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Die Aussprache

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Am Freitagnachmittag kamen Moritz und Carina in Mannheim an, kurz danach Julian und Laura. Der Geburtstag der Mutter wurde gefeiert. Für den Samstag verabredeten sich die Jungs mit alten Freunden. Carina und Laura überlegten sich, lieber alleine wegzugehen. Sie saßen in einer kleinen Kneipe in der Altstadt.

»Ihr müsst mich für selten dämlich halten«, bemerkte Laura plötzlich.

Carina fühlte sich ein bisschen ertappt und schaute erschreckt aus ihren Gedanken hoch. »Wie kommst du darauf?«

»Irgendwie mein Gefühl!« Sie knabberte an ihrem Strohhalm und blickte auf den Boden. Heute sah sie recht salopp aus: Weiße Jeans, unauffälliges T-Shirt, die dunkelblonden Haare fielen untoupiert locker über die Schulter. Carina war seit Teneriffa aufgefallen, wie sehr sich Laura äußerlich verändert hatte. Als ob sie sich beobachtet gewahrte, lugte Laura an sich herunter.

»Nicht mehr so steif?«, fragte sie leise mit leicht zitternder Stimme.

Carina nickte.

»Ich hatte mir auf Teneriffa ein paar neue Sachen gekauft, Julian gefiel das. Zu Hause habe ich ihn zu meinem Schrank geführt und gesagt: ‚Schau mal, was dir nicht gefällt’. Er klappte die Tür zu, meinte: ‚Fast alles’.«

»Uff!« Carina klapperte irritiert mit den Lidern.

»So ging es mir auch, ein Schlag in den Magen. Aber er sagte, er habe nicht meinen Kleiderschrank geheiratet, sondern mich, was mich wieder beruhigte. Wir haben darauf ein ganzes Wochenende Kaufrausch gespielt, frag nicht, was das gekostet hat!« Laura lachte heiser: »Heimlich bin ich vorher noch zu einer Farbund Stilberaterin gegangen, sag es bloß nicht Julian, du weißt, was er davon hält!«

»Zumindest siehst du um Klassen besser aus!«, prustete Carina.

»Danke, ich fühle mich gut. Ich war wohl so eine Art Litfaßsäule: von sämtlichen bunten Plakaten eins! Mir brachte keiner bei, wie man sich vernünftig kleidet. Meine Mutter schleppte mich grundsätzlich in elitäre Damengeschäfte, stattete mich mit Klamotten aus, die mir gar nicht gefielen. Stil bedeutet nicht aufzufallen, hat sie gepredigt. Ich habe es so gehasst: Braun, Beige, Dunkelblau, Weiß, Creme, Faltenröckchen, Blüschen, Rüschen, hochgeschlossen! Genau damit BIN ich aufgefallen! Die anderen durften Jeans tragen, ich nicht. Bauerntrampel haben sie zu mir gesagt, Muttis Liebling! Dabei war das Zeug verdammt teuer! Irgendwie hab ich das noch immer in mir drin, Jeans trägt man nicht, verrückt, aber ich trug sie nur zur Gartenarbeit!« Laura lachte, bis ihr die Tränen die Schminke verschmierten. Sie fühlte eine Mischung aus Schmerz und Absurdität und ihr Gesicht verzog sich zu einem Lachen, teils aus Leid, teils aus Befreiung.

Carina griff nach ihrer Hand. »Ist in Ordnung, du kannst nichts dazu!«

»Oh doch! Ich habe mir viel zu lange vorschreiben lassen, was ich zu tun hätte. Und Julian fängt auch damit an. Ist bequem, so eine blöde Kuh wie mich zu haben, die alles macht, was man ihr sagt!«

Carina erlebte Laura das erste Mal aufbrausend.

»Sag dem Schnösel, wo es langgeht! Du hast vollkommen recht! Er soll sich seine Socken selbst aus dem Schrank holen!«

»Nicht nur das, er soll sie sich alleine kaufen!« Laura klatschte die Hand auf den Tisch. »Du solltest ihn mal sehen, er kennt seine Konfektionsgröße nicht, nicht für Hemden, Anzüge, nur seine Schuhgröße weiß er!«

»Wie hat er früher eingekauft?«, rätselte Carina.

»Beobachte mal die Verkäuferinnen! Bin ich dabei, kümmern sie sich kein bisschen um ihn. Wenn ich weiter hinten bleibe, tue, als gehöre ich nicht zu ihm, dann stottert er sich einen ab. Er bräuchte eine Jeans, ein Jackett oder etwas anderes. Sie erkundigen sich nach der Größe, aber der abschätzende Blick läuft mit, denn sie wissen vorher, was kommt.

‚Meine Größe?’‚ so fragen die Männer entsetzt. ‚Sind SIE Verkäuferin oder ich?‚ Der strikte Tonfall macht es, bestimmt von dem prüfenden Blick von oben nach unten! Verkäufer kennen die Körpermaße schon per Beäugen! Garantiert!« Laura schüttelte sich vor Lachen. »Männliche Verkäufer holen zumindest zur Selbstachtung noch das Maßband heraus und messen die Kerle aus!«

»Männer sind eben in manchen Dingen einfach nur peinlich!«, lachte Carina. »Wir irgendwie auch, oder? Deine Haare liegen völlig anders, nicht mehr so perfekt durchgestylt! Das gefällt mir.«

»Wenn du mal bei uns bist, zeige ich dir einen Ausschnitt aus einer furchtbar platten Frauenzeitschrift, dort habe ich früher gearbeitet.«

»Du?«

»Ja, bevor ich Bücher schrieb, die Artikel waren schlecht, passend zum Anspruch der Leser. Das ist unser Familienbetrieb, der Verlag. Publikationswissenschaften musste ich selbstverständlich studieren, das erwartete man von mir. Ich fragte bei den alten Kolleginnen, wo ich eine Farbund Stilberatung finde. Es lief gerade eine Aktion: Vorher und nachher, damit hat es mich nicht mal was gekostet. Ich trug das teure Kostüm von Oilily mit der pinkfarbenen Bluse und dem roten Rock, das kennst du, die Berater schmunzelten!« Laura schien jetzt richtig aufgetaut. »Wir mussten uns abschminken, nur ich nicht, weil ich so gruselig aussah. Sie pinselten mir Ringe unter die Augen, zerzauselten das Haar. Die schlimmsten Fotos wählten sie dann aus, um sie abzudrucken, bitte recht dämlich dreinschauen! Du erkennst mich nicht wieder, glücklicherweise.«

»Alles nur Verarschung! Wusste ich`s doch!« Carina blickte nun interessiert.

»So ähnlich hatte ich mir das vorgestellt, klar. Sie stylten uns neu mit schönstem Make-up, frischer Frisur, völlig natürlich. Dazu kam neue Kleidung! Ausgeleuchtete Fotos selbstverständlich, von Visagisten geschminkt, perfekt in Szene gesetzt, da sieht auch die hässlichste Eule fast annehmbar aus!«

»Bei dir hat es wirklich etwas genützt!«, lachte Carina.

»Stimmt, sie gaben mir gute Tipps! Aber die Optik allein war es nicht. Weißt du, ich bin nicht so, wie die meisten Menschen glauben. Ich habe einmal ganz ernsthafte Dinge geschrieben, Essays, Kurzgeschichten, und sogar vor Jahren einen Preis gewonnen. Zu Hause liegt noch ein Script für einen Roman, ein mühsames Stück Arbeit. Ich bin von Verlag zu Verlag gerannt. Neulinge haben es sehr schwer. Eines Tages schrieb ich ein Märchen für meine Nichte. Meinem Onkel hat es gut gefallen, er meinte, er würde es in seinen Kinderbereich aufnehmen und das Buch verlegen. So fing es an. Ich war nicht stolz auf die banalen Geschichten, wohl aber auf mein erstes Buch und den Erfolg! Auch wenn es ein kitschiges Kinderbuch war.«

»Immerhin verdienst du eine Menge Geld damit!«, sagte Carina.

»Das ja. Es ist für mich nicht einfach, so trivial zu bleiben. Anspruchsvoll darf es in dem Verlag nicht sein. Allerdings, ich habe unter Pseudonym zwei hübsche Kindergeschichten bei einem guten Verlag eingereicht. Sie werden diese wahrscheinlich veröffentlichen. So fahre ich zweigleisig, kann meine ernste Seite zeigen.«

»Sobald es sich rentiert, kannst du überlaufen!« Carina bestellte für beide noch einen Longdrink.

»Das Leben fließt in Bahnen, mit denen man nicht rechnet. Jedenfalls geht es mir so. Immer läuft es anders, als ich es lenken will, aber es ist trotzdem in Ordnung. Für mich ist das Leben eine spannungsreiche Spritztour durch die Zeit. Wie soll ich das erklären? Da, wo ihr Action braucht, Sport, Erlebnisse, gehe ich nach innen. Ich denke viel, philosophiere vor mich hin, lese, schaue mir Objekte lange an, überlege, schreibe kleine Texte. Hin und wieder werden Artikel sogar veröffentlicht. Das, was ihr als prickelndes körperliches Gefühl habt, wenn ihr taucht, lauft, schwimmt, segelt oder so, das habe ich in meinem Kopf. Beim Nachsinnen, sobald ich Musik und Kunst genieße, während des Lesens habe ich Freude, wie kann ich es nur beschreiben? Für mich ist Sport nicht wichtig, aber beim Grübeln und Genießen, ganz intensiv, erlebe ich eine aufregende Welt!«

»Darüber habe ich noch nie nachgedacht, genießerischer Adrenalinkick oder so!« Carina kaute versonnen auf ihren Fingernägeln. »Vielleicht leben manche Leute, die mehr sinnieren, profunder als die, welche aktiv sind.« Sie fasste sich mit der Hand in den Nacken und dachte nach. »Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich Spaß habe mit Sport, daddeln, rumhängen, ich hätte meine Zeit verplempert, mit nutzlosen Dingen. Ich frage mich, was hast du getan? Eigentlich nichts, du hast dir nur die Langeweile vertrieben, ein Gefühl, das richtig erdrückend wird, weil die Eintönigkeit bleibt. An anderen Tagen wieder denke ich, ich spinne. Das Leben ist kurz, man könnte wesentlich mehr schaffen. Härter arbeiten, aber wozu, ein bisschen Freude muss sein, was sollte das Dasein ohne die vielen unnützen Dinge, es wäre schlicht langweilig.« Kichernd griff Carina nach dem Glas. »Ich glaube, ich bin besoffen!«

»Lass uns nicht über den Sinn des Lebens diskutieren, lass uns existieren, jeder auf seine Art!« Laura hob ihr Glas und stieß mit Carina an.

»Und du bist sicher, du verträgst den zweiten Zombie?«, fragte Carina.

»Wir werden es sehen, wenn nicht, trägst du mich halt nach Hause!«

»Ich habe das dumme Gefühl, du schulterst mich!«, Carina schlürfte an ihrem Drink.

»Sag mal«, bohrte Laura, »was war damals mit Jeremias, warum bist du so schnell von München abgehauen?«

Carina machte eine verächtliche Handbewegung. »Einfach weg von dem Kerl, mir ging es hundsmiserabel und ich hatte Angst. Und was sollte ich allein mit einem Haus? Das war viel zu teuer.«

»Wieso hattest du Angst?«

»Ach, vielleicht Einbildung. Er drohte, mich umzubringen. Das sind halt Sprüche in der Wut. Das würde er nie machen. Ist er wütend, rastet er aus und redet dummes Zeug, das meint er nicht so. Prinzipiell ist er sehr lieb. Wären da diese Ausraster nicht!«

»Wenn er eigentlich sanftmütig ist, warum die Angst?«

»Es fing mit seinen Drohungen an, mich auszulöschen, die Bremsleitungen durchzuschneiden, das war lachhaft. Aber an dem Tag, als er ausgezogen ist, seine Möbel holte, passierten komische Dinge. Und dann kam Angelika, erzählte mir so einiges. Danach wollte ich nur noch weg. War schon ein bisschen panisch.«

»Weshalb?«, Laura sah Carina entsetzt an.

»Kindergarten. An den Spülkästen der Toiletten waren die Hähne zugedreht, so dass die Spülung nicht ging, ebenso das Wasser für die Spülmaschine. Wir hatten drei Telefone im Haus verteilt. Er ließ Stationen da, jedoch die Telefone nahm er mit, so dass ich nicht telefonieren konnte. Jeremias behauptete zunächst, er habe sie nicht, gab sie aber nach vier Wochen zurück. Er hatte heimlich meinen Anrufbeantworter besprochen, was ich erst später mitbekam, als die Leute mich ansprachen. Er teilte mit, ich sei nach Australien verzogen. Er hatte meinen Wecker eingesteckt, alle meine Fernbedienungen, meine Pille, Schlüssel, meine Unterwäsche. Als ich drohte, ich zeige ihn an, wenn er meinen Besitz nicht bringt, fand er plötzlich beim Ausräumen meine Sachen wieder.« Carina bemühte sich entspannt zu wirken.

»Jetzt kommt es. Am Tag nach seinem Auszug ging ich in den Keller, der stand voll Wasser. Jemand hatte draußen vor der Tür den Wasserschlauch angemacht und direkt neben das Kellerfenster gelegt. Das Wasser kam durch die Wand. Das gleiche Spiel war auf der anderen Seite vom Haus im Gange. Nur dort hatte der Schlauch sich gedreht, war in den Rasen gekullert. Im Keller roch es nach Gas. Heizung und Warmwasser liefen nicht. Ich rief den Heizungsmonteur. Irgendwer hatte das gesamte Programm verstellt und zwei Gummistopfen entfernt, so dass Gas austrat. Auf keinen Fall lebensgefährlich, keine Angst, aber ganz ungefährlich war es nicht.«

»Uff, das nenne ich krank.« Laura starrte Carina mit offenem Mund an. »Daher der Name Psycho!«

»Jeremias stritt ab, etwas damit zu tun zu haben. Maxi traue ich das nicht zu, dem Vater von Jeremias hatte ich Hausverbot erteilt, der hat höchstens das Wasser in den Keller gelassen. Und weshalb sollen die drei Umzugsleute das tun? Ich kann mir wiederum auch nicht vorstellen, dass Jeremias solchen Blödsinn macht.«

Laura schaute Carina noch ungläubiger an. »Irgendjemand war es! Und warum hatte der Vater Hausverbot?«

»Weil der die Oberklatsche hat! Der hat mich nur noch beschimpft und bedroht. Der stand auf der Straße und schrie unentwegt: ,Du alte Hure, du Schlampe, du verdammtes Miststück!’ Ich habe ihn nicht beachtet. Nach einer halben Stunde hat es mir gereicht. Er hat weitergeblökt, postierte sich direkt im Garten, dann im Flur. Ich holte die Polizei, die zogen ihn fast vom Grundstück, unter Androhen, ihn mitzunehmen. Die mussten noch mal anrücken, sie drohten dem Alten, er komme in den Knast, sobald sie erneut angerufen würden. Daraufhin gab er nach. Ich wollte ihn damals anzeigen. Aber die Polizisten sagten, dazu müsse ich aufs Revier kommen, auf der Straße gehe das nicht. Ich wollte einfach meine Ruhe und die Bullen meinten, der kommt wieder runter, ich solle ihn nicht mehr weiter reizen.«

Laura stand der Mund offen. »Sind demnach beide krank?«

»Und ich weiß nicht, wer der Schlimmere ist. Was ist krank? Krebs ist eine Krankheit, die Windpocken. Wenn einer nicht ganz frisch ist, lebt er eben nur ein bisschen neben der Norm. Er besitzt Persönlichkeit. So läuft es doch. Jeremias rief mich an, bedrohte mich mehrfach. Im Anschluss meldete er sich jedes Mal, entschuldigte sich. Später beschimpfte er mich, leistete nochmals Abbitte und wechselte dann seine Stimmungen von einschmeichelnd bis wütend innerhalb von fünf Minuten. Er wollte wieder einziehen, weil er mich angeblich liebte. Er terrorisierte mich mit Anrufen. Ich hob nicht mehr das Telefon ab und änderte meine Handynummer. Er tauchte sogar ständig bei mir zu Hause auf. Ich tat so, als sei ich nicht daheim, und machte die Tür nicht auf. Das Ganze ging so weit, dass ich abends komplett im Dunkeln saß, damit man ja keinen Lichtschein aus meiner Wohnung sah. Er fing mich auf dem Weg zur Arbeit ab. Er drohte mir, dass ich es bereuen und er mir mein Leben zerstören würde. Er kündigte an, meine Bremsleitung zu zerschneiden, mein Gesicht mit dem Messer zu bearbeiten. Er habe nichts zu verlieren, denn seine Darmprobleme, die er schon seit mehreren Monaten hatte, hätten sich als Darmkrebs herausgestellt, der ihm maximal sechs Monate Lebenszeit lasse. Eine Lüge, klar. Spätestens da hatte ich wirklich Angst um mein Leben. Es ist erschreckend, wie ein paar Worte deinen Alltag verändern können, wenn man nur ein Quäntchen davon ernst nimmt.« Carinas Augenbrauen zogen sich zusammen, die Hände waren zu Fäusten geballt.

»Bis dahin war ich nur genervt. Ich putzte das Haus von oben bis unten, habe ihn rausgeputzt! Plötzlich war der Briefkasten zerkratzt, fast aus der Wand gerissen, das Schloss demoliert und mein Haustürschloss beschädigt. Was er androhte, war Spinnerei. Er hätte mir nie was getan, aber natürlich brachte mich das aus der Fassung, mir stand panische Angst im Nacken!«

Das warme, stumpfe Licht der Kerzen tauchte die Kneipe in einen matten Schimmer. Schatten umspielten Carinas Gesicht. »Angelika besuchte mich, ich hatte sie vorher nie gesehen. Das ist die Mutter von Maximilian, Jeremias’ Sohn. Sie erzählte mir, Jeremias hätte sie damals geschlagen, und war pathologisch eifersüchtig. Sie hatte ihn aus der Wohnung geschmissen. Er hat ein paar Tage später die Tür eingetreten, überall Lügen über sie verbreitet. Er hat ihr eine geknallt, ist ins Treppenaus gelaufen, hat bei den Nachbarn geklingelt, gerufen, sie sei durchgedreht. Sie schmeiße mit Aschenbechern nach ihm, schlage ihn und Max. Und alle haben ihm geglaubt! Er war dabei ruhig und entspannt, sie aufgebracht und ein bisschen hysterisch durch die Situation. Das ist seine Masche.«

»Wie, die Nachbarn haben ihm das abgenommen?«

»Jeremias ist charismatisch. Er ist extrem aufmerksam und behilflich, versteht sich mit jedem. Frauen fahren sofort auf ihn ab. Er ist hübsch, sehr gepflegt, ein Goldschatz. Und er kann ziemlich überzeugend auftreten! Er lügt glaubhafter als ein Schauspieler! Der schaltet von einer Sekunde zur nächsten um. Erst ist er wütend, rastet aus. Klack. Unmittelbar darauf ist er ruhig und liebenswürdig.«

Lauras Gesichtsausdruck wandelte zusehends von Traurigkeit in fassungsloses Erstaunen. Sie kaute intensiv auf dem Strohhalm ihres Drinks, als Carina fortfuhr.

»Ich konnte das nie fassen. Er tobt wie ein Irrer, schreit, schmeißt etwas kaputt. Das Telefon klingelt. Er meldet sich und spricht ganz normal mit dem Anrufer, freundlich, von einer Sekunde auf die andere. So macht er auch die Tür auf. Niemand würde dir glauben, wenn du sagst, der Mann habe vor drei Sekunden getobt und seine Frau geschlagen, Geschirr zerdeppert!«

»Bist du sicher, dass er nicht krank ist?«

»Jeremias hat eine Spur Schizophrenes, so könnte man es vielleicht bezeichnen. Angelika sagte, nachdem sie ihn rausgeschmissen hatte, wurde sie systematisch fertiggemacht. Sein Vater war bei ihrem Arbeitgeber, hat sich als Kripobeamter vorgestellt, er suche Angelika wegen Betrugs. Kündigung. Nächster Job. Hier hat er das Gleiche gemacht. Bei ihrem Vermieter hat er geklingelt, behauptet, sie gehe auf den Strich, betreibe das Gewerbe in der Wohnung, sei drogensüchtig. Rausgeflogen. Jeremias ist mit Max in der alten Bude geblieben, der Mietvertrag lief aber auf sie. Der Vermieter hat mit rückwirkendem Datum den Vertrag auf Jeremias umgeschrieben. Der Vater schmiss Angelikas Sachen aus dem Fenster in den Hof, zerrte sie aus der Wohnung, schubste sie die Treppe hinunter. Damit war sie ausgezogen. Sie hatte weder die Kraft noch die Intelligenz sich zu wehren, sie war damals gerade 22 Jahre alt. Das Gleiche hat die Familie bei Gericht und in der Schule mit ihr gemacht. Überall erzählten sie, sie sei eine Schlampe, so überzeugend, dass es jeder glaubte. Angelika wurde das Sorgerecht für Max entzogen und sie konnte sich nirgendwo mehr blicken lassen. Mir drohten sie, mich fertigzumachen. Das haben sie bei mir jedoch nicht probiert. Der Alte weiß, dass ich ihn anzeige und gegen ihn vorgehe. Aber auf meiner wer-kenntwen-Seite sind alle Freunde von einem Unbekannten angeschrieben worden mit ähnlichen Geschichten über mich. Ich nahm mein Profil heraus. Ich bekam komische Anrufe und mein Arbeitgeber erhielt einen anonymen Brief, ich würde ihn betrügen und schwarz nebenher arbeiten. Der Anwalt von Jeremias und seinem Vater beballerte mich mit diversen Schreiben. Ich sollte die geliehene Maklerprovision an den Vater zurückzahlen. Der Vater zahlte damals dem Makler Jeremias’ Anteil, ich übernahm dafür die Mietsicherheit. Habe mich natürlich nicht darauf eingelassen, dem Anwalt nur geschrieben, er möge mir Schriftstücke in Kopie zusenden, aus denen hervorgeht, dass der Vater mir die Provision ausgelegt hatte. Keine Antwort. Daraufhin gab es einen Rechtsstreit in puncto Mietvertrag, danach über den Strom. Zum Schluss drohte er mich wegen Verleumdung anzuzeigen, obwohl ich gar nichts gemacht hatte. Jede Woche passierte etwas anderes! Ich wollte einfach nur noch weg!«

»Das kann ich verstehen.« Laura nahm Carina in den Arm.

»Nach dem Gespräch mit Angelika, die mir ja von Jeremias und seinem Papa als drogenabhängige Nutte dargestellt wurde, bekam ich Angst. Ich hatte ein paarmal mit Moritz telefoniert, er kam her, damit ich nicht allein war. Dann waren wir irgendwie wieder zusammen, als wären wir nie getrennt gewesen. Mein Arbeitsvertrag lief aus, das Haus war sowieso zu teuer und zu groß für mich, die Hälfte der Möbel hatte Jeremias mitgenommen. Es erdrückte mich so leer, verdreckt mit Erinnerungen. Und schon zog ich weg aus München, wollte nur noch vergessen.«

Carina schluckte, konnte die Tränen nicht halten, sie rollten ihr über die Wangen. Laura drückte ihr die Hände.

Der Kellner kam vorbei und Laura bestellte Cocktails.

»Einen Zombie auf den Zombie!« Sie hob ihr Glas, strich mit der anderen Hand Carina über den Arm.

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