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Die innere Bühne

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Wir leben hier begrenzte Zeit,

mit viel Beschwer und großem Leid.

Muss das Leben wirklich so viel Beschwer und Leid mit sich bringen? Diese Frage hat die Menschen von jeher beschäftigt, und meist ist es die Religion gewesen, die uns erklärt hat, woher das Leid kommt und wie wir ihm begegnen können.

Doch das Monopol der Religion, die Nöte und Orientierungslosigkeit der Menschen zu interpretieren, ist ins Wanken geraten. Das wird deutlich, wenn wir uns die Einstellung zum Selbstmord anschauen – der wohl äußersten Konsequenz menschlichen Schmerzes. Früher wurde Selbstmord als Sünde betrachtet, als Verstoß gegen Gottes Gebote. In moderner Zeit sah man ihn als weltliches Verbrechen an, und die Justiz hat zwischenzeitlich in manchen Ländern den missglückten Versuch unternommen, das Verhalten der Menschen zu lenken, indem sie die Todesstrafe für Selbstmordversuche einführte. Dann setzte sich allmählich eine medizinische Betrachtungsweise durch: ein suizidgefährdeter Mensch gilt mittlerweile als krank und hilfsbedürftig.

Heutzutage muss die Medizin ihr Territorium verteidigen. Zwar ist im Allgemeinen das Gesundheitswesen für psychische Leiden verantwortlich, doch existiert eine riesige Grauzone. Wohin sollen wir uns wenden, wenn wir über den Sinn des Lebens sprechen wollen, wenn wir unglücklich sind und nicht weiterwissen, wenn wir daran verzweifeln, dass unser Leben und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen in anderen Bahnen verlaufen, als wir uns das vorgestellt haben?

Hier scheinen Spiritualität und Psychotherapie zu Schwestern im Geiste geworden zu sein – beide bieten den Menschen aus unterschiedlicher Perspektive ihre Hilfe an, um das Leben in den Griff zu bekommen. Zeitweise waren sie erbitterte Rivalen. Deshalb ist es begrüßenswert, dass wir nun in der Lage sind, zwei Sichtweisen miteinander zu versöhnen, die früher als unvereinbar galten. Die Form der Religion/Spiritualität, auf die ich in diesem Buch abziele, ist mindfulness, ein schwer zu übersetzender Begriff aus dem Zen-Buddhismus, den ich im Folgenden als »Innere Achtsamkeit« bezeichnen werde.

Der Buddhismus hat im Laufe seiner Geschichte verschiedenste Ausprägungen erfahren, und der Begriff der »Inneren Achtsamkeit« ist vielgestaltig beschrieben worden. Ich halte mich an Thich Nhât Hanh, der unter »Innerer Achtsamkeit« die Kunst versteht, ganz im gegenwärtigen Moment zu leben und jeden einzelnen Augenblick des Tages mit nicht nachlassender Präsenz zu begleiten. Mit anderen Worten: Man sollte nicht nur stets wissen, wo man sich gerade befindet, sondern auch, wohin der Weg führt.

Da der Begriff der Inneren Achtsamkeit mittlerweile Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Definitionen geworden ist, lässt sich seine Bedeutung nicht mehr eindeutig festlegen. Dennoch ist er ins Blickfeld von Psychiatern und Psychologen gerückt, weil er sich als wertvolle Ergänzung zur psychotherapeutischen Terminologie erwiesen hat. Derzeit ist man bemüht, die Anwendbarkeit des Begriffs in der modernen Psychologie zu klären, was sich als nicht ganz einfach erweist. Innere Achtsamkeit kann als psychologischer Prozess verstanden werden – oder auch als Resultat dieses Prozesses. In der Psychotherapie wird die Innere Achtsamkeit teils als psychotherapeutische Technik, teils als Sammelbegriff für verschiedene Techniken beschrieben.

Als Psychiaterin interessiert mich vor allem die praktische Anwendung: Wozu ist Innere Achtsamkeit gut? Inwieweit kann sie uns helfen?

Meine Antwort darauf ist, dass Innere Achtsamkeit es uns erleichtert, die Kontrolle über uns und unser Leben zu gewinnen. Sicherheitshalber sollte ich hinzufügen, dass es keinesfalls darum geht, eine übertriebene Selbstkontrolle auszuüben. Es geht eher darum, sich der Realität zu öffnen, die eigenen Reaktionen zu verstehen und somit kluge Entscheidungen treffen zu können.

Im Laufe unseres Lebens werden wir mit Liebe und Betrug, mit Fortschritten und Rückschlägen konfrontiert. Wir müssen damit leben, dass andere nicht nach unserer Pfeife tanzen und – was viel schlimmer ist – dass selbst unsere eigenen Handlungen nicht immer unserem Willen gehorchen. Oft wissen wir nicht, was wir tun sollen. Und wenn wir es wissen, gibt es immer noch viele Gründe, die uns davon abhalten, dieses Wissen in die Tat umzusetzen. Es kann äußerst schwierig sein, unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und das Leben im Allgemeinen zu meistern.

In diesem Buch widme ich mich einem praktischen Aspekt der Inneren Achtsamkeit, der meist als »Selbstbeobachtung« (guarding the mind) bezeichnet wird. Es geht mir vor allem um deren konkrete Anwendung. Die technische Diskussion über die Definition der Inneren Achtsamkeit überlasse ich den psychologischen Theoretikern, die religiöse Diskussion den religiösen Autoren.

Wer führt Regie in meinem Leben?

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