Читать книгу Bin kaum da, muss schon fort - Sabine Herold - Страница 11

Erst eins, dann zwei …

Оглавление

Ich hatte zwei Fehlgeburten. Die eine kam mir, wenn ich ehrlich bin, fast »gelegen«, denn meine beiden anderen Kinder waren noch recht klein, sodass ich nicht wusste, wie und ob ich es mit einem dritten Kind schaffen würde. Ich fühlte mich mit der Tatsache, wieder schwanger zu sein, ziemlich überfordert. Wie sollte das werden? Ich stand wie vor einem unüberwindbaren Berg.

Aus meiner Überforderung heraus hatte ich innerlich gehofft und auch gebetet, dass das Kind abgeht. Doch als es dann so weit war und ich das Kind tatsächlich verlor – ohne große Vorankündigung, ohne große Schmerzen –, war es dann doch schockierend für mich. Ich ging zum Ausschaben ins Krankenhaus.

Wieder daheim, schmerzte der Verlust des Kindes, und das schlechte Gewissen plagte mich wochenlang, vor allem, weil ich nicht Ja zu dem Kind gesagt hatte. So glaubte ich, es wäre meine Schuld, dass das Kind abgegangen war. Ich versuchte, die Fehlgeburt allein zu verarbeiten. Jahrelang verlor ich kein Wort darüber. Das erste Mal erzählte ich Jahre später meiner Schwester und einer Freundin davon.

Dann war zwei Jahre lang »Ruhe«, in denen ich nicht mehr schwanger wurde.

Bei der nächsten Schwangerschaft hatte ich von Anfang an starke Blutungen. Ich war mit Zwillingen schwanger, was mich sehr freute, mir zugleich aber noch mehr Angst machte, denn ich fürchtete nun nicht nur, ein Kind zu verlieren, sondern gleich zwei. Ich betete, dass die Kinder bei mir bleiben und ich sie austragen konnte. Doch die Blutungen wurden immer stärker. Ich sollte nur liegen. Das hatte der Arzt schriftlich verordnet.

In der 14. Schwangerschaftswoche verlor ich dann aber das erste Kind. Es kam durch eine Sturzgeburt heraus. Es war mitten in der Nacht, als ich auf die Toilette ging und das Kind auf einmal herausfiel. Ich war schockiert und rief meinen Mann. Das kleine Wesen zappelte in der Toilette. Ich konnte erkennen, dass es ein Mädchen war, was ich mir gewünscht hatte. Wir holten das Kind heraus und hielten es in den Händen. Es zappelte, hätte aber in diesem Alter keine Chance gehabt. Ich rief die Hebamme an und schilderte ihr, was passiert war. Sie sagte, dass man nichts machen könnte. Es würde zu lange dauern, bis der Krankenwagen käme. Das Kind sei zu klein, um zu überleben. Ihm fehlte zu viel. Es war noch nicht ganz ausgebildet. So starb unsere Tochter in unseren Händen. Wir packten sie ein und »entsorgten« sie. Wir wollten sie erst beerdigen, doch mein Mann meinte, dass es nicht so gut sei, weil die Tiere sie in der Nacht vielleicht wieder ausgraben könnten. Die Vorstellung war für ihn unerträglich. Er wollte das Kind als ganzes Wesen in Erinnerung behalten. Wir sind uns in diesem Punkt nie einig geworden. Schließlich akzeptierte ich, das Kind nicht zu beerdigen, obwohl ich es gerne getan hätte, damit ich auch immer wusste: Da ist es jetzt, bzw. da war es.

Nachdem ich das eine Kind verloren hatte, hörten die Wehen auf. Die Gynäkologin stellte fest, dass sich der Muttermund wieder geschlossen hatte. Bis dahin hatte ich gar nicht gewusst, dass es das gibt. Ich hoffte nun weiterhin, dass wenigstens das andere Kind noch bei mir bleiben würde, aber zwei Wochen später verlor ich auch dieses. Es starb im Mutterleib und wurde durch eine Ausschabung geholt.

Alles war so gefühllos und ging ohne Wärme vor sich. Von den Ärzten kam nur: »Das kann jedem passieren.« Erledigt. Ich hatte keine Schwester oder Hebamme, die zum Beispiel gesagt hätte, dass ich mir jemanden suchen sollte, um den Verlust zu verarbeiten.

Zwei Kinder auf einmal zu verlieren war für mich recht schwierig, nachdem ich vorher eines verloren hatte, das ich verlieren wollte.

Ich suchte Hilfe, raste von Ort zu Ort. Ich fand niemanden, mit dem ich über das reden konnte, was mich so plagte. Ich suchte eine andere Frau, die das Gleiche erlebt hatte. Doch ich musste erfahren, dass sich alle in Schweigen hüllten. Ich stieß eher auf Distanziertheit. Niemand wollte darüber sprechen. Das Thema schien tabu zu sein.

Endlich fand ich eine Frau, die mir erzählte, dass sie zum gleichen Zeitpunkt eine Fehlgeburt gehabt hatte. Bei ihr war das Kind von Anfang an zu klein geblieben und nicht richtig gewachsen. Wir konnten uns in unserem Erleben und in unseren Gefühlen gut verstehen, und wenn eine von uns niedergedrückt und depressiv war, versuchte die andere, sie wieder zu ermutigen.

Bei der ersten Fehlgeburt habe ich die Trauer nicht so rausgelassen, weil ich mir innerlich immer bewusst war, dass ich das ja so wollte. Bei den Zwillingen trauerte ich intensiver.

Da meine Mutter zu dieser Zeit im Krankenhaus lag und ein jämmerliches Bild abgab, wie sie so hilflos dalag, war mir erst recht zum Weinen zumute. Ihr Zustand war der fehlende Tropfen, der mein Tränenfass zum Überlaufen brachte und das Ventil öffnete, damit ich wirklich weinen konnte. Mein Mann glaubte, ich würde wegen meiner Mutter weinen, aber letztendlich war es die Trauer um meine Kinder, der ich Ausdruck gab.

Mein Mann verstand mich nicht und konnte auch nicht nachvollziehen, warum ich so traurig war. Es ging bei ihm nicht so tief. Für ihn war der Verlust der Kinder ein Zeichen, dass es einfach nicht sein sollte. »Denk an den Aufwand, wenn es Zwillinge sind. Da ist es besser, dass sie jetzt abgehen.« Ich erwiderte: »Das hätten wir geschafft, wenn wir sie schon bekommen!«

Meine beiden größeren Kinder halfen mir während der Zeit der Trauer, da ich wusste: Hier ist meine Aufgabe!

Nach dem Verlust der Zwillinge konnte ich am Anfang nicht mehr beten. Ich hatte innerlich immer das Gefühl: Gott hat mir die beiden auch genommen, weil ich ihn ja darum gebeten hatte, dass er mir das Kind davor nimmt. Ich zweifelte daran, dass Gott gerecht ist und dass er richtig macht, was er macht.

Inzwischen habe ich die Fehlgeburten verarbeitet, aber ich denke noch immer an die Kinder, auch an den Moment, als sie starben. Es ist so ein furchtbares Gefühl, wenn ich mich daran erinnere, wie mein Kind ins WC fiel und wie ich das kleine Wesen von ein paar Zentimetern sah und wusste, dass ich nicht helfen konnte. Ich stand ohnmächtig daneben.

Inzwischen ist Zeit verstrichen, und wenn ich das Erlebte heute betrachte, kann ich sagen: In unserer jetzigen Situation würde ich es mit drei Kindern mehr oder mit Zwillingen menschlich gesehen nicht schaffen. Die Aufgabe wäre zu groß.

Es stimmt schon, dass die Zeit Wunden heilt und dass ich mittlerweile auch besser darüber reden kann.

Ich bin allerdings inzwischen sehr vorsichtig geworden, wem ich von meinen Fehlgeburten erzähle. Ich frage zuerst, wie es der anderen geht, wie sie es erlebt hat und ob sie darüber reden will, statt dass ich alles von mir erzähle und dann kommt nichts zurück. Ich merke, dass das Thema bei vielen ein Tabu ist, da man sehr verletzlich ist oder auch schnell verletzen kann.

Anonym

Bin kaum da, muss schon fort

Подняться наверх