Читать книгу Cara - Drachenseele - Sabine Hentschel - Страница 12
Dunkelheit
Оглавление»Ist alles vorbereitet? Mike? Eric?«, Stene trat mit Lisy auf dem Arm in das Zimmer neben dem Wohnraum.
»Ja, wir sind hier! Die drei Infusionen für jede sind fertig!«, antwortete Mike.
Er sah nicht sonderlich glücklich aus über das, was er tat. Stene trat neben ihn: »Sie bekommen heute nur eine!« »Wieso nur eine?«, fragte er.
»Wir gehen es langsam an, damit nichts schiefgeht!«, antwortete Stene, während er Lisy auf einen Tisch legte.
Rey trat nun ebenfalls in den Raum, er hatte Cara auf dem Arm und legte sie auf den Tisch daneben.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust!«, sagte er mit einem durchbohrenden Blick.
»Klar! Ich würde doch nichts tun, was ihnen schadet«, Stene grinste, als er das sagte.
Er trat vor einen Schrank und holte ein paar Stoffbinden, die er als Fesseln benutzen wollte, heraus. Dann wandte er sich wieder zu den Mädchen um und verteilte die Binden.
Während er seinen Finger an Lisys Kehle legte, sagte er zu den anderen: »Ihr Puls schlägt gleichmäßig! Mike! Eric! Hier, bindet sie fest. Damit sie nicht abhauen, falls sie aufwachen!«
Mike und Eric fesselten die Mädchen an den Händen und Füßen. Ihnen war nicht ganz wohl bei der Sache, deshalb traten sie schnellstmöglich wieder nach hinten zurück und beobachteten Stene von weitem.
Stene suchte währenddessen an Lisys Arm eine geeignete Stelle für die Infusion: »Es wird funktionieren, davon bin ich überzeugt!«
Er schaute zu Rey: »Keine Sorge, ich habe die Aufzeichnungen genauestens studiert.« Er setzte die Nadel an und traf die Vene. Dann ließ er etwas Blut in ein paar Röhrchen laufen, bevor er die Infusion anlegte.
»Geschafft!«, sagt er: »Nun zu Nummer zwei!«
Dasselbe tat er auch bei Cara. Sie regte sich kurz, als würde sie einen tiefen Schmerz verspüren.
»Und nun?«, Rey wurde ungeduldig.
»Warte, Rey! So schnell geht das nicht! Das Blut muss sich erst in ihrem Körper verteilen!«, antwortete Stene erwartungsvoll.
***
Draußen wurde es langsam ungemütlich. Ein Sturm zog auf. Der Wind fauchte an den Fenstern vorbei. Mein einziger Gedanke in diesem Moment - Ich will hier weg. Ich schlug die Augen auf, starrte von Angst erfüllt an die Decke.
»Stene! Sie schlägt die Augen auf«, Reys Stimme klang verzweifelt. Was war hier los?
Was passierte hier?
»Das ist unmöglich! Das darf nicht sein!«, vernahm ich von Stene.
Mein Kopf brummte vor Schmerz, als ich versuchte, ihn anzuheben. Ich war total durcheinander: Wo war ich? Was war das für ein Gefühl? Wieso war ich gefesselt?
Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Die Burg. Der Ausflug mit Rey. Das Glas. Der Drink. Was sollte das? Was hatten sie vor?
Mein Blick schweifte benommen durch den Raum.
Alle starrten mich an.
Rey stand weiter weg und brachte kein Wort heraus.
Mike und Eric verließen hastig das Zimmer. Nur Stene blieb direkt neben mir stehen.
Was hatte er getan?
Ich versuchte ihn mit der Hand von mir fernzuhalten, als ich den Infusionsschlauch bemerkte.
Was war das? Um Himmels Willen was taten sie mit mir?
Ich versuchte, diese Worte auszusprechen, aber es kam kein Ton heraus, obwohl ich meinen Mund öffnete.
Au! Ein dumpfer Schmerz durchzog plötzlich meinen Körper. Meine Hand sank wieder auf die Liege, als gehörte sie nicht zu mir. Mein Körper fühlte sich plötzlich so schwer an wie Beton. Mein Herz schien zu rasen und das Blut zu brennen. Als würden tausend Nadeln mit Widerhaken durch die Blutbahnen rasen. Ich wollte schreien, aber ich brachte kein Wort heraus.
Die Dunkelheit, die ich in meinen nächtlichen Träumen so liebte, erschien mir plötzlich wie ein Albtraum. Sie quälte mich. Nahm mir die Luft zum Atmen. Raubte mir den Verstand.
Ich hatte das Gefühl in Schmerz und Leere zu ertrinken. Alles um mich herum verschwand ins Nirgendwo.
Ich kämpfte mit meinem Körper, mit mir selbst.
Suchte nach einem Strohhalm, der mich vorm Ertrinken retten könnte.
Doch die Erinnerungen rasten an mir vorbei: meine Familie, mein zu Hause, die Schule.
Nichts ließ sich greifen. Nichts hielt die Schmerzen auf.
Die Dunkelheit schien immer tiefer zu werden, als würde ich auf den Boden des Meeres sinken.
Ich strampelte innerlich.
Bitte nur ein Strohhalm.
Dann schoss mir ein Bild durch den Kopf ... Lisy!
Da fiel es mir wieder ein.
Lisy.
Wo war Lisy?
Bitte lass es ihr gut gehen. Ich rappelte mich auf und versuchte, die Kontrolle über meinen Körper wiederzuerlangen. Sie brauchte bestimmt meine Hilfe. Ich durfte sie jetzt nicht im Stich lassen.
Wenigstens wieder sehen wollte ich und es gelang mir. Ich blickte mich im Raum um. Da lag sie, nur eine Armlänge von mir entfernt.
‚Lisy, was hast du?’, wollte ich sie fragen.
Doch aus meinem Mund kam nichts weiter als ein Röcheln. Mein Hals brannte plötzlich. Als hätte ich eine Flamme verschluckt.
»Sie darf nicht aufwachen!« Stene schrie durch den gesamten Raum. Hecktisch lief er hin und her. Mike und Eric waren mittlerweile wieder zurückgekommen, ich hörte ihre schweren Schritte.
Ihr Gemurmel im Hintergrund. Von Rey nahm ich überhaupt nichts war.
Meine Aufmerksamkeit lag ganz auf Lisy.
Sie bewegte sich nicht. Angst stieg in mir auf.
Was war, wenn sie bereits...?
Nein, das konnte nicht sein.
Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Arm, auch wenn ich wusste, dass meine Sehkraft womöglich wieder verschwinden würde. Aber sie blieb und auf einmal fühlte ich eine ungeheure Kraft in mir. Sie brannte sich durch meinen Körper. Ich hob die linke Hand und das sorgfältig gebundene Band, das mich hatte fesseln sollen, zerriss. Was für eine Kraft. War ich das?
Ich erschrak vor mir selbst.
Wie war das möglich?
Im gleichen Moment versuchte ich, meine rechte Hand zu bewegen. Auch hier funktionierte es. Mit den Händen befreite ich mich von den Bändern an meinen Füßen.
Ich war frei! Endlich!
Aber etwas war anders. Ich konnte es fühlen.
Als ich mich selbst betrachtete, zuckte ich erschrocken zusammen. Meine Kleidung lag zerfetzt auf dem Boden verteilt. Mein Körper war entblößt, aber nicht nackt.
Er war bedeckt ... bedeckt von schwarzen Schuppen. Wie die einer Schlange, nur deutlich größer.
Was war mit mir passiert?
Ich bewegte mich und sie passten sich der Bewegung an. Ich stand auf oder sprang. Ich weiß es nicht.
Es fühlte sich so leicht an, doch der Boden unter mir krachte und alle schraken zurück.
Während ich mich entsetzt anstarrte, tobte hinter mir im Raum ein erbitterter Kampf.
***
»Ich habe es geschafft! Es ist unglaublich.« Stene hüpfte wie wild durchs Zimmer.
Er grinste höhnisch: »Sie hat es geschafft, wir haben es geschafft! ... Es funktioniert! Das ist der Wahnsinn! Es funktioniert tatsächlich! Das ist perfekt!«
Rey stürmte wütend auf Stene zu: »Was soll das heißen? Du hättest in Kauf genommen, dass sie sterben?«
Stene drehte sich lachend zu ihm um: »Mike! Eric! Zeigt unserem Rey, was wir davon halten, wenn er sich einmischt!«
Im gleichen Moment packten Mike und Eric Rey an den Schultern und drückten ihn heftig zu Boden.
»Jetzt macht sich das Training endlich bezahlt«, murmelte Mike triumphierend, während er mit seiner Faust auf Rey einschlug. Er traf mehrmals Reys Rücken. Die Knochen schienen unter dem Druck zu knacken.
Rey wand sich unter ihm. Keuchte vor Schmerzen, schaffte es kaum, sich wieder aufzurichten. Doch er gab nicht auf.
»Lass sie in Ruhe!«, brüllte er unter Schmerzen.
Doch Stene dachte überhaupt nicht daran, sein Experiment zu unterbrechen. Er gab Eric bestimmend zu verstehen: »Schafft ihn endlich hier raus. Wir haben wichtigeres zu tun.«
Woraufhin Mike und Eric Rey gegen dessen Willen nach draußen schleppten. Rey protestierte lautstark: »Nein!« Seine Füße schliefen über den Boden.
Das Quietschen war durch den gesamten Raum zu hören.
»Nein! ... Lasst mich zu ihr! ... Lasst sie in Ruhe!«, brüllte Rey weiter durch den Raum, doch seine Stimme wurde immer leiser.
»Sie gehört jetzt zu mir!«, lachte Stene heroisch.
***
Mit sanfter Stimme versuchte Stene, mich zu besänftigen: »Du wirst dich daran gewöhnen. Es ist alles halb so schlimm, wie es aussieht. Ich bin dein Freund.«
Aber seine Worte prallten an mir ab.
»Mein Freund? Das nennst du Freundschaft? Du hättest mich umbringen können? Ich bin doch keine Puppe, an der man einfach experimentieren kann! Ich ... Ich wollte das hier nicht! Hast du mich gehört!«, schrie ich ihn wütend an.
Obwohl es mich wunderte, dass meine Stimme wieder da war.
Stene war zunächst sichtlich erschrocken, aber im gleichen Moment überkam ihn scheinbar ein Gedankenblitz. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem grauenvollen Lächeln.
Er war auf einmal überheblicher denn je: »Du kannst nichts mehr daran ändern. Du solltest dich lieber zusammenreißen. Ich habe immer noch die Gewalt über Lisy.«
Dieser Satz. Diese Worte. Er machte mich wütend.
Als gehörte sie ihm.
Wie ein Tier, das man sich zum Spaß hielt.
Sie war genauso ein Opfer wie ich.
Ich würde nicht zulassen, dass er sie für seine Zwecke missbrauchte. Nein. Er würde ihr nie wieder etwas antun.
Die Wut in mir stieg.
Ich ließ zu, dass sie sich in mir ausbreitete. Meine Gedanken umfing und in einen seltsamen Nebel einhüllte. Ich mochte nicht mehr zwischen gut oder böse unterscheiden. Ich dachte nur noch an Rache.
Daran Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Und umso mehr sich die Wut in mir ausbreite, umso größer schienen die Kräfte in mir zu werden.
Es fehlte nur noch eins – der Funke.
Und alles würde brennen.
Ich blickte Stene drohend an: »Bald nicht mehr!«
Doch er lachte nur über mich: »Das werden wir ja sehen.«
Das war zu viel für mich.
Ich verlor endgültig die Kontrolle. Diese seltsame Kraft übernahm meinen Körper. Ich konnte nur noch von außen zu sehen, wie ich Stene am Kragen packte und zu Boden schleuderte.
Es überraschte mich selbst, welche Kraft in mir ruhte.
Aber diese Wut war so groß, dass sie nichts zu stillen schien. Ich zog Stene wieder nach oben und warf ihn förmlich gegen den hölzernen Tisch, auf dem ich gelegen hatte. Er schlug mit dem Kopf auf der Kante auf und sank zu Boden.
War er tot?
Was hatte ich getan?
Diese Macht kontrollierte meine Handlungen. Und was auch immer er mir da eingeflößt hatte, meine Wut schien diese Macht zu verstärken.
Ich versuchte, mich selbst wieder beruhigen. Indem ich tief durchatmete. Aber es funktionierte nicht. Mein Körper war in einer Starre gefangen. Er zuckte immer wieder, schien gegen sich selbst zu kämpfen.
Unterdessen stürmten Mike und Eric auf mich zu. Sie wollten mich zu Boden drücken, aber meine Kräfte waren stärker als ihre. Wie in Trance wehrte ich sie ab und schmetterte sie gegen die Außenseite des Kamins. Ich wollte noch einen nachsetzen, oder besser gesagt mein Körper. Doch Lisys Worte hielten mich auf.
Sie stammelte leise: »Was ist hier los? ... Was ist mit mir? ... Mein Kopf ... Oh, er brummt so ... Mein Hals ... Ich krieg keine Luft mehr. Hilf mir, Cara! ... Bitte, hilf mir!«
Ich rannte sofort zu ihr. Nahm ihre Hand. Ich war so froh, dass sie wach war. Dass sie noch lebte. Jetzt würde alles gut werden.
»Ich bin hier. Lisy«, antwortete ich ihr.
Doch sie reagierte nicht mehr. Ich drückte ihre Hand fester und fester in der Hoffnung, dass sie mich spüren konnte. Aber ihr Pulsschlag wurde langsamer ... und langsamer ... bis er plötzlich aufhörte zu schlagen.
Ihre Augen wurden stumpf. Ohne jegliches Gefühl. Das strahlende Lächeln und Leuchten, das ich an ihr so liebte, verschwand aus ihrem Gesicht. Es wurde totenstill.
Nur meine Schreie waren zu hören: »Nein! Du darfst jetzt nicht aufgeben! ... Lass mich nicht allein! ... Lisy!«
Während es draußen anfing zu regnen, beugte ich mich über Lisy und legte meine Stirn an ihre.
»Bitte nicht ... «, flüsterte ich leise. »Lass mich nicht allein. Ich schaff das nicht ohne dich.«
Ich brach in Tränen aus. Meine Hände zitterten vor Aufregung. Mein Körper schien unter diesen Kräften zu zerbrechen. Es war, als brannte sich etwas in mir von innen nach außen.
Das konnte doch nicht wahr sein?
Ich durfte Lisy nicht verlieren. Nicht jetzt. Nicht so. Die Wut schien erneut in mir aufzusteigen, doch jetzt machte sie mir Angst.
Was hatte ich getan?
Vielleicht war das alles nur ein schlechter Traum?
Ich musste einfach nur aufwachen.
***
Während ich die ganze Situation immer noch nicht fassen konnte, trat Rey zurück ins Zimmer. Ich konnte hören, dass ihm das Atmen schwerfiel. Mike und Eric hatten ihn schwer erwischt. Ich bin mir sicher, dass er mich eine Weile stumm ansah, während ich über Lisy gebeugt weinte und schluchzte.
Er brauchte ein paar Minuten, bis er sich an mich wandte: »Es tut mir leid! Ich ... Ich wollte das alles nicht. Aber er hatte mich in der Hand. Ich habe schon so viel Mist gebaut ... Ich konnte einfach nicht Nein sagen. Bitte, ich weiß, dass das nicht richtig war, es hätte nie soweit kommen dürfen. Ich ...«
Ich erhob mich von Lisys Körper und starrte ihn an.
Er zuckte erschrocken zusammen. Als würde er ein Gespenst sehen.
Hatte er Angst vor mir?
»Gefällt dir nicht, was du siehst? Das wolltest du doch?«, hielt ich ihm aufgebracht vor.
»Cara, ich ... Du bist immer noch toll und ... Und die Wirkung wird nachlassen«, murmelte er verunsichert.
Als suchte er nach den richtigen Worten.
Aber was sollte man in so einem Moment schon sagen?
Spürte er, dass er mich auf keinen Fall provozieren sollte? Glaubte er, ich würde ihn töten?
»Ich soll toll sein? Sieh mich doch an! ... Sieh dich um! ... Was ist daran toll?«, erwiderte ich wütend und spürte, wie die Hitze dieser seltsamen Kräfte erneut in meinem Körper aufflackerte. Diese Flamme war so stark und so ungewöhnlich.
Was um Himmelswillen war das?
Mein Körper war so angespannt, so aufgewühlt, dass ich ihn nur mit Mühe und Not unter Kontrolle halten konnte. Natürlich hätte ich der Flamme und dieser unsäglichen Wut, welche sich nun mit meiner Verzweiflung paarte, den Vortritt lassen können.
Dann hätten meine Hände Rey gepackt und durch das Zimmer geschleudert. Hätten ihn zur Rechenschaft gezogen. Doch umso mehr ich mich und meine Taten betrachtete, umso mehr wurde mir bewusst, dass das einfach nicht ich war.
Ich war dabei, mich selbst aufzugeben. Das durfte ich nicht zulassen.
Und was wusste ich schon von ihm?
Welche Rolle spielte er in diesem ganzen Unheil?
Ich blickte ihn angeekelt an.
Musste ich vor ihm auf der Hut sein?
Rey sah sich unterdessen um. Er hob Mikes und Erics Körper hoch, aber sie bewegten sich nicht mehr.
»Tot!«, flüsterte er leise, als sollte ich es nicht hören.
Aber mein Gehör war mittlerweile so gut, dass ich sogar das Auto hören konnte, was sich der Burg näherte. Rey ging weiter zu Stene, der regungslos neben dem Tisch lag. Er fühlte seinen Puls – nichts.
Ich wusste es.
Im tiefsten Inneren hatte ich es schon gewusst.
»Ich habe sie getötet«, sagte ich leise.
Rey richtete sich auf und war sichtlich geschockt: »Ja. Willst du mich jetzt auch töten ... Ich würde es verstehen.« Er wurde immer leiser, aber er wusste, dass ich ihn noch hörte.
Empfand er tatsächlich so etwas wie Schuld? War er Mitschuld?
»Nein«, antwortete ich kurz, während ich langsam Lisys Hand losließ. »Zumindest im Moment nicht.«
»Ich will es wieder gut machen! Was soll ich tun?«, fragte er schnell. In der Hoffnung, dass er die ganze Sache irgendwie wieder gut machen könnte.
»Du kannst mir erklären, was das war und wie ich es wieder loswerde. Ich will es nicht! Und vor allem kannst du mir sagen, was wir jetzt tun sollen. Hier liegen schließlich vier Leichen!«, antwortete ich patzig.
Ich wollte seine Hilfe nicht, aber wir brauchten eine Lösung, denn ich konnte das Auto immer noch hören. Es war nicht, wie ich gehofft hatte, an der Kreuzung abgebogen, sondern kam direkt hierher. Wenn ich in diesem Moment hätte raten sollen, wer es ist, wäre mir nur Stenes Großvater eingefallen. Aber egal, wer es war, es bedeutete jede Menge Ärger.
Während ich noch darüber nachgrübelte, reagierte Rey bereits: »Die Wirkung wird gleich nachlassen. Erst nach der dritten Infusion wird es endgültig, soviel weiß ich. Allerdings könnte jede dich umbringen.«
»Toll!«, murmelte ich: »Danach ist mir jetzt zu Mute.«
»Nein! Bitte … Bitte, tu es nicht!«, entgegnete er daraufhin. Ich hatte unterschätzt, wie groß seine Gefühle scheinbar für mich waren.
»Eins ist mir jetzt klar geworden. Lieber geh ich ins Gefängnis, als das dir was passiert«, fügte er bestimmend hinzu. Das machte mich ein wenig sprachlos.
Aber meinte er das wirklich ernst?
Oder belog er mich vielleicht, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Es war schwer, Rey einzuschätzen.
»Ich glaube, da ist jemand auf dem Weg zu uns. Ich kann das Auto hören«, antwortete ich schließlich.
Rey runzelte die Stirn. Er war verwundert, dass ich so gut hören konnte.
»Das hier darf und wird niemand erfahren«, antwortete er. Während der Regen draußen stärker wurde, schnappte sich Rey die Phiolen mit meinem Blut und ließ sie in seine Tasche verschwinden. Dann packte er mein Glas ein. Etwas verwundert blieb ich zunächst neben Lisys Körper zurück. Ich hatte ohnehin mit mir zu tun.
Die Wut und die Kraft ließen langsam nach. Ich atmete langsam ein und aus. Mit jedem Atemzug schien die Wärme meinen Körper zu verlassen.
Meine Kontrolle über mich selbst zurückzukehren.
Es fröstelte mich. Erstmals spürte ich den stechenden Schmerz an der Wunde.
»Alles Ok?«, fragte Rey.
»Ja, geht schon. Es lässt nach«, entgegnete ich. Langsam war ich wieder ich selbst. Zumindest fast.
Die Schuppen verschwanden genauso wie meine Kraft. Sodass ich plötzlich komplett nackt vor ihm stand.
Rey warf mir seinen Mantel zu, ohne mich dabei anzusehen. Ich zog ihn, so schnell ich konnte, über.
»Was hast du vor?«, fragte ich, nachdem mir allmählich wärmer wurde.
»Wir brennen alles ab, dann verschwinden die Spuren«, sagte er und sammelte alles Holz in der Mitte zusammen.
Verbrennen? Hatte er das wirklich gerade gesagt?
Zum Glück sah er nicht, was ich dachte.
Er war zu beschäftigt damit, alle Spuren zu verwischen.
Ich blickte mich im Raum um und entdeckte auf dem Tisch, auf dem ich gelegen hatte, die zwei anderen Infusionen. Ich steckte sie in meine Taschen.
Wieso ich das tat, wusste ich nicht. Es war wie ein Reflex. Als riefen sie nach mir.
Rey ordnete unterdessen die Leichen so an, als hätte Stene die zwei anderen an den Kamin gestoßen und getötet. Es sollte so aussehen, als wäre er aus Wut darüber, dass sie über Lisy hergefallen waren, ausgerastet. Anschließend hatte er sich aus Kummer und Leid im Brand selbst das Leben genommen.
Eine einfache Geschichte, glaubwürdig oder nicht, zählte in diesem Moment nicht. Nachdem er alle positioniert hatte, zündete er direkt neben Stene das Feuer. Es breitete sich schnell aus und hüllte den gesamten Raum in einen schwarzen Dunst.
»Das war’s«, sagte Rey und nahm mich bei der Hand: »Jetzt aber nichts wie raus hier. Da hinten ist eine Terrasse, da gehen wir raus.«
Er führte mich in den hinteren Teil des Zimmers zu einer Tür, die man aufgrund des Rauchs bereits nicht mehr sehen konnte, und wir traten hinaus.
Draußen war es nicht nur nass, sondern auch kalt. Barfuß lief ich ihm hinterher. Erst durch den Wald, dann den Berg hinunter. Wir wollten nur noch weg.
So weit uns unsere Füße tragen würden.