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GEBURTSTAG

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Eine Hand strich über meine Wange. Ich schreckte hoch und sah in Alraunes freundliche Augen.

»Alles Gute zum Geburtstag, Liebes!« Sie setzte sich neben mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Wieso schläfst du in der Stube? Tss … nicht einmal deine Tasche hast du abgelegt.«

Es war schon hell!

Das Licht des Morgens schien durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden, erhellte die Stube Grau in Grau. Draußen prasselte der Regen unaufhörlich weiter – aber es war ein neuer Tag, mein Geburtstag. Plötzlich erschien mir unwirklich, was gestern Nacht passiert war.

»Alraune, wir …«

Doch sie bedeutete mir zu warten. Mit einer Hand kramte sie in ihrer Tasche, zog eine Holzschatulle heraus und reichte sie mir. »Der Baron hat mir geholfen, das für dich zu bestellen. Aus Kronenburg!«

Wie konnte sie mich so anstrahlen, wo wir doch … Tränen sprangen mir in die Augen. Die Worte lagen bereit, doch heraus kam nur ein Schluchzen.

Sie schlang ihre Arme um mich, hielt mich fest. »Wer wird denn an seinem Geburtstag weinen? Schau doch wenigstens hinein!«

Ich richtete mich auf, wischte mir über die Wangen. Sie sah so erwartungsvoll auf die kleine Kiste, dass ich nicht anders konnte. Kunstvoll war Eschas Zeichen – die zwei parallelen Wellen – in den Deckel geschnitzt. Ich fuhr mit den Fingern darüber, schob den Riegel beiseite und öffnete den Deckel. Heilerbesteck, fein gearbeitet!

Pinzetten, Skalpell, Knochensäge, Zangen … sogar gebogene Nadeln und aufgewickeltes Rosshaar war dabei! All das war ein Vermögen wert.

»Danke«, hauchte ich.

»Du bist jetzt achtzehn Winter und eine ausgebildete Heilerin. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein!« Sie drückte mich noch einmal. Dann schob sie mich an den Schultern weg von sich. »Steck die Schatulle gleich ein. Du solltest sie immer dabeihaben!«

Ich hob die Tasche auf meinen Schoß und schlug die Lasche zurück. Sie war randvoll mit wichtigen Dingen. Was konnte ich entbehren? Kramend entschied ich mich für den Topf.

Alraune beobachtete mich verwundert. Mit dem Kopf deutete sie auf den riesigen Haufen Taschen. »Kannst du mir sagen, was das hier soll?«

»Wir müssen fliehen, jetzt gleich!«, stammelte ich.

Eine von Alraunes Augenbrauen zog nach oben. »Wegen Ulrik, meinst du?«

»Woher weißt du das?«

»Weil Roderik zusammengebrochen ist. Ich war die ganze Nacht auf der Burg.«

Der Baron … Das machte alles nur noch schlimmer!

Ich sprang auf, meine Stimme schrill. »Und Korvinus? Ist er schon auf dem Weg hierher?«

Alraune knetete ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Den habe ich nicht gesehen. Es hieß, er sei in der Nebelschlucht und hebe aus, was dort noch zu finden sei – solange es regnet.«

»Und Finn? Hast du den gesehen?«

»Nein. Sollte ich?«

Erleichtert atmete ich auf. Trotzdem mussten wir fliehen, bevor Frias Geschwätz größere Kreise zog. Ich half Alraune von der Bank hoch. »Komm! Alles andere erkläre ich dir auf dem Weg.«

Sie setzte an zu protestieren.

Da klopfte es.

Wir erstarrten.

Bei Mavanja, waren sie schon da? Hatten sie meinen letzten Satz gehört?

Alraune sah auf die vielen Taschen auf dem Tisch, die Augen weit.

Schnell packte ich das Gepäck und verfrachtete es so leise wie möglich in die Küche und klapperte dort mit den Töpfen, als ob ich Frühstück bereitete.

»Moment, ich komme!«, rief Alraune derweil.

Es klopfte noch einmal, dringlicher. Und schon platzte jemand herein.

Gerade noch zog ich meinen Kopf in die Küche zurück, lauschte.

»Alraune, du musst kommen!«, keuchte Finn. Er war wohl gerannt, den ganzen Weg aus dem Dorf.

»Was ist passiert?«

»Hedwig und Ida! Sie … sie … ihnen geht’s nicht gut!«

Finns Schwestern. Nun wagte ich mich doch in die Stube hinaus.

Finn sah erschöpft aus. Genauso erschöpft, wie ich mich fühlte.

»Ein Unfall?«, fragte Alraune.

»Was? Nein, Bauchweh, Erbrechen … so schlimm hab ich es noch nie gesehen. Kommt schnell, bitte!«

Alraune wandte sich mir zu, unsere Blicke trafen sich. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter, drückte sie kurz. »Du musst gehen, nachsehen, wie ernst es ist. Nimm Magenbitter mit.«

Aber wenn es dann zu spät ist?

Tränen wallten wieder in mir hoch, doch ich schluckte sie hinunter. Finn durfte sie nicht sehen, vor allem der nicht.

Alraune aber sah sie, die Angst in meinen Augen. Sie umarmte mich, machte es mir nur noch schwieriger, nicht loszuheulen. Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Nacken.

»Sei stark, Verbena. Eine gute Heilerin lässt niemanden im Stich«, flüsterte sie mir ins Ohr und gab mich wieder frei.

Den Blick zu Boden gerichtet, stürmte ich in die Heilerei und steckte den Magenbitter in meine schon viel zu volle Tasche.

»Gehen wir«, sagte ich zu Finn und zog mir die Kapuze über den Kopf.

Alraune stand beim Tisch, winkte mir. »Ich warte auf dich.«

Schnellen Schrittes stapften Finn und ich durch den Regen.

»Was habt ihr vor?«, fragte er.

Weg von hier! Weg von dir! Und von Korvinus.

Konnte Finn sich das nicht zusammenreimen, nach dem, was Fria ihm gestern erzählt hatte? Oder gab es noch Hoffnung? Einen Versuch war es wert.

»Nach Arnbruck. Alraune will mir die neue Heilerin dort vorstellen …«

Meine Güte, fiel mir das Lügen inzwischen leicht. Wie sehr ich mich selbst dafür verabscheute, mich und Korvinus und die Hüter, die mich dazu zwangen.

»… als Geburtstagsgeschenk«, fügte ich hinzu.

»Zum Henker!« Er schlug sich auf die Stirn. »Das habe ich in der Aufregung vergessen. Alles Gute!« Schon war sein Arm um meine Schulter. Er zog mich zu sich heran und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

»Danke«, murmelte ich. Am liebsten hätte ich den feuchten Abdruck gleich wieder weggewischt. Ich wand mich unter seinem Arm heraus. »Deine Schwestern …«

Sofort wurde er wieder ernst und ging schneller. Er führte mich zu dem mir wohlbekannten Haus am Dorfplatz, gleich neben dem Tempel. Drinnen rannte er die steile Treppe hinauf und wies mir den Weg in eine der Kammern.

Es roch erbärmlich – nach Erbrochenem und Durchfall. Die armen Mädchen.

Finns Mutter kam mir entgegen. »Verbena, endlich! Escha sei Dank.«

»Erika, was ist passiert?«

Sie zog mich in die Kammer, in der unter der Dachschräge drei Betten standen. In zweien davon lagen die Mädchen, gekrümmt und wimmernd. Nur durch ein kleines, offenes Fenster in einer Gaube drang ein wenig Licht. Ich stellte mich daneben, um frische Luft zu haben.

»In der Nacht hat es angefangen. Hedwig zuerst, sie erbricht in einem durch. Ida nicht, aber sie hat Schmerzen, das sehe ich ihr an.« Erika setzte sich auf die Bettkante und strich ihrer kleineren Tochter über die Stirn.

Ida wälzte sich umher, die Augen geschlossen. Sie hustete und rang nach Atem.

Bei Escha, war es das, was ich vermutete?

Erika sah ratlos zu mir auf.

»Was haben die beiden gegessen?«, fragte ich sie.

»War nicht zu Hause gestern … auf Anprobe bei der Wirtin. Am Herd hing irgendeine Suppe.«

Ich rannte an Finn vorbei hinunter in die Küche. Über der kalten Feuerstelle war ein Kessel. Ich streckte die Nase hinein. Knoblauch?

Finn kam mir hinterher.

Ich sah zu ihm auf. »Wer hat das gesammelt?«

»Den Bärlauch?« Er hob die Schultern. »Die beiden waren gestern allein daheim.«

Während du in der Gaststube gesessen bist?!

»Schütt das weg! Am besten in eine Grube. Achte darauf, dass es niemand isst. Nicht einmal die Schweine«, fauchte ich ihn an. Dann schob ich ihn beiseite und rannte wieder hinauf.

»Erika, der Durchfall … ist er blutig?«

Sie sah mich entgeistert an. Dann nickte sie.

»Escha stehe uns bei!« Der Magenbitter würde in diesem Fall nicht helfen. Ich sank neben ihr auf die Knie und nahm ihre Hände für ein gemeinsames Gebet. »Escha, wir bitten dich, schenke Hedwig und Ida deine heilende Kraft!« Denn du bist die Einzige, die ihnen noch helfen kann, fügte ich in Gedanken dazu. Würde Finn heute seine beiden Schwestern verlieren? Wegen einer dummen Verwechslung?

Erika stand auf. »Was ist es? Sag es mir, Verbena!«

Ich brachte es kaum über die Lippen. »Herbstzeitlose, kein Bärlauch …« Kraftvoller setzte ich nach: »Wie oft haben Alraune und ich euch allen den Unterschied erklärt? Warum passiert das immer wieder?«

Erika wurde so aschfahl im Gesicht wie ihre Töchter. Sie schwankte. Gerade noch fing ich sie auf, bevor sie mit dem Kopf gegen die Dachschräge stieß. Vorsichtig setzte ich sie auf den Boden, lehnte sie an einen der Bettrahmen und tätschelte ihre Wange. »Erika, ich brauche dich jetzt! Du musst mir helfen!«

Als Erstes sah ich den beiden Mädchen in den Mund und entfernte jeden noch so kleinen grünen Rest.

Von unten waren Schritte zu hören. »Finn!«, rief ich die Stiege hinunter.

Doch statt seiner tauchte Fria am Treppenabsatz auf.

Sie war die Letzte, die ich sehen wollte. Ich sollte alles liegen lassen und davonlaufen, so schnell wie möglich, ohne einen Blick zurück, anstatt mich hier um andere zu kümmern.

Hinter mir hörte ich ein Würgen. Hedwig hing über der Bettkante und erleichterte sich in eine Waschschüssel. Säuerlicher Geruch breitete sich wieder aus. Ich hielt die Luft an. Nein, ich konnte sie nicht einfach sterben lassen. Auch wenn es nicht viel gab, um den beiden jetzt noch zu helfen – versuchen musste ich es!

Ich funkelte Fria an. Wenn sie schon da war, sollte sie sich wenigstens nützlich machen. »Hol Wasser … und Becher, schnell!«

Sie sah mich verblüfft an.

»Schnell habe ich gesagt!«

Nun spurte sie, eilte die Treppe hinunter und kam kurze Zeit später wieder herauf.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, nahm ich ihr alles ab. Einen der Becher gab ich Erika. »Hör mir gut zu, sie müssen so viel wie möglich trinken – egal, ob es ihnen oben oder unten herauskommt! Wir müssen das Gift aus ihnen herausspülen. Hast du mich verstanden?«

Tränen rannen ihr über die Wangen, aber sie lehnte die kleine Ida an sich und flößte ihr das Wasser ein.

Ich drückte Hedwig den anderen Becher in die Hand. »Trink! So viel du kannst«, sagte ich zu ihr.

»Was ist denn hier los?«, donnerte plötzlich Hederichs Stimme durch den Raum.

Ich drehte mich zur Tür und sah mindestens fünf Leute hereinlugen. »Vergiftet sind sie. Herbstzeitlose.«

»Bei Escha!« Ein Raunen zog die Treppe hinunter. Hatte sich das ganze Dorf in dem kleinen Haus zusammengedrängt?

Hedwig würgte wieder. Gerade noch trat ich einen Schritt zurück, drängte mich zu den Leuten, als der nächste Schwall in der übervollen Waschschüssel landete. Tropfen spritzten über die Ränder. Grünes Erbrochenes klebte nun an meinem Rock.

»Finn, bring mir saubere Waschschüsseln und Nachttöpfe. Und der Rest von euch, geht nach Hause!«, zischte ich die Leute an. Was dachten sie sich bloß dabei? Es war eindeutig zu eng hier, für so einen Auflauf.

Murrend löste sich die Versammlung auf.

»Wie Alraune.«

»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

»Dass die immer so unfreundlich sein müssen.«

»Hexen.«

Ich verzog das Gesicht. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Mir lief die Zeit davon. Wenn Alraune und ich erst einmal weit weg waren, geflüchtet und wieder in Sicherheit … dann konnten sie alle zusehen, wie es ihnen erging, ohne kundige Heilerinnen.

Finn stand inzwischen mit zwei sauberen Nachttöpfen da. Ich nahm sie ihm ab und tauschte die volle Waschschüssel durch einen davon aus. »Die muss ausgeleert werden.«

Er starrte mich an.

»Mach schon. Und bring Tücher mit!«

Vorsichtig nahm er die Schüssel, bemüht, ihren Inhalt nicht zu verschütten.

Ich füllte Hedwigs Becher neu an und hielt ihn ihr hin.

Matt schüttelte sie den Kopf. »Kann nicht.«

»Du musst.« Ich zog sie an den Schultern hoch. »Setz dich weiter auf und trink!«

Nach dem zweiten Schluck kam es ihr gleich wieder hoch. Diesmal war ich bereit und hielt ihr den Nachttopf vors Gesicht.

»Wie geht es Ida?«, fragte ich Erika.

»Sie erbricht nicht, hat sie noch nie getan.«

»Dann steck ihr den Finger in den Hals!«

Egal wie sehr Erika es versuchte, das Mädchen wand sich und biss fest die Zähne aufeinander.

Ob ich ihr noch helfen konnte? Die Vergiftung war schon viel zu weit fortgeschritten.

Ich musste es zumindest versuchen.

»Habt ihr Salz, Brechwurz, irgendetwas?«

Erika schüttelte den Kopf.

Finn war noch nicht zurück. Wo blieb er nur so lange?

Ich schlüpfte in meinen Mantel und hängte mir die Tasche um. »Erika, ich laufe schnell in die Heilerei. Sieh zu, dass beide weiterhin viel trinken! Bin gleich zurück.«

Verbena II

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