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Vorwort

Wie alles anfing

Nicht mehr schwanger, doch nicht schwanger, leerer Bauch, Ent-Täuschung, vorbei der Traum – kein Kind.

Wie viele Frauen verlieren ihr Kind durch eine Fehlgeburt oder Totgeburt! Wie viele warten vergeblich darauf, schwanger zu werden! Für wie viele ist die Geburt mit großen Ängsten verbunden! Wie viele erleben die Geburt wie ein Trauma oder bangen noch wochenlang um das Leben ihres Kindes – zwischen Hoffnung und Resignation! Wie viele nehmen sich nicht die nötige Zeit zum Trauern und Loslassen. Wie viele sprechen nicht darüber!

Wie viele müssen ihr Kind, das in ihrem Bauch, in ihrem Herzen oder in ihrer Vorstellung gewachsen ist, wieder loslassen! Es sind so viele!

Hannah Lothrop schreibt in ihrem Buch »Gute Hoffnung – jähes Ende. Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern«: »Obwohl schätzungsweise jede vierte oder fünfte Schwangerschaft in einer Fehlgeburt endet (manche Fachleute schätzen sogar, dass jede zweite Frau mindestens einmal im Leben eine derartige Erfahrung macht!) und darüber hinaus ca. jedes 133. Baby in Deutschland entweder tot geboren wird oder den ersten Lebensmonat nicht überlebt, verbannen wir die Vorstellung von dieser Möglichkeit aus unseren Gedanken. Unsere Ängste dürfen sich höchstens in unseren Träumen zeigen« (S. 18).

Nach meiner Fehlgeburt brauchte ich einige Wochen, bis ich den Schmerz überhaupt richtig zulassen und mir die Trauer zugestehen konnte. Das Trauern und Weinen, das Darübersprechen, das Schreiben und Malen taten gut. Und als ich mir erlaubte, mir Zeit zu lassen, fiel eine Last von meinen Schultern.

Ich erlebte einfühlsame Reaktionen von Freunden, Verwandten und Bekannten. Doch ich erlebte auch das andere: dass ich es einigen gar nicht sagen wollte, weil ich Angst hatte, von ihnen durch unangebrachte Antworten oder Floskeln verletzt zu werden.

Ich hatte während dieser Zeit so manches Mal das innere Drängen, diese oder jene Freundin anzurufen und ihr von meinem Verlust zu erzählen. Zu meinem Erstaunen »outeten« sich diese Frauen oft selbst als Betroffene, die ein oder sogar mehrere Kinder durch eine Fehlgeburt verloren hatten. Diese Frauen halfen mir am meisten, da sie genau nachvollziehen konnten, was der Verlust eines Kindes bedeutete. Sie konnten mit-fühlen und nahmen Anteil. Ich wandte mich auch bewusst an Frauen, von denen ich hörte oder wusste, dass sie betroffen waren, und fragte sie um Rat, den ich gerne annahm.

Außerdem ging ich auf die Suche nach christlicher Literatur zu diesem Thema, da für mich ganz klar war, dass ich mich mit diesem Verlust vor allem auch von meinem Glauben her auseinander setzen wollte. Ich fand jedoch nichts. Anderen Frauen erging es genauso.

Nachdem ich meinen persönlichen Trauerweg gegangen war, wuchs in mir das Anliegen, ein Buch zum Thema Fehlgeburten und Totgeburten herauszugeben. Es sollte dabei nicht um eine theoretische Abhandlung, um medizinische Informationen oder Statistiken gehen, die in Fachbüchern oder im Internet nachgelesen werden können, auch nicht um eine Liste mit Tipps, also um ein Nachschlagewerk oder einen »Fehlgeburten-Guide«. Es ging mir nicht darum, nur einzelne Zitate von Betroffenen einzufügen oder die Artikel zu kommentieren und darauf die Theorie zum Thema Fehlgeburten aufzubauen, die es meines Erachtens nicht gibt. Ich wollte eine Sammlung mit Berichten von betroffenen Frauen oder Paaren, die ihre eigene Geschichte erzählen, die beschreiben, wie sie den Verlust des Kindes oder der Kinder erlebten, wie sie trauerten, was ihnen am meisten half und wie sie mit dem Schmerz umgingen und diesen in ihr Leben integrierten.

So ging ich auf die Suche nach betroffenen Frauen und Paaren, die bereit waren, den Verlust ihres Kindes zu Papier zu bringen. Ich fragte zuerst die Frauen, die ich schon kannte. Diese fragten wiederum Betroffene, die sie kannten, und so weiter. Ich machte auch zahlreiche Interviews, aus denen weitere Geschichten entstanden.

Wenn ich nun all die Texte vor mir sehe, all diese ganz persönlichen Geschichten, dann kann ich nur sagen: Die Arbeit hat sich gelohnt! Jeder Bericht spricht für sich, entspringt einer persönlichen Geschichte und manchmal einem langen, schmerzhaften Weg. Jede Geschichte ist anders. Jeder Trauerprozess verläuft individuell und doch ähnlich.

Während ich Betroffene fragte, ob sie bei diesem Projekt mitmachen wollten, merkte ich, wie tabu doch das Thema Fehlgeburt ist. Immer wieder erwähnten Frauen, dass sie kaum darüber sprachen und im Moment der Fehlgeburt nicht wussten, dass es unzählige Betroffene gibt. Manche haben mir auch abgesagt, weil es ihnen zu nahe ging bzw. weil sie damit nicht an die Öffentlichkeit treten wollten. Es geht um etwas sehr Persönliches, bei dem mann oder frau nicht schon wieder verletzt werden will. Darum respektiere ich es auch, wenn einige lieber anonym bleiben wollen. Es ist mir wichtiger, dass ihre Geschichte erscheint, wenn auch ohne Namen, als dass ihr wertvoller Beitrag keinen Platz findet.

Warum ist das Thema Fehlgeburten tabu? Was könnten wir tun, dass mehr darüber gesprochen wird, damit Frauen bzw. Paare informiert sind und wissen, dass jedem so etwas passieren kann und sie nicht auf einmal wie aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen werden? Wie könnten Gemeinden dazu beitragen, dass Betroffene aufgefangen werden und Hilfe finden? Diese und noch mehr Fragen beschäftigen mich nach wie vor.

Eine Frau aus Kanada, die mir ihre Geschichte auf Englisch erzählte, überraschte mich, als sie sagte: »Wir haben in Kanada inzwischen gelernt, über solche Verluste, über den Tod – auch eines Ungeborenen –, zu sprechen. Wir haben jahrzehntelang die Erfahrung gemacht, dass es ungesund ist, wenn man es verschweigt und tabuisiert. Heute ist es eher tabu, nicht darüber zu sprechen!« Ob wir wohl auch dahin gelangen?

Nicht jede Frau will darüber reden. Das ist auch okay. Es wird jedoch dann zum Problem, wenn sie gerne darüber sprechen würde, aber aus Angst vor eventuellen Verletzungen schweigt oder die Trauer unterdrückt, weil sie nach zwei Wochen angeblich genug geweint hat, wie es vielleicht eine gut meinende Verwandte bemerkt …

Mir fällt auf, dass nach einer erlebten Fehl- oder Totgeburt immer wieder Schuldgefühle und Selbstvorwürfe eine Rolle spielen. Eine weitere Schwangerschaft nach einer Fehlgeburt kann mit großen Ängsten verbunden sein.

Jede Schwangerschaft bedeutet, dass ein Kind im Leib der Mutter heranwächst. Umso größer und schmerzhafter ist dann der Verlust des Kindes, ob sehr früh oder auch spät in der Schwangerschaft. Für unseren Verstand ist es natürlich schlimmer, wenn ein Kind in der zweiten Schwangerschaftshälfte oder kurz vor, bei oder nach der Geburt stirbt. Aber nicht unbedingt im Herzen einer Mutter, die ihr Baby verliert.

Dieses Buch soll betroffenen Frauen und Paaren helfen, ihren eigenen Schmerz über den Verlust eines Kindes zuzulassen, sich damit auseinanderzusetzen, ihn auszudrücken und zu wissen, dass es Frauen gibt, die das auch erlebt haben und verstehen, was sie gerade durchmachen. Vielleicht finden sich die einen in dem einen Bericht wieder, andere Betroffene in einem anderen.

Für dieses Buch habe ich auch ganz bewusst Frauen gefragt, von denen ich wusste, dass Gott für sie eine wichtige Rolle spielt, und denen ihr Glaube bzw. ihre Beziehung zu Gott geholfen hat. Gott war damals mein Halt, der, vor dem ich weinen, trauern, klagen, auch anklagen durfte, der mir zuhörte, der mir keine Vorwürfe machte oder mich mit Allgemeinplätzen abspeiste. Er war da. Das tat gut, obwohl der Verlust so unendlich wehtat. Ich bin davon überzeugt, dass Gott und der Glaube als unsichtbare Dimension und Lebenskraft eine neue Tür in der Trauer öffnen und Hoffnung über alle menschlichen und medizinischen Grenzen hinaus geben können.

Ich hoffe, dass viele Frauen und Männer durch die persönlichen Berichte in diesem Buch ermutigt werden und mit neuer Hoffnung aus dem Trauerprozess herauskommen, damit sie auch wieder andere trösten und ermutigen können.

Aber dieses Buch ist nicht nur für Betroffene gedacht, sondern auch für SeelsorgerInnen, GemeindeleiterInnen, Eltern und eigentlich jeden Menschen. Vielleicht hilft es und sensibilisiert, mit Betroffenen, die ein Kind verloren haben – und war es auch noch so klein oder jung und ungeboren –, im Schmerz mitzufühlen und Anteil zu nehmen: auch mit wenigen Worten; durch Da-Sein, durch Zuhören oder auch durch Schweigen.

Ich danke an dieser Stelle allen, die sich bereit erklärt haben, mitzumachen, sich zum Teil sogar noch einmal dem tiefen Schmerz zu stellen, aber dadurch auch noch einen Schritt weitergekommen sind. Ich danke ganz besonders denen, die den Mut hatten, ihren Namen unter ihren Text zu setzen, auch den Männern, die bereit waren, ihre Perspektive mitzuteilen.

Sabine Herold

Bin kaum da, muss schon fort

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