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Geburt ohne Kind

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Ich habe es mir auf dem Sofa bequem gemacht, die Beine hochgelegt und versuche nun, mich zu entspannen. Ich will mich schonen, aber das ruhige Liegen fällt mir schwer. Mit einem dreijährigen Wildfang ist das fast unmöglich. Aber jetzt liege ich da. Ich bin in der achten Woche schwanger. Vor vier Tagen haben leichte bis mittlere Blutungen eingesetzt, die mich schockiert und verwirrt haben. Im ersten Moment habe ich gedacht, dass nun alles aus sei, und mich gleich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht. Es war nicht alles aus. Der Ultraschall war in Ordnung. Die Ärztin hat mich beruhigt, und ich bin wieder nach Hause gefahren – nicht ganz so beruhigt. Zwischendurch haben die Blutungen aufgehört, dann sind sie wiedergekommen. Seit Tagen geht das so, aber es scheint ein bisschen besser geworden zu sein. Ich habe wieder Hoffnung und versuche, alles ruhiger zu nehmen. Sämtliche Termine sind abgesagt. Ich bleibe zu Hause.

Der Stich durch die Seele

Auf einmal geht ein schmerzhafter Stich durch meinen Unterleib. Ich erschrecke, ahne Schlimmes. Es kommt mir vor, als sei mein Kind soeben gestorben. Aber ich weiß es nicht. Wenig später bekomme ich starke Schmerzen. Alles zieht sich zusammen.

Ich mache mich auf den Weg ins Bad. Blut. Ich blute wie verrückt. Es hört nicht mehr auf. Und es tut weh. Das ist nicht normal, denke ich. Ich sehe nicht nur Blut. Da kommt mehr raus: schwarze Klumpen. Ich weine. Jetzt weiß ich, dass ich mein Kind verloren habe.

Wenig später kommt eine Freundin und fährt mich in die Praxis meiner Gynäkologin. Die Ärztin macht einen Ultraschall. Von einer Schwangerschaft ist keine Spur mehr zu sehen. Aus. Vorbei. Die Ärztin reagiert sehr einfühlsam und erzählt mir, dass sie selbst drei Fehlgeburten gehabt habe. Meistens verliere eine Frau ein Kind, wenn ein genetischer Fehler vorliege. Aber das sei trotzdem sehr traurig, da es in unseren Köpfen schon ein fertiges Baby sei.

Mein Kopf versteht, aber mein Inneres kann noch nicht fassen, was in den letzten Stunden geschehen ist und was ich gerade mitgeteilt bekommen habe: keine Schwangerschaft mehr, kein Kind mehr.

Ein Mädchen?

Gerade bin ich aus der Narkose aufgewacht. Die Ausschabung liegt hinter mir. Regelmäßig überwacht eine Krankenschwester meine Werte. Die anderen Betten in meinem Zimmer sind leer. Wenn ich zwischendurch allein bin, weine ich hemmungslos.

Die Tür öffnet sich, und mein Mann kommt herein. Sein Anblick tut mir gut. Er hat mir etwas zum Schreiben mitgebracht. Kaum ist er wieder weg, laufen die Tränen von neuem. Ich erinnere mich an einen Traum, ein paar Nächte, bevor die Blutungen kamen:

Ich merke, dass die Wehen losgehen. Alles geht schnell. Schon liege ich im Kreißsaal, vom Personal umgeben. Die Schmerzen sind unbeschreiblich. Die Freude ist umso größer, als das Kind da ist. Ein Mädchen.

Aber wieso schon die Geburt? Ich bin doch noch am Anfang der Schwangerschaft. Es dauert eigentlich noch sieben Monate.

Jetzt ist meine Schwangerschaft zu Ende. Es dauert keine sieben Monate mehr. Das Kind ist »geboren«– ein Mädchen. Irgendwie hilft mir der Traum von letzter Woche, denn nun ist das Kind kein »Etwas« mehr, sondern hat ein Geschlecht, ist eine Persönlichkeit – meine Tochter!

Brief an mein Kind

Ich nehme den Block, den mein Mann mitgebracht hat, und schreibe einen Brief an mein Kind, aber auch einen Brief an Gott, den ich im Hier und Jetzt nicht verstehe:

Jetzt ist alles vorbei. Kein Kind mehr in mir. Die Angst und Unsicherheit der letzten Tage sind gewichen. Nur der Schmerz bleibt: der körperliche Schmerz im Bauch; die Lücke, die du einst ausfülltestund der Seelenschmerz.

Mein Kopf will erklären; meine Seele weint. Du bist tot. Und mit dir ist ein Teil meines Herzens gestorben.

Auch wenn mein Körper schon bald den alten Zustand wiedererlangt hat, ist meine Seele noch bei vorgestern, als du noch da warst; bei gestern und bei heute, als mich der Schmerz durchdrang. Meine Seele ist noch nicht im Jetzt angekommen, hat noch ein Kindund wird dich immer als Kind haben, auch wenn du dann vielleicht im Zimmer der Erinnerung wohnst.

Dein Tod ist im Moment das Schlimmste für mich. Es ist nicht das Ende der Welt. Es ist das Ende meiner Welt!

Das Leben geht weiter; die Zeit läuft unaufhörlichdoch bei mir steht sie still. Gott, ich weiß nicht warum. Aber ich frage dichund ich warte auf eine Antwort!

In der Nacht wechseln sich Schlaf- und Wachphasen ab. Wenn ich einschlafe, träume ich komische Sachen rund um die Fehlgeburt. Ich weine im Traum und erwache auch weinend.

Schon früh am anderen Morgen beginnt der Tagesbetrieb. Immer noch muss ich weinen. Dann wird ein Bett nach dem anderen neben mir belegt. Ich reiße mich zusammen. Trotzdem bin ich ständig kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen.

Ich liege auf dem Bett und schaue aus dem Krankenhausfenster. Das Wetter ist wunderschön. Ich kann sogar bis zu den Alpen sehen, die von sanftem Dunst umgeben sind. Das Morgenrot ist überwältigend. Doch was nützt mir der wunderbare Ausblick?

Gerade habe ich unser zweites Kind verloren. Bisher habe ich immer gedacht, dass mir so etwas nicht passieren kann. Meine Mutter hat vier Kinder zur Welt gebracht, hatte nie Probleme während der Schwangerschaft. Nie eine Fehlgeburt. Wieso sollte mir dann so etwas geschehen?

Was eine Frau durchmachen kann, die ein Kind verliert, war mir bisher fremd, nicht nachvollziehbar. Nun weiß ich selbst, was es bedeutet. »Kind, wo bist du?« Und dann kommen die Selbstvorwürfe: Vielleicht bin ich selbst schuld, dass sich das Kind gelöst hat. Vielleicht hätte ich meinen Sohn nicht mit dem Fahrrad in die Spielgruppe bringen sollen. Vielleicht hätte ich letzte Woche nicht zum Zug rennen sollen, den ich sowieso verpasst habe. Dann waren da die zwei Grippen. Vielleicht sind die der Grund für die Fehlgeburt.

Während ich so in Schuldgefühlen versunken bin, kommt mein Mann. Er hat sich freigenommen, und ich bin sehr dankbar dafür, dass er da ist. Sobald die Ärztin noch einmal vorbeigeschaut und mir weitere Anweisungen und Medikamente gegeben hat, werde ich entlassen. Die Ärztin wünscht mir noch alles Gute. Alles Gute? Was soll das heißen? Was ist jetzt gut für mich?

Zu Hause muss ich immer wieder weinen. Der innere Schmerz überrollt mich unangemeldet, heftig, tief. Doch jedes Mal versuche ich, ihn zu unterdrücken und mich zusammenzureißen, »stark« und »tapfer« zu sein. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt, wie neben mir. Alles scheint so surreal zu sein. Vieles ist auf einmal belanglos, und ich merke, was im Leben wirklich wichtig ist.

Was wirklich hilft

Seltsamerweise höre ich in dieser Zeit von mehreren anderen Frauen, dass sie auch eine oder sogar mehrere Fehlgeburten hatten. Diese Frauen können mich am besten verstehen und helfen mir durch ihr Zuhören, ihr eigenes Erzählen, ihre Worte. Ich merke, dass diese Frauen wissen und am eigenen Leib erlebt haben, wovon sie reden. Von ihnen kommen keine Pauschalantworten wie: »Du bist doch noch so jung! Du hast ja schon ein Kind! Sei dankbar dafür! Dein Sohn braucht dich jetzt. Du kannst ja wieder schwanger werden. Das geht vielen so. Du bist halt keine robuste Person …« Derartige Antworten bekomme ich auch zu hören. Ich versuche zu verstehen, dass viele nicht wissen, was sie sagen und wie sie reagieren sollen, und dass wohl die meisten ihre Worte gut meinen. Ich fühle mich von ihnen aber nicht wirklich verstanden.

Was mich vielmehr ermutigt, sind Sätze wie: »Jede Frau erlebt und verarbeitet eine Fehlgeburt anders. Gib und nimm dir jetzt Zeit, um zu realisieren, was alles in dir vor sich geht, um deine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Weine, wenn dir danach zumute ist. Lass dir Zeit, von deinem Kind Abschied zu nehmen. Versuche das zu sehen, was du hast, und freue dich daran, zum Beispiel an deinem Mann und an deinem Kind. Akzeptiere nach und nach, dass das zum Leben gehört. Das ist die Realität. Wenn deine Gefühle in der nächsten Zeit sehr schwanken, dann hängt das auch mit dem Hormonwechsel zusammen, den du durchmachst. Suche jetzt viel Nähe zu lieben Menschen und Freundinnen, die dich verstehen. Sprich über das, was in dir vorgeht. Meide Menschen, die dich mit fertigen Antworten abspeisen, die dich stressen und dir die Kraft rauben.« Ja, und ich meide derartige Menschen. Ich überlege mir sehr gut, wem ich von meinem Erleben erzähle und wem nicht, welche Antworten ich vertragen kann und welche nicht.

Die nächsten Tage werden nicht leicht. Ich versuche, den Schmerz zuzulassen, aber es ist jedes Mal ein Kampf. Von zwei Freundinnen bekomme ich Blumen. Einen Strauß Rosen und einen großen Strauß mit riesigen Sonnenblumen. Die Blumengeschenke freuen mich sehr. Ich erinnere mich auch an eine Karte von einer selbst betroffenen Frau, die mich ermutigt. Auch von meiner Mutter bekomme ich einen Brief, in dem steht, dass sich meine Eltern und Geschwister sehr auf das Baby gefreut hätten. Noch jemand, der unser Kind ins Herz geschlossen hat. Mitten in meinem Dunkel gibt es doch immer wieder Lichtblicke – sei es durch ein liebes Wort, eine mitfühlende Geste, eine Umarmung, Zuhören …

Verarbeitung in der Stille

Mein Rucksack ist schwer, zieht mich nach unten, fordert meine letzte Kraft. Ich trage Schmerz, Erschöpfung, Schuldgefühle und Angst mit mir herum. Meine Reise geht ins Tessin, wo eine Woche Stille auf mich wartet, »Geistliche Übungen« genannt. Das Thema lautet: »Zur Ruhe kommen bei Gott«– das, wonach ich mich im Innersten sehne.

Ich bin äußerlich still, aber umso mehr wird mir meine Unruhe bewusst. Ich kämpfe zuerst gegen meine Gefühle, gegen die Tränen und die Trauer. Ich habe Angst, dass mich der Schmerz überrollt. Es fällt mir schwer, »schwach« zu sein und mich gehen zu lassen. Aber jedes Mal, wenn es doch möglich ist, spüre ich Erleichterung.

In meinem Tagebuch halte ich den Trauerprozess täglich fest. Schreiben hilft mir. Es hilft, meine Gedanken und Gefühle und den Schmerz in Worte zu fassen, sie auszudrücken und bewusst zu machen.

Wo bist du, Kind?

Ich suche dich –

doch du bist nicht mehr da;

gegangen, aus mir, weg.

Nichts bleibt –

nur der Schmerz,

ungeweinte Tränen,

Verlust und Trauer.

Ich fühle mich leer,

einsam, verlassen –

unendlich müde.

Wo bist du, Gott?

Ich kann dich nicht finden.

Fremd bist du mir geworden.

Mein Kind hast du mir genommen.

Warum?

Für was?

Erst gibst du, dann nimmst du.

Dein Schweigen quält.

Sprich doch ein Wort –

dein Wort für mich!

Ich bitte Gott um die »Gabe der Tränen«, denn ich merke, dass ich das Weinen nicht erzwingen kann, dass aber trotzdem eine Sehnsucht in mir ist, zu weinen und zu trauern, weil die Tränen innerlich brennen und geweint werden wollen. Mir wird auch bewusst, dass ich Zeit brauche und dass das Erlebte nicht von heute auf morgen »gelöst«, betrauert und abgeschlossen ist. Ich könnte es wegschließen, unterdrücken, verdrängen, aber dann würde es im Unterbewusstsein weiterquälen. Ich bitte Gott, dass er mit mir in meinem Tempo durch den Schmerz geht.

Mir wird klar, dass ich meine Tochter nicht innerhalb von ein paar Tagen loslassen muss, aber dass ich mich mit meinem Kind zusammen Jesus überlassen darf – seiner Liebe, Obhut, seinem Blick und seiner Nähe.

Wenn ich Musik höre und sie in mir klingen lasse, dann wird auch meine Seele berührt, und ein Ventil öffnet sich.

Ich gebe meiner Tochter einen Namen. Sie soll nicht namenlos bleiben. Salome. Friede. Im Namen drückt sich meine Sehnsucht nach innerem Frieden aus, die Sehnsucht, bald auch über diesem Verlust zur Ruhe zu kommen. Noch einmal schreibe ich meiner Tochter, diesmal spreche ich sie mit ihrem Namen an:

Salome, ich sehne mich nach dir. Ich wüsste gerne, wie du ausgesehen hättest – deine Augen, dein Gesicht. Ich möchte dich in meinen Armen halten und liebkosen, möchte dich schützen und versorgen. Ich hätte so gerne erlebt, wie mein Bauch mit dir wächst, doch das wird ein Wunsch bleiben. Ich vermisse es, keine Kindsbewegungen von dir in mir spüren zu dürfen – nachts, wenn ich wach liege, oder auch am Tag. Ich wäre so froh gewesen, dich lebend zur Welt zu bringen, doch tot bist du geboren – als Abort verloren gegangen, ausgeschabt, ein Häuflein Gewebe, zur Unkenntlichkeit entstellt. Ich muss an all die Kinder denken, die nie geboren wurden und werden, auch an all die abgetriebenen Menschlein, die leben wollten, aber nicht durften, deren Leben grausam ein Ende gesetzt wurde. Salome, in meinem Herzen und meinen Gedanken bist du ein Mensch, mein Kind, mein Baby, meine Tochter.

In einer kleinen Kapelle sitze ich lange Zeit vor dem Kreuz und komme mit Jesus ins Gespräch. Endlich bricht die ganze Trauer aus mir heraus. Ich weine hemmungslos, schluchze, kämpfe nicht mehr gegen die Tränen. Sie dürfen kommen. Vor Jesus – dem, der unendlich für mich gelitten hat – brauche ich mich nicht zu schämen. Es tut gut, die Tränen zuzulassen und mich gleichzeitig dem zu überlassen, der mein Kind und mich selbst in der Hand hält.

Am nächsten Tag begegnet mir Jesus in der Stille. In einem inneren Bild bekomme ich drei Geschenke von ihm:

Es ist, als wenn er mir noch einmal für ein paar Wochen lang mein Kind zurückgibt, damit ich mich in Ruhe von ihm verabschieden kann. Ich darf mir Zeit lassen zu trauern.

Zweitens darf ich – eingehüllt in den Mantel seiner Liebe – weinen, klagen, trauern, meine Gefühle und den Schmerz zulassen. Und ich weiß: Jesus ist in diesem Schmerz bei mir. Er trauert mit mir. Vor ihm darf ich sein, wie ich bin, und das kommen lassen, was kommt – auch Tränen!

Das dritte Geschenk ist die Verheißung neuen Lebens. Vielleicht ein weiteres Kind? Ich weiß es nicht.

Die Zeiten der Stille tun gut. Es kommt mir vor, als wenn Jesus mir Sätze sagt wie: »Komm zu mir mit deinem Schmerz; ich weiß darum; ich halte dich. Ich lasse dir Zeit. Lass dir selbst auch Zeit – mindestens so lange, wie deine Schwangerschaft dauerte! Ich gebe dir Anteil an meinem Leben, geliebte Tochter. Und: Deine Salome ist sicher und geborgen bei mir!«

Diese Erfahrungen sind für mich sehr tiefe Begegnungen mit Gott, und ich gebe sie an dieser Stelle nur weiter, weil ich hoffe, dass sie vielleicht Frauen in ähnlichen Situationen trösten und sie ermutigen, sich von Gott ansprechen und halten zu lassen.

Das Wissen darum, dass ich trauern darf, entlastet mich und heilt sogar einen Teil des Schmerzes. Ich erlebe einen kleinen Durchbruch: neue Lebensfreude, Hoffnung, Trost. Der Himmel über mir scheint eine ähnliche Veränderung zu erleben. Bisher hat es nur geregnet. Jetzt endlich bahnen sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Wolken. Der Himmel bricht auf:

Die Sonne scheint

und wärmt, umarmt und blendet mich –

nach dem Gewitter, den Regenschauern – Himmelstränen.

Licht – für mich.

Trost – von Gott.

Ich gehe zurück in den Schmerz, zu dir, Kind,

halte dich in meinen Gedankenhänden,

schaue dich mit meinem inneren Auge an,

liebe dich, liebkose dich in meinem Herzen.

Dabei bin ich getröstet und gehalten.

Ein Stärkerer ist bei mir,

der »Ich-bin-da«,

der zu mir in die Tiefe kommt,

der meine Schwachheit und Ohnmacht teilt.

Gott, ich überlasse mich dir.

Ich lasse meine »Haltung« los,

um von dir gehalten zu werden;

verliere meine Fassung,

um von dir erfasst zu werden.

Bei meinem nächsten Gespräch mit der Leiterin dieser Stillewoche lade ich endlich meine Selbstanklage, mein schlechtes Gewissen und meine Schuldgefühle, dass das Kind vielleicht wegen mir gestorben ist, ab. Ich vergebe mir selbst und nehme Gottes Vergebung in Anspruch.

Und dann vergebe ich Gott. Das klingt vielleicht seltsam, aber ich gebe ihm mein Nicht-Verstehen, meine Klagen und die vielen Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Warum hat er mir meine Tochter genommen, wenn er doch der Gott des Lebens ist? Ich spreche diese Frage aus und weine den Schmerz heraus, und es tut gut. Ich lasse meine Erwartungen, die Schuld, in der er bei mir – wie ich meinte – steht, meine Forderungen, mein angebliches »Recht« auf dieses Kind los.

Schnell geht die Woche im Tessin zu Ende. Mit einem vollen Rucksack, aber mit einem erleichterten Herzen fahre ich wieder nach Hause. Die Trauer nehme ich mit, aber ebenso Trost.

So lange, wie meine Schwangerschaft gedauert hat, so lange lasse ich mir Zeit zu trauern. Dann bin ich bereit, mein Kind loszulassen. Ich nehme in der Stille vor Gott von Salome Abschied. Sie ist nicht verloren, nicht irgendwo, sondern in den liebenden Armen Gottes. Was bei mir zurückbleibt, ist Friede über den Abschied von meinem Kind. Auch wenn noch oft die Tränen fließen und fließen dürfen, kann ich wieder lachen.

In der Gegenwart

Nach ein paar Monaten bin ich wieder schwanger. Wird es diesmal gut gehen? Ich will mich nicht zu sehr freuen, aus Angst, dass es vielleicht wieder ein jähes Ende haben könnte.

Die Schwangerschaft ist ein Geschenk! Ich weiß jetzt, dass es nicht selbstverständlich ist, überhaupt schwanger zu werden, ein Kind auszutragen und gesund auf die Welt zu bringen – es ist reine Gnade! Kein Mensch kann Kinder »machen«. Keine Frau hat ein Recht auf Kinder! Eine Schwangerschaft ist ein Geschenk des Himmels: Gott hat sich dieses Kind ausgedacht! Und jeder Tag, an dem eine Frau schwanger bleibt, ist Gnade. Jeder Tag, an dem das Kind leben, sich entfalten und wachsen darf, ist noch viel mehr!

Sabine Herold, Laupersdorf, CH

Dieser Artikel erschien in gekürzter Form zuerst in der Zeitschrift Lydia.

Bin kaum da, muss schon fort

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