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Geld und Kapital - Revolution von der Insel

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Die industrielle Revolution, das möchte ich ausdrücklich betonen, ist aber keine Technikrevolution, die Technik war häufig bereits hunderte, teilweise tausende von Jahren, vorhanden. So kannten die Römer beispielsweise schon die Dampfkraft. Aber die Römer benutzten die Dampfkraft nur als Spielzeug, um in Tempeln die Türchen auf-und zugehen zu lassen. Mehr wurde daraus nicht. Die Römischen Senatoren waren schlicht zu reich, als dass sich Technik gelohnt hätte. Sie besaßen so viel Land, dass es eigentlich egal war, wie gut oder wie schlecht es bearbeitet und gemanagt war, man lebte auf jeden Fall weit oberhalb der Neidgrenze. Die Einführung von Technik muss sich nämlich immer lohnen, das zeigen uns momentan auch die Probleme von Lateinamerika oder Ländern in Südost-Asien sehr deutlich. Dort ist der Unterschied zwischen arm und reich schlicht zu groß, und die Löhne sind viel zu niedrig, als dass sich die Umstellung auf Technik lohnen würde.

Hier ein kleiner Exkurs mitten im Exkurs: Auf den Philippinen war ich von einem Freund zur Eröffnung seines noblen italienischen Restaurants eingeladen. Es hieß „Carrara“, weil er diesen Werkstoff liebte und deshalb auch vom Tresen bis hin zu den „stillen Örtchen“ sehr viel Carrara-Marmor hatte verbauen lassen. Als ich nach dem dritten oder vierten Begrüßungssekt die Toiletten aufsuchen wollte, lief ich zwei Philippinas in die Arme, die mich höflich informierten, dass der Weg zur Herrentoilette durch die linke der beiden Türen führte. Meinen Freund fragte ich anschließend, was er denn gegen Beschriftung oder Ausschilderung hätte. Er erzählte mir, dass die Toilettentüren mit wundervollen Carrara-Schildern markiert gewesen seien, natürlich importiert, hundsgemein teuer und mit kunstvoll gestalteten Skizzen von Männlein und Weiblein ausgestattet. Er habe aber für die Befestigung qualitativ minderwertigen, lokalen Kleber benutzt und so seien die Marmorschilder am Morgen von den Türen gefallen und auf dem Carrara-Boden zerschellt. Er habe sich dagegen entschieden, in neue Schilder zu investieren, mit den beiden Damen sei es doch viel persönlicher und außerdem ganz dramatisch viel billiger. Q.E.D.: Niedrige Löhne vereiteln Investitionen.

Wachstum ist immer geknüpft an Technik. Denn aus wirtschaftlicher Sicht, und nur davon reden wir hier, gibt es kein qualitatives Wachstum. Wachstum bedeutet immer, dass pro eingebrachter Einheit mehr hergestellt wird, das wiederum erreicht man mit Technik, deshalb ist Technik das Kapital im Kapitalismus. Und Technik gibt es nicht nur in der Industrie, sondern in allen Sektoren der Wirtschaft. Es wurde also nicht nur die Industrie technisiert, sondern es wurde die gesamte Wirtschaft industrialisiert. Landwirtschaft, Dienstleistungen, vom Traktor und Silo bis hin zum Bankautomaten. Selbst die Kultur wird industrialisiert, hierfür sind Zeitungssterben und eine völlig neue Art des Journalismus die Indikatoren. Es sind heute zwar nur noch 20% der Deutschen in der traditionellen „Industrie“ beschäftigt, aber die Rationalisierung, Technisierung und Produktivitätssteigerung zieht sich durch alle Bereiche des Lebens. Zusammenfassend sind Geld und Kapital so abgrenzbar: Geld ist Kreditgeld, also Schulden, Kapital hingegen ist die technische Ausrüstung einer Volkswirtschaft. Mehr Kapital, also mehr Technik bedeutet Wachstum. Gibt es eine Koppelung zwischen dem Einen und dem Anderen? Wenn das der Fall wäre, hätten alle Volkswirte Unrecht, dann wäre Geld definitiv nicht neutral, es wäre keine monetäre Schicht, die die Volkswirtschaft gar nicht tangiert.

Schuldgeld, das hatte ich bereits erwähnt, gab es schon immer, schon in Mesopotamien. Anders als heute wurden die Kredite damals aber auf dem Hintergrund einer stagnierenden Wirtschaft vergeben, das Wirtschaftswachstum pro Kopf war Null. Wenn man in diesem Umfeld Zinsen verlangen möchte, ist klar, dass diese aus der Substanz gezahlt werden müssen. Die antiken Gesellschaften kämpften daher immer mit dem Phänomen der Schuldknechtschaft. Bei einer Missernte mussten Bauern beispielsweise Notkredite aufnehmen und da diese nicht zurückgezahlt werden konnten, gerieten sie in Schuldknechtschaft, das hieß, dass die eigene Arbeitskraft für mehrere Jahre an den Gläubiger verpfändet wurde. Das System, in dem der Schuldner dem Gläubiger faktisch als Sklave zugesprochen wurde, hielt sich durch die gesamte Antike bis weit hinein in das Mittelalter und wurde erst in der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert durch die öffentliche Schuldhaft, also eine Gefängnisstrafe, im sogenannten Schuldturm ersetzt. Kredite führten in nicht wachsenden Volkswirtschaften unvermeidlich dazu, dass die Ärmsten immer noch ärmer wurden. Dass das zwangsläufig und immer der Fall sein muss, werden wir noch rechnerisch an einem Modell belegen.

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