Читать книгу Lehren kompakt I (E-Book) - Ruth Meyer - Страница 7
Оглавление«Der Kluge lernt aus allem und jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen, und der Dumme weiss schon alles besser.»
Sokrates
Worum es in diesem Kapitel geht
In diesem Kapitel geht es um das Lernen Erwachsener in der Weiterbildung. In welchem Bildungssystem sich Erwachsenenbildung abspielt und wie Erwachsene lernen, welche Bedürfnisse und Erwartungen sie haben – all dies hat einen Einfluss auf die Art und Weise, wie eine Lehrperson im Kursraum die Beziehungsebene gestalten kann.
Überblick zu Kapitel 2: Wenn Erwachsene lernen
Die Weiterbildungslandschaft Schweiz
Das schweizerische Bildungssystem mit seiner intensiven Verzahnung zwischen der betrieblichen Praxis und der schulischen Bildung ist einzigartig. Was sich als duales Berufsbildungssystem bewährt hat, ist in der beruflichen und persönlichen Weiterbildung nicht einfach weiterzuführen. Hochschulen, Fachhochschulen, höhere Fachschulen und Privatschulen bzw. innerbetriebliche Bildungsabteilungen verstricken sich seit ein paar Jahren verstärkt in Konkurrenzkämpfe. Dieses Positionierungsgerangel ist unter anderem auf die Bestrebungen nach internationaler Vereinheitlichung (Bologna-Reform, Kopenhagen-Prozess) und die Verknappung der finanziellen Mittel zurückzuführen. Beide Entwicklungen werden weiterhin wirksam sein. Dazu kommen noch weitere Trends, die die Positionierung stark beeinflussen.
Trends
Neuer Bildungsbegriff
Bildung verschiebt sich zunehmend von der Schule in die Praxis hinüber, also muss Bildung in einer dynamischen Wissensgesellschaft zunehmend berufliche Kompetenz vermitteln. Das neue Bildungsideal heisst Employability, also Einsetzbarkeit, Verwertbarkeit (statt klassisches Bildungsideal).
Arbeitsprozess als Weiterbildungsprozess
Arbeiten und Lernen sowie Beruf und Freizeit überlappen sich. Deshalb gelten Persönlichkeitsbildung, Metakommunikation und emotionale Intelligenz als neue Basisqualifikationen. Vermehrt werden Skills und Fähigkeiten am Arbeitsplatz gelernt (training on the job). Berufliche Weiterbildung gewinnt an Bedeutung – sie soll aber effizient sein und sich wirtschaftlich auszahlen.
Neue Lernkultur
Die Vorstellungen vom Lehren und Lernen haben sich gewandelt. Im Mittelpunkt stehen neben den fachlichen Kompetenzen vermehrt berufsübergreifende Schlüsselkompetenzen (auch Soft Skills genannt). Aufgabe der Lehrperson wird es zunehmend, eine aktive und aktivierende Lernkultur zu schaffen und dadurch Lernfreude und Lust am Lernen zu wecken. Die Wissensvermittlung rückt in den Hintergrund, selbstverantwortliches Lernen und Selbstlernkompetenz werden wichtiger.
Neue Rolle für Lehrpersonen
Von den Lehrpersonen wird zusätzlich erwartet, dass sie in die Rolle des Lerncoachs und des Organisators von Selbstlernumgebungen schlüpft. Der Einbezug von neuen Medien und Lernplattformen in den Unterricht wird selbstverständlich erwartet.
Weiterbildungsorganisationen wandeln sich
Auch öffentliche Schulen müssen sich dem Markt stellen; damit gewinnt das Marketing an Bedeutung. Zur Profilierung und zur Professionalisierung einer Bildungsinstitution und ihrer Lehrpersonen gehören Zertifizierungen und Qualitätslabels. Eidgenössisch oder gar international anerkannte Lehrgänge sind wichtiger geworden als Kurse ohne Abschluss. Um die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, müssen Angebote zertifiziert und mit international vergleichbaren Credit Points (ECTS-Punkte) bewertet werden können. Eine Auswirkung davon ist die Aufteilung längerer Ausbildungen in beliebig kombinierbare Module, die einzeln besucht werden können und als Ganzes zu einem höheren Abschluss führen. Damit eine Bildungsinstitution diese Professionalisierung mitmachen kann, wird sie häufig in eine Art Profitcenter umstrukturiert und richtet sich danach bei der Gestaltung ihres Angebotes überwiegend nach der Rentabilität.
Abbildung 2.1: Bildungslandschaft Schweiz
Bildungssystem
Auf www.berufsbildung.ch finden Sie viele Informationen rund ums (Berufs-) Bildungssystem Schweiz. Auf https://bildungssystem.educa.ch finden Sie die Übersicht zum Schweizer Bildungssystem (Abbildung 2.1) in Form einer Image Map. Die einzelnen Begriffe sind Links, die zu weiteren Informationen führen.
Erfahrene Erwachsenenbildner/innen wissen, dass Erwachsene anders lernen und anderes vom Unterricht erwarten als Kinder und Jugendliche. Heidi Ehrensperger hat 2002 die wichtigsten Punkte zusammengefasst – basierend auf der Erkenntnis, dass Erwachsene primär Sinnvolles lernen und das Neue in ihren vorhandenen Erfahrungsschatz integrieren wollen.
Erwachsene wollen deshalb beim Lernen …
•Hintergründe erkennen
•reale Probleme lösen (Nutzen im Arbeitsalltag sehen)
•Überlegungen in Bezug auf die Geschäftsstrategie anstellen
•am Arbeitsplatz mit dem Team, in Zusammenhang mit der Praxis nachdenken
•eigene Erfahrungen einbringen
•konkrete Bezüge und damit den Transfer schaffen
•handelnd lernen (Thema selbst erarbeiten)
•individualisierend lernen (auf die eigene Art lernen)
•selbstgesteuert lernen (Thema oder Themenschwerpunkt selbst wählen)
•entdeckend lernen (Lösungswege, Lösungen und Nebenergebnisse selbst finden)
•an das bereits Gelernte anknüpfen können
•Erfolgserlebnisse haben
•über den Lernstoff nachdenken (reflektieren) können
•effizient lernen (Leistung und Lernen in einem guten Team verbinden)
Erwartungen an den Unterricht
Erwachsene sind nicht wie Kinder bereit, sich einfach auf das einzulassen, was kommt. Sie brauchen von Anfang an die Sicherheit, dass sich die in die Fortbildung investierte Zeit auch lohnt.
Erwachsene wollen deshalb ein Design, einen Unterrichtsaufbau antreffen, der …
•eine klare Ausschreibung beinhaltet
•den roten Faden sichtbar macht
•Lern- und Arbeitstechniken einbezieht
•die Lernenden auf ihrem Wissens- und Erfahrungsstand abholt
•praxisorientiertes Arbeiten ermöglicht
•thematisch anregend und herausfordernd ist
•Transparenz bezüglich Anforderungen und Leistungen gewährleistet
Erwartungen an die Lehrperson
Erwachsene suchen in den Lehrpersonen nicht eine Autoritätsperson, sondern neben den fachkompetenten Expertinnen und Experten vor allem die Wegbereiterin im Dienste des Lernens. Eine Lehrperson, die die Teilnehmenden nicht wahr- und ernst nimmt, wirkt unglaubwürdig und wird auch fachlich nicht überzeugen.
Erwachsene wollen eine Lehrperson erleben, die …
•ein partnerschaftliches Verhältnis lebt und zulässt (zwischen Lehrperson und Teilnehmenden ebenso wie unter den Teilnehmenden)
•Feedbacks gibt und ermöglicht
•aufbauend kritisiert und fördert
•engagiert, echt und glaubwürdig auftritt
•weiss, wovon sie spricht, und ihr Thema liebt
Lernklima gestalten
Erwachsene brauchen ein förderliches Lernklima. Sie lernen leichter und lieber, wenn sie ermutigt werden, Freiraum erleben und mitgestalten können.
Erwachsene wollen mit Methoden (inkl. Unterrichtsformen und Sozialformen) unterstützt werden, die …
•auf den eigenen Lerntyp zugeschnitten sind (individualisierend)
•mit Bildern, Vergleichen, Geschichten operieren (visualisierend)
•Abwechslung bringen (rhythmisierend)
•angstfreies und spielerisches Lernen begünstigen
•humorvolles Arbeiten ermöglichen
•Spass am Lernen bringen
•aktivierend wirken
•alle Sinne ansprechen
•kreativitätsfördernd sind
•auch das körperliche Wohlbefinden beachten
•besprechbar sind in der Lernveranstaltung
•das Gleichgewicht wahren zwischen Thema, Individuen und Gruppe
•für die Praxis relevant und glaubwürdig sind
Die Beziehungsebene im Unterricht gestalten
Lehrpersonen mit grossem Fachwissen und wenig Erfahrung im Unterrichten sind zuweilen stark auf ihre eigenen Notizen, sich selbst und das einzusetzende Medium (Laptop, Tafel usw.) fokussiert. Sie nehmen selten Kontakt mit den Teilnehmenden auf und empfinden Fragen oder kritische Anmerkungen als Angriff oder Störung. Solange dies so ist, kann kaum ein lernförderliches Klima entstehen.
Die Beziehungsebene
Die Beziehungsebene im Unterricht ist im didaktischen Dreieck (siehe Kapitel 4) als Verbindung der Lehrperson zur Gruppe eingezeichnet. Dies ist die dritte Aktionsebene, ergänzend zur Verbindung zwischen Gruppe und Thema (didaktische Ebene) und zwischen Lehrperson und Thema (thematische Ebene). Wenn es der Lehrperson gelingt, zu den einzelnen Personen eine Beziehung herzustellen und die Gruppe als Ganzes in einem lernförderlichen Klima zu halten, dann ist die Beziehungsebene intakt. Herrscht ausschliesslich Wettbewerbs- oder Konkurrenzdenken vor, produziert sich die Lehrperson als alleinwissend und stellt Lernende bloss, werden Einzelne ausgeschlossen oder bevorzugt, geht die Führung ausschliesslich von der Lehrperson aus, stimmt die Distanz nicht (zu nah oder zu fern) – in allen diesen Fällen ist die Beziehungsebene gestört, und früher oder später werden Einzelne oder die ganze Gruppe aus dem Lernen aussteigen.
Faktoren für ein lernförderliches Klima im Unterricht
•Es wird genügend Zeit fürs gegenseitige Kennenlernen eingeplant (siehe auch Kapitel 4 und 11).
•Es werden Lernvereinbarungen und Kontrakte geschlossen (siehe auch Kapitel 12).
•Unterschiedlichkeiten werden tolerant und mit Akzeptanz integriert (siehe auch Kapitel 10 und 11).
•Abschätzige oder aggressive Verhaltensweisen der Lernenden untereinander werden thematisiert und diskutiert (siehe auch Kapitel 11 und 12).
•Es werden mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben (siehe auch Kapitel 5 und 7).
•Gemachte Fehler werden wohlwollend aufgegriffen, und es werden daraus lernförderliche Überlegungen und richtige Lösungen abgeleitet (siehe auch Kapitel 8).
•Die Lehrperson wechselt flexibel zwischen ihren Rollen als Wissensvermittlerin, Lerncoach, Beraterin, Ermunternde, Fördernde, Kontrollierende usw., je nach Lernsituation (siehe auch Kapitel 10 und 11).
Wenn Erwachsene in Weiterbildungen kommen, um zu lernen, dann haben sie hohe Erwartungen. Diese Erwartungen treffen auf die Erwartungen der Lehrperson, was in dieser Weiterbildung passieren soll. Abhängig von Institution und Bildungssystem, hat die Lehrperson unterschiedliche Möglichkeiten, das Lernklima zu gestalten.
Weiterführende Literatur
Langmaack B./Braune-Krickau M.: Wie die Gruppe laufen lernt.