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KAPITEL 4

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Vor drei Wochen, zehn Meilen südlich von Eyl, Somalia

Ein strammer Wind fegte über den Ozean und ließ die Salome in der Bucht herumschwanken wie einen tadelnden Zeigefinger. Tarnnetze bedeckten die Aufbauten und den Großteil des Decks, abgesehen von dem Bereich in der Nähe des Bugs, wo die Piraten sich gerade versammelten. Korfa, ihr Anführer, hob seine AK-47 über den Kopf, während er mit seinen Männern sprach, die kaum älter als zwanzig Jahre waren und ebenfalls Kalaschnikows bei sich trugen. Der Ältere hatte eine durchdringende Stimme und eine autoritäre Ausstrahlung, sodass seine Männer, so wild sie auch waren, ihm stets aufmerksam zuhörten. Niemand wagte es je, ihn zu unterbrechen oder respektlos zu sein. Stattdessen standen sie stramm und folgten aufmerksam seinen Ausführungen über den bisherigen Fortgang der Operation.

»Der Verhandlungsführer der Firma besteht immer noch auf Zugeständnisse. Er sagt, es müsse erst eine Vertrauensbasis geschaffen werden, da wir bereits Mitglieder seiner Crew getötet haben.«

Ein wütendes Murmeln brach aus und Korfa hob eine Hand, um für Stille zu sorgen.

»Das ist doch alles nur Show. Sie wollen damit ihre Zahlung herauszögern, damit wir die Geduld verlieren und mit unserer Forderung heruntergehen.«

»Wie viel haben die denn bis jetzt geboten, Sir?«, fragte einer der Kämpfer in Korfas Nähe, einer seiner Lieblingspiraten.

»Wir haben fünf Millionen Dollar verlangt, ihr Gegenangebot war eine Million. Das geht jetzt schon seit zwei Monaten so und wir sind einer Einigung kein Stück nähergekommen. Ich glaube, diese Firma denkt, wir würden irgendwann alles schlucken, wenn sie nur lange genug abwarten. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir ihnen eine Nachricht senden müssen, die sie verstehen.«

Die Männer stießen verhaltenen Jubel aus, waren jedoch alles andere als begeistert, denn sie warteten nun schon sehr lange auf ihren Zahltag und mit jeder Woche wurden sie ungeduldiger.

»In diesem Sinne möchte ich, dass ihr jetzt drei Besatzungsmitglieder hochholt. Mir ist egal, wen. Nehmt einfach die Schwächsten oder die, die am meisten Schwierigkeiten machen. Nadif, du filmst das Ganze. Unser Kontakt in Mogadischu wird die Aufnahmen anschließend der Firma schicken, und dann schauen wir mal, ob das etwas Tempo in die Sache bringt, denn ich für meinen Teil habe genug davon, darauf zu warten, dass diese reiche Firma aus dem Arsch kommt. Sie sollen uns endlich sagen, wie viel ihnen das Schiff und vor allem die Leben ihrer Mitarbeiter wert sind.«

Die Männer jubelten jetzt wieder, dieses Mal aber mit deutlich mehr Enthusiasmus, und sofort gingen fünf von ihnen unter Deck, um die Crewmitglieder zu holen. Nadif, Korfas erster Offizier, zog eine alte Digitalkamera aus seinem Rucksack und überprüfte die Batterien, während die anderen warteten.

»Ich kann noch ungefähr eine Minute filmen, maximal zwei.«

»Mehr brauchen wir nicht. Ich will gar keine langen Reden schwingen«, sagte Korfa mit einem fiesen Grinsen.

Die drei Unglücklichen wurden jetzt auf das Deck getrieben, wo die gnadenlose Sonne auf sie herabschien und ihnen nach Wochen in der Dunkelheit in den stinkenden Innereien des Schiffes schier die Sinne raubte. Sie hatten kaum noch Ähnlichkeit mit den Männern, die an Bord gewesen waren, als das Schiff geentert wurde. Die Folgen von Hunger und Misshandlungen hatten sie zu wandelnden Skeletten degradiert. Sie stolperten kraftlos vor sich hin, die Augen wanderten konfus umher und insgesamt wirkten sie kaum noch menschlich, eher wie merkwürdige, außerirdische Höhlenbewohner.

Korfa nickte Nadif zu und zog eine rostige Machete aus seinem Gürtel.

»Bindet ihnen die Hände hinter dem Rücken zusammen«, befahl er.

Einer der Piraten trottete zu einem Haufen Seile und schnitt mit seinem Messer einige kleinere Stücke zurecht. Zwei warf er seinen Kollegen zu, woraufhin er sich selbst bei einem der Gefangenen ans Werk machte und dessen Handgelenke brutal zusammenband. Einer der anderen Matrosen wehrte sich, was sich allerdings als keine gute Idee herausstellte, da er deswegen die hölzerne Schulterstütze einer AK-47 über den Kopf gezogen bekam. Nachdem alle drei gefesselt waren, sagte Korfa Nadif, dass er die Kamera starten solle.

»Diese Männer sind drei der verbliebenen zwölf Besatzungsmitglieder. Es sind schon einige in Gefangenschaft gestorben, doch diese Männer hier werden heute ausschließlich wegen eures Zögerns sterben. Wir haben bereits vor einer Woche ernste Konsequenzen angedroht, und hier sind sie. Wir hatten euch gewarnt. Schaut euch die Folgen eurer Taktik an!«, rief Korfa auf Somali, davon ausgehend, dass seine Worte übersetzt werden würden. Doch selbst wenn nicht, würde seine Nachricht mehr als deutlich sein.

Korfa näherte sich dem ersten Mann, der auf die Knie gezwungen worden war. Ohne weitere Worte ließ er die schwere Machete hinabsausen und hackte seinen Hals halb durch, was eine sprudelnde Blutfontäne hervorrief. Er machte einen Schritt zurück, während das Herz des Seemannes seine letzten Schläge tat und noch mehr von dem Lebenssaft herausströmen ließ, bevor der Mann schließlich vornüber kippte und in eine weiter wachsende rote Lache fiel. Die Piraten hoben daraufhin ihre Gewehre triumphierend über ihre Köpfe und brachen in spontane Siegestänze aus, während Korfa sich dem nächsten panikerfüllten Mann näherte. Dieser schloss die Augen und murmelte ein kurzes Gebet, bevor die Klinge sein Leben beendete.

Der letzte Gefangene starrte den Piraten hasserfüllt an, der inzwischen Blutspritzer auf seinem Hemd und dem Gesicht hatte. Sein starker Bizeps wölbte sich, als er zum Schlag ausholte. Der Mann zischte einen Fluch und spuckte seinem Peiniger mitten ins Gesicht, was Korfa mit einem Grinsen quittierte. Er wischte sich den Rotz von der Wange und ließ die Machete heruntersausen, dieses Mal jedoch auf das Schlüsselbein des Mannes. Der Knochen zersplitterte, als die Klinge tief in seinen Körper eindrang und der Mann schrie vor Schmerzen, als das Metall sich tiefer und tiefer in sein Fleisch bohrte. Korfa wiederholte diesen Vorgang mit der anderen Schulter und sah dann mitleidlos dabei zu, wie der Mann zu zittern begann … sein Gesicht kreidebleich, doch immer noch lebendig.

»Nehmt ihm die Fesseln ab und schmeißt ihn über Bord. Mal sehen, ob er schneller schwimmen kann als die Haie«, befahl Korfa grinsend. Dann bedeutete er Nadif, die Filmaufnahme zu beenden.

Die Männer packten jetzt die Beine des Sterbenden, da seine Arme ruiniert waren, und zerrten ihn zur Reling. Einer von ihnen löste das Seil, während ein anderer ihm ins Gesicht trat. Dann hievten drei von ihnen ihn hoch und warfen ihn in das Wasser, das sich fast zehn Meter unter ihnen befand. Sofort wurden Geldscheine gezückt und darauf gewettet, wie lange er wohl überlebte, bis einer der Haie seine Fährte aufnehmen und sich die Beute schnappen würde. Einen Moment lang waren die Mienen der Männer erregt von dem Spiel und der Möglichkeit, auf das Ergebnis zu setzen oder besser gesagt, auf den genauen Zeitpunkt.

Korfa blieb allerdings nicht an Deck, um sich anzuschauen, wer das meiste Geld einheimste. Wortlos gebot er Nadif, ihm zu folgen und gemeinsam zogen sie sich in die relative Kühle des Deckaufbaus zurück.

»Unser Freund in Mogadischu muss die Aufnahme so schnell wie möglich bekommen, denn ich will, dass die Firma versteht, was es bedeutet, sich mit mir anzulegen. Und lass das Blut vom Deck wischen, ich will mich nicht mit den Fliegen herumärgern müssen.«

»Jawohl, Sir. Ich mache mich sofort auf den Weg. Aber … ohne respektlos erscheinen zu wollen … erhöht das nicht die Gefahr, dass sich das Militär einmischt? Ich meine, wenn wir einen Countdown zu noch mehr Exekutionen starten?«

Korfa schüttelte den Kopf, während er überlegte, ob er seinen Untergebenen schlagen sollte. Doch dann entschied er sich dafür, lieber zu lehren, als zu bestrafen, damit der junge Mann später in der Lage war, solche Entscheidungen ebenfalls treffen zu können.

»Wie du weißt, besitzen wir einen gewissen Schutz durch die lokalen Behörden. Dafür bezahlen wir mehr als gut, und im Gegenzug verletzt niemand die Souveränität des somalischen Hoheitsgebietes, denn das würde sofort als eine Kriegserklärung gesehen werden. Und solange wir die Hinrichtungen nicht öffentlich zeigen, wird die Firma garantiert niemandem davon erzählen wollen. Das würde sie doch nur schlecht dastehen lassen. Immerhin ist ihr Geiz daran schuld, dass diese Männer jetzt tot sind. Sag unserem Kontakt, dass er ihnen außerdem ausrichten soll, dass niemand diese Informationen der Presse oder irgendeiner Regierung zukommen lassen darf. Wenn ich herausfinden sollte, dass dies nicht eingehalten wird, werde ich anschließend die gesamte Crew niedermetzeln, die Fracht vernichten und gezielt Jagd auf andere Schiffe ihrer Firma machen. Wenn sie allerdings endlich kooperieren, wird unsere Gruppe ihre Schiffe in Zukunft ziehen lassen. Diese Kombination aus Drohung und Anreiz sollte sie vernünftig werden lassen, und unsere Verhandlungsposition ist dadurch ebenfalls gestärkt.«

Nadif betrachtete Korfa mit neu gewonnener Bewunderung. Er war nicht nur gnadenlos, sondern auch unglaublich klug. Seine Strategie war zwar einfach, aber dennoch vollkommen narrensicher. Jegliche Kommunikation mit den Behörden würde dazu führen, dass alle Gefangenen getötet werden, und der Albtraum würde kurz darauf mit einem weiteren Schiff der Firma von vorn anfangen. Das Ganze war brillant, und viel ausgeklügelter als die Pläne der Anführer anderer Piratengruppen. Damit würde ihr blutiges Geschäft auf ein vollkommen neues, viel profitableres Niveau gehoben werden, und das in einer Zeit, in der die Piraterie um sechzig Prozent zurückgegangen war, weil sich mittlerweile so viele Kriegsschiffe in der Region aufhielten.

Nadif erwiderte gerade das Lächeln seines Anführers, als laute Rufe vom Deck erklangen.

Der erste Hai war zum Mittagessen erschienen.

DAS VERMÄCHTNIS (JET 5)

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