Читать книгу Schließe Freundschaft mit deiner Wut - Russell Kolts - Страница 7
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In diesem Buch wird ein neues Modell vorgestellt, mithilfe dessen man Wut verstehen und mit ihr arbeiten kann. Es beruht auf einem neuen Ansatz, der von Paul Gilbert, einem bekannten britischen Psychologen, entwickelt wurde. Gilberts Compassionate Mind Approach geht davon aus, dass wir zunächst Kenntnisse von der Funktionsweise unserer Psyche haben müssen, wenn wir effektiv mit ihr arbeiten wollen. Die Compassion Focused Therapy (CFT), die therapeutische Methode, die aus diesem Ansatz hervorgegangen ist, stellt wirkungsvolle Strategien für die Arbeit mit schwierigen Emotionen wie z. B. Wut bereit und dafür, wie wir uns in Richtung auf ein glücklicheres und gesünderes Leben entwickeln können. Wir werden uns in diesem Buch intensiv mit Mitgefühl befassen, aber im Hintergrund steht immer die Erkenntnis, dass wir alle glücklich sein und Leiden vermeiden wollen. Kombiniert mit der Sensibilität für die Unvermeidlichkeit von Leiden und einer Motivation, zu helfen, Leiden in uns und in anderen Menschen zu erleichtern, bildet diese Einsicht die Grundlage dafür, wie man mit Mitgefühl in der Welt sein kann. Mitgefühl spielt seit Langem im Herzen verschiedener spiritueller Traditionen eine zentrale Rolle, vor allem im Buddhismus. In der Psychologie hat es aber historisch eine viel weniger formale Stellung eingenommen, als man erwarten könnte, wenn man bedenkt, dass professionelle Helfer auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit den größten Teil ihrer Zeit darauf verwenden, Patienten zu helfen, mit Leiden zu arbeiten.
Viele Menschen, die in solchen Berufen arbeiten, beginnen zu verstehen, dass Mitgefühl eine wichtige Rolle bei der Arbeit mit schwierigen Emotionen spielen kann. Ferner belegt die Forschung, die aus der gemeinsamen Anstrengung westlicher Psychologen und buddhistischer Mönche hervorgeht, dass Mitgefühl potentiell auch helfen kann, Teile des Gehirns zu stärken, die für die Regulierung von Emotionen wichtig sind. Besondere Therapieformen bilden sich heraus, die die Kultivierung von Mitgefühl mit sich selbst und mit anderen einsetzen, um Menschen zu helfen, mit den Schwierigkeiten des Lebens umzugehen.
Dieses Buch verwendet die CFT, um Ihnen zu helfen, mit Ärger und mit Wut umzugehen, die auf der Reaktion des Gehirns auf reale oder vorgestellte Bedrohungen und Gefahren und auf unseren frühen Erfahrungen beruhen. Es will Ihnen helfen, Scham wegen Ihrer schwierigen emotionalen Erfahrungen aufzugeben und stattdessen Verantwortung für sie zu übernehmen. Gemeinsam werden wir Möglichkeiten finden, mit diesen Emotionen zu arbeiten und Strategien zu entwickeln, die Ihnen helfen, mit Ihrer Wut umzugehen. Wir werden viele Praktiken und Techniken kennenlernen, die Ihnen helfen werden, Ihre Beziehung mit Ihren Emotionen, mit Ihren Lebenserfahrungen und mit anderen Menschen zu verändern. Sie können lernen, freundlicher mit sich selbst und mit anderen zu sein und mit Ihrer Wut so zu arbeiten, dass sie Ihr Leben, so wie Sie es gern leben möchten, nicht mehr stört.
Die CFT greift auf Mitgefühlspraktiken zurück, die seit Tausenden von Jahren verwendet werden, aber sie nutzt auch das wissenschaftliches Verständnis davon, wie der Geist und die Psyche funktionieren. Sie greift auf die evolutionäre Psychologie zurück, die unsere Hirnfunktionen vor dem Hintergrund unserer evolutionären Geschichte betrachtet (das heißt, wie wir so wurden, wie wir sind), und hilft uns so, den Sinn einiger manchmal sehr frustrierender Aspekte unseres Verhaltens zu verstehen. Die CFT profitiert auch von der sogenannten „affektiven Neurowissenschaft“, die uns hilft, unsere emotionalen Erfahrungen in Verbindung mit den Vorgängen in unserem Gehirn zu verstehen. Auf der Grundlage dieser Ansätze vertritt das Compassionate-Mind-Modell (auf dem die CFT beruht) die Auffassung, dass Mitgefühl sowohl einzigartig als auch wirkmächtig ist: Es ist einfach gut für uns, wie der Dalai Lama meint, wenn wir Mitgefühl kultivieren. Es ist auch die einzig sinnvolle Reaktion, wenn wir bedenken, wie schwer zusammenpasst, wie sich unser Gehirn entwickelt hat, um mit bestimmten Bedrohungen und Gefahren umzugehen, und wie wir jetzt in einer Welt leben, die uns mit ganz anderen Arten von Gefahren und Bedrohungen konfrontiert.
In den ersten drei Kapiteln dieses Buches betrachten wir Wut aus der Perspektive der CFT. Wir beginnen, Wut als das Produkt der Systeme zur Regulierung von Emotionen zu verstehen, die sich über Millionen von Jahren entwickelt haben. Wir werden beschreiben, wie diese uralten Systeme mit unseren Fähigkeiten interagieren können, zu denken und zu fantasieren (oder zu imaginieren), und uns in Zyklen von Wut und Feindseligkeit halten und blockieren können. Wir werden auch andere Systeme zur Regulierung von Emotionen kennenlernen, die uns helfen können, Wut und starke Aggression mit anderen Emotionen auszugleichen und Kontrolle darüber zu gewinnen, wie wir denken und fühlen. Später werde ich die Konzepte von Mitgefühl und vom mitfühlenden Selbst und eine Reihe von Übungen vorstellen, mit denen man mit Wut arbeiten kann, um einen ruhigen, zuversichtlichen, weisen und mitfühlenden Geist zu kultivieren.
Einige Praktiken und Ansätze, die in diesem Buch verwendet werden, sind für die CFT typisch und manche kennen Sie vielleicht schon. Zum Beispiel stammen das Selbstbehauptungstraining und Techniken zur Veränderung der Weise, wie man denkt, aus der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Bei der CFT geht es nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr stellt sie uns eine Möglichkeit zur Verfügung, wie wir uns selbst transformieren können und die mit sehr wirksamen und etablierten Methoden der Veränderung kompatibel ist. Gleichzeitig fügt sie etwas Neues hinzu: ein mitfühlendes Verständnis davon, wie unser Geist funktioniert. Unser Ziel ist es, das mitfühlende Selbst (Compassionate Self) zu entwickeln, sodass wir auf eine Weise mit den Schwierigkeiten des Lebens umgehen können, die uns ermöglicht, unsere Wut zu kontrollieren, statt von ihr kontrolliert zu werden.
Meine Einführung in dieses Thema entstand als Folge meiner Beschäftigung mit meiner eigenen Wut. Viele meiner Studenten haben mir in meinen Psychologieseminaren erzählt, dass sie eines Tages Kinder haben möchten. Ich habe dann oft geantwortet: „Wenn Sie ein guter Vater (oder eine gute Mutter) sein möchten, dann versuchen Sie, selbst zu so einem Menschen zu werden, wie Sie es auch Ihrem Kind wünschen. Kultivieren Sie in sich selbst die Eigenschaften, die Sie Ihrem Kind wünschen.“ Wenn Sie möchten, dass Ihr Kind freundlich ist, dann lernen Sie, Menschen freundlich zu behandeln. Wenn Sie wollen, dass es mit schwierigen Umständen gut umgehen kann, dann lernen Sie selbst, sich solchen Situationen zu stellen. Die Idee ist, dass Kinder dadurch lernen, das Leben zu bewältigen, dass sie mit den Menschen interagieren und die Menschen beobachten, die ihnen nahe sind. Wie wir uns gegenüber unseren Kindern und in ihrer Umgebung verhalten, hat mehr Einfluss auf ihren Charakter, als wenn wir ihnen nur sagen, wie sie sich verhalten oder nicht verhalten sollten.
Als mein Sohn geboren wurde, habe ich angefangen wahrzunehmen, dass ich mich manchmal so verhielt, wie ich es nicht an ihn weitergeben wollte – und meistens hatte dieses Verhalten mit Ärger und Wut zu tun. Während dieses Prozesses der Arbeit mit Ärger und Wut begegnete ich dem Buddhismus und seinen Mitgefühlspraktiken, von denen viele Tausende von Jahren alt sind. Ich fing selbst an, sie zu lernen, und als ich ihre Kraft spürte, mein Leben zum Besseren zu transformieren, wusste ich, dass ich einen Weg finden musste, sie in meine Arbeit als Psychologe zu integrieren. Dies führte mich zu Paul Gilberts CFT. Wie gesagt, mein Ansatz zu dieser Arbeit ist sehr von der traditionellen westlichen Psychologie und durch meine persönliche Erfahrung mit den Techniken buddhistischen Geistestrainings beeinflusst. Keine Sorge – wenn ich dies schreibe, ist mein Ziel nicht, jemandem zum Buddhismus zu bekehren. Ich würde mich nicht einmal selbst als Buddhisten bezeichnen, und im Folgenden werden Sie sehen, dass dieses Buch ganz sicher keine religiöse Tendenz erkennen lässt. Ich glaube aber, es ist wichtig, den Einfluss des Buddhismus anzuerkennen, denn er hat mir die Erfahrung vermittelt, welche kraftvolle Wirkung die Kultivierung von Mitgefühl in unserem Leben haben kann. Er zeigt uns viele Möglichkeiten, wie man sein Denken verändern kann, mit schwierigen Emotionen arbeiten und auf schwierige Situationen reagieren kann – Strategien, die einen starken Einfluss auf dieses Buch hatten.
Eines der Dinge, die ich bemerkt habe, als ich anfing, buddhistische Lehrvorträge zu hören, war die Betonung der Motivation, die uns hilft zu reflektieren, warum wir gerade dieser Aktivität zu diesem Zeitpunkt nachgehen. Was ist unser Ziel, wenn wir dies oder jenes tun? Meine Lehrer betonten, dass das Ergebnis einer Aktivität sehr viel mit der zugrunde liegenden Motivation zu tun hat und dass Motivation etwas ist, was man wählen und entwickeln kann.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eine erste Übung vorschlagen, die ich von meinen Lehrern übernommen habe: Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und reflektieren Sie darüber, wie Sie Ihr Leben in diesem Moment erleben und erfahren. Nehmen Sie die Umgebung wahr, in der Sie sich befinden. Was sehen Sie? Was hören Sie, was fühlen Sie? Wie ist die Temperatur? Ist es warm oder kühl?
Seien Sie sich nun Ihres Körpers bewusst. Wie fühlt er sich an? Ist er entspannt oder angespannt? Sitzen Sie oder liegen Sie? Wie fühlt es sich an, wenn Sie dies tun? Ist es angenehm und bequem? Oder eher unangenehm?
Richten Sie jetzt Ihr Bewusstsein auf Ihre Emotionen. Wie fühlen Sie sich in diesem Moment? Interessiert? Nervös? Angespannt? Irritiert oder gereizt? Gelangweilt? Was für Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
Betrachten Sie schließlich Ihre Motivation, dieses Buch zu lesen. Warum haben Sie es gekauft, geöffnet und angefangen zu lesen? War es Neugier? Haben Sie sich mit Wut auseinandergesetzt, und suchen Sie vielleicht etwas, was Ihnen helfen könnte? Vielleicht hat Ihnen jemand dieses Buch empfohlen? Vielleicht lesen Sie es, weil Sie jemanden kennen, der Probleme mit Wut hat – einen Freund, ein Familienmitglied, oder wenn Sie beruflich mit Menschen mit psychischen Problemen arbeiten, einen Klienten oder einen Patienten – und Sie hoffen zu lernen, wie Sie ihnen helfen können?
Überlegen Sie, was Ihre Motivation ist, und schauen Sie, ob Sie mit ihr arbeiten können. Schauen Sie, ob Sie an die Lektüre dieses Buches mit der Motivation herangehen können, sich selbst und andere besser verstehen und sich selbst helfen zu können. Stellen Sie sich vor, dass Sie dies tun, damit Sie lernen können, wirksamer mit den schwierigen Emotionen umzugehen, mit denen Sie in Ihrem Leben konfrontiert werden, damit Sie in der Welt auf eine Weise existieren können, die freundlich und für Sie selbst wie für alle, denen Sie begegnen, nützlich ist.
Dies ist ein vollkommener Anfang.