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Wiederauferstehung

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Sonnenwind, auf dem Weg nach Amarok

Glenn träumte von einem Trümmerfeld. Einem, das so weit draußen in der Schwarzen See lag, dass nur wenige vor ihm es besucht hatten. Selbst nach ungezählten Jahrhunderten gab es hier noch Wertvolles zu holen. Rohmaterialien, Ersatzteile, Raumanzüge und ungeöffnete Vorratskisten warteten zwischen zerschossenen Schiffsrümpfen und abgerissenen Wohnmodulen auf neue Besitzer. Versteckt hinter den Trümmern entdeckte er sogar die Umrisse eines unversehrten Schiffes. Niemand vor ihm hatte es gefunden. Niemand hatte es auf der Suche nach verborgenen Schätzen ausgeweidet. Selbst eine Atmosphäre besaß es noch. Aber die Besatzung fehlte. So wie es auch im restlichen Trümmerfeld keinerlei organische Überreste mehr gab. Als hätte jemand alles Menschliche ausgeräumt und anderweitig entsorgt.

Das Bild entglitt ihm. Geräusche aus der echten Welt drangen in seinen Traum ein. Irgendwoher hörte er das Rascheln von Kleidung. Während sein Bewusstsein beim Aufwachen zurück in die Wirklichkeit rutschte, tauchten die Bilder unter die Oberfläche seiner Gedanken ab.

Hinter seinen geschlossenen Lidern nahm er das grelle Leuchten von Lampen wahr. Er betastete die glatte, kühle Oberfläche unter seinen Fingerspitzen. Zwischen seinem Rücken und einer weichen Unterlage staute sich klebrige Hitze. Breite Gurte spannten über seiner Brust, den Handgelenken und Oberschenkeln, um ihn in Position zu halten. Er lag in einem Medisarg. Dem Wunder der Technik, in dem selbst Tote wiederauferstanden. Sofern genügend Hirn übrig blieb.

Er lebte. Sein Denkkasten hatte die Flucht aus dem Gewächshaus überlebt. Hatten die Konglos ihn erwischt? Erneut raschelte Kleidung und er hielt die Luft an. Jemand anderes befand sich mit ihm im Raum. Die Gerüche nach Metall, salzigem Beschleunigungsgel, beduftetem Haaröl, Mungobohnen und Vanille krochen ihm in die Nase. So roch die Sonnenwind. So roch Zuhause. Abgesehen von der Vanille.

»Du bist wach.« Die Stimme seiner Navigatorin klang ungewöhnlich sanft. Die Schärfe fehlte. Anscheinend musste er nur dem Tod von der Schippe springen, um sie milde zu stimmen.

»Ich bin zu Hause«, flüsterte er. Sein Rachen kratzte vor Trockenheit, als hätte er Mehl eingeatmet. Mehl mit Metallgeschmack. Er leckte seine rissigen Lippen. »Wie habt ihr mich aus der Forschungsstation geholt?«

»Wir haben dich aus einem Shuttle geholt«, antwortete Lena. Sie klang besorgt. Er wollte sie in den Arm nehmen und ihren Kummer vertreiben. Dummkopf. Er war derjenige, der gestorben und wiederauferstanden war. Sie sollte seine Sorgen vertreiben. Nicht umgekehrt.

»Ich erinnere mich nicht.«

»Erinnerungslücken können nach einer Wiederbelebung vorkommen«, sagte sie. »Du hattest einen Genickbruch.«

»Was ist mit Tian und Kroll?«, fragte er, ohne die Augen zu öffnen. Selbst durch seine Lider blendete die Deckenbeleuchtung und er zögerte es hinaus, sich der Helligkeit zu stellen.

»Tian hat sich das Handgelenk verknackst und wartet darauf, dass der Sarg frei wird. Er hatte Glück.« Lena sog die Luft hörbar ein. Irgendetwas schien sie wirklich zu beunruhigen. Er schlug die Lider auf. Das Licht stach in seine Augen und brachte sie zum Tränen. Langsam schälte sich Lenas schlanker Umriss aus dem Gleißen des Krankenzimmers. Alles an ihr verriet die Nomadenherkunft. Die langen Gliedmaßen, das fein geschnittene Gesicht, und vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der sie völlig reglos mitten im Raum schwebte. Felsenkleber und Stationsbewohner verloren selbst nach Jahren im All nie den Kontakt zu Wänden, Griffen und Gegenständen. Die Freiheit der Schwerelosigkeit schien ihnen Angst einzuflößen. Dabei lag der nächste Halt in den Aufenthaltsbereichen eines Nomadenschiffes nur in Ausnahmefällen mehr als eine Armlänge entfernt.

Die Kraushaare der Navigatorin ließen ihren Kopf im Vergleich zum dürren Rest gigantisch wirken. Sie stemmte die Hände in die Hüften, ohne sichtbare Ausgleichsbewegungen. Ein Kunststück, das kein Felsenkleber hinbekam.

»Was ist mit Kroll?«, fragte er und streckte seinen Rücken, so gut es in den Gurten ging. Etwas knackte an seiner oberen Wirbelsäule und er erstarrte. Genickbruch hatte sie gesagt. Vielleicht sollte er noch etwas Vorsicht walten lassen.

»Ich habe den Wissenschaftler auf Eis gelegt.« Sie schwebte neben den Medisarg, als bewege sie sich mit reiner Willenskraft fort. Ohne Kommentar begann sie seine Gurte zu öffnen und wich seinem Blick aus. Die schwarzen Riemen surrten zurück ins Gehäuse des Medisargs, sobald sie eine Schnalle geöffnet hatte.

»Du hast Kroll eingefroren?«, fragte er und richtete sich auf. Sein linker Arm wurde zurückgerissen. Er spähte zur Seite auf einen Gurt, der ihn noch immer gefangen hielt.

»Wieso legst du unseren Gast auf Eis?« Seine Worte schnitten die Luft. »Du weißt, dass wir für ihn bezahlt werden. Was glaubst du, wird der Bruder uns pfeifen, wenn wir ihm beschädigte Ware liefern?«

»Er hatte einen Schlaganfall. Vermutlich durch die Belastung in der Beschleunigung. Und unser Medisarg war bereits besetzt.« Sie drehte sich so in der Luft, dass sie über ihm schwebte. Ihre dunklen Augen sahen an ihm vorbei zum Gurt an seinem Arm, den sie aufschnappen ließ.

Ihre Nähe verursachte ihm eine Gänsehaut. Seine Haut kribbelte, als die Armhärchen sich aufstellten.

»Wir könnten ein Krankenhaus in Amarok aufsuchen«, schlug sie vor. »Die haben die besten Krankenhäuser des Sednagürtels dort.«

»Stimmt schon«, sagte er. »Die kriegen völlig zu Brei zermatschte Nomaden wieder hin. Auftauen ist für die ein Klacks. Aber wir brauchen das Geld vom Auftrag, um das zu bezahlen. Unsere Kuben reichen nicht einmal, um am nächsten Hafen die Luftfilter auszutauschen und die Nährstoffkartuschen aufzufüllen.«

»Ist das Geld wirklich so knapp?« Lena verschränkte die Arme und hob eine Augenbraue. Doch in ihrer Gestik lag eine ungewohnte Unsicherheit. Warum war sie überhaupt hier? Er brauchte kein Kindermädchen beim Aufwachen. Die Gurte, von denen sie ihn so gewissenhaft befreite, ließen sich per Stimmbefehl öffnen. Sie schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Die Bewegung ließ ihre Löckchen wippen.

»Du wirst den Auftraggeber anfunken und darum bitten müssen, dass er Frostfleisch nimmt«, sagte sie. »Gib ihm einen Rabatt als Entschädigung.«

»Rabatt?« Er stieß sich vorsichtig von seiner Unterlage ab und driftete in ihre Richtung. Das Krankenhemdchen klebte an seinem Rücken. »Er wollte seinen Bruder. Wir geben ihm seinen Bruder. Niemand hat gesagt, dass der noch atmen muss. Bei mir gibt’s keinen Rabatt!«

»Das wird sich schlecht in unserer Reputation machen.« Lena presste die Lippen zusammen. »Wir könnten einen Kredit aufnehmen, um das Krankenhaus zu bezahlen.«

»Diese Halsabschneider sehen von mir keinen Kub. Das ist deren Masche, um unser Schiff zu enteignen. Kommt gar nicht in …«

Er befeuchtete seine Lippen. Eigentlich war das keine schlechte Idee. Er musste sein Glück ja nicht bei einer Bank versuchen, die ihn vermutlich lieber an Lehrsinn-Bode verkaufte und sein Schiff einsackte, als Zinsen und Sicherheiten zu nehmen.

»Ich werde Dan mal fragen. Der kennt ja immer irgendwen.«

Lena sah ihn stirnrunzelnd an. »Wirklich? Dans dubiose Kontakte?«

»Willst du für immer mit Frostfleisch im Lager durch die Gegend fliegen?« Er winkte ab. »Hat Tian irgendwas zu unserer gelungenen Flucht gesagt? Ist bestimmt ‘ne tolle Geschichte.«

»War anscheinend erstaunlich einfach, mit dem Shuttle aus dem Hangar zu entkommen.«

»Einfach?«, fragte er und sah sie ungläubig an.

»Es hätte euch nicht möglich sein sollen, einfach ein Shuttle zu klauen und zu starten«, antwortete sie.

»Ich weiß ja nicht, was Tian erzählt hat. Aber ich wurde immerhin angeschossen« Glenn zeigte auf sein Bein und dann auf seinen Nacken. »Und ich hab mir das Genick gebrochen.«

»Das war ich.« Sie räusperte sich und sah zu Boden. »Ich hab euch zu schnell eingesammelt. Nur Tian hat das Manöver überlebt.«

»Du hast mich und Kroll umgebracht? Deinetwegen müssen wir Frostfleisch abgeben?«, fragte er. »Welcher Schatten hat dich geritten, so ein gefährliches Flugmanöver abzuziehen?«

Ihre Augen weiteten sich. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Konglos haben eure Fähre zerschossen. Und da dachte ich, bevor die euch kriegen, nehme ich lieber Knochenbrüche in Kauf. Es tut mir so leid, Glenn. Unter den Umständen ging es nicht anders. Wenn ich dich nicht verlieren wollte!«

Schuldgefühle. Deshalb begrüßte sie ihn hier beim Aufwachen. Es tat ihm leid, dass er sie angefahren hatte, und er wünschte, sie hätte ihm nach dem Aufwachen einen Moment der Ruhe gegönnt. Er stellte sich vor, sie zu umarmen.

»Wir atmen alle noch. Also ist alles in Ordnung.«

»Kroll nicht«, sagte sie leise. »Es tut mir leid.«

Er seufzte. Sein Gehirn hätte für so eine Unterhaltung mehr Schlaf gebraucht. Er fühlte sich immer noch müde vom Heilungsprozess und dieser verdammte Metallgeschmack hing in seinem Mundraum, wie der Parfümgestank nach einem Puffbesuch.

»Wie habt ihr uns überhaupt gefunden?«

»Der Funkspruch, den wir gekriegt haben.« Ihre Mundwinkel zuckten.

»Was für ein Funkspruch?« Glenn hielt sich an einem Griff an der Decke fest und brachte sich in eine Position, die es ihm erlaubte, seiner Navigatorin direkt ins Gesicht zu sehen.

»Die Konglos haben in deinem Namen um Hilfe gebeten. Wir wussten gleich, dass ihr das nicht sein konntet.«

»Ja, so schnell rufe ich nicht nach Hilfe«, sagte er.

Sie bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick. »Die haben viel zu höflich gebeten.«

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