Читать книгу Götterfunken- sieben Höllen - Sabine Claudia - Страница 6
Vorwelt, Heim der Hexen
ОглавлениеEs war kein Ort, an dem ein lebender Mensch sein wollte. Er war düster, feindlich und unheimlich.
Im Gegensatz zu der Meinung jener, die er zurückgelassen hatte, war er jedoch keineswegs unfreiwillig an diesem Ort.
Dennoch war er gefangen in dieser Welt unfähig, sie ohne Hilfe wieder zu verlassen.
Er wartete schon lange auf eine Gelegenheit, die Macht an sich zu reißen. Doch Zeit spielte hier keine Rolle.
Schon als Mensch war er machthungrig gewesen, auch wenn er diese Gelüste gut zu verbergen wusste, hinter seiner Maske scheinbar freundlicher Bescheidenheit.
O ja! Er hatte diese Rolle sehr gut gespielt!
Vor der Frau, die ihn liebte, die dachte, er würde sie anbeten, während sie ihn nur langweilte, vor ihrem gefühlsduseligen Bruder, der in seiner einfältigen Besessenheit für eine Geliebte aus einem früheren Leben, seine Menschlichkeit aufgegeben und zu einem Vampir geworden war.
Für sie alle war er der nette Landjunker gewesen, den sie in ihm sehen wollten.
Er hatte sie alle getäuscht. Niemand erkannte sein wahres Ich. Niemand wusste von seinem brennenden Ehrgeiz, von seinem unstillbaren Verlangen zu herrschen.
Von Kindheit an hatte er gelernt, seine Absichten zu verbergen. Er lernte zu schweigen, über die Dinge, die ihm schon in jungen Jahren von seiner Erzieherin beigebracht worden waren. Dunkle Dinge.
Er erlernte von klein auf magische Praktiken und er war talentiert. Die Frau, die ihn erzogen hatte, erzählte ihm die Wahrheit über seine Abstammung.
Er war der Nachkomme eines mächtigen Hexengeschlechts, das im Verborgenen seit Jahrhunderten ihre dunkle Magie ausübte.
Nur seine Eltern waren anders gewesen. Sie wollten wie normale Menschen leben und versuchten, jegliches Wissen über Zauberei von ihm fernzuhalten.
Sie ahnten nicht, dass die Erzieherin, die sie für ihren Sohn einstellten, ihrem Wunsch entgegenwirkte. Sie sorgte dafür, dass er sich bewusst wurde, welches Erbe er in sich trug.
Er war über diese Entwicklung nicht unglücklich. Eifrig beschäftigte er sich viele Jahre mit den geheimnisvollen Wissenschaften und versuchte, das Tor zu anderen Welten zu öffnen.
Längst wusste er aus alten Schriften, dass er für einen solchen Zauber Vampirblut benötigte. Doch ganz gleich wie viel er suchte und forschte, es gab keine Vampire.
Bis zu jenem glücklichen Tag, an dem in der eigenen Familie, sein Schwager zu einem wurde.
Heimlich zapfte er ihm Blut ab, um das Ritual zu vollbringen, das ihm ein Tor in eine andere Welt öffnen konnte.
Er gönnte sich seine persönliche Genugtuung, als er den arroganten Einfaltspinsel sogar daran teilnehmen ließ, um ihm die Schmach der Mitschuld, an seinem Verschwinden, aufzubürden.
Selbst jetzt musste er lächeln, bei dem Gedanken daran. Genüsslich stellte er sich das Entsetzen vor, dass er ausgelöst haben musste, als er einfach wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden war.
Als er sein Ziel erreichte und in die Vorwelt eingedrungen war, stand er vor einer weiteren Entscheidung. Als lebender Mensch war er nicht dazu ausersehen in der Hölle zu sein.
Der Meister aller Hexen, der ihn recht wohlwollend in Empfang nahm, bot ihm an, seine Seele dieser Welt zu verpfänden. Somit wurde er zu einem Geschöpf der Vorwelt, zu einem Dämon und konnte bleiben.
Ohne zu zögern, nahm er an. Er war nicht so weit gekommen, um jetzt zu scheitern.
Es war ihm nicht schlecht ergangen bei den Hexen. Sie waren neugierig und suchten seine Gesellschaft, wenn auch niemand verstehen konnte, warum er freiwillig in die Vorwelt, die Hölle gekommen war.
Er erklärte es mit seiner Wissbegierigkeit. Er wollte alles lernen, alles erfahren. Er hatte den Ehrgeiz der größte Hexer aller Zeiten zu werden.
Damit löste er Gelächter aus, bei dem Hexenmeister und allen anderen Hexen und Hexern.
»Wissen kannst du hier wohl finden. Lernen kannst du alles, was mit Magie zu tun hat. Doch wo willst du dieses Wissen anwenden? Hier? Magie verleiht dir Macht in der Menschenwelt. Alle Dinge, die du dort begehrst, kannst du mit Magie erreichen. Doch hier sind diese Dinge nicht von Bedeutung.«
Er hatte den Meister verblüfft angesehen. »Dann lerne ich alles und kehre wieder zurück.« Seine Worte lösten wieder schallendes Lachen bei allen Anwesenden aus.
Er sah den Meister fragend an. Der nickte mit spöttischem Lächeln. »Genau das kannst du nicht mehr. Du gehörst jetzt zur Vorwelt. Wer einmal hier ist, bleibt auch hier.«
Er hatte nicht geantwortet, nur still in sich hineingelächelt.
Hier bleiben, für immer? Das kam für ihn nicht in Frage. Er hatte vorgesorgt, indem er bei seinem Übertritt in die Vorwelt den erstbesten Gegenstand den er in dieser Welt erblickte durch das sich schließende Tor in die Menschenwelt warf: Es war ein Dolch. Dass es ein merengischer Dolch war, der Dämonen zu töten vermochte, ahnte er damals nicht.
Er wusste nur, dass er damit einen Platzhalter für seine Existenz in der Menschenwelt verankert hatte. Der Dolch würde ihm ermöglichen wieder in seine Welt zurückzukehren und dort von seiner Macht Gebrauch zu machen.
Doch erst einmal musste er ein mächtiger Hexer werden. Also machte er sich daran alles zu erlernen, zu erfahren, was es an magischem Wissen gab. Es gab eine ganze Menge.
Bei all seiner Gelehrsamkeit fehlte ihm jedoch eine Möglichkeit, das Erlernte praktisch anzuwenden.
Er wusste nun, wie er sich unendlichen Reichtum verschaffen konnte. Es stand in seiner Macht, Liebe für ihn zu erwecken in allen Geschöpfen. Er kannte den Zauber für ewige Jugend und Gesundheit.
Nichts von all dem brauchte er an dem Ort, an dem er sich befand.
Er alterte nicht, denn Zeit war nicht existent. Krankheiten gab es ebenso wenig. Reichtum ergab sich immer nur aus dem Gegenwert von Begehrlichkeiten. Aber er verspürte keine Begierde, etwas zu besitzen. Er hatte auch kein Verlangen nach Zuneigung oder Liebe.
Alles was ihm blieb, war Langeweile. Offenbar war es die größte Höllenqual, denn unter ihr hatten sie alle zu leiden.
Er fand es an der Zeit, wieder in die Menschenwelt zurückzukehren. Doch sein ursprünglicher Plan war vereitelt worden, durch unglückliche Umstände.
Der merengische Dolch, den er in die Menschenwelt geworfen hatte, damit er als Platzhalter für seine Existenz diente, war nun in die Götterwelt gelangt. Er hatte damit seinen Platz in der Welt der Menschen verloren.
Das brennende Verlangen, mächtig zu sein, und zu herrschen war jedoch ungebrochen in ihm. Aber hier gab es fest gefügte Strukturen. Es gab einen Herrn, den Meister der Hexen und keiner von den anderen hätte je daran gedacht, dessen Platz einzunehmen. Sie kannten nur diese Welt und hier stand jeder an dem Platz, der ihm zugeteilt war.
In seinem maßlosen Ehrgeiz, keimte der Wunsch in ihm auf, sich selbst zum Herrscher der Hexen zu machen. Je länger er darüber nachdachte, umso sicherer war er sich: Wenn er schon hier verweilen musste, so wollte er ihr Herr sein. Er wollte über sie herrschen, ihr Gebieter sein, der ranghöchste Hexer!
Er hatte noch einen kleinen Teil des Vampirblutes seines Schwagers, durch das er hierher gelangt war. Er würde den Hexenmeister in einen Vampir verwandeln, so konnte dieser kein Hexer mehr sein.
Denn es war nicht möglich, beides zugleich zu sein. Entweder war man ein Hexer oder ein Vampir.
O ja! Ja er würde sich zum Herrn über Leben und Tod aufschwingen und die Lebensform des Hexenmeisters verändern, um seinen Platz einzunehmen.
Er wartete einen günstigen Zeitpunkt ab, an dem er mit dem Meister alleine war. Unverhofft stürzte er sich auf den Überraschten, flößte ihm das Vampirblut ein und brach ihm das Genick.
Der Meister fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die anderen Hexer und Hexen traten zu ihnen und sahen voller Bestürzung auf den Hexenmeister, der reglos dalag.
»Ich bin ab heute euer neuer Meister.« Seine Augen funkelten und er stellte sich breitbeinig vor ihnen auf. Sie zuckten bloß gleichgültig die Schultern und wandten sich von ihm ab.
Er war verblüfft über ihre Reaktion. Als der ehemalige Hexenmeister sich zu rühren begann, befahl er den Übrigen, ihn in eine Kammer zu bringen und dort einzuschließen.
»Wir sind nicht deine Sklaven, scher dich selbst um deine Angelegenheiten«, erhielt er zur Antwort.
Er war wütend, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als den neuerwachten Vampir selbst in eine Kammer zu schleifen. Die Hexen hatten keinen Respekt vor ihm, und er hatte keine Macht über sie.
Er war von den Machthabern der Vorwelt nicht ausersehen Anführer der Hexen zu sein und die Gesetze, die hier herrschten, erlaubten ihm nicht, mächtiger zu sein, als die Anderen. Welche Ironie! Er hatte den Hexenmeister völlig umsonst in einen Vampir verwandelt!
Ab jetzt mieden ihn die Übrigen. Sie wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben. Er war nun ganz für sich alleine.
Er musste unbedingt einen Weg finden, wieder in die Welt der Menschen zu gelangen. Dort konnte er seinen Hunger nach Macht stillen, denn er war aufgrund seines Wissens und seiner magischen Fähigkeiten, den gewöhnlichen Menschen überlegen.
Es gab noch eine andere Möglichkeit zurückzukehren zu den Menschen, außer seinem ursprünglichen Plan.
Er brauchte ein besonderes Opfer dafür. Einen Vampir, der in der Menschenwelt lebte.
Sein Blut würde der Schlüssel zum Öffnen des Weltentores sein.
Nur benötigte er all sein Blut, sodass es den Vampir sein unsterbliches Leben kosten würde und seinen endgültigen Tod bedeutete.
Sein Entschluss war gefasst. Er würde durch das Opfern eines Vampirs, in die Welt der Menschen zurückkehren.
Siegbert Swann würde nicht ruhen, bis er sein Ziel erreicht hatte.