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KAPITEL 8
ОглавлениеAm heutigen Tag in Moskau, Russland
Die versammelten Soldaten nahmen blitzschnell Haltung an, als zwei uniformierte Offiziere den langen Gang in Richtung der kunstvoll verzierten Holztüren heruntereilten. Ihre Insignien wiesen sie als Generäle der russischen Armee aus. Der Größere der beiden blieb vor der Tür stehen und klopfte zweimal. Dann warteten sie geduldig und lauschten den lauter werdenden Schritten, die auf der anderen Seite auf dem polierten Granitboden erklangen.
Der rechte Türflügel öffnete sich nun schwungvoll und ein dünner Mann mit weißem Bürstenschnitt, der einen dunkelgrauen Anzug und ein stählernes Brillengestell trug, starrte sie für ein paar Sekunden an, als hätte er gerade eine giftige Kröte schlucken müssen. Dann bedeutete er ihnen, einzutreten.
»Meine Herren Generale! Bitte hier entlang, der Minister empfängt Sie jetzt«, sagte er mit einer Stimme, rau wie Sandpapier. Dabei nicke er in Richtung einer weiteren Tür, die sich am anderen Ende des Rezeptionsbereichs befand. Wenige Minuten später marschierten sie in das Büro von Alek Sureyev, des zweitmächtigsten Mannes der Russischen Föderation. Dieser saß hinter einem Schreibtisch von der Größe eines Flugzeugträgers. Ihm gegenüber befanden sich zwei mürrisch aussehende Herren.
»General Esina, General Malerov – Sie kennen bestimmt den Kollegen Tomkin von der GRU, und Grigorowitsch vom FSB?«, fragte Sureyev. Den Generälen war sofort klar, was die Gegenwart des FSB – der Nachfolgeorganisation des KGB – in der Landessprache Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii genannt – zu bedeuten hatte. Wenn dazu noch der militärische Geheimdienst GRU involviert war, die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije, dann bedeutete das, dass es großen Ärger gab. Nicht zuletzt, weil diese beiden Organisationen eigentlich verfeindet waren. Ihre führenden Köpfe zusammen in einem Büro zu sehen, war beinahe unvorstellbar.
»Natürlich«, bestätigte Malerov, der ältere der beiden Generäle.
»Gut, dann setzen Sie sich bitte. Wir haben nämlich viel zu besprechen.« Sureyev legte eine kurze Pause ein, während die beiden Männer es sich in den gepolsterten Sitzen bequem machten. Dann führte er das Gespräch fort, das er bereits mit den Chefs von GRU und FSB angefangen hatte.
»Was diese Explosion impliziert, ist alles andere als gut. Natürlich kam sofort die Frage auf, woher dieses Gerät kam. Ich muss wohl niemandem die möglichen Konsequenzen erklären, oder?«
»Nein. Genau aus diesem Grund ist es ja so besorgniserregend. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass wer auch immer die Bombe gezündet hat, nicht das Ziel hatte, radioaktiv verstrahlten Wüstensand zu gewinnen. Wir haben bereits jede mögliche Spur verfolgt, wobei wir sogar bis zu der damaligen Invasion zurückgegangen sind, doch alle haben sich letzten Endes als Sackgassen entpuppt«, erklärte Grigorowitsch. »Es gab zuerst Gerüchte, dass die Iraker sie auf dem Schwarzmarkt gekauft hätten, doch das ist reine Spekulation gewesen. Wir können mit Sicherheit sagen, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besitzt, immerhin haben die Amerikaner damals jeden Stein dort umgedreht und nichts gefunden.«
»Darf ich kurz anmerken, dass sich die Armee keiner Schuld bewusst ist?«, unterbrach General Esina. »Wir haben keine Kofferbomben verkauft.«
»Das sagt ja auch niemand. Wir versuchen doch nur, zu verstehen, wie zwei Atomwaffen spurlos verschwinden konnten, damit wir wissen, womit wir es zu tun haben. Denn wenn die Bombe in Somalia tatsächlich eine von unseren war, wird das früher oder später herauskommen. Und wenn die andere noch irgendwo da draußen unterwegs ist und – Gott behüte – für einen Terroranschlag missbraucht wird, haben wir ein riesiges Problem«, meinte Sureyev mit todernster Miene.
»Wissen wir denn genau, wie viele … nicht auffindbar sind?«, fragte Malerov. »Zwei, darüber gibt es keinen Zweifel«, knurrte Sureyev.
Der Mann von der GRU nickte zustimmend. »Wir hatten gehofft, dass sie inzwischen nicht mehr einsatzfähig seien. Die Geräte müssen normalerweise rund um die Uhr unter Strom stehen, und die Batterien waren äußerst primitiv. All unsere Experten haben uns versichert, dass sie inzwischen keine Bedrohung mehr darstellen würden. Nach der Explosion gestern, muss mal allerdings sagen, dass diese Einschätzung wohl doch etwas zu optimistisch gewesen ist.«
»Wie lange wissen wir denn schon davon?«, fragte Esina.
»Seit zwei Jahrzehnten wissen wir, dass die beiden Geräte verschwunden sind, doch darum geht es hier gerade nicht. Es geht vielmehr darum, dass wir endgültig Gewissheit haben wollen. Besonders nachdem die Armee, die GRU und der FSB extrem viel Zeit dabei verloren haben, sich gegenseitig die Schuld dafür zu geben und darauf zu bestehen, es bestünde keinerlei Gefahr. Nun wurde eines der Geräte eingesetzt, und wir wissen noch nicht einmal, zu welchem Zweck.« Sureyev starrte die Männer wütend an. »Jetzt, wo die Explosion stattgefunden hat, darf es keine höhere Priorität mehr geben, als das verbleibende Gerät zu finden. Wir könnten den Kopf in den Sand stecken und behaupten, wir hätten nichts damit zu tun; wenn man bedenkt, wie merkwürdig das Zielgebiet war, wäre das eine durchaus gangbare Taktik, doch sollte die nächste Bombe in einem bewohnten Gebiet hochgehen, wäre das eine absolute Katastrophe. Dann wird es nur noch darum gehen, dass es eine russische Bombe ist, und das macht das Ganze dann zu unserem Problem. Besser gesagt, zu Ihrem Problem, meine Herren! Lassen Sie uns dabei nicht vergessen, dass wir immer noch unter dem Giftanschlag auf Litwinenko leiden. Das Vertrauen der Welt in Russland ist immens beschädigt, und diese Lage darf sich nicht noch weiter verschlimmern.«
»Meine Leute haben geschworen, dass die Geräte nicht mehr einsatzfähig sind. Die Batterien sind tot, ohne irgendeine Chance sie wieder aufzuladen, und die meisten Teile sind bis zur Wertlosigkeit gealtert«, erklärte Grigorowitsch.
»Das ist richtig«, bestätigte Tomkin. »Doch offensichtlich hat jemand mit der nötigen Expertise eine Lösung dafür gefunden. Die Uhren sind seit Mitte der Achtzigerjahre nicht stehen geblieben und die Technik hat sich seitdem stark weiterentwickelt. Im Hinblick auf die Geschehnisse von gestern müssen wir davon ausgehen, dass jemand die Geräte wieder funktionstüchtig gemacht hat.«
»Wie schwierig wäre denn so ein Umbau?«, fragte Esina.
»Das ist Ansichtssache«, meinte Tomkin. »Doch für uns zählt im Moment nur, dass es möglich ist. Wir sind uns bestimmt alle einig, dass wir hier nicht mehr über Theorien sprechen. Ein fähiger Techniker mit dem richtigen Equipment kann so ein Ding wieder in Gang bringen. Im Grunde genommen ist das Ganze technisch auch nicht übermäßig kompliziert. Die Konstruktion ist relativ schnörkellos.«
»Aber die Wirkung ist begrenzt, richtig? Auf fünf Kilotonnen?«, fragte Malerov.
»Ein Drittel der Sprengkraft von Hiroshima«, sagte Tomkin.
»Also nicht sehr groß«, stellte Esina fest. »Eher geeignet, um zu schockieren, als umfassend zu zerstören.«
»Das kommt darauf an, wen man fragt, würde ich sagen«, stellte Sureyev mit eisigem Tonfall fest. »Stellen Sie sich mal vor, eine davon wird im Vatikan gezündet, in der Londoner Innenstadt oder in Moskau. Mal ganz von dem direkten Schaden abgesehen, denn die Strahlung und die psychologischen Effekte sind unter Umständen noch schlimmer. Es wird doch bestimmt niemand infrage stellen, dass das eine unvergleichbare Katastrophe wäre, oder?«
»Nein, das wäre definitiv problematisch«, gab General Esina zu.
Alle verfielen daraufhin in Schweigen.
Schließlich schüttelte Tomkin den Kopf. »Es wäre schlimm«, sagte der GRU-Mann leise.
Sureyev lehnte sich nach vorn und starrte die Männer an. »Wir müssen dieses Ding finden, und Sie sind hier, um mir zu sagen, wie wir das anstellen können. Wir können nicht einfach mit den Schultern zucken und darauf warten, dass die andere auch hochgeht. Welche konkreten Schritte können wir ergreifen?«, fragte er.
Zwanzig Minuten später waren sie kaum einen Schritt weitergekommen. Einigkeit bestand nur darin, dass ein Versagen zu einer Katastrophe globalen Ausmaßes führen könnte.
Sogenannte Suitcase-Nukes, also tragbare Atombomben, wurden von den westlichen Medien immer als Schauergeschichten, Ablenkungsmanöver oder Science-Fiction abgetan. Die Russen hatten ihren eigenen Teil dazu beigetragen, genug abwegige Geschichten zu streuen, um das Verschwinden der beiden Geräte in den Neunzigern zu verschleiern. Doch nun war eine von ihnen explodiert, und alles stand auf dem Spiel, denn die Vermutungen würden sehr schnell auf Russland fallen.
Im Kalten Krieg hatte die UdSSR Dutzende von diesen Kofferbomben herstellen lassen. Sie waren kompakt und wogen nur etwa dreißig Kilo. Die Anweisungen waren klar gewesen: Sollte es jemals zu einem Kriegsausbruch kommen, sollten die Waffen in der Nähe strategischer Ziele hochgehen, was die Koordinationsfähigkeit der USA und ihrer Verbündeten massiv einschränken sollte. Eine ähnliche Taktik sollte mit verschiedenen biologischen Kampfstoffen gefahren werden, die daraufhin in die Wasserspeicher und Flüsse geleitet werden sollten.
Als die Sowjetunion gegen Ende der Achtzigerjahre auseinanderbrach, waren die Geräte nicht nur aus Europa und den USA zurückgerufen worden, sondern auch aus den Satellitenstaaten, wo man sie als Kampfmittel gegen mögliche Volksaufstände deponiert hatte. Doch zwei von ihnen waren nie wieder aufgetaucht – die beiden, die in der Ukraine stationiert gewesen war. Die Basis, in der sie gebunkert worden waren, hatte als uneinnehmbar gegolten, doch als das Regime seine Kontrolle über die Region verloren hatte, hatte ein zunächst unwichtig erscheinender Diebstahl von Rohmaterial und Kabeln zu einem Sicherheitsleck ungekannten Ausmaßes geführt.
Als sich der Nebel gelichtet hatte, waren die Waffen ohne jede Spur verschwunden, sodass die unkoordiniert agierende Sowjet-Führung keine Möglichkeit gehabt hatte, etwas zu unternehmen. Zunächst hatte man vermutet, die neue Führung der Ukraine hätte dahintergesteckt und hatte die Waffen als Druckmittel für kommende Verhandlungen in der Hinterhand behalten wollen. Doch nach einer mehrjährigen Untersuchung hatte sich diese Theorie als unzutreffend herausgestellt. Für Russland war das Ganze mehr als besorgniserregend gewesen, doch die Gefahr schien mit dem zunehmenden Altern und dem damit angenommenen Ausfall der Geräte immer mehr abzunehmen … bis jetzt.
Esina und Malerov verließen das Meeting mit wesentlich weniger Schwung im Schritt als bei ihrem Kommen. Sie sahen derart mitgenommen aus, dass ihre tief hängenden Mundwinkel wohl jeden Mitarbeiter augenblicklich in die Flucht gejagt hätten. Als sie das Gebäude verließen und sich dem grauen Licht des späten Vormittags gegenübersahen, legten sie auf den Stufen des Kremls eine kurze Pause ein und betrachteten die vielen Soldaten, die wie Statuen aus dem leichten Schnee herausragten. Ihrer beider Leben hatten gerade eine vollkommen neue Bahn eingeschlagen. Sie mussten nun jeden wachen Moment ihrer Existenz damit verbringen, die verschwundene Bombe zu finden … oder bei dem Versuch sterben.