus einer positiven Perspektive zu betrachten, statt ihn als „ein Problem“ zu sehen, das „gelöst werden muss“?

Nächste Schritte

Als Nächstes frage ich in dieser ersten Sitzung jeden Partner, warum er gekommen ist, was er zu erreichen hofft und was er als das größte Problem bzw. die größten Probleme in der Beziehung ansieht. Ich bitte beide, zu versuchen, die Probleme so wertfrei wie möglich zu beschreiben – zum Beispiel nicht zu sagen: „Er ist ein fauler Putzmuffel“, sondern vielmehr „Ich habe sehr viel höhere Ansprüche an Sauberkeit als er“. Das ist ein wichtiger erster Schritt: zu beginnen, sachliche Beschreibungen vorzunehmen, statt scharfe Urteile zu fällen. Und es fällt den meisten von uns nicht leicht. Allzu oft muss ich einschreiten. Hier ist ein Beispiel aus meiner ersten Sitzung mit Juan und Claire:

JUAN:Sie ist so eine Nervensäge.
RUSS:Was meinen Sie damit?
JUAN:Sie macht mir immer Stress. Mach dies. Mach das. Mach jenes. Russ: Worum bittet sie Sie?
JUAN:Meistens darum, sauberzumachen. Aufzuräumen und sauberzumachen. Derlei Mist.
RUSS:Claire bittet Sie also häufig mehrfach, aufzuräumen und sauberzumachen?
JUAN:Und ob sie das tut.

Beachten Sie, wie ich Juan dazu gebracht habe, von einer scharfen, negativen Beurteilung ihrer Persönlichkeit – „Sie ist eine Nervensäge“ – zu einer wertfreien Beschreibung ihres Verhaltens zu wechseln – „Claire bittet Sie also häufig mehrfach, aufzuräumen und sauberzumachen?“ Wertfreies Beschreiben ist eine wichtige Kompetenz, die es zu entwickeln gilt. Warum? Nun, würden Sie gerne mit scharfen, wertenden Begriffen – wie Miststück, Nervensäge, Chaot, faul, dumm, egoistisch, gemein, Versager, nutzlos – beschrieben werden, die Ihren Ruf zerstören? Je mehr Sie Ihren Partner durch den Filter scharfer, negativer Urteile sehen, umso mehr verlieren Sie den Bezug dazu, wer er wirklich ist. Die Person, die Sie einst bewunderten, verschwindet, versteckt hinter einer Mauer der Verurteilung. Deshalb wird es für Sie von großem Nutzen sein, wenn Sie dazu übergehen, weniger wertend zu beschreiben.

Noch etwas anderes in diesem Zusammenhang: Wenn ein Partner spricht, bitte ich den anderen, sehr aufmerksam zuzuhören. Ich sage: „Es fällt schwer, unter diesen Bedingungen zuzuhören, da niemand gerne kritisiert wird. Und wenn Sie so sind wie die meisten Menschen, wollen Sie dazwischenreden und widersprechen oder sich verteidigen oder Ihren Standpunkt vermitteln oder mit Ihren eigenen Beschwerden oder Ihrer eigenen Kritik kontern. Jedoch wissen Sie wahrscheinlich nur allzu gut, dass eine derartige Reaktion nicht sehr effektiv ist, stimmt’s?“ An dieser Stelle antworten die Klienten meistens mit Ja. Und wenn sie sich nicht sicher zu sein scheinen, frage ich: „Was passiert normalerweise, wenn Sie so reagieren?“ Die Antwort lautet dann gewöhnlich ungefähr so: „Wir streiten uns letztendlich einfach noch mehr und kommen nie zu einer Lösung.“

„Aha“, sage ich. „Wie wäre es also, dies als eine Gelegenheit zu sehen, zu lernen, anders auf Ihren Partner zu reagieren: ihm gegenüber wirklich aufmerksam zu sein, mit einer offenen und neugierigen Haltung statt mit einer feindseligen oder gelangweilten?“ Mit anderen Worten fordere ich sie dazu auf, Achtsamkeit zu praktizieren. Achtsames Zuhören und wertfreies Beschreiben tragen beide zur Schaffung eines sicheren Raumes bei, eines Raumes, in dem beide Partner beginnen können, sich zu öffnen und freier über ihre Schwierigkeiten zu sprechen. Und während jeder Partner seine Geschichte erzählt, stelle ich wiederholt Fragen wie diese: „Wie fühlen Sie sich, wenn sie so mit Ihnen spricht?“ oder „Wie ist es für Sie, wenn er das, was er sagt, nicht durchzieht?“ oder „Wie fühlen Sie sich, wenn sie so aus dem Zimmer stürmt?“ Ich tue das, um ihnen zu helfen, zu erkennen, dass sie beide leiden. Zur Veranschaulichung folgt nun ein weiterer Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung mit Juan und Claire:

RUSS:Wie fühlen Sie sich, wenn Juan Sie „Nervensäge“ oder „Hexe“ nennt?
CLAIRE:Sehr wütend.
RUSS:Sehr wütend?
CLAIRE:Ja! Er hat kein Recht, so mit mir zu reden. (Ihr Gesicht läuft rot an, sie hat die Arme verschränkt, ihre Stimme ist laut. Sie wirft Juan einen wuterfüllten Blick zu, und er blickt auf seine Füße hinunter.)
RUSS:Ich frage mich nur etwas, Claire; fast immer, wenn jemand sehr wütend oder ärgerlich ist, finden wir, wenn wir ein wenig tiefer graben, gewöhnlich etwas unter dieser Wut. Normalerweise etwas ziemlich Schmerzhaftes. Und ich frage mich, ob Sie sich einfach mal selbst überprüfen und gucken können, ob das wohl bei Ihnen der Fall ist. Vielleicht können Sie einfach ein paar tiefe Atemzüge machen und dabei sozusagen in diese Wut hineinatmen – und schauen, ob es da noch ein anderes Gefühl gibt, das darunter liegt, ein schmerzhafteres Gefühl.
CLAIRE:(mit feuchten Augen und zitternder Stimme): Ich habe das Gefühl, dass er mich hasst.
RUSS:Und wie ist das? Das Gefühl zu haben, dass die Person, die Sie lieben, Sie hasst?
CLAIRE:Es ist schrecklich.
RUSS:(an Juan gewandt): Juan, wollen Sie, dass Claire dieses Gefühl hat?
JUAN:Auf keinen Fall! (Er schüttelt entschieden den Kopf.) Auf keinen Fall. (Er schluckt heftig, seine Gesichtszüge entspannen sich und seine Augen werden feucht. Er schaut Claire an und spricht sehr sanft, mit brüchiger Stimme.) Natürlich hasse ich dich nicht. Ich liebe dich.

Was ist hier nun passiert? Claire hat es sich getraut, offen und verwundbar zu sein. Sie hat sich geöffnet und Juan einige ihrer schmerzhaften Gefühle mitgeteilt. Dieses Verhalten unterscheidet sich sehr von ihrer gewöhnlichen Reaktion. Normalerweise zeigt sie Juan lediglich ihr wütendes Äußeres. Im Gegenzug geht er in die Defensive und beginnt zu kritisieren. Das wiederum macht Claire noch wütender, und es entsteht ein Teufelskreis. Wenn Claire sich jedoch öffnet und Juan sehen lässt, wie sehr sie leidet, reagiert er ganz anders. Er empfindet Mitgefühl für sie: Er erkennt, wie sehr sie leidet, und möchte dieses Leiden lindern. Statt sie also herunterzuputzen oder sich zurückzuziehen, geht er auf sie zu, um sie zu trösten.

Gefangen in-Ihrem-Verstand vergessen Sie leicht, dass Ihr Partner ebenfalls leidet. Sie werden von Wut, Groll und Selbstgerechtigkeit festgehakt und von Gedanken wie diesen gefangen genommen: Das ist alles zu schwer. Es sollte einfach nicht so schwierig sein dürfen! Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Sie konzentrieren sich so sehr auf das, was an Ihrem Partner nicht stimmt, oder regen sich so sehr darüber auf, wie er Sie behandelt hat, dass Sie vergessen,: er ist ein Mensch mit Gefühlen. Sie vergessen, dass er diese Beziehung aus denselben Gründen eingegangen ist wie Sie: um zu lieben und geliebt zu werden, um zu sorgen und umsorgt zu werden, um sein Leben dadurch, dass er es mit jemandem teilt, zu verbessern und zu bereichern. Keiner von Ihnen ist diese Beziehung eingegangen, weil er kämpfen und streiten und zanken und beschuldigen und urteilen und verletzen und zurückweisen wollte. Wenn Sie also leiden, leidet Ihr Partner garantiert ebenfalls. Und wenn Sie anfangen, zu erkennen, dass Sie beide im selben Boot sitzen, beide aufgrund einer Beziehung leiden, die sich ganz anders entwickelt hat, als Sie es sich gewünscht hätten, ergibt sich eine Möglichkeit, anders zu reagieren: mit Güte und Zuwendung statt mit Groll und Zurückweisung. Und man muss kein Nobelpreisträger sein, um zu wissen, was für Ihre Beziehung gesünder ist. Folgendes können Sie jetzt also tun:

1. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um etwas über die wichtigsten Probleme in Ihrer Beziehung zu schreiben. Seien Sie bemüht, hierbei wertfrei zu beschreiben, statt harte Urteile zu fällen und scharfe Kritik zu üben. Schreiben Sie zum Beispiel: „Greg hilft nicht sehr oft bei der Hausarbeit“ statt „Greg ist ein fauler Dreckskerl“. Am Anfang fällt das schwer, zeigen Sie deshalb Nachsicht mit sich selbst. Und wann immer Sie bemerken, dass Ihnen ungewollt ein hartes Urteil entschlüpft ist, nehmen Sie einfach Notiz davon. Sagen Sie still so etwas zu sich wie: „Aha! Da ist ein Urteil!“ oder „Hier wird beurteilt!“ Streichen Sie es dann durch und schreiben Sie stattdessen etwas Wertfreies.

2. Schreiben Sie über die schmerzhaften Emotionen, die Sie infolge dieser Probleme empfunden haben. Mit welchen schmerzhaften Gedanken und Gefühlen haben Sie gekämpft? Wenn die hauptsächlichen Gefühle, die Sie wahrnehmen, Ärger, Wut, Groll, Zorn oder Frustration sind, schauen Sie, ob Sie „tiefer gehen“ können. Dies sind normalerweise oberflächliche Emotionen. Unter dem verärgerten Äußeren finden Sie gewöhnlich so etwas wie Leiden, Traurigkeit, Schuldgefühl, Scham, Furcht, Zurückweisung, Einsamkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Hoffnungslosigkeit – oder das Gefühl, nicht geliebt, nicht gewollt, nicht geschätzt oder vernachlässigt zu werden.

3. Geben Sie offen und ehrlich zu, dass diese Beziehung schon länger schmerzhaft ist. Sie haben gelitten. Es ist nicht leicht gewesen. Sie sind diese Beziehung mit allen möglichen Erwartungen eingegangen, von denen sich viele nicht erfüllt haben. Sie hatten alle möglichen Zukunftsträume, von denen sich viele nicht verwirklicht haben. Sie haben sich alle möglichen Illusionen über Ihren Partner gemacht, und viele davon sind zerstört worden. Angesichts dessen, was Sie durchgemacht haben, ist es vollkommen normal, dass Sie sich so fühlen, wie Sie es tun.

4. Dieser Teil ist die größte Herausforderung: Denken Sie ein paar Minuten lang darüber nach, dass auch Ihr Partner gelitten hat. Vielleicht hat er niemals mit Ihnen darüber gesprochen. Viele Männer sind nicht besonders gut darin, über ihre Gefühle zu reden. (Das liegt nicht an einem biologischen Unterschied, sondern lediglich daran, dass sie in einer Kultur aufwachsen, in der ihnen dies nicht beigebracht wird.) Möglicherweise müssen Sie hier also Ihre Fantasie spielen lassen. Denken Sie darüber nach, wie es für Ihren Partner sein muss, derjenige zu sein, der Ihre Beschwerden und Ihre Kritik einsteckt. Falls er dazu neigt, das Gespräch zu unterbrechen, still zu werden und sich zurückzuziehen, wie ist es dann wohl für ihn – sich einzuigeln und dichtzumachen, um zu bewältigen? Falls er dazu neigt, zu grübeln, Gedanken nachzuhängen und Vergangenes wieder aufzuwärmen, wie schmerzhaft muss es dann für ihn sein – durch das Wiederabspielen alter Ereignisse, die sich nie ungeschehen machen lassen, wieder und wieder zu leiden? Falls er wütend wird und schreit, wie unangenehm muss es sich dann für ihn anfühlen, von Wut und Groll verzehrt zu werden? Gewiss sind hier keine Freude und kein Vergnügen im Spiel; wie sehr muss er leiden, verloren in seinem Zorn?

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie sich die Zeit nehmen, Schritt 4 auszuführen, auch wenn dies eine Konfrontation und eine Herausforderung darstellt. Es kann jedoch sein, dass Ihr Verstand versucht, diesen Prozess zu stören; möglicherweise erzählt er Ihnen ein paar sehr wenig hilfreiche Geschichten: Ist doch egal, wenn er leidet. Er verdient es. Er hat es sich selbst zuzuschreiben. Warum sollte es mir etwas ausmachen? Wenn Ihr Verstand so mit Ihnen spricht, haben Sie zwei Optionen. Die eine besteht darin, sich vollkommen in der Geschichte zu verfangen und es zuzulassen, dass sie Ihr Verhalten kontrolliert. Wenn Sie sich für diese Option entscheiden, haben Sie eine Garantie auf noch mehr Konflikt und Spannung.

Die andere Option besteht darin, die Geschichte wahrzunehmen, ohne sich in ihr zu verfangen – nehmen Sie sie wahr, als würden Sie auf der anderen Straßenseite einen alten Freund erblicken. Sagen Sie zu sich selbst:

„Aha! Ich kenne diese alte Geschichte. Die habe ich schon mal gehört.“ Überlegen Sie dann einen Moment: „Was passiert, wenn ich mich in diese Geschichte verbeiße, wenn ich es zulasse, dass sie mich verzehrt?“ Fragen Sie sich: „Wird es mir helfen, meine Beziehung neu aufzubauen oder zu vertiefen, wenn ich dieser Geschichte all meine Aufmerksamkeit schenke und es zulasse, dass sie mein Verhalten diktiert?“ Indem Sie dies tun, lernen Sie einen wichtigen Teil von Achtsamkeit: die Fähigkeit, zu bemerken, was Ihr Verstand sagt, und zu entscheiden, wie Sie darauf reagieren – ob Sie sich an diesen Gedanken festklammern oder ob Sie den Griff lösen und loslassen wollen.

Das Wahrnehmen Ihres gemeinsamen Schmerzes ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg vom Konflikt zur Lösung. Wenn Sie wahrhaft erkennen, dass Sie beide leiden, wird es Ihnen leichter fallen, sich Fürsorge und Mitgefühl zu widmen. Beide sind wesentliche Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Lebendigkeit und Liebe in Ihrer Beziehung.

Falls Ihr Partner bereit ist

Diese Übung soll Ihnen und Ihrem Partner helfen, zu erkennen und anzuerkennen, auf welche Weise Sie beide leiden. Hoffentlich unterstützt Sie sie dabei, Mitgefühl füreinander zu entwickeln.

1. Arbeiten Sie sich beide durch alle vier oben beschriebenen Schritte durch. Wenn Sie fertig sind, lesen Sie sich gegenseitig Ihre Antworten zu den Schritten 1 und 2 vor. (Falls Sie nicht gerne schreiben, können Sie auch sprechen.)

2. Üben Sie sich im „Einlassen“, während Ihr Partner spricht. Seien Sie mit anderen Worten achtsam: Schenken Sie ihm mit einer neugierigen und offenen Haltung Ihre volle Aufmerksamkeit. Achten Sie auf seinen Tonfall, auf seine Gesichtsausdrücke, auf seine Körpersprache und auf seine Wortwahl. Seien Sie wirklich neugierig auf die Gedanken, Ideen oder Einstellungen, die er preisgibt. Lassen Sie Ihren Drang los, zu unterbrechen, sich zu verteidigen oder zu kontern. Hören Sie so zu, als lauschten Sie einer großartigen Rede eines Ihrer absoluten Helden. Sich vollkommen einzulassen, ist eines der größten Geschenke, das Sie Ihrem Partner machen können. Es ist eine wirksame Möglichkeit, folgende Botschaft zu senden: „Ich interessiere mich für dich. Du bist mir wichtig.“ Aber glauben Sie mir nicht einfach: Überprüfen Sie Ihre eigene Erfahrung. Wie fühlen Sie sich, wenn jemand Ihnen auf diese Weise Beachtung schenkt? Besonders? Wichtig? Respektiert?

3. Besprechen Sie schließlich Schritt 4 und schauen Sie, wie genau Sie die Gefühle Ihres Partners erraten haben. Möglicherweise sind Sie überrascht – entweder darüber, wie richtig Sie liegen, oder darüber, wie weit daneben Sie liegen.

Von Konflikt zu Mitgefühl

Wie fühlen Sie sich, wenn Ihr bester Freund, ein geliebter Verwandter, Ihr Kind oder Ihr Hund leidet? Sie sehen ihren Schmerz, und natürlich wollen Sie ihn lindern. Sie wollen etwas Gutes tun, um ihnen zu helfen, um sie zu unterstützen. Das muss Ihnen niemand beibringen; es geschieht instinktiv. Wir nennen dies „Mitgefühl“. Wenn wir unser Mitgefühl einschalten und es unsere Handlungen leiten lassen, reichen wir anderen die Hand und verhalten uns ihnen gegenüber freundlich und gütig.

Leider versäumen wir es nur allzu oft, zu erkennen, wann unser Partner Schmerzliches erlebt. Oder wir ignorieren es oder tun es ab. Oder, noch schlimmer, wir sind davon überzeugt, dass „er es verdient“. Derartige Reaktionen sind sehr verbreitet, aber sie sind auch sehr wenig hilfreich; sie vergiften eine Beziehung eher, als sie neu zu beleben. Mitgefühl ist das Gegenmittel zu diesem Gift. Mitgefühl kann das, was passiert ist, nicht ändern, aber es ist ein Balsam, das zur schnelleren Heilung der Wunden beiträgt.

Der erste Schritt beim Mitgefühl besteht einfach darin, zu erkennen, dass Ihr Partner Schmerzliches erlebt. Er ist kein gefühlloser Hai; er ist ein Mensch. Und genau wie Sie leidet er.

Der nächste Schritt besteht darin, mit Ihrer natürlichen Güte in Kontakt zu treten. Hierbei kann Ihnen die Technik helfen, sich Ihren Partner als einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen vorzustellen: aufgewühlt, zitternd oder weinend. Ja, Ihr Partner hat den Körper eines Erwachsenen, aber tief im Inneren ist ein kleines Kind, das leidet. Stellen Sie sich also diesen kleinen Jungen oder dieses kleine Mädchen vor, wie er oder sie leidet – und schauen Sie, ob Sie einige gütige Gedanken oder Gefühle für dieses Kind übrig haben.

Vielleicht sind Sie jetzt noch nicht dazu in der Lage; vielleicht sind Sie zu verletzt oder zu wütend. Falls ja, kein Problem. Erkennen Sie einfach an, dass Sie sich gerade an diesem Punkt befinden, und seien Sie gut zu sich selbst.

Nehmen Sie sich im Laufe der nächsten Wochen jedes Mal, wenn Sie infolge eines Konflikts leiden, einen Moment Zeit, um über dieses Kapitel nachzudenken: um anzuerkennen, dass Ihnen etwas weh tut – und Ihrem Partner ebenfalls. Und schauen Sie, ob Sie Mitgefühl empfinden können.

Haben Sie gleichzeitig auch etwas Mitgefühl für sich selbst; Sie brauchen es ebenso sehr wie Ihr Partner. Mit der Zeit werden Sie dann einen Wandel bemerken: Sie werden spüren, dass Ihr Herz sich öffnet, statt sich zu verschließen. Genießen Sie es, wenn Sie es bemerken; dies ist eine der wenigen Freuden des Lebens, die es umsonst gibt.

ACT der Liebe

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