Читать книгу Bin kaum da, muss schon fort - Sabine Herold - Страница 10

Besser ein großer Abstand als keiner!

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Schon bevor wir heirateten, war uns klar, dass wir irgendwann Kinder haben wollten. Ich habe einen Beruf, der sich mit Kindern relativ gut vereinbaren lässt, und hatte ein Studium vorerst weit von mir geschoben, obwohl ich es zeitweise doch immer mal in Erwägung zog.

Bald nach unserer Hochzeit wurde ich überraschend schnell schwanger. Nach dem ersten Schreck darüber, dass sich unser Leben früher als geplant ändern würde, freuten wir uns auf unser erstes Kind. Unser Sohn Johannes war ein sehr liebes Baby, weinte wenig und war sehr pflegeleicht. Nach einem Jahr wurde der Wunsch nach einem zweiten Kind größer, und zu unserer Freude war ich bald wieder schwanger. Bei der ersten Ultraschalluntersuchung konnte man das kleine Herz noch nicht schlagen sehen. Als ich Sorgen äußerte, wurde ich auf die nächste Untersuchung vertröstet, alles befände sich noch »im Rahmen«. Eine Woche später war nichts mehr im Rahmen. Das Kind lebte offensichtlich nicht, und ich wurde in die Klinik zur Ausschabung überwiesen. Ich war untröstlich. Noch in der Nacht vor dem Eingriff hoffte ich, dass alles nur ein böser Traum war und mein Baby lebte. Konnte Gott wirklich so grausam sein und ein sehnlich erwartetes Kind wieder nehmen? Leider ja. Ich verstand die Welt nicht mehr und trauerte intensiv um mein Kind.

In dieser Zeit wurde ich darauf aufmerksam, dass es viele Frauen gab, die eine Fehlgeburt erlitten hatten. Das hatte ich bisher noch nie so wahrgenommen. Vielleicht, weil kaum jemand darüber sprach? Jedenfalls wusste ich nun, dass ich nicht die einzige Frau war, der so etwas passierte. Mein Mann konnte mich leider nicht wirklich unterstützen. Für ihn war das Kind ja noch nicht in irgendeiner Weise spürbar bzw. sichtbar gewesen. Richtig schlimm empfand ich damals aber diejenigen, die meinten, sie müssten meiner Trauer mit irgendwelchen dummen und auch frommen Phrasen begegnen. »Wer weiß, wozu es gut war?« (Ja, wozu eigentlich???) »Gott hat sich schon was dabei gedacht.« (Ich wüsste zu gerne, was.) »Ihr seid doch noch jung und könnt noch weitere Kinder bekommen.« (Ich wollte kein anderes, ich wollte dieses!) »Vielleicht war es ja behindert.« (Das war in dem Moment völlig egal, ich wollte, dass es lebte.) Diese und noch etliche andere wohlmeinende Ratschläge ließen mich zu dem Schluss kommen, dass es irgendwie nicht erlaubt sei, um eine Fehlgeburt zu trauern. Nur meine Freundin tat das einzig Richtige. Sie besuchte mich spontan, nahm mich einfach in den Arm und ließ mich so stehen mit all meinen Gefühlen. Und Gott? Er war so unendlich fern. Ich habe ihm meine Enttäuschung, meine Trauer und meine Wut entgegengeschleudert. Danach fühlte ich mich besser.

Ein Jahr später war ich zum dritten Mal schwanger. Ich ging etwas verhaltener an die »Sache« heran. Außer meinem Mann erzählte ich vorerst niemandem davon. Erst mal abwarten, nur nicht zu früh freuen. Dennoch war die Enttäuschung groß, als ich nach einer Blutung im dritten Monat das Baby verlor. Es gelang mir schneller als beim ersten Mal, mich abzulenken, schließlich hatte ich ja versucht, mich nicht zu sehr auf die Schwangerschaft einzulassen. In diesem Jahr wurde mir bewusst, welches Opfer Gott gebracht hatte, als er seinen Sohn am Kreuz sterben ließ. Es ist furchtbar, ein Kind zu verlieren. Wie muss er gelitten haben, als er das freiwillig tat – und zwar für mich!

Kurz nach Ostern bekam meine Freundin ihr zweites Kind. Ich konnte mich von ganzem Herzen mitfreuen und durfte die Patentante von Klein-Laura werden. Ein Geschenk war seitdem für mich, dass ich nie neidisch wurde auf andere, die ein Baby bekamen (und das waren einige). Ich hätte mir nur gewünscht, dass ich lieber gar nicht schwanger geworden wäre, als die Kinder wieder hergeben zu müssen.

Wir wollten nie ein Einzelkind, aber mittlerweile begann ich es zu genießen, unseren Sohn aufwachsen zu sehen und alle Entwicklungsstufen mitzubekommen. Er war ein fröhliches, aufgewecktes Kind. Als er dreieinhalb Jahre alt war, wurde er chronisch krank. Er bekam eine schwere Form von Epilepsie, und wir verbrachten etliche Wochen in der Kinderklinik. Auch das erste Jahr danach war sehr anstrengend, da die starken Medikamente wesensverändernd wirkten, die Konzentration und Wahrnehmung einschränkten. Wir waren sehr mit klinischen Kontrollen und irgendwelchen Therapien beschäftigt. Vielleicht war es gut, dass wir zu dem Zeitpunkt noch keine weiteren Kinder hatten? Wie schafften andere Leute das bloß?

In dieser Zeit starb unser fünf Monate alter Neffe am plötzlichen Kindstod. Das war ein weiterer Schock für die ganze Familie. Kurze Zeit darauf entschuldigte sich meine Schwägerin bei mir für die unbedachten Worte, die sie nach meinen Fehlgeburten geäußert hatte. Sie habe nun selbst schmerzhaft erfahren, wie es sei, ein Kind zu verlieren. Das hat mich sehr beeindruckt, zumal ich es schlimmer finde, je älter ein Kind ist und je mehr man es kennt und liebt, aber für sie machte das offenbar keinen Unterschied.

Die Jahre vergingen, und ich verlor noch weitere Kinder, allerdings so früh, dass ich gar nicht mehr deswegen zum Arzt ging (ich weiß, dass man das nicht tun sollte, da es zu nachhaltigen Schäden der Gebärmutter führen kann, wenn man keine Ausschabung vornehmen lässt). Mittlerweile war unser Sohn sieben Jahre alt, wir hatten ein Haus gekauft und irgendwie begonnen, mit dem Gedanken an weitere Kinder abzuschließen. Als wir von Freunden gefragt wurden, ob wir ihnen unseren Kinderwagen, den Autositz und die Stoffwindeln abtreten würden, haben wir bereitwillig zugesagt. Wozu hatte ich das ganze Zeug all die Jahre aufgehoben? Es war Zeit, Platz zu schaffen! Prompt wurde ich schwanger. Irgendwie konnte ich eine innere Freude nicht unterdrücken, dennoch fuhr ich leicht panisch zum Arzt. Auf dem Weg dorthin flehte ich inständig, dass dieses Kind lebte. Mein Gebet wurde erhört: Das kleine Herz schlug fröhlich vor sich hin! Ich war in der achten Woche schwanger. Drei Tage später folgte der erste Schreck: Ich bekam eine Blutung. Völlig aufgelöst machte ich mich auf den Weg in die Praxis. Selbstzweifel plagten mich. Hatte ich mich übernommen? Musste ich diesen letzten anstrengenden Nachtdienst wirklich machen, nur weil ich noch niemandem von meiner Schwangerschaft erzählen wollte? Hatte ich das Leben meines Kindes leichtfertig aufs Spiel gesetzt? Nach bangen Stunden blickte ich auf den Monitor und sah mein Baby, das fleißig mit den Armen ruderte, als würde es mir zuwinken. Dem Kind ging es gut. Gott sei Dank!

Genießen konnte ich die Zeit der Schwangerschaft nicht. Nach jedem Arztbesuch war ich nur kurze Zeit davon überzeugt, dass alles in Ordnung war. Es gab oft mehr Tiefen als Höhen. Im achten Monat wurde ein möglicher Herzfehler diagnostiziert. Die darauf folgende Woche des Wartens auf weitere Untersuchungen war hart. Sollte unser Kind vielleicht eine Behinderung haben, durch den Herzfehler nicht lebensfähig oder anderweitig eingeschränkt sein? Wieder konnte meine Freundin trösten und für uns beten. Das tat gut, und ich konnte der Untersuchung gelassener entgegensehen. Mein Mann war in dieser Woche auch eine große Hilfe und verbreitete Optimismus. Auch wenn wir uns natürlich ein gesundes Kind wünschten, würden wir lernen, mit einer Behinderung umzugehen. Auf diesem Gebiet sind wir schließlich erprobt, dachte ich manchmal zynisch.

Oft wurde ich gefragt, was »es« denn werden würde, und ich entgegnete jedes Mal, dass wir uns vom Geschlecht des Babys überraschen lassen wollten. Der nächste Spruch, der dann kam, war mit fast vorauszubestimmender Sicherheit: »Na ja, Hauptsache, es ist gesund!« Hauptsache gesund! Welch ein Hohn für alle behinderten und kranken Menschen. Manchmal wäre ich deshalb fast explodiert. Sollte ich die Leute schockieren und erwidern, dass unser Kind vielleicht behindert sein würde? Was ist denn dann die Hauptsache? Was war die Hauptsache für mein Kind? Dass es jetzt schon geliebt wurde und dass ich mich riesig darauf freute. Das war die Hauptsache! Im Herzzentrum stellte sich dann heraus, dass unser Kind kerngesund auf die Welt kommen würde. Alle Aufregung umsonst. Zum Glück!

Endlich konnten wir unser kleines Mädchen gesund und munter in den Armen halten. Katharina Elisa betrat die Welt mit großen offenen Augen. Elisa bedeutet: »Gott ist Vollkommenheit«, und wir sind dankbar für den kleinen vollkommenen Menschen. Als ich neulich erwähnte, dass der Abstand zwischen unseren Kindern doch ziemlich groß sei, entgegnete mir ein lieber Bekannter: »Besser ein großer Abstand als gar keiner!« Recht hat er!

Nadja Hadem, Marburg, D

Als »Bin kaum da, muss schon fort« erschien, war ich gerade wieder schwanger. Ich konnte damals nur ein paar Berichte quer lesen, da mich das Thema doch noch zu sehr aufwühlte. Etwas überrascht war ich schon davon, dachte ich doch, dass ich mit dem Verlust spätestens nach Schreiben des Artikels gut fertig geworden war.

Ein Exemplar des Buches konnte ich im gleichen Jahr an eine Bekannte weitergeben, die mit Zwillingen schwanger war und ein Kind verlor. Sie hat nur wenig über das Ereignis gesprochen, wollte aber das Buch gerne behalten.

Eine andere Reaktion kam von einer Freundin, die mir das Buch unter Tränen zurückgab. Die Trauer über ihren unerfüllten Kinderwunsch wurde erst durch das Lesen einiger Berichte konkret. Auch ein Thema, das der Aufarbeitung bedarf.

Trotz meiner Vorgeschichte konnte ich mich gut auf die neue Schwangerschaft einlassen und hatte wenig Ängste. Das empfand ich als große Entlastung. Unsere Magdalena erblickte 22 Monate nach ihrer Schwester nach einer schnellen, komplikationslosen Geburt im Geburtshaus das Licht der Welt – genau am Geburtstag ihres Papas. Was für ein Geschenk!

Johannes ist ein stolzer großer Bruder und liebt seine kleinen Schwestern (meistens) sehr. So herrscht in unserer Familie nun reger Trubel, aber das haben wir ja so gewollt!

Nadja Hadem (Dezember 2010)

Bin kaum da, muss schon fort

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