Читать книгу Schließe Freundschaft mit deiner Wut - Russell Kolts - Страница 9
Оглавление2 | Der Compassionate Mind Approach kann helfen, Ärger und Wut zu verstehen |
Bei der Compassion Focused Therapy (CFT) erkennen wir an, dass Wut eine Emotion ist, die sich als Überlebenshilfe entwickelt hat – sie warnt uns vor bestimmten Dingen und macht uns bereit zur Verteidigung, wenn wir in Gefahr sind. Wir haben aber auch gesehen, dass unkontrollierte Aggression reale Probleme in unserem Leben und in unseren Beziehungen zur Folge hat. Wir können unsere Aggression nicht loswerden, so wenig, wie wir unsere Nase loswerden können (unsere Nase loszuwerden wäre sogar viel leichter, wenn auch ein wenig schmerzhafter). Wir können aber lernen, unsere Aggression, unsere Wut zu verstehen – warum das Gehirn es so leicht macht, sie zu empfinden, wie sie sich in unserem Körper anfühlen und wie sie Kontrolle über unsere Gedanken und über unser Verhalten übernehmen können. Wir können etwas über die Dinge lernen, die sie auslösen, und dann an den Reaktionen auf diese Auslöser arbeiten. In diesem Buch befassen wir uns vor allem damit, wie wir Identifikationen mit Ärger und Wut lösen und mit Mitgefühl an unsere Aufgabe herangehen können. Wir haben nicht immer die Wahl, ob wir Ärger oder Wut empfinden, aber wir können bestimmen, was wir mit dieser Aggression tun.
Wir werden in diesem Buch viel daran arbeiten, unser „mitfühlendes Selbst“ zu entwickeln. Es mag seltsam erscheinen, wenn wir dabei unser Mitgefühl zuerst auf uns selbst richten sollen, da wir uns doch so oft grob und verletzend anderen gegenüber verhalten. Wir werden aber sehen, dass dies sinnvoll ist, wenn wir erst einmal verstehen, woher unsere Aggression kommt und warum es so schwierig ist, mit ihr umzugehen.
Wir sind einfach so, wie wir sind
Im ersten Kapitel habe ich das Beispiel von Thubten Chodron zitiert, in dem sie fragte, was wir fühlen, wenn uns jemand auf der Straße schneidet, und was wir fühlen, wenn wir selbst jemanden schneiden. Dies änderte unsere Perspektive, und wir konnten uns leichter in diejenigen hineinversetzen, die wir bisher so wütend kritisiert hatten. Dies ist ein Beispiel für Empathie, einen sehr wichtigen Teil von Mitgefühl, der es uns ermöglicht, Situationen aus der Sicht der anderen zu verstehen – eine Sicht, die frei ist von dem Gefühl, bedroht oder in Gefahr zu sein. Wenn wir lernen, Identifikationen mit unseren Emotionen zu lösen und über uns und andere auf eine freundliche Weise und mit Verständnis nachzudenken, können wir uns von dem Einfluss von Ärger und Wut befreien, die durch das Bedrohungssystem ausgelöst werden. Wir sehen die Dinge klarer und bekommen mehr Kontrolle über unser Leben.
Entscheidend ist die Erkenntnis der CFT, dass wir alle einfach da sind, als Teil des Lebens, das vor Millionen von Jahren auf diesem Planeten begonnen hat. Wir sitzen sozusagen alle in einem Boot. Wir haben es uns nicht ausgesucht, hier auf diesem Planeten zu sein. Wir sind hier angekommen, in diesem Moment der Geschichte, in diesen bestimmten Formen, mit diesem Gehirn, und mit einer Menge unterschiedlichster Motivationen, Begierden und Gefühle. Wir finden uns alle hier vor, in Situationen hineingeboren, über die wir keine Kontrolle hatten, mit einem Körper und einem Geist, auf die wir keinen Einfluss hatten, und wir sind von Menschen umgeben, deren Gesellschaft und deren Eigenschaften wir nicht gewählt haben. Wir haben weder unsere Hautfarbe gewählt noch unsere körperlichen und seelischen Eigenschaften, d. h. unsere Vorlieben und Abneigungen, ob wir groß oder klein oder dünn oder rundlich sind, ob unsere Zähne gerade oder schief stehen und ob unser Herz belastbar ist oder sehr schwach. Und wir haben uns auch nicht unser Gehirn ausgesucht oder es selbst geplant, und auch nicht wie es funktioniert.
Viele Menschen sind sich dessen schmerzhaft bewusst, wenigstens gelegentlich. Wer von uns würde nicht etwas an sich ändern wollen, wenn er die Wahl hätte? Ich bin zum Beispiel mit meiner Körpergröße und meiner Sehkraft ziemlich zufrieden, aber ich hätte nichts gegen ein markantes Kinn, und meine eher dürftigen Fähigkeiten am PC und beim Gitarrespielen würden von einem Austausch meiner kurzen Wurstfinger gegen lange schmale sehr profitieren.
Es gibt Dinge an unserem Gehirn, die wir vielleicht auch gern ändern würden, wenn wir könnten. Auf der einen Seite gibt es wunderbare komplexe Systeme, die in der Lage sind, wahrhaft erstaunliche Dinge zu tun: Sie ermöglichen uns, uns zu erinnern, zu lernen, zu planen und differenziert mit den Nuancen komplizierter sozialer Beziehungen umzugehen. Sie ermöglichen uns auch, Optionen und Konsequenzen abzuwägen, wie zum Beispiel, ob wir Kaffee zum Nachtisch nehmen, um länger munter zu bleiben. Andererseits ist das menschliche Gehirn aber auch ein evolutionärer Flickenteppich – ein Gebilde, das ein komplexes und vielfältiges System von Strukturen und Funktionen enthält, von denen einige fast aus den Anfängen des Lebens selbst stammen. Unser Gehirn hat sich mit starken Emotionen entwickelt, die sich Gedanken und Aufmerksamkeit zunutze machen, oft ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Ferner scheinen diese Emotionen oft besser zu früheren Zeiten der menschlichen Geschichte zu passen – wenn sie uns darauf vorbereiten, zu kämpfen, zu fliehen oder in Unterwerfung zu Boden zu gehen, statt innezuhalten, um achtsamer zu werden oder zu analysieren, zu überlegen und abzuwägen. Während uns unser Gehirn also oft gute Dienste leistet, funktioniert es auch auf eine Weise, die wir wahrscheinlich nicht gewählt oder so geplant hätten und wahrscheinlich gern verändern würden, wenn wir die Wahl hätten.
Wir können uns also weder unsere Lebensumstände selbst wählen, in die wir hineingeboren werden, noch können wir uns aussuchen, wie wir aussehen oder wie unser Gehirn funktioniert. Unsere frühe Umwelt spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie wir mit der Welt interagieren werden, und sie formt weitgehend unsere Fähigkeiten, mit schwierigen Emotionen wie Ärger oder Wut umzugehen. Wir kommen alle mit einem Gehirn auf die Welt, das Systeme enthält, die sozusagen schon konfiguriert und bereit sind, davon aktiviert zu werden, wie das Leben uns behandelt – bestimmte Erfahrungen in unserem Leben können buchstäblich bestimmte Gene „einschalten“ oder modifizieren, wie unser Gehirn funktioniert. Dies ist ein Grund, weshalb frühe Bindungen so wichtig sind. Wir werden im 3. Kapitel darauf zurückkommen. Wenn ich mit meinen Kollegen darüber spreche, wie uns die Situationen, in die wir hineingeboren wurden, geprägt haben, höre ich oft Sätze wie: „Wenn ich in ein Drogenkartell hineingeboren worden wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich ein Drogendealer oder vielleicht im Gefängnis oder tot oder selbst ein Mörder.“ Es ist leicht, die Welt in „gute und schlechte Menschen“ zu teilen, aber diese Unterscheidungen werden der Wirklichkeit nicht gerecht. Untersucht man die Lebensgeschichten von Menschen genauer, dann sind solche Etikettierungen kaum haltbar. Viele wurden in Umgebungen hineingeboren, die von Gewalt, Feindseligkeit, Missbrauch oder Vernachlässigung bestimmt waren. Ihre Persönlichkeit und ihr Gehirn wurden derart geprägt, dass große Schwierigkeiten in ihrem Leben vorgezeichnet waren.
Betrachten wir das Ganze mit Mitgefühl, dann erkennen wir, dass wir möglicherweise ebenso gehandelt und so geworden wären, wenn wir in diese Umstände geraten wären. Wie würden uns vielleicht so ähnlich wie sie verhalten, im Guten wie im Schlechten. Es ist leicht, andere und auch uns selbst, zu verurteilen, aber oft sehen oder würdigen wir nicht die Charakterstärke, die möglicherweise noch viel Schlimmeres verhindert hat. Wäre ich in eine so problematische Umgebung hineingeboren worden, wäre es ziemlich wahrscheinlich, dass ich so – der Psychologieprofessor, der dieses Buch schreibt – nicht existieren würde. Diese Überlegungen sind wichtig, um zu erkennen, dass wir uns nicht ausgesucht haben, wie unser Gehirn funktioniert oder wie es von unserem Leben geformt und konditioniert wurde. Diese Einsicht wird uns helfen, die Herausforderungen unseres Lebens zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen und vor allem zu lernen, unseren Geist auf eine mitfühlende Weise auszubilden und uns an unserem eigenen Wohlbefinden und dem der anderen zu orientieren. Dies können wir tun, auch wenn es nicht unser Fehler ist, dass wir dieses empfindliche und problematische Gehirn haben. Und ebenso können wir mehr Verständnis und Empathie für diejenigen aufbringen, die in schwierigeren Lebensumständen aufgewachsen sind und leben.
Altes Gehirn und neues Gehirn
Wenn wir das menschliche Gehirn studieren, sehen wir, dass wir viele grundlegende Triebe und Motivationen mit Organismen – wie Reptilien – gemeinsam haben, die lange vor uns in der Kette der Evolution aufgetaucht sind (1). Das Leben von Reptilien ist nicht annähernd so kompliziert wie Ihres oder meins. Sie sind im Allgemeinen nur an vier Dingen interessiert: Kämpfen, Fliehen, Fressen und Sex bzw. Fortpflanzung. Wahrscheinlich denken Sie, dass einige dieser Dinge auch Ihnen gelegentlich in den Sinn kommen. Aus der Perspektive der Evolution sind die Gehirne neuer Arten, die im Strom des Lebens auftauchen, nicht vollkommen neu; vielmehr besitzen sie neue Fähigkeiten, die sie einzigartig machen, und zugleich viele Strukturen und Eigenschaften, die in früheren Formen des Lebens schon da waren. Vereinfacht könnte man sagen, dass wir alle ein „altes Gehirn“ haben, das immer noch auf die vier genannten Dinge hin orientiert und für unsere grundlegenden Begierden und Emotionen verantwortlich ist. Dieses „alte Gehirn“ ist mit einem „neuen Gehirn“ verknüpft, der Teil, der uns auf eine einzigartige Weise menschlich macht – das heißt fähig zu fantasiebegabtem und kreativem Denken, zu Imagination, Grübeln, Planen und so weiter.
Aus Sicht der CFT ist es wichtig, zu sehen, dass die Verknüpfung zwischen altem Gehirn und neuem Gehirn sehr problematische Folgen hat. Denken Sie an die vielen starken Leidenschaften, die Sie in Ihrem Leben erlebt haben. Sie haben erfahren, wie es ist, sich zu verlieben, eine Beziehung mit den Kindern zu pflegen, Freundschaften und Partnerschaften aufzubauen, eine gute sexuelle Beziehung zu haben, danach zu streben, angenommen zu werden und Ablehnung zu vermeiden. Sie wissen, wie es ist, in Wut zu geraten und Konflikte zu haben, Angst zu bekommen, wenn eine Gefahr droht, und Freude zu empfinden, wenn für Sie alles gut läuft … Wir können diese Verhaltensweisen und Erfahrungen auch bei vielen Tierarten beobachten: Sie können sie bei Haustieren wie Katzen und Hunden und bei den Schimpansen im Zoo live miterleben. So funktioniert das Leben – diese Triebe, Motivationen und Emotionen sind wesentliche Bestandteile unserer psychischen Ausstattung. Und in den meisten Filmen geht es genau darum: Liebe, Sex, Gewalt, Opfer, Verrat und so weiter. Dies sind die Themen, die unser Leben bestimmen.
Unser „altes Gehirn“ steuert diese grundlegenden Prozesse und Emotionen, die uns helfen zu überleben und uns fortzupflanzen. Strukturen des alten Gehirns sorgen dafür, dass unser Herz schlägt und die Lungen funktionieren, und regulieren die Zyklen unseres Schlafes, der Nahrungsaufnahme und der Fortpflanzung. Andere Strukturen des alten Gehirns helfen uns, so mit der Umwelt zu interagieren, dass wir überleben und unsere Gene weitergeben können. Sie motivieren uns, uns die Dinge zu verschaffen, die wir brauchen, und sind dafür verantwortlich, vom passenden Partner angezogen zu sein, für Nachwuchs zu sorgen und emotional zu reagieren, wenn uns etwas bedroht und in Lebensgefahr bringt.
Diese Tendenzen des alten Gehirns haben sich über Millionen von Jahren entwickelt. Man kann sie bei zahllosen Tierarten beobachten. Betrachtet man Reptilien oder Amphibien, erkennt man Formen von Aggression, Angst und Anziehung (Paarungsverhalten); aber zum Beispiel auch, dass diese Arten ihre Jungen nicht säugen. Mit dem Auftauchen der Säugetiere vor etwa 120 Millionen Jahren entstand etwas wirklich Wichtiges: eine Psychologie der Fürsorge füreinander. Säugetiere – dazu gehören Nagetiere, Katzen, Hunde, Affen, Delfine und schließlich auch Menschen – nähren ihren Nachwuchs und sorgen füreinander. Diese Psychologie der Fürsorge ist die Grundlage von mitfühlendem Denken und Verhalten. Vielleicht haben sie dieses Verhalten bei Haustieren beobachtet und zugeschaut, wie die Mutter ihre Jungen sorgfältig gesäugt, gesäubert und beruhigt hat.
Dieses Verhalten ist nicht zufällig entstanden – es ist für das Überleben der Jungen notwendig, da sie weit weniger Nachwuchs zur Welt bringen als Reptilien, Amphibien oder Fische. Anders als deren Nachwuchs sind Säugetiere bei der Geburt fast hilflos. Sie müssen durch engen Kontakt mit der Mutter vor Gefahren geschützt, gefüttert und beruhigt werden, wenn sie in Not sind. Es muss für sie ebenso gesorgt werden wie für menschliche Babys, sonst würden sie nicht lange überleben. Wir werden später sehen, dass diese fürsorgliche Beziehung auch tiefe und bedeutende Wirkungen darauf hat, wie sich die Psyche des Säuglings entwickelt. Der Dalai Lama erwähnte diese angeborene Fähigkeit als Beweis dafür, dass wir „physisch dafür ausgestattet sind, Mitgefühl zu empfinden“. Babys müssen dafür sorgen, dass sie versorgt werden (dies ist der Grund, weshalb Babys so süß sind und es ihnen so gut gelingt, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen).
Wir besitzen auch die Fähigkeiten, abzuwägen, zu fantasieren, zu planen, uns in Kontemplation zu versenken, zu reflektieren und Ereignissen in unserem Leben Bedeutung und Sinn zu geben. Diese Fähigkeiten besitzen nur wir mit unserem „neuen Gehirn“, besonders aufgrund des Frontallappens – der weichen, faltigen äußeren Hülle des Gehirns, die sich an der Stirnseite befindet. Dieses „neue Gehirn“ ist der Grund, weshalb wir die dominante Spezies auf dem Planeten sind – es ermöglicht uns, Technologien zu entwickeln, riesige und komplexe Gesellschaften aufzubauen und tief nuancierte Beziehungen zu haben. Wir haben ein ganz erstaunliches Gehirn.
Leider entstehen aber Probleme aus der Kombination der Orientierung unseres alten Gehirns auf die vier Hauptziele (besonders sein starker Fokus auf dem Entdecken von Gefahren und Bedrohungen) und der Fähigkeiten des neuen Gehirns, Sinn herzustellen, zu grübeln und komplexe Vorstellungen und Fantasten zu entwickeln. Wie wir gesehen haben, werden diese Fähigkeiten des neuen Gehirns von unserem Bedrohungssystem in Anspruch genommen, wobei Gedanken, Argumentationen und Fantasien alle die Wirkung haben, uns in Ärger und Wut zu halten. Unser erstaunliches Gehirn macht auch möglich, dass unsere Aggression sich in einzigartig destruktiven Formen manifestiert – durch die Entwicklung und Verwendung von Waffen wie Schwertern, Gewehren und Atombomben. Das erfinderische neue Gehirn kann sich mit den Begierden und Motiven des alten Gehirns verbinden und zu sehr tragischen Konsequenzen führen. Schauen wir uns ein wenig genauer an, wie unser Gehirn funktioniert, damit wir es benutzen, um zu heilen, und nicht, um Schaden zuzufügen.
Ein Modell der Emotion
Unser Gehirn besteht aus Milliarden und Abermilliarden von Zellen, sog. Neuronen. Diese sind durch eine unglaublich große Zahl von Verbindungen miteinander verknüpft, den Synapsen. Allem, was wir erleben und wahrnehmen, jedem Gedanken, der uns durch den Kopf geht, allem, was wir tun, allem, was wir sehen, hören, fühlen, riechen, entspricht ein Muster einer Aktivität im Gehirn. Dies bedeutet, dass jedes Mal, wenn wir an etwas denken – zum Beispiel an eine Apfelsine –, Zellen im Gehirn „aufleuchten“ und uns ermöglichen, diesen Gegenstand in unserem Bewusstsein zu „sehen“, seine Form und Farbe zu verstehen, und uns seinen Geruch, und wie sie sich anfühlt und schmeckt, vorzustellen. Andere Zellen leuchten auf und lassen uns daran denken, ob wir Apfelsinen mögen oder nicht. Und wieder andere Zellen ermöglichen z. B. Kindheitserinnerungen, wie an einen Besuch in den Ferien beim Großvater, der einen Orangenhain hatte, und vielleicht auch an das warme Gefühl, damals verwöhnt und geliebt worden zu sein.
So wie das Wort „Apfelsine“ bestimmte Zellen in unserem Gehirn aktivieren kann, können das natürlich auch Ärger oder Mitgefühl. Jedes Wort lässt andere Verbindungen im Gehirn aufleuchten, die mit emotionalen Erfahrungen, körperlichen Reaktionen, Aufmerksamkeitsmustern und Denk- und Verhaltensweisen verbunden sind. Normalerweise denkt man nicht an all diese Dinge, wenn man von Emotionen spricht. Man sagt einfach „Ärger“. Aber unsere emotionalen Erfahrungen organisieren unser Denken und Bewusstsein in vielfältiger Weise und betätigen verschiedene Lichtschalter in unserem Gehirn. Bei Emotionen wie Ärger geht es nicht nur darum, wie man sich „fühlt“.
Die drei Kreise
Bei der CFT wird die komplexe Welt der menschlichen Emotionen in drei Systeme zu deren Regulierung unterteilt, die uns in unterschiedlichen Situationen helfen (2):
1. Systeme, die uns helfen, Gefahren und Probleme zu entdecken und auf sie zu reagieren.
2. Systeme, die uns motivieren, Ressourcen zu suchen und uns zu verschaffen, und die helfen, günstige Gelegenheiten zu erkennen und darauf zu reagieren.
3. Systeme, die uns ermöglichen, in einen Zustand der Ruhe und Offenheit zu gelangen, wenn wir nicht mit Gefahren, Problemen oder drängendem Verlangen konfrontiert sind – wenn wir also zufrieden und befriedigt sind. Wir werden sehen, dass dieses System unmittelbar mit Erfahrungen der Zuneigung und mit „Zugehörigkeit“ verbunden ist, mit Erfahrungen also, die beruhigen und trösten und die Aktivität des Bedrohungssystems reduzieren.
Diagramm 2.1: Die Interaktion zwischen drei Hauptsystemen emotionaler Regulierung
(Aus: P. Gilbert, (2011). Mitgefühl: Wie wir Mitgefühl nutzen können, um Glück und Selbstakzeptanz zu entwickeln und es uns wohl sein zu lassen. Freiburg, Br.: Arbor.)
Das Modell der „Drei Kreise“ hat eine lange Vorgeschichte in der Forschung und zeigt, dass positive und negative Emotionen im Gehirn verschieden verarbeitet werden und unterschiedliche Systeme im Körper beeinflussen. Sie erkennen darin das Bedrohungssystem, das an der Aktivierung unserer Kampf-oder-Flucht-Reaktion beteiligt ist. Statt Kampf oder Flucht kann es auch Erstarrung oder Unterwerfung hervorrufen.
Das Compassionate-Mind-Modell unterscheidet weiterhin verschiedene Arten positiver Emotionen. Wir fokussieren besonders auf die Unterschiede zwischen Emotionen, die mit Erregung und hoher Energie zu tun haben, und anderen, die mit Gefühlen der Ruhe und Zufriedenheit verbunden sind. Die Unterscheidung dieser Arten positiver Gefühle deutet schon an, wie Mitgefühl helfen kann, mit schwierigen Erfahrungen umzugehen (3). Wie unsere Emotionen in Wirklichkeit funktionieren, ist sehr kompliziert. Unser Modell zeichnet lediglich ein vereinfachtes Bild ihrer Funktionsweise. Es gibt viele andere Modelle, die zu erklären versuchen, wie unsere Emotionen funktionieren. Wir verwenden dieses Modell, weil es uns verstehen hilft, woher Emotionen stammen und in welcher Beziehung die verschiedenen Systeme zur Regulierung von Emotionen stehen und wie sie unser Bewusstsein und Denken organisieren können.
Das Bedrohungs- und Selbstschutzsystem
Schauen wir uns diese Systeme einmal genauer an und beginnen wir mit dem Bedrohungs- und Selbstschutzsystem, das wir der Einfachheit halber kurz „Bedrohungssystem“ nennen.
Die Erfahrung von Gefahr oder Bedrohung ist zum Teil mit unseren Motiven und Zielen verknüpft, und das Bedrohungssystem hat sich entwickelt, um unser Bewusstsein und Denken auf Selbstschutz zu richten. Es wird aktiviert, wenn unser Gehirn eine potentielle Bedrohung oder Gefahr für uns oder für Menschen, die uns nahestehen, wahrnimmt. (Ich sage „unser Gehirn“ und nicht „wir“, weil unser Gehirn etwas als Bedrohung wahrnehmen und darauf reagieren kann, auch wenn uns das nicht bewusst ist.)
Diagramm 2.2: Wie das Bedrohungssystem Bewusstsein und Denken organisiert
Wenn unser Gehirn eine Bedrohung wahrnimmt, setzt es eine Kaskade von Reaktionen in Bewegung (die in Kapitel 1 erwähnten Dominosteine), die dazu bestimmt sind, dass wir angesichts einer Gefahr schnell reagieren und diese zukünftig vermeiden. Wir erleben körperliche Reaktionen und Ausbrüche von Emotionen, die uns in Reaktion auf die reale oder vorgestellte Gefahr handeln lassen. Durch Bedrohung ausgelöste Emotionen sind z. B. Wut, Angst und Ekel. Jede von ihnen drängt uns zum Handeln. Der Impuls bei Wut oder Ärger ist das Bedürfnis, anzugreifen, bei Angst zu fliehen und bei Ekel das zu vermeiden, was uns abstößt. Wenn etwas Ekel auslöst – Anzeichen von Verwesung, Verschmutzung oder Dinge, die krank machen können –, dann ist das tendenziell etwas, was unser Überleben in Gefahr bringen könnte. Dies zeigt sich auch, wenn wir Abscheu vor Nahrungsmitteln empfinden, nach deren Genuss uns schon einmal übel geworden war. Wenn man zum Beispiel Krabben gegessen hat, und man muss sich die ganze Nacht erbrechen, weil sie verdorben waren, dann wird man Krabben so schnell nicht wieder bestellen und es kann gut sein, dass allein ihr Anblick oder Geruch schon Übelkeit auslösen kann. Dies ist ein Beispiel für „klassische Konditionierung“, eine Form von Lernen, auf die wir in Kapitel 3 näher eingehen werden.
Eine Form, wie das Bedrohungssystem unser Bewusstsein und unser Denken organisiert, besteht also darin, uns zu helfen, sehr nachdrücklich und wirksam Assoziationen zwischen verschiedenen Dingen zu lernen (zum Beispiel den Geruch einer Speise mit Übelkeit zu verbinden). Das Bedrohungssystem beeinflusst also nicht nur unser Fühlen, sondern auch unser Lernen. Wie das Beispiel mit den Krabben zeigt, lernt man unbewusst, bedrohliche Erfahrungen (Ekel) mit Situationen (eine bestimmte Speise) zu verbinden. Von der Wahrnehmung einer Bedrohung oder Gefahr ausgelöste Emotionen wie Ärger oder Wut können sich mächtig und unkontrollierbar anfühlen, weil oft tatsächlich nicht zu kontrollieren ist, dass man sie lernt, und auch nicht, dass man sich an sie erinnert.
Jedes der drei Systeme zur Regulierung der Emotionen ist mit körperlichen Erfahrungen verbunden. Besonders das Bedrohungssystem bedingt die Ausschüttung von Stresshormonen (wie Cortisol) in den Blutkreislauf. Die verschiedenen Emotionen, die von der Wahrnehmung einer Bedrohung oder Gefahr ausgelöst werden, wirken sich in unserem Körper verschieden aus. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und versuchen Sie, sich noch einmal daran zu erinnern, wie Sie sich körperlich gefühlt haben, als Sie einmal wütend waren. Kurzfristig erleben sie vielleicht eine erhöhte Erregung, die klassische „Kampf“-Reaktion, die mit einer Steigerung der Herzfrequenz und Intensivierung der Atmung verbunden ist, was auf Handeln vorbereitet. Auf lange Sicht aber, nach Tagen, Wochen oder Monaten macht diese gesteigerte Erregung anderen körperlichen Empfindungen wie Muskelspannung, Magenbeschwerden und Kopfschmerzen Platz. Warum? Weil Ärger oder Wut die Ausschüttung dieser Stresshormone sogar dann stimuliert, wenn die Situation, die diese Gefühle ausgelöst hat, längst vorüber ist (4).
Die Systeme zur Regulierung unserer Emotionen – besonders das Bedrohungssystem – beeinflussen auch unsere Aufmerksamkeit. Sie werden nach dem Prinzip „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ aktiviert. Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, bewirken Emotionen wie Ärger oder Wut, die von der Wahrnehmung einer Gefahr ausgelöst werden, dass unsere Aufmerksamkeit, unsere Gedanken und Vorstellungen auf die Quelle der Gefahr fokussieren und sich verengen. Wenn wir uns bedroht fühlen, neigen wir dazu, andere Dinge nicht wahrzunehmen oder zu beachten – wie alternative Erklärungen der Situation –, weil wir so sehr auf die Quelle der wahrgenommenen oder vorgestellten Gefahr und auf eine mögliche Reaktion zum Selbstschutz fokussiert sind.
Ich stelle mir unser Bedrohungssystem wie die Sicherheitsleute auf einem Flughafen vor, die jede mögliche Gefahr aufzuspüren versuchen, indem sie z. B. Verdächtiges durchleuchten oder Leibesvisitationen durchführen. Es ist nicht ratsam, mit diesen Sicherheitsleuten zu spaßen – sie nehmen ihre Sache sehr ernst, denn es geht ihnen um nichts anderes als um unsere Sicherheit. So ähnlich funktioniert auch unser Bedrohungssystem. In bestimmten Situationen ignoriert es positive Emotionen: Wenn man richtig gut isst und im Restaurant ein Feuer ausbricht, vergisst man das Essen besser und sieht zu, dass man sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringt. Unser Bedrohungssystem kann uns alle positiven Dinge in unserem Leben vergessen lassen und unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf die – reale oder vorgestellte – Gefahr richten und uns in diesen Emotionen halten, die als Reaktion darauf entstehen.
Übung 2.1: Die Reaktion auf Bedrohung und Gefahr
Versuchen Sie, sich an eine Situation zu erinnern, in der Ihr Bedrohungssystem aktiv war – als Sie sich angegriffen oder im Stich gelassen gefühlt haben oder irgendwie behindert wurden.
• Welche Emotionen haben Sie erlebt? Wie haben Sie sich gefühlt? Was haben Sie körperlich empfunden?
• Erinnern Sie sich an Ihre Aufmerksamkeit. Worauf war sie gerichtet? Wo war Ihr Fokus?
• Woran haben Sie gedacht? Was hatten Ihre Gedanken mit Ihrer emotionalen Erfahrung zu tun?
• Was für Bilder oder Fantasien sind Ihnen gekommen?
• Wozu waren Sie motiviert? Was wollten Sie tun?
• Wie haben Sie sich verhalten?
Wenn wir vernünftig mit Ärger und Wut umgehen wollen, müssen wir rechtzeitig erkennen, dass unser Bedrohungssystem aktiviert ist. Wie wir gesehen haben, kann dieses System leicht unser Denken „besetzen“, was dann zu dem Dominoeffekt der Erfahrungen führen kann, die in Kapitel 1 beschrieben wurden: Man empfindet Ärger oder Wut, der Fokus der Aufmerksamkeit verengt sich, sodass sie nur auf die Bedrohung gerichtet ist, die Gedanken jagen durch den Kopf und kreisen um die Situation und man spürt den Impuls, reale oder vorgestellte Feinde zu attackieren. Bei alldem können die Dinge ziemlich schnell außer Kontrolle geraten, wenn man sich nicht bewusst ist, was passiert. Das Entscheidende ist, dass man diesen Prozess rechtzeitig erkennt, wenn er beginnt, und ihn dann, bevor er die Kontrolle übernimmt, unterbricht.
Das Trieb-und-Ressourcen-Erwerbssystem
Wie oben bemerkt, haben wir zwei Systeme zur Regulierung zwei sehr verschiedener Arten positiver Emotionen. Die westliche Gesellschaft tendiert dazu, nur eines dieser beiden Systeme zu betonen, indem sie uns lehrt, dass wir, um glücklich zu sein, etwas „leisten“ und „tun“ müssen. Das zugrunde liegende System ist das sogenannte „Trieb-und-Ressourcen-Erwerbssystem“, das wir kurz „Antriebssystem“ nennen wollen.
Dieses System hat sich entwickelt, damit wir Ressourcen aufspüren und uns verschaffen können – Dinge, die wir zum Überleben und für ein gutes Leben brauchen. Als solches dient es zwei Zielen: Es motiviert uns, nach begehrten Dingen zu streben und erwünschte Ziele zu verfolgen, und es belohnt uns, wenn wir Erfolg dabei haben. Wenn die allgemeine Botschaft des Bedrohungssystems lautet: „Schütze dich!“, dann lauten die Botschaften des Antriebssystems: „Hol es dir!“ (bevor man es hat) und „Das ist toll!“ (nachdem man es bekommen hat). Das Antriebssystem motiviert und organisiert unsere Bemühungen, Dinge wie Nahrungsmittel, Sex, Anerkennung usw. zu bekommen, die wir mit Glück und gutem Leben verbinden. Dieses System ist mit Emotionen wie Lust, Erregung und Begehren verbunden und hält unsere Motivation aufrecht, wenn wir ein Ziel verfolgen.
Wie das Bedrohungssystem organisiert das Antriebssystem also unser Denken: Es motiviert uns und richtet unsere Aufmerksamkeit auf den begehrten Gegenstand. Es aktiviert und energetisiert uns und lässt unsere Gedanken immer wieder zum begehrten Gegenstand zurückkommen. Denken Sie daran, wie Sie sich bei einem Wettbewerb verhalten oder wie sich ein Athlet oder ein Schachspieler verhält und sich während eines Wettkampfs oder Turniers konzentriert. Oder denken Sie an den „Kaufrausch“ vieler Menschen. Oder als Sie sich das erste Mal verliebt haben: Wie oft waren Sie mit Ihren Gedanken bei diesem geliebten Menschen? Und wenn wir unser Ziel erreicht haben, den Wettkampf gewonnen oder die Anerkennung errungen haben, dann sind wir begeistert und aufgeregt und erleben einen Rausch von Lust oder Freude.
Diagramm 2.3: Wie das Trieb-und-Ressourcen-Erwerbssystem Bewusstsein und Denken organisiert
Wie das Bedrohungssystem erfüllt das Antriebssystem seine Aufgabe mittels verschiedener chemischer Substanzen im Gehirn. Eine dieser Substanzen ist der Neurotransmitter Dopamin (der wichtigste Botenstoff im Gehirn), der mit Erfahrungen und Empfindungen von Lust, Bewegung und Energie verbunden ist. Man erlebt einen Dopaminschub, wenn man verliebt ist, Sex hat, mit Bravour eine Aufnahmeprüfung besteht oder für seine Arbeit ausgezeichnet wird. Die Emotionen, die von Dopamin hervorgerufen werden, haben eine starke Fähigkeit, die Triebe zu mobilisieren. Stellen Sie sich vor, Sie gewinnen im Lotto und sind plötzlich im Besitz von 20 Millionen Euro. Wenn Sie von dem Gewinn erfahren, erleben Sie wahrscheinlich einen Dopaminrausch im Gehirn und einen Schub von Energie, der es schwer macht, ruhig zu schlafen, und der Ihre Gedanken rasen lässt. Kokain oder Amphetamine stimulieren im Grunde ein ähnliches Gefühl – man verschafft sich einen Schub von Energie, Schwung und Erregung. Nur hat der Drogenkonsum natürlich böse Folgen und kann letztlich in hohem Maße süchtig machen.
Übung 2.2: Das Trieb-und-Ressourcen-Erwerbssystem
Versuchen Sie, sich an eine Situation zu erinnern, in der Ihr Antriebssystem die Kontrolle hatte – als Sie etwas Bestimmtes mit wirklicher Begeisterung getan haben, zum Beispiel, um ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, oder als Ihnen gerade etwas sehr Bedeutendes gelungen war.
• Welche Emotionen haben Sie erlebt? Wie haben Sie sich gefühlt? Was haben Sie körperlich wahrgenommen?
• Erinnern Sie sich an Ihre Aufmerksamkeit. Worauf war sie gerichtet? Wo war Ihr Fokus?
• Woran haben Sie gedacht? Was hatten Ihre Gedanken mit Ihrer emotionalen Erfahrung zu tun?
• Was für Bilder oder Fantasien gingen Ihnen durch den Kopf?
• Wozu waren Sie motiviert? Was wollten Sie tun?
• Wie haben Sie sich verhalten?
So wie das Bedrohungssystem unser Denken um wahrgenommene Gefahren und Bedrohungen organisiert, so richtet unser Antriebssystem unsere Emotionen, Aufmerksamkeit, Gedanken, Fantasien, Motivationen und unser Verhalten auf unsere vielfältigen Ziele im Leben. Es gibt auch Interaktionen zwischen dem Antriebssystem und dem Bedrohungssystem: Wenn wir „auf der Jagd“ nach etwas sind und uns jemand in die Quere kommt oder uns etwas daran hindert, es zu bekommen. Wenn das passiert, werden unser Antriebssystem und das Bedrohungssystem gleichzeitig aktiviert. Konkurrenten, die nach dem gleichen Ziel streben wie wir, können als Bedrohung empfunden werden. Denken Sie an das Gedränge und Gerangel in vielen Geschäften kurz vor Weihnachten. Manchmal kann das auch zu gefährlich aggressivem Verhalten führen, wie im Jahr 2008, als ein Aushilfsverkäufer in einem Supermarkt in New York von Kunden zu Tode getrampelt wurde, die wie besessen drängelten, um in das Geschäft zu kommen (5). Auch in unserer Sprache spiegelt sich die Wechselwirkung von Bedrohungs- und Antriebssystem: „Man muss darum kämpfen, wenn man etwas haben will!“
Wenn wir also daran gehindert werden, das zu bekommen, was wir haben wollen, werden unsere Triebe blockiert, wir sind frustriert und werden ärgerlich und wütend. Ärger und Wut sind also eng mit dem Antriebssystem verknüpft. Auch wenn Traurigkeit oder Angst entstehen können, sind Ärger und Wut die häufigere Reaktion des Bedrohungssystems auf solche Hindernisse. Dies ist auch sinnvoll, wenn man bedenkt, dass Aggression eine Emotion ist, die ermutigt, auf etwas zuzugehen, sich vorwärts zu bewegen und Hindernisse und potentielle Bedrohungen des eigenen Glücks zu beseitigen.
In der buddhistischen Psychologie werden Ergreifen und Anhaften als Ursachen des menschlichen Leidens gesehen. Wir erleben viele negative Emotionen, wenn wir etwas wirklich haben wollen, es aber nicht bekommen, oder wenn wir etwas verlieren und nicht loslassen können. Bei Problemen und Schwierigkeiten wird in der CFT oft die Frage gestellt: „Was für eine Gefahr oder Bedrohung löst diese Emotion aus?“ Wie wir gesehen haben, haben die Bedrohungen, die Wut auslösen, häufig damit zu tun, dass uns etwas verweigert wird, dass uns jemand daran hindert, etwas zu bekommen, dass uns etwas genommen wird oder dass wir die Kontrolle über etwas verlieren.
Im Fall von Wut, die auf Scham zurückgeht, erleben wir eine Bedrohung des Selbstbildes, des Gefühls persönlicher Identität oder des Bildes, das andere von uns haben sollen. Zusammengefasst haben Ärger und Wut also oft damit zu tun, dass die Dinge „nicht so sind, wie wir sie haben wollen“, dass unsere Gewohnheit, die Dinge so zu sehen, wie wir sie gerne sehen, infrage gestellt wird.
Wenn Sie sich vor Augen halten, wie wir alle nach Dingen streben, die wir haben wollen, und mit einem Gehirn ausgestattet sind, das Frustration, Ärger und Wut entstehen lässt, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir das gerne hätten … nun, dann ist wohl leicht einzusehen, wie Konflikte entstehen können. Eine mitfühlende Sicht ermöglicht uns, zurückzutreten, zu beobachten und diesen Prozess zu verstehen. Dann können wir ihn vielleicht kontrollieren und vermeiden, dass um kleine Dinge große Konflikte entstehen. Wir können aus dem Teufelskreis von Ärger und Wut heraustreten, wenn wir uns klar machen, dass alle glücklich sein wollen, dass niemand leiden möchte und dass all das Begehren und Festhalten, das Kämpfen und die aggressiven Verhaltensweisen einfach nur dadurch entstehen, dass das „alte Gehirn“ und das „neue Gehirn“ in ihrem Bemühen für unser Überleben und für ein gutes Leben in Konflikt geraten. Wenn wir dies verstehen, haben wir die Wahl: Wollen wir einfach so weitermachen? Oder möchten wir eher unser Wissen über unser Gehirn nutzen, um Möglichkeiten zu finden, wie wir unsere Systeme zur Regulierung von Emotionen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringen können, sodass wir bessere Beziehungen aufbauen und besser leben können? Wenn Sie diese zweite Option anspricht, lesen Sie weiter – denn wir müssen noch ein weiteres System zur Regulierung unserer Emotionen kennenlernen.
Das Beruhigungs- und Zufriedenheitssystem
Zum Glück haben wir ein System, das helfen kann, das Bedrohungs- und das Antriebssystem zu beruhigen. Wir nennen dieses dritte System das „Beruhigungssystem“, und wir werden jetzt die Gefühle, die dieses System vermittelt, die Arten von Verhalten, mit denen es verknüpft ist, und die Systeme des Hirnstamms und die chemischen Substanzen betrachten, die daran beteiligt sind.
Mit ein paar Ausnahmen (zum Beispiel Traurigkeit) tendieren das Bedrohungs- und das Antriebssystem dazu, Denken und Bewusstsein auf eine aktive und fokussierte Weise zu organisieren, zu der auch das starke Verlangen gehört, entweder mit einer Bedrohung oder Gefahr umzugehen oder ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Im Vergleich mit diesen beiden anderen Systemen, bewirkt das Beruhigungssystem, dass wir gelassen und ruhig werden; deshalb auch die Bezeichnung „Zufriedenheitssystem“. Es ist mit emotionalen Erfahrungen wie Zufriedenheit, Frieden, Heiterkeit und mit dem Gefühl verbunden, dass man sicher und mit anderen verbunden ist. Während am Bedrohungs- und dem Antriebssystem Motivation und Streben beteiligt sind, und es bei ihnen zum großen Teil darum geht, den gegenwärtigen Stand der Dinge zu verändern, geht es beim Beruhigungssystem darum, geerdet und sicher im gegenwärtigen Moment zu sein. Statt der Dringlichkeit, die das Bedrohungs- und das Antriebssystem kennzeichnen, lässt uns das Beruhigungssystem langsam, ruhig und gelassen werden – ohne allerdings gelangweilt zu sein. Neben dem „Schütze dich!“ des Bedrohungssystems und dem „Los, hol es dir!“ des Antriebssystems ist die zentrale Botschaft des Beruhigungssystems: „Es ist alles gut. Du bist sicher.“
Wie das Beruhigungssystem funktioniert, kann man schön bei Tieren beobachten: zum Beispiel bei meiner Hündin Sadie, wenn sie friedlich in der warmen Sonne liegt, die durch unser Verandafenster scheint, und sich dabei zufrieden und sicher fühlt. Wenn sich Tiere nicht bedroht fühlen und zufrieden sind, wenn sie nichts leisten oder sich Nahrung verschaffen müssen, dann kommen sie in Zustände von Zufriedenheit und Wohlbefinden. Wie Untersuchungen zeigen, ist das auch bei uns Menschen so: Unser Körper verhält sich anders, wenn wir uns in diesem Zustand der Zufriedenheit befinden (6, 7). Wenn unser Beruhigungssystem aktiviert ist, nimmt die Aktivität in unserem Nervensystem ab, und wir beruhigen uns bei Stress und fühlen uns gelassen und friedlich.
Das Beruhigungssystem ist fest in den Prozessen der Bindung verwurzelt, in unseren Erfahrungen, akzeptiert, wertgeschätzt und versorgt zu sein, und wenn wir selbst für andere sorgen. Dies ist ein wichtiger Unterschied zwischen dem Beruhigungssystem und dem Bedrohungs- und dem Antriebssystem, bei denen Beziehungen gegenüber dem Schutz und Verfolgen von Zielen zweitrangig sind. Im Fall des Bedrohungssystems geht es bei unseren Interaktionen tendenziell darum, die zu überwinden, zu vermeiden oder zu besänftigen, die uns bei der Verwirklichung unserer Ziele im Weg sind. Beim Antriebssystem spielt der Aspekt der Beziehung vor allem beim sexuellen Verlangen oder dem Konkurrenzverhalten eine Rolle. Im Gegensatz dazu bilden Beziehungen geradezu das Zentrum des Beruhigungssystems: Wir erfahren in ihnen Freundlichkeit, Liebe und das Gefühl, wertgeschätzt und umsorgt zu sein und vermitteln auch anderen diese Gefühle.
Denken Sie an Erfahrungen, als Sie sich vollkommen sicher und umsorgt gefühlt haben (wenn Sie sich an keine Erfahrungen dieser Art erinnern können, versuchen Sie sich vorzustellen, wie das sein könnte). Ein gutes Beispiel für eine Interaktion, die diese Gefühle vermittelt, ist das Bild einer Mutter, die ihr Kind stillt. Solche beruhigenden Interaktionen sind gleichzeitig Erfahrungen von Wärme und Vertrauen. Sie führen zu dem Gefühl der Sicherheit und Verbundenheit mit einem anderen Menschen. Wie das Bedrohungs- und das Antriebssystem spricht das Beruhigungssystem auf Signale aus der Umwelt an. Es reagiert besonders auf Botschaften, dass man wertgeschätzt, angenommen und umsorgt ist.
Stellen Sie sich vor, dass Sie an einer neuen Arbeitsstelle eben Ihre ersten Wochen hinter sich haben und ein wenig besorgt sind, weil Sie immer noch nicht genau wissen, was Sie tun sollen. Sie zweifeln vielleicht, ob Sie alle Erwartungen erfüllen können. Nun ruft Ihr Chef Sie zu sich in sein Büro. Versuchen Sie jetzt zu spüren, wie sich Ihr Körper in dieser Situation anfühlen könnte. Es kann sein, dass Ihr Bedrohungssystem und zugleich auch Ihr Antriebssystem alarmiert sind, denn es ist wichtig, dass Sie an diesem Arbeitsplatz Erfolg haben, und Sie wollen ihren Job gut machen. Sie sitzen nun im Büro Ihres Chefs, er lächelt freundlich und sagt mit ruhiger Stimme: „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir sehr froh sind, Sie bei uns haben. Es gibt eine Menge auf einmal zu lernen, und Sie machen das sehr gut. Wir müssen hier als ein Team arbeiten, und Sie passen genau dazu, es macht allen Freude, mit Ihnen zu arbeiten.“ Wow! Wie fühlt sich das an, wenn Sie eine so positive Rückmeldung bekommen? Unser Beruhigungssystem reagiert auf so positive Botschaften zum Teil so, dass es unsere Erregung dämpft. Dies hilft wiederum, die Ängstlichkeit auszugleichen, die vom Bedrohungssystem ausgelöst wurde.
Wäre es nicht toll, wenn wir so eine Bestätigung häufiger bekommen würden? Wir profitieren von Interaktionen dieser Art und wir können andere davon profitieren lassen. Es muss auch gar nicht so überdeutlich sein, wie in diesem Beispiel. Beruhigende Interaktionen können viele Formen haben: Ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein Klopfen auf die Schulter können vermitteln: „Du bist bei mir sicher“, „Ich akzeptiere dich“, „Ich mag dich“. Wärme scheint hier besonders wichtig zu sein. Warme Interaktionen sind beruhigend, sie signalisieren Interesse, Freundlichkeit, Anteilnahme, Sympathie, Zuneigung und Vertrauen (8). Diese Interaktionen – besonders mit den Menschen, die wir lieben und denen wir vertrauen – stimulieren unser Beruhigungssystem und helfen uns, uns weniger bedroht zu fühlen.
Wie man das Bedrohungssystem beruhigen kann
Die Fähigkeit unseres Beruhigungssystems, unser Bedrohungssystem zu beruhigen, wird gut von einer Studie illustriert, die im Jahr 2008 von James Coan, Hillary Schaefer und Richard Davidson (9) veröffentlicht wurde. In dieser Studie wurden 16 verheiratete Frauen mit der Bedrohung eines schwachen Stromschlags konfrontiert. Mithilfe des Verfahrens der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) konnten die Forscher untersuchen, was im Gehirn der Frauen vor sich ging, d. h., welche Teile des Gehirns „aufleuchteten“, wenn Sie den Stromschlag erwarteten – sicher eine Situation, die geeignet ist, das Bedrohungssystem zu stimulieren. Während dieses Vorgangs hatten die Frauen unterschiedliche Kontakte durch Berührung: Manchmal hielten die Partner der Frauen ihre Hand, manchmal tat das eine fremde Person, manchmal waren die Frauen aber auch allein.
Die Forscher beobachteten dabei, dass die Teile des Gehirns, die mit emotionalen und Verhaltensreaktionen auf das Bedrohungssystem in Verbindung stehen, viel weniger aktiv waren, wenn die Frauen sich mit ihren Partnern an den Händen hielten. Körperkontakt mit den Partnern reduzierte also die Reaktion des Gehirns auf die Bedrohung. Es wurde auch beobachtet, dass diese Reduktion um so deutlicher war, je besser die Beziehung des Paares war. Körperkontakt reduzierte die Reaktion auf die Bedrohung auch, wenn die Frauen die Hand einer fremden Person hielten, aber sie war geringer als bei ihren Partnern. Dies zeigt die Wirksamkeit des Beruhigungssystems und seine Verbindung mit unseren Bindungserfahrungen und Gefühlen der Verbundenheit. Es hilft, das Erleben einer Gefahr oder Bedrohung zu reduzieren und emotionale Reaktionen in ein Gleichgewicht zu bringen.
So wie die anderen Systeme arbeitet auch das Beruhigungssystem mit spezifischen chemischen Substanzen. Sie haben bestimmt von Opiaten gehört – Heilmittel, die auch missbräuchlich verwendet werden können, weil sie Gefühle von Wohlbefinden und Glück hervorrufen. „Endorphine“ sind natürliche Opiate in unserem Körper, die uns beruhigen und uns Frieden und Verbundenheit empfinden lassen.
Diese beruhigende Wirkung der Endorphine ist nicht zufällig. Sie erinnern sich vielleicht, dass die Amygdala im Kern unseres Bedrohungssystems Bedrohungen und Gefahren schnell identifiziert und uns als Reaktion darauf aktiviert. Sie ist für die Wirkungen chemischer Substanzen wie die Endorphine sensibel. Diese Substanzen hemmen die Aktivität der Amygdala und bewirken, dass wir uns ruhiger und sicherer fühlen und weniger auf Bedrohungen fokussiert sind.
Im Laufe der Evolution ist dieses Beruhigungssystem eng mit dem Prozess der Bindung verknüpft worden. Zum Beispiel werden Babys ruhig, wenn sie an der Brust ihrer Mutter sind oder in ihren Armen liegen: Gefühle der Nähe rufen Gefühle der Sicherheit hervor. Größere Kinder, die irgendwie in Not oder verzweifelt sind, suchen die Nähe zu einem Elternteil, häufig zur Mutter, die sie in den Arm nimmt, küsst oder ihnen über den Rücken streicht. Dieser Kontakt hilft dem Kind, sich zu beruhigen. Solche Beziehungen sind mit der Ausschüttung chemischer Substanzen wie den Endorphinen und dem Hormon Oxytocin verbunden. Oxytocin spielt beim Verhalten der Mutter während des Stillens und bei der Pflege des Babys sowie bei der Hemmung von Stress, Reizbarkeit und Aggressivität eine große Rolle (10). Bisher wurde Oxytocin vor allem mit Körperkontakt in Verbindung gebracht, aber die neuere Forschung zeigt, dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, die positive Wirkung dieses Hormons zu erleben. Zur Ausschüttung von Oxytocin und dem dadurch vermittelten Gefühl von Beruhigung oder Sicherheit kann es auch als Reaktion auf eine Reihe anderer Aktivitäten kommen, zum Beispiel wenn man verbal (auch über Telefon! (11)) oder mit Bildern in der Vorstellung beruhigt oder getröstet wird. Wie man solche Bilder verwenden kann, um mit Ärger oder Wut umzugehen, werden wir später besprechen.
Wir halten also fest: Wenn wir uns weder bedroht fühlen noch gedrängt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, befinden wir uns in einem Zustand von Sicherheit, Entspannung und Zufriedenheit. Wir können uns liebenswert finden und spüren, dass wir es wert sind, freundlich und respektvoll behandelt zu werden. Unsere Aufmerksamkeit wird weit, und wir werden uns all der positiven Dinge bewusst, die wir in der Situation der Bedrohung übersehen haben. Unser Denken entspannt sich und wir betrachten die Dinge flexibel und gelassen und mit Abstand. Wir wägen Optionen ruhig ab und denken kreativer. Dies hilft uns, neue, effektivere Weisen zu entdecken, mit schwierigen Situationen umzugehen, statt an die Gewohnheiten gebunden zu sein, die vom Bedrohungssystem diktiert werden. Dies bezeichnen wir als „Flexibilität der Reaktion“. Neuere Untersuchungen belegen, dass die nährenden Interaktionen einer guten Bindungsbeziehung, die den Kern des Beruhigungssystems bilden, tatsächlich Wachstum in Teilen des Gehirns aktivieren und fördern können. (12)
Diagramm 2.4: Wie das Beruhigungssystem Bewusstsein und Denken organisiert
Wir sehen also, dass das Beruhigungssystem einen „ausgleichenden Einfluss“ auf das Bedrohungs- und das Antriebssystem ausübt. Wir können lernen, das Beruhigungssystem zu stimulieren, um uns langsamer werden zu lassen und Situationen mit Abstand zu betrachten: „Bin ich wirklich in Gefahr oder gibt es noch andere Erklärungen, die ich nicht berücksichtigt habe?“ Diese weitere Perspektive erlaubt uns zudem abzuwägen, ob wir wirklich brauchen, wonach wir streben und ob es wirklich wahr ist, dass wir ohne es nicht glücklich sein können. Dieses System kann die Aggression beruhigen. Es kann uns die Freiheit vermitteln, nicht nur die Gefahr oder das Verlangen des Augenblicks, sondern auch weitergehende Fragen zu berücksichtigen: „Was für ein Mensch möchte ich sein und wie kann ich es anstellen, ein ‚besserer Mensch‘ zu werden?“, „Was kann ich tun, um für die Menschen, die mir nahe sind und die ich liebe, gut zu sorgen?“, „Welche Bedingungen kann ich schaffen, um dies zu verwirklichen?“
Übung 2.3: Unsere Reaktion auf Sicherheit
Versuchen Sie sich an eine Situation zu erinnern, in der Sie sich sicher und vollkommen entspannt gefühlt haben. Wenn Ihnen keine Situation einfällt, schließen Sie einen Moment die Augen und stellen Sie sich einfach vor, wie es wäre, wenn Sie sich vollkommen entspannt, zufrieden und sicher fühlen würden.
• Welche Emotionen haben Sie erlebt? Wie haben Sie sich gefühlt? Was haben Sie körperlich empfunden?
• Denken Sie an Ihre Aufmerksamkeit. Worauf war sie gerichtet? Wo war Ihr Fokus? War Ihr Fokus weit oder eng?
• Woran haben Sie gedacht? In welcher Beziehung standen Ihre Gedanken mit Ihrer emotionalen Erfahrung?
• Was für Bilder oder Fantasien gingen Ihnen durch den Kopf?
• Welche Motivation konnten Sie entdecken? Was wollten Sie tun?
• Wie haben Sie sich verhalten?
Wenn wir unter dem Einfluss des Bedrohungssystems stehen (zum Beispiel Ärger oder Wut empfinden):
• Wir erleben bedrohliche Emotionen wie Wut und Angst.
• Unsere Gedanken und unsere Aufmerksamkeit sind auf Quellen potentieller Bedrohungen oder Gefahren fokussiert.
• Wir haben körperliche Empfindungen von Erregung und Spannung, und wenn wir wütend sind, können wir zusätzlich Schmerzen, Magenbeschwerden oder Kopfschmerzen empfinden und unter Schlafstörungen leiden.
• Wir sehen nur wenige Möglichkeiten: Unsere Aufmerksamkeit verengt sich, und es kann sein, dass wir uns „gefangen“ fühlen.
• Es fällt uns schwer, jemanden um Hilfe zu bitten, weil wir in der Defensive sind und uns vielleicht isoliert fühlen.
Wenn wir ausgeglichen sind und unser Beruhigungssystem aktiv ist:
• Wir erleben weiter negative Emotionen, aber wir werden von ihnen nicht überwältigt.
• Wir haben eine bessere, weitere Perspektive und ein Gefühl von Selbstvertrauen, dass wir mit dem Bedrohungssystem und mit dem Antriebssystem arbeiten können.
• Wir können körperliche Entspannung empfinden und sind in der Lage, mit unserem Körper zu arbeiten, um Spannung abzubauen.
• Wir können flexibel denken und viele Optionen sehen. Wir können verschiedene Möglichkeiten abwägen, mit schwierigen Situationen zu arbeiten, und entscheiden, welche die beste ist.
• Wir fühlen uns mit anderen verbunden und können uns an sie wenden, wenn wir Hilfe oder Unterstützung brauchen.
Zusammenfassung
Wenn wir Emotionen aus der Sicht dieser drei Systeme zur Regulierung von Emotionen betrachten – der drei Kreise –, können wir Ärger und Wut aus einer weiteren Perspektive verstehen. Und wenn wir berücksichtigen, wie sich diese drei Systeme entwickelt haben, verstehen wir, warum Emotionen so funktionieren, wie sie das tun. Das Bedrohungssystem hat die Funktion, uns zu schützen, damit wir angesichts von Gefahren überleben können. Das Antriebssystem aktiviert uns dazu, Ressourcen zu suchen und uns zu verschaffen, Partner zur Fortpflanzung zu finden, nach sozialem Status zu streben und für unseren Lebensunterhalt zu arbeiten. Das Beruhigungssystem schließlich hilft uns, enge und nährende Beziehungen mit den Menschen einzugehen, die wir lieben, es hilft uns zu entspannen, wenn die Gefahren vorüber sind und wir unsere Arbeit getan haben. Es gleicht die Wirkungen der beiden anderen Systeme aus.
Zu Problemen mit Emotionen, die von Bedrohung oder Gefahr ausgelöst werden, kommt es, wenn die Systeme nicht im Gleichgewicht sind. Im dritten Kapitel werden wir untersuchen, wie es dazu kommen kann, und warum z. B. manche Menschen Probleme mit Ärger und Wut haben und andere anscheinend nicht. Wir werden auch untersuchen, warum Aggression so verschieden erlebt wird. Wenn wir diese Unterschiede verstehen, können wir auch Scham und Vorwürfe leichter loslassen, die unser Erleben von Ärger und Wut so oft begleiten, und uns mehr Mitgefühl entgegenbringen.