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DIE TRAURIGE BOTSCHAFT

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Den nassen Umhang eng um mich gewickelt stieg ich zur Burg hinauf. Regen prasselte durch die kahlen Buchen entlang des Weges. Lieber wäre mir gewesen, es hätte geschneit. Kalter Nieselregen war wirklich das Letzte. Sehnlichst wünschte ich mir, mich in unserer Stube an den warmen Kachelofen zu lehnen.

Doch die hohen Mauern blitzten schroff durch die Äste, sahen in der Abenddämmerung noch düsterer aus als sonst.

Der Weg führte mich zur Zugbrücke, die einen felsigen Graben überspannte. Zwei Wachen lehnten gelangweilt am von Fackeln erleuchteten Tor.

Ich wischte mir den Regen aus dem Gesicht und straffte meine Schultern. Als ich die Brücke betrat, standen sie auf.

»Was willst du so spät?«, bellte mich einer an.

»Mavanja sei mit Euch! Ich muss den Baron sprechen, bitte!« Vielleicht ließ es sich ja doch vermeiden, Korvinus zu treffen.

»Den hohen Herren will sie sprechen?« Die beiden lachten.

»Es ist wichtig … und ich muss es ihm selbst sagen!«, setzte ich nach.

»Behaupten sie das nicht alle«, lachte er weiter. »Wer bist du und was willst du?«

Der Andere lehnte sich vor, um mich genauer zu betrachten. »Ist das nicht die Heilerin aus Spelzendorf?«

Ich nickte.

»So, so, und was will sie?«

»Ulrik … es geht um Ulrik.«

Die Augen der beiden weiteten sich. Dann kam Bewegung in sie. Der eine lief durch den Hof in eines der Gebäude hinein, während der andere mich wenigstens aus dem Regen unter den Torbogen bat. Schweigend stand ich neben ihm, hielt den Korb mit der eingewickelten Kröte fest vor meiner Brust.

In die Burg kam Bewegung. Im Burghof und auf Balustraden rannten Leute umher.

Ein schmächtiger Mann mit schütterem Haar kam mir entgegen. Den kannte ich – Ingar. Er war immer dabei, wenn Alraune abgeholt wurde.

»Verbena.« Er musterte mich von oben bis unten, rümpfte die Nase.

Schmallippig knickste ich. »Seid gegrüßt. Es ist dringlich.«

Er seufzte. »Komm mit mir.«

Schon lief er los und ich ihm hinterher. Ingar führte mich am Burgfried vorbei in eines der niedrigeren Gebäude hinein. Mir schien, es war das, dessen Mauer ich letzten Sommer in Malves Körper hinaufgeklettert war. In einem mit dunklem Holz getäfelten Vorraum blieben wir stehen.

»Die Herrschaften werden dich gleich empfangen. Warte hier«, sagte er und verschwand eine Stiege hinauf.

Die Herrschaften … na wunderbar … dann ja wohl auch Korvinus.

Ich hatte kaum Zeit, mich umzusehen, da erschien Ingar wieder auf dem Treppenabsatz. »Du kannst kommen.«

Ich folgte ihm in den ersten Stock, wo er mir eine schwere Tür mit rundem Bogen aufhielt. Von drinnen hörte ich Stimmen und es roch nach Essen. Mein Magen verkrampfte. Nicht nur, weil meine letzte Mahlzeit schon lange her war. Was sollte ich ihnen sagen? Wie erklärte man einem Vater, dass sein verlorener Sohn nie zurückkommen würde? Verzagt blieb ich stehen, sah Ingar hilfesuchend an.

Er schob mich in den Raum. Daran führte kein Weg mehr vorbei.

Der Baron saß am Kopfende einer reich gedeckten Tafel, sein Blick säuerlich. Neben dem stattlichen Sessel stand sein Jagdhund, so groß, dass er über die Tischkante blickte. Zur Rechten Korvinus, zur Linken Karlotta und der Freiherr von Fernau. Der Rest der Tafel war besetzt mit feiner Herrschaft, alles Männer in schwarzweißem Ornat. Finstere Gestalten waren das! Vor allem einer fiel mir auf – kahlköpfig, aber mit Bart und einer Narbe, die sich von der Schläfe bis über die Wange zog. Waren das alles Hüter? Noch dazu welche von hohem Rang …

Ich knickste, innerlich entsetzt.

Die von Seggensees starrten mich an – durchdringend, als ob sie eine Erscheinung sähen. Was hatten sie denn?

Ich sah an mir hinab. Vom Saum meines Umhangs fielen Tropfen auf den hölzernen Boden, bildeten eine Lache um die lehmigen Schuhe herum.

Der Baron fand seine Stimme als erster wieder. »Sie komme näher«, sagte er rasselnd. Niemand hatte erwartet, dass er den Winter überleben würde. Aber da saß er – immer noch – und hoffentlich noch lange.

Unsicher trat ich an den Tisch heran.

Korvinus stand auf, kam auf mich zu.

Ich starrte zu Boden, wagte nicht aufzuschauen.

»Es hieß, sie habe Nachricht von Ulrik. Rücke sie heraus damit!«, schnarrte er.

Wie ich diesen Tonfall hasste!

Im Bemühen, laut und deutlich zu sprechen, versagte mir die Stimme. »Ulrik ist in der Nebelschlucht«, murmelte ich.

»Bitte wie? In der Nebelschlucht? Rede sie so, dass man sie versteht!«

Ich räusperte mich. »Ja, Euer Hochgeboren, in der Nebelschlucht.«

Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Was treibt sie in der Nebelschlucht?«

Ich hob den Korb. »Nebelkröten sammeln … für die Warzenbehandlung.«

Darauf sagte er nichts. Keiner gab einen Ton von sich. Nur das Feuer knisterte im Kamin und der Regen fiel unaufhörlich vor dem offenen Fenster.

»Dann ist er …«

Ich biss mir auf die Unterlippe, brachte es kaum heraus. »Schon lange. Mein … mein Beileid!«

Karlotta bebte. »So nahe … die ganze Zeit schon.« Mit Mühe unterdrückte sie ein Schluchzen. Der Freiherr legte einen Arm um seine Frau.

Die anderen schwiegen, starrten auf die halbgegessenen Speisen auf ihren Tellern.

Ächzend erhob sich der Baron. Begleitet von dem riesigen Hund schleppte er sich von Sessellehne zu Sessellehne die lange Tafel entlang. »Wie?«

Ich wagte, seinen Blick zu erwidern. Sah, wie daraus jegliche Kraft verschwand.

»Die vermissten Kutschen … alles liegt dort. Im Regen habe ich es gesehen.«

Korvinus musterte mich von oben bis unten. »Wie will sie wissen, dass es Ulrik ist?«

»Der Siegelring an seinem Finger, Euer Hochgeboren. Er trägt Euer Wappen.«

Seine Faust donnerte auf die Tischplatte. »Verdammter Begabter!«

»Abschaum.«

»Hexenpack«, echoten die Hüter.

Der Baron sah zu Korvinus auf, sagte jedoch nichts mehr. Er sank in den nächsten leeren Sessel, starrte blicklos vor sich hin.

»Wer sonst soll das verbrochen haben? Begabtes Gesindel, dieses!«, schäumte Korvinus. Die Gäste stimmten ein.

Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich, packte mich am Kragen. »Erzählt sie auch wirklich die Wahrheit?«

Ich nickte, so gut ich konnte.

Karlotta erhob sich. »Korvinus, es geht um Ulrik!«

Er ließ mich los, stieß mich weg. »Zeige sie mir, wo!«

»Jetzt?«

»Natürlich jetzt. Warte sie unten im Hof!«

Ingar sah ich das schlechte Gewissen förmlich an, dass er mich vor die Tür setzen musste. Nun stand ich wieder im strömenden Regen. Mein Magen knurrte. Dort oben war ein offener Kamin gewesen, dessen wohliges Feuer mich zumindest für kurze Zeit gewärmt hatte, und ein Festmahl, das nun niemand mehr anrühren würde. Was für eine Verschwendung!

Ich drückte mich unter einen Dachvorsprung, den nassen Umhang fest um mich gewickelt. Im Hof sammelten sich immer mehr der Seggenseer Wachen. Sie entzündeten Laternen und schleppten eine Bahre heran. Auch der hiesige Pater hatte sich der Truppe angeschlossen, ein Totentuch im Arm. Selbst die Hüter fanden sich ein. Der mit der Glatze und der Narbe musterte mich eingehend.

Endlich schritt Korvinus durch die Tür. Nun trug auch er volles Ornat. Auf seinem Wappenrock prangten das Auge und das brennende Schwert auf schwarzem Grund. Ich wollte ihn nicht anstarren, doch mein Blick blieb auf dem Wappen haften, dessen Weiß im Dunkel der Nacht zu leuchten schien. Sogar sein Langschwert hatte er umgebunden, auch wenn die Toten in der Nebelschlucht sicher nicht kämpfen würden. Die Hand am Heft überblickte er seine Leute.

»Wo ist die Heilerin?«, brüllte er.

Ich löste mich aus dem Schatten und trat in den Regen hinaus. »Hier, Euer Hochgeboren.«

»Man gebe ihr eine Laterne!«

Sobald man mir eine gereicht hatte, wies er mir mit seinem markanten Kinn den Weg hinaus aus der Burg. »Sie gehe voran!«

Auch das noch … Ich eilte durch das Burgtor. Aufdringlich nahe hallten die Schritte von Korvinus schweren Lederstiefeln hinter mir über die Zugbrücke. Ich verkrampfte, legte einen Zahn zu, doch er hielt Schritt mit mir. Ein gutes Dutzend Männer setzte sich hinter uns in Bewegung. Keiner sprach, nur der Regen prasselte unaufhörlich durch die Zweige der Buchen.

Korvinus trieb mich voran, den steilen Serpentinenweg hinunter zum Eingang der Schlucht. Ich hielt die Laterne vor mich, rutschte trotzdem immer wieder ab, seine schnellen Schritte unaufhörlich hinter mir.

Er hatte sicher nicht vergessen, dass sein Vater ihm letztes Jahr versagt hatte, Alraune und mich gefangen zu nehmen. Sein eisiger Blick an jenem Tag hatte mir verheißen, dass diese Rechnung keineswegs beglichen war. Bei Mavanja, möge der alte Baron noch lange leben und seine schützende Hand über uns halten!

Am Eingang der Schlucht blieb ich stehen. Korvinus schubste mich unsanft voran. »Gehe sie weiter. Wo ist Ulrik?«

Der Regen rieselte auf uns herab. Die feuchten Felsen zu beiden Seiten schimmerten schwarz im Licht der Laternen. Das dritte Mal, dass ich heute hier hereintrat.

Mehr noch als vor der Schlucht und ihren Toten graute mir vor den Männern, die hinter mir herkamen. Unablässig suchte ich den Regen ab, wünschte mir, Ulriks Erscheinung noch einmal zu sehen. Doch die Tropfen zeichneten nur dünne Fäden vor mir in die Luft.

An der Biegung des Baches blieb ich stehen und hielt die Laterne hoch. Korvinus kniff die Augen zusammen, sog ruckartig Luft ein.

»Halt!«, schnarrte er seine Männer an und gab ein Handzeichen. Dann schritt er vor, dorthin, wo sein Bruder lag. Nur einen Moment betrachtete er den leblosen Körper. Dann kam er zurück. Sein Gesicht leer wie das einer Maske.

»Bringt ihn nach Hause«, sagte er.

Die Männer drängten sich an mir vorbei, betrachteten schweigend das Schlachtfeld. Dann schoben sie das Tuch unter die Gebeine und hoben sie vorsichtig auf die Bahre.

»Gehab dich wohl, Ulrik. Ruhe in Frieden«, flüsterte ich.

Durchnässt bis auf die Untergewänder und wie betäubt stapfte ich im Schein der Laterne den dunklen Uferweg entlang. Meine Schuhe versanken im aufgeweichten Boden. Mir war kalt, so unendlich kalt.

An der Kreuzung beim Moosbacherhof blieb ich stehen und starrte die Gasse Richtung Dorfplatz hinunter. Fria.

Auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mich an unseren warmen Kachelofen zu lehnen, ich musste mit ihr reden, ihr sagen, wie leid es mir tat. Sie war die Einzige im Dorf, die immer zu mir gestanden hatte, selbst wenn die anderen Alraune und mich für Hexen hielten. Fria hatte es nicht verdient, dass ich ihr misstraute.

Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Das nasse Kopfsteinpflaster am Dorfplatz schimmerte im Schein der Laterne. Die mächtigen Bäume standen kahl und gespenstisch vor mir. Aber durch die Fenster des Gasthofs zu den Drei Linden strahlte warmes Licht.

Endlich aufwärmen … und mit Fria alles wieder gut machen!

Sie hatte recht, sich ausgeschlossen zu fühlen. Vielleicht sollte ich sie wirklich ins Vertrauen ziehen.

Am Weg zur Tür warf ich einen Blick durch das Fenster. Ruckartig blieb ich stehen und starrte durch die leicht angelaufene Scheibe.

Da saßen sie alle … Finn, Ludek, Gunar, seinen Arm um Adelind gelegt, Henrik, …

Fria stand neben dem Tisch, ein Tablett in der Hand.

Ich sah, wie sich ihre Lippen bewegten, sie aufgeregt erzählte. Wie sehr sie es genoss, die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie war in ihrem Element.

Alle hörten gespannt zu. Adelind war blass, hatte die Hand über ihren Mund gelegt, lauschte mit aufgerissenen Augen.

Finn fragte etwas und Fria setzte wieder an. Sie machte eine ausladende Bewegung mit ihrem Arm, zeigte nach draußen. Aber nicht in Richtung der Nebelschlucht oder der Burg – in meinen Magen formte sich ein Knoten –, sie zeigte zur Heilerei.

Ich duckte mich weg, noch bevor jemand zum Fenster hinaussah.

Erzählte sie gerade alles? Valerian, der Steckbrief … Alraune und ich auf dem brennenden Scheiterhaufen!

Ich lief, so schnell ich konnte. Die Gasse entlang, hinaus aus dem Dorf, über die Brücke, zur Heilerei.

Hier auf der Lichtung war es still und das Haus nicht erleuchtet.

Keuchend knallte ich die Tür hinter mir zu. Ich stürzte auf Alraunes Bett zu, doch es war leer.

Mutter des Lebens, das auch noch.

Ich konnte Alraune nicht hierlassen, nicht einfach ohne sie gehen. Das wäre ihr Todesurteil.

Verbena, reiss dich zusammen!, sagte ich zu mir selbst.

Wie schnell würden die Nachrichten, die Fria hinaustrompetet hatte, ihren Weg zu den Hütern finden? Spätestens morgen früh berichtete Finn Korvinus davon, darauf konnte ich mich verlassen.

Bis zum Morgengrauen ließ es sich riskieren, auf Alraune zu warten. Spätestens dann mussten wir los! Wo steckte sie bloß?

Ich hob die Laterne und sah mich um. Ihr Heilerkorb stand nicht neben der Tür. Sie war wohl gerufen worden.

Aber ich musste die Zeit nutzen und packen! Ich stürmte in meine Kammer hinauf. Oben stellte ich die Laterne auf den Tisch und tauchte unter das Bett. Valerians Dolch. Er lag schwer in meinen Händen. Ich strich über das Emblem am Knauf – die Gruppe von Bäumen, genau wie auf dem Steckbrief. Das Wappen der von Vernons.

Auf keinen Fall durften die Hüter ihn hier finden. Wie gerne hätte ich ihn Valerian zurückgegeben, ihm gesagt, dass ich ihn wiedergefunden hatte. Dass ich wusste, wer ihn überfallen hatte, warum er blind war. Aber wenn ich den Dolch bei mir trug, konnte ich mich gleich freiwillig bei den Hütern als Begabte melden. Und für Valerian galt dasselbe. Ich musste das Messer verschwinden lassen, es im Wald verstecken. Doch vorerst warf ich es aufs Bett und riss den Schrank auf. Trockene Kleidung! Ich pfefferte die nassen Sachen in die Ecke und streifte mir frische über. Schicht um Schicht, doppelt und dreifach – am besten alles am Körper tragen. Auch einen dicken Wollschal wickelte ich um mich, obwohl mir inzwischen nicht mehr kalt war. Aber die kommenden Nächte im Wald würden eisig werden.

Über mir knackten die Balken. Ein Marderkopf erschien in einer Ritze in der Decke.

»Malve!«

Mit einem Satz sprang er auf den Schrank, mit einem weiteren mir auf die Schulter und wickelte sich um meinen Hals.

Ich strich ihm über das Fell, spürte seine Wärme, lehnte meinen Kopf an den seinen. »Wir machen uns auf den Weg, du, Alraune und ich«, flüsterte ich.

Wo blieb sie nur?

Ich setzte Malve auf den Boden, schnappte den Dolch und die Laterne und lief wieder hinunter. Unter der Stiege zog ich eine Lade auf und füllte Kronen in einen Beutel, bis er randvoll war.

Bürgerbriefe?

Nein, die mitzunehmen hatte wenig Sinn.

Auf dem Weg in die Küche ließ ich den Geldbeutel in meiner Tasche verschwinden, die gleich umso schwerer an der Schulter lastete. Dann hängte ich mein Kräutermesser an den Gürtel und packte einen Feuerstein und einen Schleifstein ein. Und einen kleinen Topf. Und Löffel. Damit war meine Tasche voll, noch bevor ich überhaupt die Speisekammer geöffnet hatte. Aber von dort holte ich einen Laib Brot, einen Sack Grieß, Käse und Dörrfleisch. Alles im Arm wankte ich in die Stube zurück und türmte es am Tisch auf.

Was brauchten wir noch? Was brauchte man überhaupt, wenn man auf der Flucht war? Valerian hatte so gut wie nichts mitgenommen.

Nach und nach landeten zwei Bettrollen, Alraunes Kleidung, die Kräuterbücher, einige Tränke, Salben und Tees, Verbandszeug, Kerzen, Öl und Wanderstöcke auf dem Tisch.

Wie sollten wir all das tragen? Noch dazu, wenn Alraune kaum gehen konnte. Ich würde sie stützen müssen, den ganzen Weg.

Warum kam sie nicht endlich nach Hause? Wir sollten schon ein gutes Stück zurückgelegt haben, bevor Korvinus uns überhaupt zu suchen begann!

Ich packte alles in Taschen und hielt zu guter Letzt nur noch den Dolch in der Hand.

In einer der Laden fand ich ein Ledertuch, schlug ihn darin ein und wickelte ein Band darum.

Draußen regnete es schon wieder und diesmal warf ich mir den dicken Winterumhang über. Nur in die nassen Schuhe musste ich ein weiteres Mal schlüpfen. Warum hatte ich sie nicht wenigstens neben den Ofen gestellt? Nun spürte ich, wie sich das klamme Gefühl durch die Strümpfe zog und wieder um meine Füße legte.

Ich rannte über die Brücke und zur Brombeerlichtung. Dort hielt ich die Laterne hoch und sah mich um. Sollte ich den Dolch unter eine alte Wurzel schieben oder in einer der Ritzen in den Felsen weiter hinten verstecken? All das schien nicht gut genug. Die Hüter würden kommen, und sie würden ihre Hunde mitbringen.

Malve kletterte über mir durch die Baumkronen. Dort oben konnten die Hunde nicht suchen.

Ich setzte mich ein wenig abseits des Weges auf den Boden, und mit einem Griff zu meinem Amulett sah ich durch Malves Augen. Tief unter mir leuchtete das Licht der Laterne – viel zu hell! Daneben lehnte mein Körper an einem Stamm. Schnell lief ich von Ast zu Ast, sprang von Baumkrone zu Baumkrone. Der moosige Duft des verregneten Waldes holte mich ein und ich fühlte mich so frei wie schon lange nicht mehr.

Der Dolch!

Voller Neugier dachte ich an versteckte Höhlen in Astgabeln, an verlassene Spechtlöcher oder Blitzschäden, und voller Leidenschaft begann Malve danach zu suchen. Inzwischen wusste ich ja, wie ich den kleinen Racker leiten konnte.

In der knorrigen Rinde einer alten Eiche fand Malve das Loch eines abgebrochenen Asts. Es roch ein wenig morsch in der kleinen Höhle, aber trotzdem trocken und vor allem unbewohnt. Perfekt!

Nun dachte ich an die Beute, die hier versteckt werden musste. Sie lag in meinen Händen unten am Waldboden. Ich stellte mir den Duft des Leders in Malves Nase vor und zeichnete die Fährte der Geborgenheit.

Er brummte. Ich spürte sein Verlangen und schon lief er kopfüber den Stamm hinunter, folgte dem unsichtbaren Band, das mich und ihn verflocht. Zwei große Sprünge später stand er vor meinem Körper.

Wie friedlich ich da saß, als ob ich schliefe, umhüllt vom Duft der Geborgenheit.

Ich stellte mir das Aroma des Leders vor und steckte die Mardernase unter meinen Umhang, sog den richtigen Geruch ein.

Ja, genau, das ist sie, die Beute! Versteck sie, sodass niemand sie findet.

Grummelnd zog er am Ledertuch, bis das kleine Paket unter meinem Arm hervorrutschte.

Es war halb so lang wie sein Körper. Er mühte sich ab, es über den Waldboden zu zerren. War er überhaupt kräftig genug, es den Baum hinauf zu tragen? Das hatte ich nicht bedacht.

Malve du schaffst das! Du bist ein ausgewachsenes, starkes Mardermännchen!

Er brauchte mehrere Anläufe, bis der Dolch endlich im Astloch war. Wieder brummte er – jedoch nicht mehr vor Verlangen.

Ich streckte die Gedanken nach meinen eigenen Konturen aus, spürte den geschnitzten Anker unter den Fingerkuppen und schlug die Augen auf.

Malve stand vor mir. Er keckerte vor Unmut und forderte seine Belohnung ein.

Ich strich ihm über den Kopf. »Das hast du toll gemacht!«

Er verbiss sich in meinem Rockzipfel und zog daran.

»Schon gut, schon gut, ich beeile mich!« Schnell rappelte ich mich auf und rannte neben ihm zurück ins Haus. Dort schlug ich ihm in der Küche die drei restlichen Eier auf. Besser, als sie hier verkommen zu lassen … und er hatte es sich verdient!

Alraune war immer noch nicht zurück. Was tat sie bloß so lange? Es standen keine Geburten in den nächsten Tagen an.

Ruhelos ging ich in der Stube auf und ab. Der Haufen gepackter Sachen schrie mich an. Noch war es dunkel, aber der Morgen mit seinem Grauen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Vielleicht wärmte ich mich noch ein bisschen auf, bevor wir aufbrechen mussten. Ich ließ mich auf der Ofenbank nieder, stellte die nassen Schuhe zum Trocknen auf und lehnte mich an die Kacheln, ließ die Wärme Schicht für Schicht durch meine Kleider dringen.

Die Flamme in der Laterne flackerte. Nicht mehr lange, bis sie erlosch. Doch noch tanzte ihr Lichtschein über die holzgetäfelten Wände und die knarzige Stiege. Wie gemütlich wir es hier hatten, hier in unserem Zuhause.

Verbena II

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